Arndt, Friedrich - Das christliche Leben - Zweite Predigt.

Arndt, Friedrich - Das christliche Leben - Zweite Predigt.

Die weltliche Erziehung.

Text: Epheser VI, V. 4.

Ihr Väter, reizet eure Kinder nicht zum Zorn, sondern ziehet sie auf in der Zucht und Vermahnung zum Herrn.

Nach unserm Plane, das Leben des Christen in den Trinitatis-Sonntagen durchzugehen, liegt uns heute, nachdem wir vor acht Tagen von der Geburt und Taufe des Menschen gesprochen haben, der wichtige Gegenstand der Erziehung vor. Der Apostel spricht im Text von einer doppelten Erziehungsweise, einer verkehrten und einer rechten. Die erstere beschreibt er warnend also: „Ihr Väter, reizet eure Kinder nicht zum Zorn;“ die andere ermahnend: „ziehet sie auf in der Zucht und Ermahnung zum Herrn.“ Jene können wir die weltliche, diese die christliche Erziehung nennen, Laßt sie uns beide, da der Gegenstand so sehr wichtig ist, näher prüfen, und diesmal von der weltlichen Erziehung, das nächste Mal aber von der christlichen Erziehung reden. Vier Punkte sind bei beiden Gegenständen zu berücksichtigen: 1) ihr Grund, 2) ihr Zweck, 3) ihre Beschaffenheit und 4) ihre Folgen. Wir fassen demnach heute dies Vierfache bei der weltlichen Erziehung in's Auge.

I.

Fragen wir zunächst nach dem Grunde der weltlichen Erziehung, so müssen wir sagen: er beruht auf der Meinung der Eltern, die Kinder seien ihr Eigenthum, nicht wie der Psalmist sagt: „Kinder sind eine Gabe des Herrn und Leibesfrucht ist ein Geschenk“ (Ps. 127, 3.), sondern ein Besitzthum der Eltern, über das sie frei und unabhängig zu schalten und zu walten haben; von unten herauf, nicht von oben herab, seien sie geboren, und kein Anderer habe an sie ein Recht, und sei befugt, darin zu helfen und zu rathen, als sie allein. Diese verkehrte, selbstsüchtige Ansicht führt zu allen möglichen Folgerungen. Denn nun sind die Eltern nicht mehr Stellvertreter Gottes, die für die Kinder Gottes Bild an sich zu tragen und sie auf dieselbe Weise zu erziehen haben, wie Gott die ganze Menschheit unaufhörlich erzieht; sondern sie sind Herren derselben, und was sie wollen, das muß geschehen, was sie verbieten, muß unterlassen werden um ihretwillen. Nun ist es keine besondere Gnade mehr, und kein großes Vertrauen, was einem Gott beweiset, wenn er ein Ehepaar würdigt, Werkzeuge in der Auferziehung unsterblicher Menschenseelen zu senn, und in gebrechliche, schwache Hände das zeitliche und ewige Heil derselben zu legen; sondern etwas, was sich von selbst versieht, und Alles bloßes Naturwerk und Zufall. Nun ist jede Verantwortlichkeit beseitigt, und kein Vater und keine Mutter denkt mehr an die Rechenschaft, welche Gott einst von ihnen fordern, und wie schwer es ihnen dann werden wird zu antworten: Herr, hier bin ich, und hier sind die, die du mir gegeben hast. Aber nun ist auch das elterliche Ansehn kein göttliches mehr, sondern nur noch ein menschliches, und wir dürfen uns nicht wundern, wenn von beiden Seiten Mißgriffe über Mißgriffe geschehen, von der einen kein Ernst, keine Würde, kein heiliger Sinn bewiesen wird in der Erziehung, und von der andern keine Freudigkeit, keine Treue, keine Liebe im Gehorsam. Die Ordnung Gottes ist mit jenem Grundsatze verrückt und umgestoßen; alle Wichten und Ansprüche werden verkannt, und es ist eigentlich genau genommen völlig gleichgültig, ob die armen Kinder in solchen Händen noch Eltern haben oder nicht.

II.

Sieht es nun mit dem Grunde der weltlichen Erziehung so bedenklich aus, so dürfen wir uns gar nicht wundern, wenn der Zweck, den sie vor Augen hat, unsere Bedenklichkeit noch viel höher steigert. Wie nämlich von der Selbstsucht Alles ausgeht, so steuert endlich auch Alles auf die Selbstsucht wieder hinaus. Nicht der Himmel, sondern die Erde; nicht die Ewigkeit, sondern die Zeit; nicht der große, barmherzige Gott, sondern der armselige Mensch und die arge Welt ist es, um deretwillen und für die man an den Kindern wirkt und sorgt. In den niedern Ständen verschlingt jede Thätigkeit der eigne Vortheil, in den höhern die eigne Freude und Ehre; daher dort Arbeit, hier sogenannte feine Bildung die Hauptsache ist, auf welche es ankommt.

Grauenhaft ist es, wie viele Eltern unter uns ihre Kinder bloß als Mittel zum Broterwerb betrachten. So früh als möglich zwingen sie sie zur Arbeit, sie achten es nicht, Leib und Seele zu verkrüppeln; sie schicken sie, nur mit Mühe, und mit Gewalt dazu angehalten, höchstens in eine Sonntagsschule; es liegt ihnen gar nicht daran, ob ihre Kinder etwas lernen oder nicht, wenn sie nur recht viel verdienen; sie behaupten sogar, daß ihre Kinder nicht mehr zu lernen brauchten, als sie gelernt hätten; sie entschuldigen ihre Grausamkeit und Lieblosigkeit mit der Noth, und sagen, daß der Unterhalt dem Unterrichte vorgehe, und wollen es nicht zu Herzen nehmen, wie das gar keine Entschuldigung ist, wie das Wenige, was ein Kind verdient, sich leicht auf andere Weise, durch größere Einschränkung und eignen verdoppelten Fleiß wieder einbringen läßt und wie unverantwortlich schwer durch solche Verwahrlosung sie sich versündigen. Arme, unglückliche Kinder! Um des geringen leiblichen Brodes willen läßt man eure Seelen darben und verkümmern; jedes Mittel, in Erkenntniß, Tugend und Gottseligkeit zu wachsen und von. Bösen frei zu werden, wird euch versagt; der Schulbesuch, der Katechumenen-Unterricht beim Prediger sogar, die einzige Zeit im ganzen Leben, wo noch etwas gelernt werden könnte, wird so viel wie möglich verkürzt, und im schlechtesten Umgange mit andern gleich euch vernachlässigten Kindern wird jedes Gefühl für Wahrheit und Recht, für Tugend und Sittlichkeit abgestumpft und vernichtet.

Mit Wehmuth und Unwillen wendet ihr vielleicht euch weg von solchen Häusern, und freuet euch, daß es bei euch anders zugeht und ihr auf bessere Weise für eure Kinder zu sorgen und Bedacht zu nehmen in den Stand gesetzt seid. Aber, Geliebte, laßt uns näher zusehen, ob nicht auch bei vielen unter euch dieselbe Selbstsucht, nur feiner und verdeckter, die Triebfeder eurer Handlungen und Schritte im Werk der Erziehung ist. Es ist wahr, euern eignen Vortheil habt ihr nicht im Auge bei dem, was ihr für sie thut, auch habt ihr's nicht nöthig; aber ist's nicht vielleicht eure eigne Freude und Ehre? Es ist wahr, zum Arbeiten, zumal zum schwerern, unausgesetzten Arbeiten werden eure Kinder nicht angehalten, oft so wenig, daß sie gar keine Arbeit lernen und treiben, daß ihnen dieses wichtige Uebungs- und Stärkungsmittel für Leib und Seele völlig abgeht und die bürgerliche Gesellschaft gerade nicht die brauchbarsten Mitglieder dereinst an ihnen zu erwarten hat; ihr laßt sie viel lernen, ihr schickt sie regelmäßig in die Schule und haltet ihnen noch besondere Lehrer, ihr sorget unermüdlich für ihre Bildung und Veredlung, ihr führet sie frühe ein in die Welt, damit sie Menschenkenntniß, Gewandheit und Feinheit im Umgange erhalten, in Gesellschaft sich sittsam und ehrbar benehmen, den Menschen gefallen und sich beliebt machen können; aber wozu das Alles? was ist's am Ende, was ihr dabei bezweckt? Das Wohl der Kinder? die Ehre Gottes? Nein, seid offen und ehrlich, nichts als eure Freude, euern Ruhm; ihr rechnet es für den süßesten Lohn, das Lob zu erndten, solche wohlerzogene Kinder zu haben, und denket gar nicht daran, daß diese Kinder unsterbliche, theuer erkaufte Menschenseelen sind, daß sie durch die Taufe zu Angehörigen Christi und zu Gliedern seines Himmelreichs geweihet wurden, daß es eine Gnade Gottes giebt, die unendlich hoch über alles Wohlgefallen der Menschen zu schätzen ist. Arme, unglückliche Kinder, die ihr auf diese Weise gleichsam nur das Spielzeug seid in den Händen eurer Eltern; wie Vieles müßt ihr euch aneignen und lernen, was euch verwirrt und unbrauchbar macht für's ganze Leben, was euers Leibes und eurer Seele Gesundheit im höchsten Grade gefährdet, was euch in späten, Jahren eine Menge großer Versuchungen bereitet, und entweder wieder von euch vergessen werden muß oder zur Reue treibt, daß ihr so viel unnütze Zeit damit vergeudet habt. Eine solche Erziehung für die bloße Welt hienieden ist im Grunde nichts anders als ein Reizen der Kinder zum Zorn, wie der Apostel im Texte schreibt.

III.

Ist der Grund und Zweck der weltlichen Erziehung aber verkehrt, sagt selbst, Andächtige, wird sich da wohl etwas Gründliches und Empfehlendes von der Erziehungsweise, von den Mitteln, die für jenen unheiligen Zweck in Bewegung gesetzt werden, erwarten lassen? Nimmermehr! Auch lehrt die Erfahrung, daß die weltliche Erziehung keine fromme, sondern eine gottlose; keine geregelte, sondern eine willkührliche ist.

Keine fromme! Entweder kommt Gott im elterlichen Hause gar nicht in Betrachtung, oder Gott und sein Wort sind nur Nebensache. Es giebt Familien, in deren Kreisen der Name Gott das ganze Jahr lang nicht ausgesprochen wird, außer etwa als ein Zeichen der Verwunderung und Ausrufung, oder als Ausdruck des Unwillens und der Ungeduld. Ans Gebet wird natürlich Jahr aus Jahr ein gar nicht gedacht. Wo etwa die Mutter noch etwas frommen Sinn hat, da betet sie wohl zuweilen in kummervollen Stunden, lehrt auch wohl ihre Kleinen beten: allein wenn sie größer werden, verliert sich dies; Familiengebete, etwa zur Tischzeit, und Hausandachten, sind nicht mehr Mode; und man hat auch ganz andere Dinge zu thun. Man sieht des Morgens auf, um sich anzukleiden, zu frühstücken, und dann an die Geschäfte des Tages zu gehen. Bis zu Mittag findet sich kein Augenblick, wo an Gott gedacht werden könnte; die Sorgen in und außer dem Hause erfordern alle Aufmerksamkeit. Des Mittags kommen etwa Gäste; dann muß an heitere Unterhaltung gedacht werden, und es wird gesprochen über häusliche und politische Angelegenheiten, über Kunst, Theater, Schauspieler und Neuigkeiten überhaupt; über Religion und Frömmigkeit, über Gott und göttliche Dinge wird kein Wort gewechselt, es sei denn von Zeit zu Zeit über die religiösen Erscheinungen, die das Weltleben durchkreuzen, über das Zunehmen des Mysticismus und die Finsterlinge überhaupt, was denn aber jedesmal mit wegwerfendem Hohne geschieht. Ueber wahres Leben des Glaubens schweigt man und hält es für besser, seine Religion für sich zu behalten, man schämt sich, über so etwas laut zu werden, und man hat auch wohl Ursache dazu, denn was würde man zu Tage fördern? Auf solche Weise schwimmt Alt und Jung nur im Weltleben herum, welches nun besonders des Nachmittags an öffentlichen Orten und des Abends in Gesellschaft seine volle Gewalt ausübt. So vergeht der Tag, und so das Jahr, und Gottes wird nicht gedacht in diesen Familien, in welche, so zu sagen, Gott gar nicht eingeführt ist. - Nun giebt es aber freilich auch Häuser, in welche er wirklich eingeführt ist, aber nur etwa als ein vornehmer Besuch, den man an festlichen Tagen und bei besondern Festlichkeiten zu sich einladet. Man geht von Zeit zu Zeit Sonntags in die Kirche, auch jährlich einmal zum Abendmahl, um keinen Anstoß zu geben; auch die erwachsenen Kinder werden eingesegnet und angehalten, mitunter die Kirche zu besuchen; zu Hause bespricht man sich dann auch wohl über den Prediger, den man gehört und den man wohl leiden mag, wenn er reine Moral predigt und den Namen Christus nicht zu oft in seinen Kanzelreden anbringt. So sieht Gott im Hintergrunde, das Reich der Welt aber im Vordergrunde. Was läßt sich, Geliebte, bei solchem Hauswesen und Zusammenleben erwarten? wird da frommer, ernster Sinn, Liebe zu Gott und seinem Worte, Lust zur Kirche und Altar, Wohlgefallen am Gebet und ernsten Gesprächen in der Seele der Kinder Wurzel fassen können? wird da die wahre, höhere Einheit des Geistes zwischen den Hausgenossen walten und Hütten Gottes unter den Menschen bauen? Nimmermehr!

Wie diese weltliche Erziehung ihrem Wesen nach eine unfromme und gottlose ist, so ist sie ihrer äußern Erscheinung nach eine ungeregelte und willkührliche. Anerkannt besteht eine weise, zweckmäßige Erziehung in der richtigen Vereinigung der Liebe und der Strenge und deren jedesmaliger Anwendung zur rechten Zeit. Aber wie versündigt man sich gegen diese Regel in den Häusern der Welt! Bald herrscht einseitig im Benehmen der Eltern gegen ihre Kinder eine unmäßig blinde Liebe vor, die den Letztern Alles und Jedes nachsieht und nie tadeln und strafen kann, die nicht in Gott und um Gotteswillen sie liebt, sondern auf fleischliche Weise und in ihnen zugleich ihre Sünden liebt, die sich scheut, irgend wie einmal ein böses Wort ihnen zu sagen, und sich fürchtet, sie zu verletzen und zu beleidigen, die da meint, mit Gründen sie zu erziehen und zum Guten anzuleiten, und immer nur lehren und anweisen, oder entschuldigen und beschönigen, aber nichts verbieten und untersagen, nichts verweigern und abschlagen kann, eine wahre Affenliebe, die im Grunde nichts ist als große Gutmüthigkeit und Schwäche. So liebte Eli seine Kinder, und war nicht im Stande, ungeachtet aller Warnungen und Erinnerungen von Seiten des Propheten, den Gott zu ihm sandte, ungeachtet der bittern Klagen des Volks, ihrem Leichtsinn und Muthwillen Einhalt zu thun, und ihr wißt, was der Lohn seiner unzeitigen Nachsicht und Feigheit war. Sirach schreibt wahr und klar: „Zärtle mit deinem Kinde, so mußt du dich hernach vor ihm fürchten; spiele mit ihm, so wird es dich hernach betrüben.“ (30, 9.) - Bald herrscht eben so einseitig im Benehmen der Eltern gegen die Kinder eine übertriebene, düstere Strenge vor, die durch ein sich gleich bleibendes, finsteres Wesen und durch gebieterische Herrschsucht das elterliche Ansehn zu bewahren und durch Drohungen und Züchtigungen das Kind in den Schranken des Gehorsams und der Ordnung zu halten meint, aber eben dadurch auch, zumal wenn es in Gegenwart Anderer geschieht - jeden Keim der Liebe, des Vertrauens, der Ehrfurcht und Freudigkeit in ihm erstickt und innerlich eine Verdrießlichkeit und einen Trotz erzeugt, der, nur gebändigt durch die Furcht, jeden Augenblick in Bereitschaft sieht, furchtbar auszubrechen. Solche Strenge, die unaufhörlich verbietet und bald diese, bald jene Verhaltungsmaßregel vorschreibt, und was Erzeugniß der freien Liebe sein sollte, durch grausamen Zwang erpressen oder gar durch Fluchen und Schwören, durch Schelten und Schlagen den Geist des Herrn ersetzen will, und die zuletzt doch lediglich darauf hinausgeht, den eignen Willen zu haben und durchzusetzen, aber nicht um des Herrn willen das Böse zu bekämpfen, ist im Grunde nichts als Eigensinn, und muß jeden Keim des Guten in den Kindern niederreißen. - Bald herrscht endlich Liebe und Strenge gemeinsam verpaart vor, aber nicht in der Art und Weise, wie es sein sollte, nicht jedes am rechten Ort und zur rechten Stunde angewandt sondern willkührlich und launenartig durch einander gewürfelt; man übersieht oder belächelt gar heute, was morgen hart bestraft wird; man zürnt über eine kleine Unvorsichtigkeit und Unbedachtsamkeit, die einen geringfügigen Schaden vielleicht bringt, mit einem Eifer und Ernste, als wäre das Wichtigste, göttliche Gebot übertreten, und dann wieder achtet man eine Lüge, ein freches, unheiliges oder unreines Wort für eine ganz gewöhnliche, unbedeutende Kleinigkeit; man droht unaufhörlich, und vollzieht doch nie eine einzige Drohung; man tadelt in Gegenwart der Kinder heute denselben Mann aufs rücksichtsloseste, weil er ihnen zu nahe zu treten schien, und morgen lobt man ihn wieder über Gebühr, weil er sie geehrt; man ist launisch in der Zärtlichkeit, launisch in der Bestrafung, und hat nirgends einen festen Plan, weder im Urtheilen, noch im Verfahren, sondern überall nur Laune. Gesetz und Evangelium bieten sich nicht die Hand zum gemeinsamen Wirken, sondern eins hebt das andere auf und steht mit dem andern in Widerspruch. Kommt nun gar noch das große, schreckliche Unglück hinzu, daß Vater und Mutter selbst uneins sind unter einander darüber, was sie thun und lassen sollen, und reißt der Eine wieder nieder, was der Andere aufbauet, und muß das unglückliche, bedauernswerthe Kind Zeuge sein, vielleicht oft Zeuge sein ihres Zwiespalts, ihrer Heftigkeit, ihres Jähzorns, ihrer Verdrießlichkeit, muß es Schimpfreden oder Scheltworte anhören, oder gar ansehen, wie sie sich der Spielsucht, dem Trünke, den Ausschweifungen und Lastern der niedrigsten Art, am Ende gar Tätlichkeiten gegen einander oder gegen die Untergebenen überlassen: mein Gott, was soll da werden aus den Kindern? heißt das nicht allen Verboten und Geboten Verachtung, ja Spott bereiten? können da die Kinder jemals lernen, was recht und unrecht ist, und muß nicht am Ende die unzeitige Nachsicht Ausgelassenheit und Wildheit, die unverdiente Härte und Strenge Verstellung und Heuchelei oder Erbitterung und heimliche Bosheit, der Zwiespalt der Eltern unter einander dieselbe Entzweiung unter den Geschwistern und Empörung gegen solche Eltern erzeugen? „Wer ärgert dieser Geringsten Einen,“ sagt Jesus, „dem wäre besser, daß ein Mühlstein an seinen Hals gehänget und er ersäuft würde im Meer, da es am tiefsten ist. Wehe der Welt der Aergerniß halben! Es muß ja Aergerniß kommen; doch wehe dem Menschen, durch welchen Aergerniß kommt!“ (Matth. 18, 6. 7.).

IV.

Doch damit treten wir bereits in unser viertes Gebiet ein, in die Folgen der weltlichen Erziehung. Sie sind entsetzlich und grauenerregend. Zunächst nämlich werden Hie armen Kinder selbst sittlich verwahrloset und verdorben für immer; Lüge und Furcht pflanzt sich in ihre Seele und kehrt ihre Herzen immer mehr ab von der Wahrheit und von der Liebe. Wovor der Apostel im Texte warnt: „reizet eure Kinder nicht zum Zorn“, und Col. 3, 21: „erbittert eure Kinder nicht, auf daß sie nicht scheu werden:“ das tritt ein, die Herzen der Kinder werden den Herzen der Eltern entfremdet, und das enge Band, das ein Band im Herrn hätte sein sollen, aber durch der Eltern Schuld ein Band der Sünde geworden war, wird zerrissen; Eli muß es erleben, daß seine Söhne ihm Schimpf und Schande bereiten; Jacob muß weinen und seufzen, daß sie seine grauen Haare mit Herzeleid in die Grube bringen würden; Jerobeam muß es hören, daß auf seinem Stuhle die Königshäuser schnell wechseln und Mord und Elend einander die Hände reichen werden. Ein furchtbares Gericht geräth über die Eltern, und zieht sich durch alle ihre folgenden Jahre hindurch bis an ihr Grab. Es währt nicht lange, so richten die unseligen Zöglinge solcher unseligen Erziehung ihre Waffen gegen Vater und Mutter, und können sie so wenig ehren, als sie selbst Gott geehrt haben; sie durchbrechen die Heiligsten Schranken, und erfahren müssen es die thörichten Eltern, daß wer auf das Fleisch säet, vom Fleisch das Verderben erntet. Da kommt denn der Tod: o welche Selbstanklagen, welche verzweislungsvollen Reden, welche qualvollen Aeußerungen der Reue werden da laut! Eltern und Kinder scheiden von einander, wie sie mit einander gelebt haben, ohne Segen und ohne Glauben. Zuletzt kommt die Ewigkeit mit ihrem Gerichte und ihrer Entscheidung; es erscheint vor dem Vater sein Kind wieder, das nun ein Kind der Hölle geworden, und redet ihn an: „Grausamer Vater, den keine andere als unreine Triebe und weltliche Absichten gereizt haben, mir das Leben zu geben, in was für eine Verzweiflung hast du mich gestürzt! Schaue nur, Unglückseliger, diese Flammen, deren Gluch mich jetzt verzehrt; schaue diesen Rauch, der mich ersticken will; schaue diese Ketten, deren Last mich zu Boden drückt: das Alles sind die unseligen Folgen deiner verkehrten Erziehung, deines bösen Beispiels und der heillosen Grundsätze, die du mir eingeflößt hast. Ach, war es nicht genug, daß du mich zu einem Sünder zeugtest, mußtest du noch erst einen Empörer gegen Gottes Ordnung an mir erziehen? war es nicht genug, daß du mich mit dem natürlichen Verderben anstecktest, mußtest du noch erst das Gift einer bösen Erziehung dazu thun? war es nicht genug, daß du mich allen von diesem Leben unzertrennlichen Leiden aussetztest, mußtest du mich noch gar in diese Leiden nach dem Tode stürzen? Ach, gieb mir doch, grausamer Vater, gieb mir doch das Nichts wieder, aus dem du mich gezogen hast; nimm mir dies unselige Leben wieder ab, welches ich von dir empfangen habe; weise mir, wo ich Berge finden soll, die über mich fallen, und Hügel, die mich vor dem Zorn meines Richters bedecken können.“ O Gott, welch ein Wiedersehen! welch eine ewige, ewige Qual!

Und doch ist das noch nicht der ganze Inbegriff des Unheils, welches die Verwahrlosung der Erziehung verbreitet. Kommt, Geliebte, tretet mit mir in die Schulen: woher dieser Geist der Unruhe, des Widerstrebens und der Frechheit? woher der Klagen der vielgeplagten Lehrer, die ihr schweres Amt mit Seufzen verrichten und keinen Segen sehen von ihren treuen Bemühungen? Kommt, tretet mit mir in die Kirche: wie kommt es, daß in voller Versammlung der Gemeinde wir verhältnißmäßig so wenig Knaben und Mädchen, Jünglinge und Jungfrauen sehen? Kommt, tretet mit mir in die Staaten und Länder: wie kommt es, daß wir in allen öffentlichen Blättern mit Schrecken lesen, daß nicht nur Jünglinge, nein, daß sogar Schulknaben und Lehrjungen sich zu Werkzeugen der Empörung mißbrauchen ließen und bei den schändlichsten Aufständen und Aufläufen unserer Zeit in den vordersten Reihen oder als Begleiter thätig zur Seite standen? Ach, in den Häusern ist von gewissenlosen Eltern der erste Grund dazu gelegt worden; da ist kein Lehrer, kein Prediger, keine Anstalt, keine Obrigkeit ungerügt geblieben vor den Ohren der Kinder, und jede Ehrfurcht für göttliche und menschliche Ordnung vernichtet worden. Kommt, tretet endlich mit mir ein in die Gefängnisse, in die Krankenstuben, in die Häuser des Verderbens, in die Festungen, an das Hochgericht, und fragt die Eingekerkerten, die Trunkenbolde, die Hurer, die Diebe, die Mörder, was sie zuerst auf die Bahn des Lasters und der Sünde, der Sittenlosigkeit und des Verbrechens gebracht? und sie werden euch antworten wie aus einem Munde: das haben wir unsern Eltern zu verdanken und ihrer schlechten Erziehung!

Väter, Mütter, schaudert euch nicht bei diesen Wehen der weltlichen Erziehung, und dringen die apostolischen Worte nicht wie ein Donner Gottes in eure Seele: „Ihr Väter, reizet eure Kinder nicht zum Zorn, sondern ziehet sie auf in der Zucht und Vermahnung zum Herrn?“ O eilet errettet eure Seelen, errettet die Seelen eurer Kinder, und fleht Gott an um seinen heiligen Geist, daß er euch den rechten Weg zeige und auf demselben erhalte zum ewigen Leben. Eure Rechenschaft und Verantwortlichkeit wird groß sein, denn Viel hat Gott euch anvertraut: Er segne euch mit Weisheit und Liebe, mit Kraft und Treue, daß ihr vor ihm nicht zu Schanden werdet. Amen.

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