Tholuck, August - Apostolikum - Predigt 5

Tholuck, August - Apostolikum - Predigt 5

Noch einmal vernimm, christliche Gemeinde, das Wort des Apostels, an welches wir auch noch diese letzte Betrachtung über das apostolische Glaubensbekenntniß anzuschließen gedenken. Es lautet also: „Denn von ihm und durch ihn und zu ihm sind alle Dinge, ihm sei Ehre in Ewigkeit.

Der Heilige Geist führt den Menschen zu Gott, das haben wir erkannt: er führt den Menschen zu Gott durch die von ihm gestiftete Kirche, das hat unsere letzte Betrachtung uns gelehrt; er führt den Menschen zu Gott durch die Vergebung der Sünden und das ewige Leben, das wollen wir in dieser Andacht erwägen.

Der Heilige Geist führt den Menschen zu Gott durch die Vergebung der Sünde. Kein Mensch, Christen, kann in diesem Leben wahrhaft glücklich seyn, der nicht seiner Seligkeit in dem zukünftigen gewiß ist. Sagt ihr allesammt: Ja! zu diesem inhaltschweren Worte? Und wer von euch wollte Nein sagen? Wenn wir uns den Menschen vorstellen: die Scholle, auf der er steht, ist so eng; die Spanne Zeit, in der er lebt, ist so kurz, und dann - eine Welt ohne Grenzen und eine Zeit ohne Ende! Wer sollte glücklich seyn können in dem kurzen Diesseits, der seiner Seligkeit in dem langen Jenseits nicht gewiß ist! O wie viele Sprüche aller Völker der Erde sprechen von dem vergänglichen Leben als von dem Schatten, der über die Wiese fleucht!

Es schwimmt die Welle
Des Lebens hin,
Und färbt sich helle,
Hat's nicht Gewinnsonne neiget,
Die Röthe flieht,
Der Schatten steiget
Und Dunkel zieht.

Wer kann solche Sprüche aussprechen, wer kann sie aussprechen am Grabe der Geliebten ohne Wehmuth? Und diese Wehmuth, was ist sie anders als das Geständniß: kein Mensch kann in diesem Leben wahrhaft glücklich seyn, der seiner Seligkeit in dem zukünftigen nicht gewiß ist. Wohl mag es scheinen, als sei dies doch wenigstens nicht immer so. Wenn ihr z. B. noch an diesem Nachmittage an die Orte hintretet, wo der Sturm der Lust rauscht, da sehet ihr nichts als heitere Stirnen und lachende Gesichter: so wären denn das lauter Menschen, die auf Erden so glücklich sind, weil sie ihrer Seligkeit im Himmel gewiß sind? Ja, wenn das so seyn möchte! Aber doch sind sie so glücklich, doch steht die Freude auf ihrer lachenden Stirn! O daß sie auch so in ihren Herzen stünde! Was anders aber sind für Unzählige diese Lustbarkeiten wahrhaft, als das Mittel, es gerade zu vergessen, daß sie in diesem Leben nicht glücklich sind, weil sie ihrer Seligkeit im zukünftigen nicht gewiß sind? Rauschet stürmischer, ihr Flügel der Musik, schäume brausender, du Becher der Lust, denn ich will vergessen, daß mir die Gegenwart kein Glück giebt und die Zukunft keines verbürgt - wie mancher von ihnen führt diese Sprache! Ja auch unter uns, gehört nicht ihr alle zu ihnen, die ihr euch so fürchtet allein zu seyn? Warum fliehen die Menschen dieser Zeit die Stunden der Einsamkeit so sehr? warum? weil der Wurm eines Herzens, das seiner zukünftigen Seligkeit nicht gewiß ist, ihr Genosse seyn würde!

Doch sollten würklich so viele ihrer Seligkeit im zukünftigen Leben nicht gewiß seyn - in unsern Tagen, wo doch nach vieler Meinung das Seligwerden so leicht ist, und nichts anders dazu gehört, in den Himmel zu kommen, als daß man auf Erden stirbt? Ja, vernehmen wir, wie die süßen Reden im heitern Freundeskreise fließen, und wie sie über das, was hinter dem Grabe liegt, so zuversichtlich sprechen, so möchte man ja freilich meinen, daß die meisten Menschen den festesten Glauben an ihre zukünftige Seligkeit hätten. Aber sind das mehr als süße Reden, ist es Glaube - nun, warum werdet ihr denn bleich, wenn der Gedanke des Todes vor euch tritt? Und ihr, die ihr erbleichet vor des Todes Gedanken: wie werdet ihr erst bleich werden, wenn er selber kommt, der Scherge des Gerichtes Gottes, mit seiner Hand euch greift - und euch eure Rechnung vorhält! - Und wer so vor dem Tode zittert, der sollte an die Seligkeit, die danach folgt, einen unerschütterlichen Glauben haben? Und ihr, die ihr euch so krampfhaft an der Erde anklammert und sie nicht lassen wollt, ihr solltet der Seligkeit im Himmel gewiß seyn?

Der Seligkeit in einem zukünftigen Leben kann aber auch keiner wahrhaft gewiß seyn, als wer da weiß, daß seine Sünden vergeben sind, und das weiß keiner, als wer durch den heiligen Geist die Vergebung seiner Sünden in Christo Jesu empfangen hat. Forschen wir im tiefsten Grunde unsers Herzens nach, was uns das Glauben an die zukünftige Seligkeit so schwer macht, so ist es nichts anders, als die Ungewißheit, wie es mit der Vergebung unserer Sünde steht. O daß wir auf's Neue es empfinden, welcher Stachel, welcher Wurm in der Sünde liegt! Was ist Sünde?

Die Sünd' ist anders nicht, denn daß ein Mensch von Gott
Sein Angesicht abkehrt, und kehret es zum Tod!

Dringt er durch zu eurem innern Ohr, der fürchterliche Schall der Worte: Abkehr von Gott, Tod!? Das ist Sünde, das ist jede Sünde, auch die kleinste Sünde. Und, Sterblicher, hast du dich nicht verpflichtet, von dem Gotte, der dich geschaffen hat, niemals dein Angesicht abzukehren? „Verflucht sei, wer nicht hält alle Worte dieses Gesetzes!“ so schallte vom Berge Goal der Ruf der Priester; Amen, Amen! sagte alles Volk: und dieses Amen, es stehet in unserm eigenen Herzen! Amen, Amen! ich habe mich verpflichtet, daß meines Gottes Gesetz mir vor Augen stehen soll allerwegen. Und - ich habe es gebrochen, ich habe es tausendmal gebrochen! Das ist die Handschrift, die wider uns zeugt, und so lange sie wider uns zeugt, sollte man seiner Seligkeit gewiß werden können? Mitbruder, wer, wer wird die Handschrift zerreißen, die wider uns zeugt und, so lange sie wider uns zeugt, uns in diesem Leben nicht glücklich werden läßt und auf die Seligkeit in jenem nicht hoffen? Für viele Stunden kann es der Mensch vergessen, daß es eine solche Handschrift giebt; aber es kommen die Stunden, wo das Auge darauf fällt, und dann ist auch jedesmal die Ruhe aus dem Herzen hinweg. Dort sitzt Belsazar, Babylons König, beim prunkenden Mahle, die Becher klingen, die Lust tönt laut, da tritt die Schrift an der Wand hervor: „Du bist gewogen und zu leicht gefunden worden!“ (Dan. 5, 27.) Und wie das Auge darauf fällt, ist die Lust dahin, dahin auf immer! Auch wir sitzen an der Tafel des Lebens und der Becher der Lust schäumt! aber es kommen doch die Augenblicke, wo das Auge auf die Handschrift fällt: „Du bist gewogen und zu leicht gefunden worden!“ und sobald das Auge darauf fällt, ist die Lust dahin. Und selbst dann, wenn wir nicht eigentlich daran denken, im verborgenen Herzensgrunde bleibt doch ein dunkles Bewußtseyn davon, daß es eine solche Handschrift giebt; denn trägt nicht auch der Leichtsinnigste ein dunkles Bewußtseyn davon mit sich herum, daß er zu seinem Gotte nicht steht, wie er stehen sollte? Darum: wer, wer wird die Handschrift zerreißen, die wider uns zeugt?

Aber ich danke Gott durch Jesum Christ, unsern Herrn - für den, der sich an Christum hält, ist sie zerrissen. „Er hat uns geschenkt alle Sünde und ausgetilgt die Handschrift, die wider uns war, welche durch des Gesetzes Satzungen entstand und uns entgegen war, und hat sie aus dem Mittel gethan und ans Kreuz geheftet.“ So steht es geschrieben in der Urkunde des Wortes Gottes, welche die Kirche besitzt, und um diese Urkunde her sehet ihr geängstete Herzen und geschlagene Gewissen ohne Zahl! warum? weil hier ein „Born geöffnet ist wider alle Sünde,“ der heißt Vergebung, Vergebung in dem Sohne der Liebe! - So stehet geschrieben. Aber wie kommt nun diese Schrift in ein geängstetes Menschenherz hinein? Wie, wenn die abgehärmte Seele vor das aufgeschlagene Wort Gottes hintritt, und das Wort Gottes wohl Vergebung spricht, im Herzen aber stehet Verdammniß, wenn das Wort Gottes wohl Ja sagt, im Herzen aber lauter Nein tönt, das Wort Gottes wohl Leben verkündet, im Herzen aber der Tod steht? Habt auch ihr ihn schon manchmal erfahren, den zerreißenden Zustand, wo hungrig die Seele hinzutritt zum Gotteswort, dort Weide und Brot des Lebens in Fülle ist, hier lauter Hunger, dazwischen aber eine unabsehliche Kluft sich aufthut, und man kann nicht hinzu zum Worte der Schrift, es ist ein todter Buchstabe? O Geliebte, es muß eine Macht geben, die ein Band schließt zwischen dem Schriftwort und dem Menschenherzen, eine Macht, die dasselbige in unseren Herzen predigt, was dort im Gottesworte geschrieben steht, und diese Macht ist die Macht des Heiligen Geistes. Der Heilige Geist ist der Geist, aus dem die Schrift hervorgegangen: wie kann ein Mensch, was dieser Geist in der Schrift erzeugt, verstehen, wie kann er es glauben, wie kann es Ja und Amen in seinem Herzen seyn, wenn nicht dieser Geist auch in die Herzen der Menschen ausgegossen wird? Er wird aber in die bußfertigen Herzen ausgegossen, und dieser heilige Geist ist es nun auch, der, wie es die Schrift nennt, uns „unsere Erlösung versiegelt;“ der Heilige Geist ist es, der unserm Geiste „Zeugniß giebt, daß wir Gottes Kinder sind.

Und welcher Art ist nun dieses Siegel, dieses Zeugniß, durch welches der Geist Gottes uns innerlich gewiß macht, daß das Wort von der Versöhnung auch für uns gilt? Dieses Zeugniß, meine Theuren, ist kein anderes, als jener überschwengliche Friede, von dem Christus sagt, daß „die Welt ihn nicht geben kann.“ Es ist, wie ihr hieraus sehet, dieser Friede von einer ganz eigenthümlichen Art; ihr könnt ihn nicht vergleichen mit irgend einem Friedensgefühl, wie ihr es sonst wohl kennt, im Schooße der Natur oder eines lieben Freundeskreises. Dieser Friede ist so überschwenglich, daß Paulus von ihm sagt, er sei „über alle Vernunft.“ Den kennt also Niemand, als wer ihn hat, und wo der Friede in ein Herz eingezogen ist, da nennt das die Heilige Schrift die Versiegelung der Gläubigen, dieweil ihnen ihr Heil dadurch wie mit einem göttlichen Siegel gewiß gemacht wird. Die Zuversicht nun, welche mit diesem Frieden in das geängstigte Herz eingeht, ist so außerordentlich, daß es einem Menschen, der das nicht erfahren hat, ganz wie Schwärmerei vorkommen kann. Habt ihr jemals in dieser Beziehung in ihrer ganzen Größe die Herausforderung erwogen, mit welcher der Apostel Paulus im 8ten Cap. seines Briefes an die Römer alle Gewalten, die im Himmel und auf Erden sind zum Streit herausfordert, ob sie seine Gotteskindschaft ihm rauben können? Und wer war dieser Paulus? Es war der Saulus, der „Wohlgefallen daran hatte,“ als der erste Glaubenszeuge Stephanus unter den Steinen seiner Verfolger starb; es war der Saulus, der „mit Drohen und Morden schnaubte wider die Jünger des Herrn;“ es war der Saulus, der „die Jünger des Gesalbten durch alle Schulen peinigte und sie zwang, ihren Heiland zu lästern“ (Apg. 26, 11.); es war der Paulus, der, sich den „geringsten aller Apostel“ nennt, weil er „die Gemeinde des Herrn verfolgt.“ Der Mann ist es, der sich hinstellt und alle Gewalten im Himmel und auf Erden herausfordert, ihm seinen Gottesfrieden zu rauben! - „Wer will, so ruft er, die Auserwählten Gottes beschuldigen, wer will verdammen, wer will scheiden von der Liebe Gottes in Christo Jesu?“ Und da zählt er sie auf die Mächte und die Gewalten. „Aber - so spricht er - in dem allen überwinden wir weit - er fühlt selbst noch mehr Kraft in sich, als zum Ueberwinden nöthig ist - um deß willen, der uns geliebet hat; denn „ich bin gewiß, daß weder Tod noch Leben, weder Engel noch Fürstenthum noch Gewalt, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, weder Hohes noch Tiefes, noch keine andere Kreatur mag uns scheiden von der Liebe Gottes, die in Christo Jesu ist, unserm Herrn.“ Solche Zuversicht kommt nicht aus demselben Herzen, das der Ankläger ist, sie kommt aus dem heiligen Geist. -

So macht der Heilige Geist die Vergebung der Sünde gewiß und führt den Menschen schon auf Erden zu Gott und thut schon auf Erden ihm den Himmel auf; denn wie Luther sagt, „wo Vergebung der Sünde ist, da ist Leben und Seligkeit.“ Andererseits giebt doch aber auch die Vergebung der Sünden nur das Anrecht auf den Himmel; denn wem Gott seine Sünden vergeben hat, der ist ein Kind Gottes geworden, Kinder Gottes aber sind Würdenträger, denen kein König zu vergleichen. So erhält ein Mensch, dem seine Sünden in Christo vergeben sind, hiemit ein Anrecht auf den Himmel, Würde und Herrlichkeit, und der Heilige Geist heißt darum ein Unterpfand, oder wie der Grundtext sagt, ein „Angeld,“ so daß, was er hier uns giebt, nur ein schwaches Vorspiel ist von dem, was wir empfangen sollen. „Jetzt, wie der Apostel sagt, sind wir Kinder Gottes, und ist noch nicht erschienen, was wir seyn werden; wir wissen aber, wenn es erscheinen wird, daß wir ihm gleich seyn werden.“ Ihr sehet also, wie diese Vergebung der Sünde, die der Geist uns gewiß macht, uns von selbst hinweist auf jenes letzte Stück unseres Glaubensbekenntnisses, auf die Auferstehung und das ewige Leben.

So führt uns denn der Heilige Geist schließlich zu Gott durch die Auferstehung und ein ewiges Leben. Einen Sauerteig, der die ganze Masse durchdringt, hatte der Heiland das Gottesreich genannt - welch' ein beziehungsreiches und tiefes Wort! Wie spricht sich darin, wie auch noch in einigen andern Worten des Herrn, aus, daß ihm deutlich die Art und Weise vor der Seele stand, wie der Glaube im Ganzen der Menschheit und in jedem Einzelnen Wurzel fassen und sich entfalten würde! Jeder aus unserer Mitte, bei dem die Religion eine Geschichte hat, der würklich von einem Entstehen und einem Fortgehen der Religion in seinem Innern zu sprechen weiß, wird dies Wort so überaus treffend finden. Wie so ganz allmählig alte Gewohnheiten, Gedanken, Wünsche von Jahr zu Jahr in uns anders, werden, wenn der Geist Gottes in uns waltet! Ein solches allmähliges tieferes Eindringen des göttlichen Lebens in unser Denken und Leben wird gewiß zum Preise Gottes der bemerken, bei dem der Glaube nicht ein „fauler Gedanke“ ist. Aber wenn man mit Dank und Lob gegen Gott dieses anerkennt, wer muß nicht auf der anderen Seite klagen, daß dieses Neuwerden so langsam geht? O wie viel gehört dazu und wie unendlich lange dauert es, ehe die gesammte Masse des Menschen nach Geist und Leib von dem himmlischen Sauerteig durchdrungen ist! Ob es jemals dahin kommen wird, daß kein Pulsschlag unserer Empfindung, kein Gedanke unseres Geistes, keine Regung unseres leiblichen Menschen mehr seyn wird, die nicht Gottes wäre? Und doch ist dies offenbar unser Ziel! Sinnet nach mit eurem Geiste, ob irgend ein anderes Ziel für den nach Gottes Bilde geschaffenen Sterblichen zu denken sei, als daß Gottes Geist die bewegende Macht sei auf allen Punkten unsers Lebens. Wer Ohren hat zu hören, der höre nun, was der Geist spricht zu der Gemeinde der Gläubigen. Er verkündet, daß, so viele ihrer in Christo dieses Ziel suchen, an dieses Ziel würklich kommen sollen. „Wenn aber - so verkündet der Apostel Paulus im 15. Cap. des Briefes an die Corinther im 28ten Verse, indem er als Seher den Schleier von dem hebt, was zuletzt seyn wird - wenn Alles ihm unterthan seyn wird, alsdann wird auch der Sohn selbst unterthan seyn dem, der ihm Alles unterthänig gemacht - d. h. er wird seine Mittlerherrschaft aufgeben: denn sie werden alle vollkommen vermittelt seyn, und nichts mehr wird Gottes Herrschaft widerstreben - auf daß Gott, sei Alles in Allen.“ So kommt denn eine Zeit, wo Gott sein wird Alles in Allen, und dann werden wir nicht mehr zu Gott kommen, sondern in Gott seyn von Ewigkeit zu Ewigkeit, und zwar durch den Geist: denn der Geist Gottes ist's, durch den der Schöpfer in den von ihm geschaffenen Geistern Wohnung macht.

O Wort von unaussprechlicher Größe! Meine Seele wird stille dabei und versinkt in schweigendes Anbeten; nun erst ahne ich es, was in der Verheißung liegt: „Es ist noch eine Ruhe vorhanden für das Volk Gottes.

Geist, der Alles füllet, drin wir sind und weben,
Aller Dinge Grund und Leben!
Meer ohne Grund und Ende! Wunder aller Wunder!
Ich senk' mich in dich hinunter;
Ich in dir,
Du in mir,
Kann ich dich nur finden,
Will ich gern verschwinden.

In solche Gebete bricht, von der Gluth der Andacht hingenommen, die Seele aus, wenn sie anschauend sich in das Wort versenket: Und Gott wird in Allen Alles seyn. Doch drängt der ruhigeren Betrachtung noch ein Zweifel sich auf. Wie, wenn am Ende eben dieses große Wort, daß Gott Alles seyn werde in Allen, uns eben so viel nähme, als es uns giebt? denn ist dann am Ende Gott Alles in Allen, was werde ich seyn?

Vom Meer die kleine Welle,
In's ferne Land gebracht,
Kommt sie im Meer zur Stelle,
Wird ihrer noch gedacht? -

Was wird die einzelne Welle noch seyn, wenn sie wieder im Ocean ist? - Es hat allerdings nicht an solchen gefehlt, welche in diesem Worte des Apostels nur die Lehre von dem dereinstigen Untergehen der Menschengeister in Gott gesehen haben, und auch heilige Seelen hat es gegeben, die in mißverstandener Sehnsucht danach verlangt haben, in jenem Weltmeer der Geister sich als einzelne Wellen aufzulösen und zu verschwimmen. Doch ist dieses nicht die Lehre des christlichen Apostels. Nicht daß Gott Alles seyn werde, hat er uns verkündigt, sondern daß Gott Alles seyn werde in Allen, so daß sie also auch noch sind, jene Alle, daß sie bleiben als ebenso viele durchsichtige Tempel, durch welche nur die Herrlichkeit des Ewigen auf allen Punkten durchleuchtet. Und nicht bloß darüber, daß da, wo Gott Alles seyn wird, auch wir seyn werden, stellt dieses Wort uns sicher, sondern auch darüber, daß die mit uns seyn werden, mit denen wir in Gott eins gewesen sind. Eine heilige Gemeinschaft muß es geben nach diesem Worte des Apostels, und in ihr ein Wiedersehen aller derer, die unter Einem Haupte und in Einem Geiste zu Einem Leibe verbunden sind. Wollt ihr aber dessen noch deutlicher versichert werden: hat nicht die Heilige Schrift von einer Auferstehung und Verklärung unserer Leiber gesprochen, und eben auch hierin die Fortdauer der einzelnen Geister besiegelt, da der Geist eben zum Einzelnen wird durch des Leibes Hülle? Diese leibliche Verklärung, sie ist die letzte Stufe der Verklärung, welche der in uns wohnende Geist Gottes vollendet. „So aber Christus in euch ist, so ist der Leib zwar todt um der Sünde willen, aber der Geist ist das Leben um der Gerechtigkeit willen“, d. h. so ist zwar der Geist schon verklärt, aber im sinnlichen Menschen widerstreben noch immer die ungeordneten Neigungen. „So nun der Geist deß, der Jesum von den Todten auferwecket hat, in euch wohnet, so wird auch derselbige, der Christum von den Todten auferwecket hat, eure sterblichen Leiber lebendig machen um deß willen, daß sein Geist in euch wohnet.“ So sagt der Apostel. Schon fühlen wir - Gott sei es gedankt - des Geistes belebende Kraft in unserm Geiste, ja wir werden eine lebendige Macht in uns inne, die uns treibet zu dem, was Gott gefällig ist. Nur der Leib ist noch schwer und träge, und ungeordnete Begier widerstrebt in ihm! aber auch die sinnliche Hülle soll des Geistes Macht erfahren und, von ihm durchleuchtet, leicht und frei werden. Ein Auferstehungsodem wird auch durch die sinnliche Welt hindurchgehen, und die ganze vergängliche Schöpfung soll „Theil nehmen an der herrlichen Freiheit der Kinder Gottes,“ wie geschrieben steht.

Hier ist nichts mehr, denn Licht und Freude,
Die Seele prangt im weißen Kleide
Der allerreinsten Heiligkeit;
Wir tragen all' goldne Kronen,
Wir sitzen all' auf goldnen Thronen,
Hier wechselt ferner keine Zeit.
O, was wird's seyn,
Wenn Gott allein
Wird Alles und in Allen seyn!

Gemeinde der Christen, dein Blick umfängt den Anfang, die Mitte und das Ende; unsterbliche Geister, ihr wißt, von wem ihr kommt, durch wen ihr geht, wohin ihr geht - unsterbliche Geister, nur Unsterbliches walte in eurer Brust und unvergänglich töne es in eurer Seele: „Von ihm und durch ihn und zu ihm sind alle Dinge. Ihm sei Ehre in Ewigkeit. Amen!“ -

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