Arndt, Friedrich - Das Vaterunser - Die erste Bitte.

Arndt, Friedrich - Das Vaterunser - Die erste Bitte.

Dein Name werde geheiliget.

Es beginnen nun die einzelnen sieben Bitten; die drei ersten beziehen sich auf Gott, die vier letzten auf uns. Drei ist überall in der Schrift die heilige Zahl (Dreieinigkeit, die drei christlichen Tugenden), die Zahl der Vollkommenheit, welche Anfang, Mitte und Ende hat; vier ist die weltliche Zahl (vier Winde, vier Elemente, die vier Enden der Erde, die vier Evangelien, vier Cherubim); sieben also der Inbegriff aller göttlichen und menschlichen Beziehungen, des göttlichen Reichthums und der menschlichen Armuth, der göttlichen Verherrlichung und der menschlichen Bedürftigkeit. Indem uns Jesus zuerst zu Gott emporschauen und an Gott denken läßt, lehrt Er uns: Wenn du erhörlich beten willst, so denke nicht zuerst an dich und an dein Elend, sondern zuerst denke an Gott den Herrn und an seine Ehre. In der Regel machen wir es umgekehrt im Gebet, wir fangen mit uns an und hören mit uns auf und denken höchstens nebenbei an Gott. Das Vater Unser aber ist der Tod aller Selbstsucht und alles eignen Willens. Es ist allerdings ein Gebet für Sünder; denn Engel können nicht beten: „Vergieb uns unsere Schuld, oder führe uns nicht in Versuchung,“ und auch Jesus, der Heilige und Unbefleckte unter den Menschen konnte es nicht; Er hat ja auch ausdrücklich gesagt: „Wenn ihr betet sollt ihr also sprechen.“ Aber andrerseits ist es wieder nur ein Gebet für Begnadigte und Wiedergeborne und verliert seine volle Wahrheit im Munde der natürlichen Menschen; nur der Wiedergeborne kann Gott Vater nennen, kann sagen; Vergieb, wie wir vergeben; nur er hat die Gewißheit der Erhörung der vier letzten Bitten. Das Vaterunser ist und bleibt nur ein Gebet für die Erde, nicht für den Himmel.

Doch nun zu den einzelnen Bitten selbst. Die drei ersten sind wirkliche Bitten, sie bitten um etwas, was Gott nach der innern Nothwendigkeit seines Wesens thut und thun muß, und sind Bitten nach Gottes Willen, von denen Johannes sagt: „Und das ist die Freudigkeit, die wir haben zu Ihm, daß, so wir etwas bitten nach seinem Willen, so hört Er uns.“ (l. Joh. 5, 14). Sie bezwecken nicht weniger unser Heil als Gottes Verherrlichung. Die erste lautet: „Dein Name werde geheiliget.“ Wir fragen 1) was heißt das? 2) wie geschieht das? 3) was umfaßt es?

1.

Was ist eigentlich wohl ein Name und was soll er bedeuten? Ein Name ist dasjenige, was den einen Menschen von den andern unterscheidet, ist Bezeichnung seiner eigenthümlichen Persönlichkeit, und daher gewissermaßen eine abgekürzte Erklärung des unmittelbar vorliegenden Gegenstandes. Bei Menschen drückt er meistentheils wenig aus, und man kann von demselben selten auf den innern Charakter und die Gesinnung des Menschen schließen; bisweilen ist er aber auch bei Menschen schon vielsagend und inhaltreich. Wenn Gott Abram Abraham, „Vater vieler Völker,“ nennt: lag in dem Namen dem frommen Erzvater nicht die ganze Zukunft seiner Familie und seines Volks verheißungsreich ausgedrückt? Wenn Abraham seinem Sohne, dem Sohne der Verheißung, den Namen Isaak, „den Sohn des Lachens,“ ertheilen mußte: erinnerte ihn der Name nicht zeitlebens an jenen Augenblick, wo Sara die Verkündigung des Herrn, daß sie noch in ihrem neunzigsten Jahre Mutter werden würde, ungläubig belacht hatte? Wenn Jakob vom Herrn in der Nacht des Ringens am Jabok Israel genannt wurde, „Streiter Gottes!“ war dieser Name nicht fortwährend ihm Unterpfand der unvergänglichen, Alles vergebenden Gnade des Herrn? Wenn Jesus den Fischer Simon Petrus nannte „den Fels“ - war dieser Name für den wankenden Apostel nicht eine stete Mahnung, stark zu werden in dem Herrn und in der Macht seiner Stärke? - Bedeutungsvoller noch als die Namen der Menschen sind die Namen der Engel: Gabriel, die Kraft Gottes; Raphael, der Arzt Gottes; Michael, wer ist wie Gott! - Am allerbedeutungsvollsten aber sind diejenigen Namen, welche der Sohn Gottes auf Erden und unter den Menschen trägt. Was ist Alles enthalten in Benennungen, wie die: Jesus, Seligmacher, Immanuel, Gottmituns. Christus. der Gesalbte. Wunderbar, Rath, Kraft, Held, Ewigvater, Friedefürst, der Löwe aus dem Stamme Juda. das Wort, das im Anfange war und bei Gott war und Gott war, der Herr der Gerechtigkeit, vor dem sich alle Kniee beugen und den alle Zungen bekennen sollen! - Nicht minder verhält es sich mit den Namen Gottes in der heiligen Schrift und im Munde der Menschen. Bald bezeichnen sie seine Eigenschaften an und für sich, wie wenn Er sich den Allmächtigen, Allwissenden, Ewigen, Allgenugsamen, Allgegenwärtigen nennt, oder Jehovah. der da war, der da ist und der da sein wird; bald bezeichnen sie sein Verhältniß zur menschlichen Natur, wenn Er erscheint als der Barmherzige und Gnädige, geduldig und von großer Güte und Treue, wenn die Seraphim und Cherubim vor Ihm ihr Antlitz verdecken und rufen: „Heilig, heilig, heilig ist der Herr Zebaoth, alle Lande sind seiner Ehre voll,“ wenn Er der rechte Vater heißt alles dessen, was Kinder ist im Himmel und auf Erden, unser Vater in dem Himmel. Ihn selbst können wir nicht erkennen; Er wohnt in einem Lichte, da niemand zukommen kann; auch hat Ihn nie ein Mensch gesehen, noch kann Ihn ein Mensch sehen: wir kennen nur Seine Namen. Aber an diesen Namen kennen wir Ihn auch ganz, sie sind seine Offenbarungen an die Menschheit, sie sind der Inbegriff aller seiner Vollkommenheiten, sie bringen uns den Unerforschlichen und Unzugänglichen so nahe und zuganglich, wie Er uns nur treten kann. Und darum verstehen wir unter Gottes Namen zuletzt nichts anders als Gott selbst, sofern Er, der verborgene Gott, sich uns geoffenbart hat und uns nahe getreten ist. Ohne Erkenntniß des göttlichen Namens ist keine Erkenntniß Gottes möglich, und nur wer Gottes Namen kennt, kennt Ihn selber.

Nun sollen wir beten: Dein Name werde geheiliget. Was heißt das? So viel ist klar: Gottes Wesen in sich kann von uns nicht geheiliget werden, denn es ist heilig. auch vermag es kein Geschöpf zu entheiligen; vielmehr entheiligt der Mensch sich selbst nur, wenn er meint, Gott Abbruch zu thun in seiner Herrlichkeit und Verehrung: denn das ist eben der innerste Widerspruch und Unsinn jeder Sünde, daß sie meint, wider Gott zu wüthen, und zuletzt doch immer nur gegen sich selbst wüthet. Können wir aber auch Gottes Namen nicht heilig machen, wir mögen thun, was wir wollen: so können und sollen wir ihn doch heilig halten, und zwar auch das nicht um Gottes willen, denn Er bedarf dessen nicht; - wie Er durch unsere Entheiligung nichts verliert, so gewinnt Er nichts durch unsere Heiligung seines Namens; - sondern um unsertwillen sollen wir es thun; wir selbst können nur gewinnen, wenn wir Gottes Namen heiligen, wir selbst können nur verlieren, wenn wir diese Pflicht versäumen.

2.

Wie geschieht das nun aber und wie können wir Gottes Namen heiligen? Gott wird geheiligt, wenn Er bei Allen das gilt, was Er ist, wenn Er uns wirklich Gott, wenn Er unser Vater in dem Himmel ist; und das geschieht dadurch, daß wir Ihn als solchen erkennen, anerkennen und bekennen.

Soll Gottes Name uns sein und gelten, was er ist: so müssen wir ihn zuerst als solchen erkennen, und das Gebet: „Dein Name werde geheiliget“ heißt darum zunächst nichts anders als: „Mögest Du von uns Allen als unser Gott und Vater erkannt werden, möge es Niemanden geben, der nichteine vollständige, richtige Einsicht in Dein Wesen und Dein Verhältniß zu uns gewinnt!“ Weit verbreitet ist die Meinung in der Welt, es komme nicht darauf an, welche Vorstellungen sich der Mensch von Gott mache und welchen Glauben er habe; es sei gleichgültig, ob man Christ, katholischer oder evangelischer, Jude. Heide oder Türke sei, wenn man nur rechtschaffen lebe und seine bürgerlichen Pflichten gegen die Obrigkeit und seine Nebenmenschen erfülle; fürchte Gott, thue Recht, scheue Niemand, das ist so das Sprichwort der neuern Zeit geworden; wir glauben All' an Einen Gott, das ist die Ueberschrift über die Glaubensbekenntnisse der meisten Zeitgenossen. Aber wenn es Gott gleichgültig wäre, was wir von Ihm dächten: würde Er da wohl alle die Veranstaltungen getroffen, alle die Einrichtungen gemacht haben, die uns die Bibel und die Weltgeschichte von Ihm erzählt? würde Er dann wohl es sich haben so angelegen sein lassen, durch unmittelbare Erscheinungen, durch Gesichte und Träume, durch Engel und Propheten, durch Wort und Sacramente, zuletzt sogar durch die Menschwerdung seines eingebornen Sohnes sich uns zu offenbaren und seinen Willen zu verkünden? würde das Evangelium wohl mit so ausschließlichem Charakter in der Welt aufgetreten sein und so bestimmte Lehren vorgetragen haben, wie die: „Es ist in keinem Andern Heil, auch kein anderer Name den Menschen gegeben, darin sie selig werden sollen, denn allein der Name Jesu Christi. (Ap. Gesch. 4, 12.) Es wird gepredigt werden das Evangelium vom Reich in der ganzen Welt zu einem Zeugniß über alle Völker, und dann wird das Ende kommen. (Matth. 24, 14.) Es wird Alles eine Heerde und ein Hirte werden. Christus ist der Weg. die Wahrheit und das Leben; niemand kommt zum Vater, denn durch Ihn. (Joh. 14, 9.) Wer da glaubet und getauft wird, der wird selig werden; wer aber nicht glaubet, der wird verdammet werden?“ (Marc. 16, 16.) Und würden die Apostel wohl in alle Welt ausgegangen sein, unter Hohn und Spott, unter Entbehrungen und Mißhandlungen, unter Martern und Todesqualen den Gekreuzigten und Auferstandenen zu predigen? Würde die heilige Schrift wohl schließen mit den gewaltigen Worten: „So jemand zu diesen Worten etwas hinzusetzt, so wird Gott zusetzen auf ihn die Plagen, die in diesem Buche geschrieben stehen, und so jemand davon thut von den Worten des Buchs dieser Weissagung, so wird Gott abthun seinen Theil vom Buch des Lebens und von der heiligen Stadt und von dem, das in diesem Buche geschrieben steht?“ (Offenb. 22, 18. 19.) Ja. würde Jesus selbst wohl haben beten können: „Das ist das ewige Leben, daß sie Dich, der Du allein wahrer Gott bist, und den Du gesandt hast. Jesum Christum, erkennen. Ich habe Deinen Namen offenbaret den Manschen, die Du mir von der Welt gegeben hast?“ (Joh. 17. 3. 6.) Das ganze Christenthum ist ein Unsinn, das Wort Gottes ist eine Lüge, die Führung und Erziehung der Menschen fürs Evangelium ist die unbegreiflichste Verirrung, wenn nicht Christus A und O, der Erste und der Letzte ist, wenn nicht Gott, wie Er sich in Christo geoffenbart hat, der alleinige wahre Gott im Himmel ist und die Erkenntnißweise, die das Evangelium über Ihn verbreitet, die richtige und allein genügende in der Welt. - Wohl heißt es auch in der Schrift: „In allerlei Volk, wer Gott fürchtet und recht thut, der ist Ihm angenehm.“ (Ap. Gesch. 10. 34.) und: „Prüfet Alles und das Beste behaltet,“ (l. Thess. 5, 21.) Aber damit wird nichts bewiesen gegen unsere Behauptung. Denn an der ersten Stelle redet Petrus vom Cornelius und seiner Hausgenossenschaft, und sagt: wer Gott fürchtet und recht thue wie er, der sei fähig, noch weiter geführt zu werden und annehmbar für das Evangelium; und darauf unterrichte t er ihn, tauft ihn und macht ihn zum Christen - und an der zweiten Stelle redet Paulus zunächst von der Offenbarung der verschiedenen Gnadengaben der ersten Christen und fordert auf, nicht zur Prüfung des Evangeliums, sondern zur Prüfung jener Gnadengaben nach dem Geiste und der Richtschnur des Evangeliums. In beiden Stellen also bestätigt die Schrift, die immer im Einklange ist mit sich selbst, unsere Behauptung. - Hinweg denn mit jenem Irrwahn der Gleichgültigkeit und Charakterlosigkeit! Er ist eine Verleumdung und Lästerung des göttlichen Namens, ein Bemühen des Fürsten der Finsterniß, unter diesem Vorwand Gottes Namen zu entstellen und zu verdrängen! Ist es Gott nicht gleichgültig, ob wir den rechten oder einen falschen Glauben haben, so darf es auch uns nicht gleichgültig sein, ebenso wenig als es uns gleichgültig ist ob wir gesund oder krank, sittlich oder unsittlich, glücklich oder unglücklich sind. Es läßt sich kein ärgerer Widerspruch denken, als der, zu sagen: es sei gleichgültig, welchen Glauben man habe, und doch zu beten: Dein Name werde geheiliget. - Kommt aber Alles auf eine richtige Erkenntniß Gottes an, so ist klar, daß letztere eben so sehr jeden Aberglauben wie jeden Unglauben ausschließt. Dort verfälscht der Mensch die göttliche Wahrheit durch menschliche Zusätze, hier verfälscht er sie durch eigenmächtige Verstümmelung. Vor beiden Irrthümern bewahre uns der Herr; sie sind entsetzliche Abwege, nicht nur von der Wahrheit, sondern von Gott selber und bringen uns, weil sie uns um Gott bringen, auch um unser Heil. Soll Gottes Name uns das sein und gelten, was er ist, so müssen wir ihn jedoch nicht blos als solchen erkennen, sondern auch anerkennen, und das Gebet: „Dein Name werde geheiliget,“ heißt dann nichts geringeres als: „ Mögest Du, o Gott, auch von Allen Deiner Offenbarung gemäß gepriesen und angenommen werden; möge es Keinen geben, der nicht mit ganzem Herzen sich Dir ergiebt, und dessen höchstes Streben es nicht ist. Dich zu ehren und zu verherrlichen!“ Es giebt viele Menschen, die allerdings in rechter Erkenntniß von Gott und göttlichen Dingen sprechen und geistreiche Ansichten aufstellen können, aber es nun auch bei dem todten Wissen bewenden lassen, und deren Erkenntniß nie das Herz durchdringt. Trauriges, unfruchtbares, zweckloses Wissen! „Christum lieb haben, ist besser, denn alles Wissen! Das Wissen blähet auf; aber die Liebe bessert. Wer den Willen des Herrn weiß, und thut ihn nicht, der wird viel Streiche leiden müssen. Die Teufel wissen auch, daß ein Gott sei, aber sie zittern.“ (Eph. 3, 18. 1. Corinth. 8, 1. Luc. 12, 47. Jac. 2. 19.) Das todte Wissen begründet noch kein Verhältniß zu Gott, und doch ist dieses Verhältniß im ganzen Christenthum die Hauptsache. Was hilft es, daß ich weiß, es giebt einen Gott, der Alles geschaffen hat, was im Himmel und auf Erden ist, wenn ich zu diesem Gott nicht aufblicken kann mit dem Bewußtsein: Du großer Gott voll Majestät und Herrlichkeit, bist mein Gott, mein Vater!? Darum ist die Anerkennung Gottes als unseres Gottes die unmittelbare, große und wichtige Folge der Erkenntniß des Herrn und die rechte Heiligung seines göttlichen Namens. Durch sie erst leben und weben wir in dem Herrn, wie Er in uns lebt und webt; durch sie erscheinen wir als Tempel des heiligen Geistes, in denen Er geschäftig ist und sein Werk treibt; durch sie erst setzen wir Alles, was wir thun und leiden, in Beziehung auf den Herrn, und verherrlichen Gott durch gottgefällige Gesinnungen, durch Liebe und Dankbarkeit, Gehorsam und Treue, durch Ernst in der Heiligung und Kampf gegen alles ungöttliche Wesen, durch vollständige Hingebung unseres ganzen Herzens an Ihn; daß wir in die Natur nicht treten können, ohne in ihr sein Bild zu gewahren; daß wir keine Lebenserfahrung machen können, ohne durch sie zu dem geführt zu werden, der unsere Seligkeit ist; daß wir nicht essen und trinken können, ohne Ihm zu danken und Ihn zu loben; daß wir keinen Tag beginnen und schließen können, ohne unsere Abhängigkeit und Dürftigkeit zu fühlen und nach seiner Gnade zu verlangen. - O seliges Gefühl, wenn der Mensch sagen darf: ich habe Gott gefunden, und Er ist meines Lebens Stern, mein Anker, Fels und Stab geworden! Was ich lebe, lebe ich Ihm, und was ich beginne und vollführe, beginne und vollführe ich mit Ihm! - Ein solches Anerkenntniß schließt eben so sehr die Gottesvergessenheit als die Gottesfeindschaft aus; dort bekümmert sich der Mensch nicht um Gott, Er ist ihm ein kaltes, todtes, gleichgültiges Wesen; hier tritt er feindselig gegen Ihn auf, und versagt Ihm die Ehre, die Ihm gebührt. Vor beiden Abwegen bewahre uns der Herr; sie entfremden uns von dem, der unser Eins und Alles sein will, und berauben uns darum der höchsten und herrlichsten Segnungen unseres Daseins. Soll Gottes Name uns das sein und gelten, was er ist, so müssen wir Ihn endlich auch als unsern Gott bekennen, und das Gebet: „Dein Name werde geheiliget,“ heißt demnach zuletzt: „Mögest Du, o Herr, von denen, die Dich angenommen haben, auch Andern zugeführt- werden, daß sie Dich kennen lernen und möge in jedem Christen ein Verkündiger Deiner Ehre, ein Vermehrer. Deiner Herrlichkeit auftreten!“ Es giebt viele Gemüther, die ein stilles, verborgenes Leben in Gott zu führen vorgeben; aber kein Mensch merkt es ihnen an, sie gehen nicht in die Kirche, sie kommen nicht zum Abendmahl, sie lesen nicht in der. Bibel, sie legen kein Zeugniß für ihr Leben in und mit Gott ab; sie meinen vielmehr, dessen bedürfe es nicht, man könne eben so gut zu Hause, wie in der Kirche, Gott verehren, wenn man nur Morgens und Abends zu Ihm bete und den Tag über nichts wissentlich Unrechtes thue, sondern pflichtgemäß lebe, so sei das gewiß vollkommen hinreichend, Zeit und Geschäfte erlauben nicht, mehr die Mittel der Frömmigkeit zu benutzen. Vornehme Sprache! Am Ende wird sich Gott noch bei ihnen dafür bedanken müssen, daß sie Morgens und Abends Ihm die Gnade erweisen, flüchtig an Ihn zu denken, und daß sie Ihm den Gefallen thun, rechtschaffen zu leben. Entsetzlicher Wahn! Wenn unsere Kinder gegen uns so verfahren wollten, wie wir gegen Gott verfahren, wenn sie ihre Gleichgültigkeit gegen uns entschuldigen wollten mit dem Vorwande: „es kommt ja auf die thatsächliche Aeußerung meiner Liebe nicht an, ich habe sie im Herzen lieb, ich denke öfter an sie, aber ein Weiteres lassen meine Zeit und Geschäfte nicht zu!“ oder wenn unsre Freunde vorgäben, sie hätten eine wahre Herzenszuneigung zu uns, sie hätten uns sehr lieb, verleugneten uns aber gerade da, wo es darauf ankommt, für uns zu reden und zu handeln, durch ihre Gleichgültigkeit, ihre Kälte, ihre Rücksichtslosigkeit, ihre Förmlichkeit, ihr Vornehmthun: was würden wir von solchen Kindern und Freunden halten? Und Gott soll zufrieden sein mit den Brosamen, die von unserm Tische fallen!? Unter den vier und zwanzig Stunden des Tages haben wir kaum eine für Ihn übrig? Unter den sieben Tagen der Woche finden wir keinen, an dem wir uns mit Ihm beschäftigen könnten? Für Alles haben wir Zeit, für die Arbeit, für die Erholung, für's Vergnügen, für die Gesellschaft, nur für Ihn nicht? O gar zu traurige und arme Gesinnung! Die Schrift verlangt das Bekenntniß, sie sagt: „Weß das Herz voll ist, deß gehet der Mund über,“ sie sagt: „So man von Herzen glaubet, so wird man gerecht, und so man mit dem Munde bekennet, so wird man selig“ (Röm. 10, 14.); sie sagt: „Wer mich bekennet vor den Menschen, den will ich wieder bekennen vor meinem himmlischen Vater-, wer mich aber verleugnet vor den Menschen, den will ich auch verleugnen vor meinem himmlischen Vater.“ (Matth. 10, 32. 33.) Lebt in der That und Wahrheit Gott im Herzen, so kann es auch gar nicht fehlen, Gott muß bekannt werden, die innerste Gesinnung muß hervortreten ans Tageslicht, die Menschen und die Engel müssen es auch wissen, woran sie sind mit unsern Herzen; denn was man liebt, davon redet man auch gern. Mag Menschenfurcht eine Zeitlang uns den Mund binden: auf die Dauer hält es das volle Herz bei dem Schweigen nicht aus! es muß heraus, was dasselbe bewegt; Nicodemus kann wohl anfänglich in der Nacht zu Jesu kommen, aber zuletzt bekennt er sich zum Herrn vor dem ganzen hohen Rathe. Glauben wir also, laßt uns auch zeugen von seinem Namen, wie jene Erzväter, die, wo sie hinkamen, überall Altäre bauten und predigten von dem Namen des Herrn. Wir wissen nicht, was unser gutes Beispiel, was ein Wort unsres Mundes Gutes wirken kann bei Andern! Es kann werden der Same ihrer Erweckung; es kann den Weg ihnen weisen aus der Erde gen Himmel; es kann Leben bringen in die Todtengebeine der Welt; es kann ein Segen werden für Tausende in unserer Umgebung!

3.

Wir wissen also, wie wir Gottes Namen zu heiligen haben, durch Erkenntniß, Anerkenntniß und Bekenntniß. Indeß damit haben wir die Bitte: „Dein Name werde geheiliget,“ immer noch nicht ganz erfaßt. Den Haupt- und Grundgedanken wohl, aber nicht die Nebenzüge dieses Gedankens; und gerade in ihnen liegen für uns noch die wichtigsten Wahrheiten und Geständnisse enthalten. Laßt uns diese demnach noch zum Schluß ins Auge fassen.

Zunächst heißt es: „Dein Name werde geheiliget.“ Damit sagen wir aus: nicht unser Name, o Herr! Dir allein gebührt die Ehre, und es schließt also diese erste unter den sieben Bitten jede Selbstsucht, jeden Stolz und jede Hoffahrt des menschlichen Herzens aus. Gottes Ehre, das ist das Erste und Größte, was wir Ihm zu geben haben, und Ersucht und fordert von uns auch nichts mehr als das. Ja, wir können Ihm auch nicht einmal mehr geben; denn alle andere Güter giebt Er uns, die Ehre allein behält Er sich vor, daß wir Alles kennen, sagen, wirken, thun und leiden in dem Bewußtsein, daß Gottes alle Dinge sind. Was wir haben, das haben wir von Ihm; was wir sind, das sind wir in Ihm; was wir können, das vermögen wir durch Ihn: so muß es denn auch heißen bei allem, was wir haben, sind und vermögen: Dein Name werde geheiliget. Hat uns Gott reichlich mit äußern Gütern gesegnet, sind wir reich, vornehm, gesund, schön, klug: Keiner halte darum etwas von sich selbst, Keiner setze darauf sein Vertrauen. Keiner bilde sich ein, als sei er nun etwas Besonderes vor den übrigen Menschen; nein, es heiße bei ihm: Dein Name werde geheiliget, es ist nicht mein Verdienst, sondern Gottes Gnade allein, die mich vor tausend Andern hochgestellt und reichlich bedacht hat. Hat Gott uns innerlich mit geistigen Gütern und himmlischen Segnungen ausgestattet, leben wir in innerer Zufriedenheit untadelhaft und unbescholten vor der Welt, sind wir barmherzig gegen die Armen, sind unsere Kinder wohlgerathen, kann unser guter Ruf durch nichts angetastet werden: Niemand bilde sich darauf etwas ein, als habe er nun das Ziel der Vollkommenheit ergriffen, und als bedürfe er nun keines Heilandes mehr, als würden seine Tugenden und guten Seiten schon seine Mängel und Gebrechen aufwiegen; nein, es heiße bei uns: Dein Name werde geheiliget, es ist Deine Gnade, o Herr, daß ich Vergebung meiner Sünden erhalten habe, daß tausend Versuchungen und Sünden mir ferne geblieben sind; hättest Du mich nicht gehalten, ich wäre hundertmal gefallen, habe Dank für Deine Treue und Gnade. So heiligte Jakob den Namen seines Gottes, als er. von Laban zurückkehrend, am Jordan bekannte: „ Ich bin nicht werth aller Treue und Barmherzigkeit, die Du an mir gethan hast.“ So verherrlichte David seinen Gott, als er sprach: „Wer bin ich, Herr, Herr, und was ist mein Haus, daß Du mich bis hieher gebracht hast?“

Wir beten ferner: „Dein Name werde geheiliget,“ und damit sagen wir aus, daß er noch nicht so geheiligt ist, wie er es sein sollte. Wer unter uns, so oft er die Werke Gottes in der Natur betrachtet, den Lauf der Sterne, den Wechsel der Jahreszeiten, die Fruchtbarkeit der Erde, denkt dabei immer gleich an die Allmacht und Gnade des Herrn, und singt mit David: „Die Himmel erzählen die Ehre Gottes, und die Veste verkündigt seiner Hände Werk; ein Tag sagt's dem andern, und eine Nacht thut's kund der andern; es ist keine Sprache noch Rede, da man nicht Gottes Stimme höre,“ und vernimmt das Hallelujah, das aus dem Munde alles Geschaffenen gesungen wird? Wer giebt Gott die Ehre, so oft ihm etwas Gutes gelingt in seinem Leben, so oft ein großes Glück ihn beschämt oder eine treue Liebe der Menschen ihm wohlthut, oder Festzeiten im häuslichen Leben eintreten, die sein Gemüth höher und seliger stimmen, und spricht: das ist wieder ein Gruß von Dir, mein Erbarmer, und ein neues Unterpfand Deiner fortwährenden Barmherzigkeit? Wer erkennt in dem Gange der Geschichte, in den einzelnen Führungen der Völker, in Krieg und Frieden, im Wohlstand und Verarmen des Landes, im Zu- und Abnehmen des Glaubens die Zeichen des Herrn und deutet die Stimmen, die in dem Allen an ihn und seine Zeitgenossen ergehen? O wie viel seliger würden wir uns fühlen in unsern Verhältnissen, wie würde unser ganzes Leben einen stillern, lieblichern Anstrich haben, wenn die Heiligung des göttlichen Namens der Geist und die Seele unseres Lebens wäre! Aber nein, sie ist es noch nicht, wir suchen noch viel zu sehr uns und noch viel zu wenig den Herrn, und darum werden wir, so oft wir beten: „Dein Name werde geheiliget,“ an unsere Schuld und Mangelhaftigkeit erinnert, und es ist, als wollten wir sagen: Herr, Dein Name soll von uns geheiligt werden; leider ist er es bei uns noch nicht, aber wir wünschen, daß es dahin komme; darum hilf Du uns, führe uns immer mehr dahin, daß wir Dich als unsern Vater immer freudiger erkennen, anerkennen und bekennen.

So beten wir zu Gott, und indem wir so zu Ihm beten, was geben wir endlich dadurch zu verstehen? Daß die Heiligung des göttlichen Namens in uns durch Christum eigentlich Gottes Werk ist, daß vor allen Dingen Gott seinen Namen selbst heiligt und allein heiligen kann, und daß das Geschick und die Kraft dazu uns gegeben wird von Ihm selbst. „Der Mensch kann sich selbst nichts nehmen, es werde ihm denn gegeben von oben herab.“ (Joh. 3, 27.) So kann er denn auch Gott nicht erkennen in seiner Wahrheit und Gnade, wenn der heilige Geist ihn nicht erleuchtet und in alle Wahrheit führt. Einzelne Strahlen derselben kann er höchstens in sich aufnehmen, ein Wissen des Verstandes kann er sich bilden; aber an ein lebendiges Wissen des Herzens, an eine innere, selige Erfahrung seines Gemüths, an einen Seelenumgang mit Gott ist nicht zu denken; und geht ihm schon das Alleräußerste, die Erkenntnis ab, wie sollte er es durch sich selbst je zur Anerkenntniß und zum Bekenntniß des Herrn bringen können? Der Herr allein wirkt in uns Wollen und Vollbringen des Guten nach seinem Wohlgefallen; Er wirkt es durch Erleuchtung und Besserung, durch Wohlthat und Strafe, durch Strenge und Liebe, durch gute und böse Tage; Alles, was Er uns sendet, soll in seiner Hand ein Mittel werden, uns zu sich zu ziehen. Mit jedem Seufzer: „Dein Name werde geheiliget,“ flehen wir daher Gott an, daß Er das Alles in uns schaffen und seine Ehre in uns aufrichten wolle zu unserm zeitlichen und ewigen Heil. Welch ein Gebet also, das in diesen wenigen Worten enthalten ist! Welch eine Mahnung zur Selbstverleugnung, zur Demüthigung und zur völligen Hingabe an den Herrn! Wie immer das göttliche Wort so wunderbar reich ist, daß man in jedem einzelnen Worte das Ganze hat: so liegt auch in diesem einen Gebet, obgleich es nur eine Seite, nur eine unter den sieben Bitten des Vater Unsers ist, wieder das ganze Evangelium: Sünde und Gnade, Buße und Glaube, Moses und Christus -, und hätte uns der Herr nur diese Eine Bitte beten gelehrt, wir wären schon überschwänglich reich bedacht worden. - Doch von der andern Seite lehrt gerade diese Bitte, daß nur ein wahrer, gläubiger Christ im Stande ist, das Vater Unser zu beten-, keinem Andern kann so sehr an Gottes Ehre und der Heiligung seines Namens gelegen sein als ihm. Und so müssen wir schließen mit dem Bewußtsein unseres Christen glucks! Hat der Herr uns schon äußerlich so viel Gutes erwiesen: innerlich sind seine Wohlthaten doch noch viel größer! Nie können wir Ihm genug dafür danken, und nie darf versiegen das Bekenntniß unserer Lippen:

Erheb' Ihn ewig, o mein Geist,
Erhebe Seinen Namen!
Gott, unser Vater, sei gepreist,
Und alle Welt sag' Amen!
Und alle Welt fürcht' Ihn, den Herrn,
Und hoff' auf Ihn und dien' Ihm gern!
Wer wollte Gott nicht dienen? Amen.

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