Spener, Philipp Jakob - Pia desideria - III.

Zu diesen Stücken gehört auch, daß man den Leuten gut einpräge, und sie bald daran gewöhne, sich zu überzeugen, daß es mit dem Wissen im Christenthum durchaus nicht genug sei, sondern daß es vielmehr in der Ausübung bestehe.
Besonders hat unser lieber Heiland öfters uns die Liebe als das rechte Kennzeichen seiner Jünger anbefohlen Joh. 13,34,35: „Ein neu Gebot gebe ich Euch, daß ihr euch unter einander liebet, wie ich euch geliebt habe, auf daß auch ihr einander lieb habt. Dabei wird Jedermann erkennen, daß ihr meine Jünger seid, so ihr Liebe unter einander habt.“ Kap. 15,12: „Das ist mein Gebot, daß ihr euch unter einander liebet, gleich wie ich Euch liebe.“ 1 Joh. 3,10.18: „Daran wird es offenbar, welche die Kinder Gottes und die Kinder des Teufels sind. Wer nicht Recht thut, der ist nicht von Gott, und wer nicht seinen Bruder liebt. Meine Kindlein, lasset uns nicht lieben mit Worten, noch mit der Zunge, sondern mit der That und mit der Wahrheit.“ Kap. 4,3.8.11.12.21: „Ihr Lieben, lasset uns unter einander lieb haben, denn die Liebe ist von Gott; und wer lieb hat, der ist von Gott geboren, und kennet Gott. Wer nicht lieb hat, der kennet Gott nicht; denn Gott ist die Liebe. Ihr Lieben, hat uns Gott also geliebt, so sollen wir uns auch unter einander lieben. Niemand hat Gott jemals gesehen. So wir uns unter einander lieben, so bleibt Gott in uns, und seine Liebe ist völlig in uns. Und dies Gebot haben wir von ihm, daß, wer Gott liebet, daß der auch seinen Bruder liebe.“ Daher pflegte auch der liebe Johannes in seinem hohen Alter nach dem Zeugnisse des Hieronymus fast nichts mehr zu seinen Jüngern zu sagen, als: „Kindlein, liebet euch unter einander,“ so daß seine Jünger und Zuhörer endlich verdrossen wurden, immer einerlei zu hören, und ihn fragten, warum er ihnen allezeit einerlei sage, worauf sie zur Antwort bekommen: „Weil es der Befehl des Herrn ist, und so der geschiehet, ist’s genug.“ Freilich besteht eines gläubigen und durch den Glauben seligen Menschen ganzes Leben und Erfüllung der Gebote in der Liebe.
Wenn wir daher eine inbrünstige Liebe unter unsern Christen erst gegen einander, sodann gegen alle Menschen – denn brüderliche und allgemeine Liebe müssen auf einander nach 2 Petr. 1,7 folgen – erwecken und in die Uebung bringen können, so ist fast alles, was wir verlangen, ausgerichtet, denn darin bestehen nach Röm. 13,9 alle Gebote. Demnach sollte man den Leuten fleißig dies vorhalten, und die Vortrefflichkeit der Liebe des Nächsten, so wie umgekehrt, die große Gefahr und Schaden der verkehrten Eigenliebe nachdrücklich vor Augen stellen, wie dies besonders der geistreiche Johann Arndt im wahren Christenthum Bch. 4, Abth. 2, Kap. 22 und folgende schon ausgeführt hat. Damit wäre aber auch die Ausübung dieser Liebe zu verbinden, daß man die Gemeinglieder gewöhne, nicht leicht eine Gelegenheit aus der Acht zu lassen, wo sie dem Nächsten ihre Liebe thätig beweisen können, dabei aber allemal fleißig, das Herz zu untersuchen, ob es aus wahrer Liebe gehandelt, oder andere Absichten dabei gehabt. Man hätte sie anzuleiten, besonders, wenn sie beleidigt worden, auf sich Achtung zu geben, und nicht nur sich aller Rache zu enthalten, sondern auch lieber etwas von ihrem Rechte und der Behauptung desselben nachgeben, als sich von ihren Herzen betrügen zu lassen, und feindselige Leidenschaften mit einzumischen, ja man rathe ihnen, daß sie mit Fleiß Gelegenheit suchen, dem Feinde Gutes zu thun, damit nur dem zur Rache geneigten alten Adam durch solche Zähmung wehe gethan, hingegen die Liebe tiefer in’s Herz gedrücket werde.
Dazu, wie überhaupt zum Wachsthum im Christenthum wäre sehr dienlich, wenn diejenigen, welche sich mit Ernst vorgenommen, fortan in den Wegen des Herrn zu wandeln, in vertraulichem Umgange mit ihrem Beichtvater, oder auch einem andern verständigen erleuchteten Christen stehen und demselben immer Rechenschaft geben wollten, wie sie leben, wo sie Gelegenheit gehabt, die christliche Liebe zu üben, wo sie dieselbe benutzt oder versäumt; um allemal von ihnen Rath und Unterricht zu haben, wie sie nach erlangter Erkenntniß ihrer Mängel es anzufangen haben, sich davon zu befreien. Damit muß freilich auch der feste Entschluß verbunden sein, dem erhaltenen Rathe wirklich zu folgen, es wäre denn, daß ihnen etwas wider den deutlichen Willen Gottes zugemuthet würde. Wo sie zweifelten, ob sie Dies oder Jenes ihrem Nächsten zu Liebe zu thun schuldig wären, oder nicht, wäre ihnen ebenfalls zu rathen, es lieber zu thun, als zu unterlassen.

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