Arndt, Friedrich - 54. Andachten zum 1. Timotheusbrief

Arndt, Friedrich - 54. Andachten zum 1. Timotheusbrief

1. Timotheus 1.

Die Briefe an Timotheus und Titus nennt man Pastoralbriefe, weil sie Anleitungen zur Aufsicht über die Kirche und zur Verwaltung des geistlichen Lehramts enthalten. Es waren damals eigenthümlich grübelnde, falsch gesetzliche Irrlehrer in den Gemeinden aufgestanden. Paulus ermahnt daher seinen Schüler Timotheus, er solle ihnen entgegentreten und dem Mißbrauch des Gesetzes wehren durch dessen rechten Gebrauch und die reine selige Lehre von der freien Gnade Gottes in Christo für alle, auch die größten Sünder. Die Grund- und Kernlehre unseres christlichen Glaubens ist auch heute noch dieselbe: “Das ist je gewißlich wahr und ein theuer werthes Wort, daß Christus Jesus gekommen ist in die Welt, die Sünder selig zu machen.“ Während reiche vornehme Leute zu den armen, denen sie helfen wollen, einen Boten schicken oder sie in ihr Schloß rufen lassen oder Alles schriftlich abmachen, ist Er selbst zu uns gekommen, die Erde ist Ihm nicht zu niedrig und die Menschheit nicht zu schlecht gewesen. Ein König, der seine Krone niederlegt und Tagelöhner wird, hat noch nie gelebt: das ewige Wort aber hat gelegen in der Krippe zu Bethlehem. Jeder Fürst ließe Unterthanen, die ihm Trotz bieten und sich empören, gefangen nehmen, und zum abschreckenden Beispiel auf’s Blutgerüst führen: Er aber liebt seine Feinde, thut wohl denen, die Ihm fluchen, bittet für die, so Ihn beleidigen und verfolgen. Wer faßt das tiefe Geheimniß solcher Liebe? Er ist gekommen in die Welt, die Sünder, die keinen Frieden haben und der Verdammniß werth sind, selig zu machen. Hätte Gott die Sünden der Menschen weniger gestraft, als sie es verdient hatten, hätte Er sie durch den Tod nach Leib und Seele vernichtet, es wäre schon große Gnade gewesen; aber nein, Er bietet Leben und Seligkeit. Es klingt unglaublich, und doch ist’s wahr: Der Sünder soll, wenn er sich bekehrt, dahin gelangen, wo die Krone des ewigen Lebens strahlt. Worte sprechen das nicht aus, Herzen ahnen es kaum in ferner Dämmerung: dennoch ist’s die Wahrheit aller Wahrheiten, fester als die Berge Gottes. So will ich denn an diese beseligende Wahrheit mich halten, auf sie leben und sterben, in ihr all’ meinen Trost und meine Hoffnung suchen und durch sie siegen über alle Mächte der Hölle. Amen.

1. Timotheus 2.

Dies Kapitel enthält Gemeindeordnungen über das öffentliche Beten für Alle im Allgemeinen, wie und wann im Besonderen nur Männer in Versammlungen und öffentlich beten sollen, und wie sich christliche Frauen, denen überhaupt Stille und Eingezogenheit ziemt, dabei zu verhalten haben. Wie wichtig ist darin die Ermahnung: „So ermahne ich nun, daß man vor allen Dingen thue Bitte, Gebet, Fürbitte und Danksagung für alle Menschen!“ Zu solcher Fürbitte verpflichtet uns schon das aufrichtige Verlangen nach ihrem Heil, ferner das Beispiel Jesu Joh. 17 und Luc. 23, 34, und die Verheißung der Erhörung. Freilich müssen es Gebete im Namen Jesu sein, wenn sie erhört werden sollen; aber wer gewohnt ist, mit dem Herrn zu reden, und die rechte Art kennt, Ihm seine Verheißungen vorzuhalten, und kindlich auf Erhörung zu dringen, dem wird sie auch nie fehlen. Daher kann gewiß mancher noch Unbekehrte glauben, wenn ihm etwas Gutes an Seele und Leib, besonders Erweckung, Langmuth und Schutz gewährt wurde, daß gewiß ein Kind Gottes an irgend einem Orte für ihn gebetet habe; ja, er kann es für ein großes Glück halten, wenn er unter seinen Bekannten und Verwandten eine gläubige Seele kennt, von der er gewiß weiß, sie betet für ihn. Wenn Gott sagt: „Wenn gleich Hiob, Daniel und Samuel für das Volk beten, so sollte es doch umsonst sein,“ so meint Er damit gewisse Stufen der Bosheit bei solchen Sündern, die zur Rache reif sind, bei welchen alle Bekehrung durch sei selbst unmöglich gemacht wird. Da hilft denn freilich alles Gebet der Gläubigen nichts; denn wie kann Gott einen Menschen bekehren, der es nicht mehr will, der alle Mittel der Gnade verachtet und ihnen entgegenarbeitet? Alles, was hier auf unser gläubiges Gebet erfolgen kann, ist, daß Gott einem solchen Sünder mehr Wirkungen seiner zuvorkommenden Gnade schenkt und mit erneuter Kraft an sein Herz anklopft, und wenn jener fortfährt zu widerstehen, ihn wenigstens im Leiblichen segnet und ihm sein Gutes gibt in seinem irdischen Leben. Manches Gebet für die Unsrigen erhört Gott erst im Tode. So wollen wir denn für Andere beten und nicht müde werden, wollen Jesum zum Mitfürbitter erwählen; ganz unerhört werden wir nie vom Thron der Gnade weggehen. Amen.

1. Timotheus 3.

Der Apostel nennt das Geheimniß: „Gott ist offenbart im Fleisch“ kündlich groß, und freilich ist es das, von welcher Seite wir es betrachten mögen. Groß durch seinen unerhörten Inhalt: Gott ein Sohn des Staubes! Groß durch seine gewaltigen Siege: durch tausend Höllenpforten hat sichs durchgeschlagen! Groß durch seine beispiellose Wirkung: eine neue Schöpfung pflanzt es in die alte. Groß durch seine göttliche Kraft: täglich reißt es dem Satan neue Beuten aus dem Rachen. Groß durch die majestätische Verheißung, die ihm gegeben ist: denn alle Völker der Erde sollen diesem Geheimniß einst ihre Kniee beugen. – Der Apostel nennt es ferner einen Pfeiler und eine Grundveste der Wahrheit. Ohne jenen Artikel, will er sagen, gibt es kein Evangelium. Der ganze Tempel unseres Lichts und Trostes beruht auf der Grundlage dieser Wahrheit. Kein Blut der Versöhnung gibt’s mehr, kein Opfer für die Sünde, kein Verdienst, um unsere Schulden aufzuwiegen, wenn diese Wahrheit geleugnet wird. Nicht mehr darf’s dann heißen, daß der Tod getödtet, die Hölle geschlagen, der Schlange der Kopf zertreten sei, und die süße Lehre der Rechtfertigung ist dann ein Wahn. Es gibt keinen Grundartikel der Schrift, der nicht stürzt, sobald man den Tragbalken: „Gott ist geoffenbart im Fleisch“ unter dem Hause wegzieht. Genug, wer die Gottheit Christi leugnet und bestreitet, der gehört nicht mehr zu unserer Kirche; er ist ihr Feind und ein Geselle des Widerchristen. – Der Apostel nennt es endlich ein Geheimniß; denn die Welt weiß und will nichts wissen von der Wirksamkeit des erhöhten Christus; aber unter den wahren Christen soll es als etwas anerkannt Großes betrachtet, und darum auch mehr davon gesprochen werden, als gewöhnlich geschieht. Mit diesem Bekenntniß überwindet die Gemeinde allen Widerstand der Welt und alle Verfälschungen der Irrgeister. Auch ich will daran festhalten und mir das Kleinod meines Glaubens und Lebens durch nichts rauben lassen. Amen.

1. Timotheus 4.

Paulus hat Recht (V. 8): „Die Gottseligkeit ist zu allen Dingen nütze und hat die Verheißung dieses und des zukünftigen Lebens.“ Gottseligkeit ist der Zustand jenes Herzens, welches ganz und gar von den Gedanken an Gott erfüllt ist und deshalb durch einen streng rechtschaffenen Lebenswandel sich Gott gefällig zu machen sucht. Das an sich so herrliche, oft mißverstandene, oft mißbrauchte Wort bezeichnet also die höchste vom Menschen erreichbare Stufe der Frömmigkeit, die lauterste, Herz, Sinn und Gemüth, Verstand und Vernunft durchdringende christliche Gesinnung. Wenn der Prophet Micha, den falschen Priestern gegenüber, von sich sagt: „ich aber bin voll Kraft und Geist des Herrn, voll Rechtes und Stärke“ (3,8), oder wenn von den sieben zu Jerusalem erwählten Almosenpflegern erzählt wird: sie hatten ein gut Gerücht und waren voll heiligen Geistes und Weisheit (Ap. Gesch. 6,3), so sind diese eben gottselige Männer; denn Gottseligkeit bewährt sich durch gute Werke (1. Tim. 2,10) und Petrus fordert in der Geduld Gottseligkeit und in der Gottseligkeit brüderliche Liebe (2. Petri 1,6), und den Glauben an die Offenbarung Gottes im Fleisch, den Glauben an die Gottheit des Sohnes Gottes nennt Paulus ein gottseliges Geheimniß: weil dies von keinem menschlichen Verstande zu erfassende Geheimniß nur von Denen erfaßt wird, welche durch und durch Gottes, ihres Heilandes, voll sind. Hieraus folgt, daß die Gottseligkeit von jedem Christen gefordert werden kann und muß, und es kann ein wahrhaft christlicher Glaube und die daraus fließende Seligkeit gar nicht möglich sein, wenn nicht das ganze Herz gottselig ist; es gehört zur Aufgabe jedes Christen, der es mit seiner armen Seele eben so ehrlich meint, wie mit seinem reichen Herrn im Himmel, sich ernstlich zu prüfen, ob die Gottseligkeit auch in seinem Herzen wohne und wirke. Ihr ist hier der Friede Gottes, jenseits die ewige Seligkeit verheißen. Herr, laß denn Gottseligkeit meine größte Klugheit sein, und erhalte mein Herz bei dem Einen allewege, daß ich Deinen Namen fürchte. Amen.

1. Timotheus 5.

Viele Vorschriften über die Behandlung verschiedener Personen in der Gemeinde und über die Fürsorge für die rechten Witwen! Eine Ermahnung ist für mich dabei besonders wichtig: V. 22, mache dich nicht theilhaftig fremder Sünden. Ach das geschah bei Timotheus, wenn er untüchtige und unwürdige Lehrer in öffentliche Kirchenämter eingesetzt hätte und dadurch all des Uebels und Schadens, das sie anrichteten, mitschuldig wurde. Das geschah bei uns noch immer, wenn wir mit den Gottlosen gar zu genaue Gemeinschaft und Freundschaft pflegten, und noch dazu vielleicht ohne Noth und ohne Beruf, oder wenn wir die christliche und brüderliche Bestrafung der Sünden unserer Nebenmenschen, die wir an und von ihnen sehen, unterlassen, oder wenn wir gar andern Aergerniß geben und durch unsere Sünden auch sie zu gleichen Sünden reizen und veranlassen, wie z.B. alle Unkeuschen, alle Hoffärtigen, Geizigen, Säufer, Flucher thun; oder wenn wir gar mit Rath und That Andern zur Sünde helfen und sie nicht hindern, wo wir könnten und sollten, wenn wir ihnen dazu die Mittel und Gelegenheit bieten, sie dazu aufreden und aufhetzen, ihre Sünden loben und entschuldigen, über ihre Sünden uns freuen, zu ihren Sünden schweigen. Ach, mein Gott, wer kann alle Arten der Theilhaftigmachung fremder Sünden aufzählen, besonders in den drei Hauptständen, im geistlichen, im weltlichen und im Hausstande? Wir sündige Menschen haben so viel zu thun, uns vor eignen Sünden zu hüten und darüber Buße zu thun, und doch sind wir so thöricht, daß wir uns noch überdies fremder Sünden Schuld und Strafe auf den Hals und die Seele ziehen! Vergib mir diesen Frevel und diese Unvorsichtigkeit, deren ich mich all’ mein Lebtage oft und vielfach schuldig gemacht habe. Mache mich aber inskünftige behutsamer im Umgange mit Menschen, und weil es oft fast unvermeidlich ist, so gib mir mehr Stille und Einsamkeit, um desto weniger Gelegenheit zu haben, eine fremde Schuld auf meine Seele zu laden. Ach, erhöre mich und sei mir gnädig und barmherzig. Amen.

1. Timotheus 6.

Mit Recht warnt Paulus vor dem Reichwerdenwollen und ermahnt zur Genügsamkeit. Wir haben alle viel weniger zum Leben nöthig, als wir zu bedürfen glauben. Darum gilt es, einen andern und gewisseren Gewinn zu suchen, als den irdischen, bei dem so wenig, ja gar nichts zu gewinnen ist, nämlich die Gottseligkeit, aus welcher die Genügsamkeit nothwendig entspringt. Es ist besser, ein wenig mit der Furcht des Herrn, denn ein großer Schatz, darin Unruhe ist. (Spr. 15,16.) In dem Reichthum steckt zwar an sich noch nicht die Unruhe, sondern sie entspringt aus dem Herzen des Menschen; weil aber der Mensch sich selbst wegen seiner sündlichen Unart den Reichthum leicht zur Unruhe macht, gleich wie der Wind ein sonst stilles Wasser bewegt, so ist der Besitz großer Schätze nie ohne Seelengefahr. O Du allerheiligste Dreieinigkeit, Gott Vater, Sohn und heiliger Geist, laß mich denn Dich ganz besitzen, so besitze ich in Dir Alles, was mich hier und dort vergnügen kann. In Dir ist die höchste Seligkeit, und außer Dir ist nichts als Unseligkeit und Unfriede. Was würde mir der Besitz aller Schätze dieser Welt helfen, wenn ich Dich nicht hätte? Wenn ich Dich nur habe, so frage ich nichts nach Himmel und nach Erde; und wenn mir gleich Leib und Seele verschmachtet, so bist Du doch, Gott, allezeit meines Herzens Trost und mein Theil. Diesen gläubigen Vorsatz bestätige in mir, o mein Herr und Gott, damit es mir gleich gilt, wenn ich viel und wenn ich wenig habe. Gib, daß ich die Gottseligkeit jederzeit für einen großen Gewinn halte, weil sie eine Frucht des wahren Glaubens ist, durch welchen ich Dich ergreife und besitze. Bei Dir wird mir nichts mangeln, was ich zu diesem und zu jenem Leben nöthig habe. Ach, so verleihe mir ein ruhiges und genügsames Herz, und hilf, daß ich stets mit Deinem heiligen willen zufrieden bin. Amen.

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