Thiersch, Heinrich Wilhelm Josias - Die dritte Bitte - "Dein Wille geschehe, wie im Himmel, so auf Erden."

Thiersch, Heinrich Wilhelm Josias - Die dritte Bitte - "Dein Wille geschehe, wie im Himmel, so auf Erden."

Mit diesen Worten lenkt der Herr unsern Blick auf die himmlische Welt. Wir schauen hinein in das Reich reiner und seliger Geister, der Engel vor Gottes Thron, die nicht gefallen, die im Guten befestigt sind, die vor dem Ewigen anbeten, die von Ihm ausgesandt werden und Seine Befehle ausführen.

Von ihnen und zu ihnen ist gesagt: „Lobet den Herrn, ihr Seine Engel, ihr starken Helden, die ihr Seinen Befehl ausrichtet, zu gehorchen der Stimme Seines Wortes.“ Psalm 103, 20. Dort oben geschieht des Ewigen Wille in vollkommener Weise. Dort ist keine Unlust, keine Untreue, keine Trägheit im Befolgen der Gebote und Winke des Höchsten. Und nun wünschen und beten wir, dass Gottes Wille auch auf Erden, durch Gottes Diener und Gottes Kinder, ebenso geschehe wie im Himmel, mit derselben Willigkeit, Hingebung, Freudigkeit und Zuverlässigkeit. Wer darf noch sagen, der Glaube an das Dasein der Engel habe keine Bedeutung für das christliche Bewusstsein? (Schleiermacher). Jene himmlischen Wesen werden uns hier als Vorbild gezeigt, und unseres Herzens Verlangen ist, dass wir ihnen ähnlich werden im Gehorsam gegen unseren gemeinsamen Schöpfer und Herrn.

„Dein Wille geschehe“; das Aussprechen dieser Worte ist eine feierliche Huldigung, die wir unserem Gott darbringen. Wir erkennen an und bekennen es vor Seinem Angesicht, dass Sein heiliger Wille unseres Lebens höchstes Gesetz ist. Wir unterwerfen uns Seinen Entscheidungen; wir versprechen Ihm Gehorsam; wir fügen unseren Willen ganz in den Seinigen. Es ist eine Erneuerung und Bestätigung unseres Taufgelübdes, da wir uns verpflichtet haben, die Gebote Christi zu halten unser Leben lang.

Wir treten ganz auf Gottes Seite in dem Kampf, der uns hienieden verordnet ist. Denn gegen den guten und heiligen Willen Gottes erhebt sich ein Widerwille von Seiten des Teufels, der Welt und des Fleisches, und wir sind in die Mitte zwischen die beiden streitenden Mächte gestellt. Weil wir Gottes sind, so müssen wir auf die heftigsten und listigsten Angriffe dieser drei Feinde gefasst sein. Dazu sind wir berufen, bis aufs Blut zu widerstehen über dem Kämpfen gegen die Sünde, die Versuchungen der Welt und des Teufels. Wie wir ihnen einmal abgesagt haben, in der Entsagung vor unserer Taufe, so erklären wir ihnen in jedem Vaterunser aufs Neue den Krieg. Wir protestieren feierlich gegen diese drei Feinde Gottes, Seines Reiches und unserer Seelen und verabscheuen sie alle.

Wir erwarten nicht zu siegen aus eigener Kraft, aber wir nehmen unsere Zuflucht zu Gott, indem wir rufen: Dein Wille geschehe. Du, o Allmächtiger und Barmherziger, wirst den Sieg behalten. Wir stellen uns unter Deinen Schutz und Deine Führung. Wie im Himmel Dein Wille vollkommen ausgeführt wird, so wird, so muss er auch auf Erden noch ausgeführt werden; auf dieser Erde, und auch in uns.

So sprechen wir mit dem herzlichen Verlangen, den Willen unseres Gottes recht zu erkennen und in allen einzelnen Fällen zu verstehen. Wie der Apostel uns ermahnt: „Stellet euch nicht dieser Welt gleich, sondern verändert euch durch Erneuerung eures Sinnes, auf dass ihr prüfen möget, welches da sei der gute, der wohlgefällige und der vollkommene Gotteswille.“ Röm 12, 2.

Eingedenk unserer Unwissenheit stimmen wir ein in die wehmütigen und rührenden Bitten des 119. Psalms:

„Meine Seele liegt im Staube, erquicke mich nach Deinem Wort. Zeige mir, Herr, den Weg Deiner Rechte, dass ich sie bewahre bis ans Ende. Nimm ja nicht von meinem Munde das Wort der Wahrheit, denn ich hoffe auf Deine Rechte.
Deine Rechte sind mein Lied im Hause meiner Wallfahrt.“

„Dein Wille geschehe.“

Dies ist ein Wort der Demut und Ergebung und in diesem Wort findet man süßen Trost und zugleich Kraft, um das auferlegte Leiden mit Geduld zu ertragen. Dies bewährt sich in den Leiden, die uns selbst auferlegt werden, und bei dem Anblick der Leiden, von denen wir andere betroffen sehen, ohne dass wir ihnen helfen können.

„Wie im Himmel, also auch auf Erden!“

Wenn die himmlischen Mächte sich beugen vor dem Willen und Rat des Allmächtigen, wie sollte ich, der ich Erde und Asche bin, mich nicht fügen und Gott die Ehre geben, dass Sein Wille der beste ist? Er wird alles wohl machen. Unerforschlich sind Seine Wege und unergründlich Seine Gerichte; wer bin ich, dass ich zweifeln, murren und hadern dürfte! Sein heiliger Wille geschehe, an mir und an aller Kreatur.

Satan hatte den gerechten Hiob seiner Herden und Hirten, seiner Kinder, seiner Gesundheit beraubt; er hatte ihm alles genommen, nur nicht das Leben, und in diesem allen versündigte sich Hiob nicht mit seinen Lippen. Er sprach: „Der Herr hat es gegeben, der Herr hat es genommen, der Name des Herrn sei gelobt!“ Sein Weib führte ihn in Versuchung mit einer bösartigen Rede: „Hältst du noch fest an deiner Frömmigkeit? Sage Gott ab und stirb.“ So werden wir in der Stunde der Trübsal von dem eigenen Fleisch in Versuchung geführt.

Aber Hiob bestand auch diese Prüfung und sprach: „Du redest, wie die närrischen Weiber reden. Haben wir Gutes empfangen von Gott und sollten das Böse nicht auch annehmen?“ Hiob 1, 21; 2, 9. 10.

Siehe da die Auslegung der Worte: „Dein Wille geschehe.“ Hiob sah nicht auf die bösen Menschen, die seine Knechte erschlagen und seine Kamele geraubt hatten; er hielt sich nicht auf bei dem Feind, der solches alles angestiftet hatte. Er sah höher empor. Er erkannte und ehrte in dem Geschehenen den göttlichen Willen, er beugte sich unter die Hand des Allmächtigen. Er hielt fest: Wie die Wohltaten aus des Herrn Hand gekommen sind, so kommen von Ihm auch diese Züchtigungen. Dies ist Glaube, und dies ist Gehorsam des Glaubens, in solchem Leid ruhig und fest zu sagen: es ist des Herrn Wille; Dein Wille, o Herr, geschehe.

Wer ist weise und behält dies? Auch in dem Unrecht und der grausamen Behandlung, die uns von Menschen widerfährt, geschieht des Höchsten Wille. Sie können uns nichts tun ohne den Willen unseres Vaters im Himmel. Dies war der Trost der Kirche unter den Verfolgungen, dadurch behielten die heiligen Märtyrer den Sieg in allen ihren Leiden.

Sollten wir in unseren Trübsalen, sie seien klein oder groß, sie seien uns von Menschen zugefügt oder ohne Zutun der Menschen zugestoßen, nicht auch wie Hiob die Hand des Herrn erkennen und uns Seinem Willen unterwerfen? Wie St. Petrus sagt angesichts der anhebenden Christenverfolgung: „So demütiget euch nun unter die gewaltige Hand Gottes, auf dass Er euch erhöht zu Seiner Zeit.“ 1 Petrus 5, 6.

Das auferlegte Kreuz ist unerträglich, solange unser Wille den Willen Gottes durchkreuzt und ihm widerstrebt. Sobald wir aber unseren Willen mit dem Seinigen in Einklang setzen und von Herzen sprechen: Dein Wille geschehe, ist uns die Last nur noch halb so schwer.

So ist diese Bitte nicht nur eine Quelle des Trostes, sondern auch der Stärke. Als unser Herr und Heiland in die tiefste Seelennot gekommen war, da betete Er: „Vater, willst Du, so nimm diesen Kelch von Mir; doch nicht Mein, sondern Dein Wille geschehe. Und es erschien Ihm ein Engel vom Himmel und stärkte Ihn.“ Luk 22, 42. 43.

Auch diese Bitte, wie die zweite, ist, im rechten Licht betrachtet, eine große göttliche Verheißung. So gewiss sie ein Gebet des Herrn Jesu ist, wird sie erfüllt werden. Die Erde soll also nicht immer ein Kampfplatz zwischen dem Reiche des Lichts und dem Reiche der Finsternis bleiben. Sie soll nicht allezeit, wie jetzt, ein Schauplatz der Sünde und des Elends sein. Sie ist zu etwas Besserem geschaffen und bestimmt. Der gute und gnädige Wille Gottes soll und wird auf Erden geschehen, wie er im Himmel geschieht. Auf der erneuerten Erde wird Gerechtigkeit und Friede wohnen. Die Reiche dieser Welt, welche im prophetischen Gesicht mit wilden Tieren verglichen werden, sollen verschwinden; der Menschensohn wird erscheinen, dem der Ewige Gewalt, Ehre und Reich übergibt, dass Ihm alle Völker, Leute und Zungen dienen. „Seine Gewalt ist, die nicht vergeht, und Sein Königreich hat kein Ende.“ Daniel 7, 13. 14.

Über diese Erde, auf der Er Sein Blut vergossen hat, wird Jesus Christus herrschen als Friedefürst und auf ihr den ganzen Willen Seines Vaters hinausführen.

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