Suso, Heinrich - Vier Briefe. - III. Brief. Versuchung, Kampf und Sieg.

Suso, Heinrich - Vier Briefe. - III. Brief. Versuchung, Kampf und Sieg.

Kehre wieder, kehre wieder, o Sulamith, kehre wieder, kehre wieder, dass wir dich schauen. Hohelied 6, 12.

Diese minniglichen Worte stehen geschrieben in der minnenden Seele Buch. Wer durch die tote Wüste und durch den wilden Wald eines angefangenen göttlichen Lebens begehrt auf die schöne Heide eines geblümten vollkommenen Lebens zu kommen, dem begegnet manche wilde Straße in der Finstre des Waldes und mancher unbekannte Weg, da er durch Strauch und Dorn sich streifen muss, da ist etwa mancher tiefe Graben und schmaler Steg, wo er mit furchtsamem Herzen hinüber muss, und das ist der Weg des mannigfaltigen unbekannten Leidens, in welchem er zuerst muss versucht werden. Man hört mitunter die süßesten Töne der todbringenden Sirenen, vor denen man die Ohren verstopfen muss. So man weiter kommt, so begegnet Frau Venus mit ihren schönen Blicken mit den feurigen Strahlen. Sie hat Honig in dem Mund und Gift in dem Herzen, und diese haben manchen gezierten Helden sieglos gemacht. Da sitzt Frau Selde (das Glück) mit ihrem Glücksrad und zeigt das wohlgezierte Oberteil des Rads, aber das Unterteil hat sie sehr verborgen. Schwere Gefahr hab ich da wahrgenommen, da man stolze Hirsche nach freudigem Lauf hat niedergelegt, die da ermattet und ohnmächtig geworden sind. Und darum aus einem lauen Leben in einen entschlossenen Anfang, und aus dieser Abkehr in eine kräftige Einkehr ruft der Gemahl die Seele wohl oftmals und spricht: Kehre wieder, kehre wieder, Sulamith (das bedeutet: ein verschmachtet Herz)! kehre wieder, kehre wieder, dass wir dich ansehen! dass der Vater mit seiner Gewalt all dein Unvermögen benehme, der Sohn mit seiner Weisheit dich überweise seines allerliebsten Willens, der heilige Geist dich inbrünstig wieder entzünde wie zuvor. Mein Kind, wie wohl selten jemand ist, er komme zuweilen in Lauigkeit, einer mehr als der andre, so muss dennoch ein Mensch, so er darein kommt, sich recht darum mühen, dass er eine freie Erneuerung sich selber gewinne, wie der Phönix in dem Feuer, wie der Hirsch und die weiße Schlange tun, wenn dem einen das Horn, der andern die Haut zu dick wird und sie sich dann nach Gewohnheit erneuern. Der Berg ist hoch und der Weg schlüpfrig, er mag mit einem Anlauf nicht erstiegen werden, es heißt da wieder und wieder und wieder, bis es erstritten wird. Es ist ein weichlicher Ritter, der vor der Kraft der Menge einmal hinter sich weicht und danach nicht wieder männlich vor sich dringt. Und erschreckt darum nicht, denn das Streiten ist guter Menschen Los in diesem Elend. Begehrst du aber zu wissen wie die Erneuerung soll sein, das will ich dir sagen. Ich weiß einen Prediger, so der von manchen starken Wellen ward hinter sich getrieben und nach seinem Dünken gänzlich entsetzt war von rechtem Ernst und herzlicher Andacht, so ging er in sich selber und sprach: Eia Gott, wie ist es mir ergangen, wie bin ich so recht unversehens herabgeglitten! wohlan recht frei entschlossen und wirb um ein neues Gut, das alte ist gar dahin. Und fing dann wieder an sich selber abzubrechen, den Leib zu kasteien, den Leuten sich zu entfremden, ernstlich zu begehren, sich selber zu hüten, neue Übung zu erfinden und alle Auswege zu verlegen und trieb das Nacht und Tag, bis er in göttlichem Ernst und herzlicher Andacht wiederum entzündet und das Nachfolgende oft viel besser ward, als das Vorgehende je gewesen war. Und zog aus da den alten Menschen in seinem Herzen recht als ob er nie gewesen wäre, und fand dann manche Weise sich zu hüten, daran er zuvor nie dachte, und ward so stets weiser. Und so er wieder herabkam, so fing er wieder an als wie von Anfang. So mag er unsäglich oft getan haben. Siehe, mein Kind, das lehrt uns die ewige Weisheit durch Sankt Bernhards Mund, welcher spricht, dass dies der einzige Punkt ist, der da scheidet die Auserwählten von den nicht Auserwählten, dass die Verlorenen liegen bleiben, während die Auserwählten ohne Unterlass wieder aufstehen. Denn ein immerwährend Stillestehn mag niemand in der Zeit haben.

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