Seckendorff-Gutend, Henriette Freiin von - Hausandachten - 20. Andacht.

Seckendorff-Gutend, Henriette Freiin von - Hausandachten - 20. Andacht.

Psalm 139.
“Herr, Du erforschst mich und kennst mich, ich sitze oder stehe auf, so weißt Du es, Du verstehst meine Gedanken von ferne. Ich gehe oder liege, so bist Du um mich und siehst alle meine Wege; denn siehe, es ist kein Wort auf meiner Zunge, das Du, Herr, nicht Alles wissest.“

Wenn wir das, meine Lieben, recht ins Auge und Herz fassten, müssten wir notwendig viel vorsichtiger wandeln und nicht so beharrlich in Sünden fortleben. Welch unerhörte Frechheit gehört dazu, in der Allgegenwart Gottes die gräulichsten Lügen zu sprechen und ungescheut zu sündigen. Wenn wir uns lebhaft vorstellen, der Herr sieht Alles, hört Alles und weiß Alles, was wir denken, reden und tun; sollte es da noch möglich sein, dass wir uns so verirren, uns so furchtbar versündigen könnten in Gedanken, Worten und Werken! Ist's da ein Wunder, wenn der Herr mit einer Rute züchtigen muss, um uns wieder zur Besinnung zu bringen und uns Seine Allwissenheit und Allgegenwart ins Gedächtnis zurückzurufen? Wir führen diese Gerichte Gottes immer selbst herbei und zwingen den gütigen, freundlichen und liebevollen Heiland, dass Er den Stab Wehe über uns schwingen muss und die Seele klagt: „Die Band des Herrn liegt schwer auf mir.“. Und doch ist das nur ein Zeichen Seines unergründlichen Erbarmens und Seiner unerschöpflichen Langmut und Geduld.

Er will nicht, dass eine Seele verloren gehe, sondern dass sich Jedermann zur Buße kehre; darum geht Er, der grundgütige Heiland uns nach, mahnt und warnt uns! Meine Lieben, es ist eine große Wohltat, wenn wir noch im Gnadengericht stehen und nicht schon im Verdammungsgericht, wenn der Heiland Einen überhaupt noch in die Zucht nimmt; denn diejenigen Seelen sind immer am übelsten daran, die der Herr dahin gehen lässt in ihres bösen Herzens Gelüsten und der Verkehrtheit ihrer Sinne. Habt ihr diese Gnade und Wohltat auch schon recht erkannt und von ganzem Herzen dafür gedankt? O, wie viele gibt es, die im Zorn entbrennen über solchen Gnadenheimsuchungen, die murren gegen den heiligen Gott, und rechten und fragen, warum oder mit was sie diese Zucht verdient haben? Anstatt an ihre Brust zu schlagen, ihre Sünden und unzähligen Übertretungen zu bereuen und die Hand des Heilandes zu küssen, wie es Psalm 2,12 heißt: „Küsst den Sohn, dass Er nicht zürne und ihr umkommt auf dem Weg, denn Sein Zorn wird bald entbrennen.“ Von dem heiligen Eifer des Herrn machte eine ergreifende Begebenheit, die ich dieser Tage im Christenboten las, einen tiefen Eindruck auf mich, und da ich vermute, dass nicht alle, welche diese Andachten lesen, auch jenes segensreiche Blatt halten können, so will ich euch den Aufsatz, welchen der Christenbote vom 11. Februar 1877 enthält, wörtlich hierhersetzen: „In der „Berliner klinischen Wochenschrift“ vom 20. Nov. 1876 erzählt ein Arzt folgenden erschütternden Fall: In der Neujahrsnacht von 1873-74 ging der Schreinergeselle L. in K., (in Rheinbayern) ein wegen seiner Frechheit gefürchteter Mensch beim Vorüberwandeln am Kirchhof mit mehreren Kameraden um einige Schoppen Bier die Wette ein, dass er über die Mauer in den Kirchhof eindringen, dreimal um den Franzosenstein -ein für Napoleonische Soldaten errichtetes Denkmal - herumgehen und dabei dreimal recht laut Gott und den Teufel, wenn es solche gebe, auffordern werde, ihn zu holen. Der Frevler führte dieses zum Schauder der durch das Gittertor sich davon überzeugenden Kameraden aus. Beim dritten Umgang bemerkten sie, dass seine Stimme plötzlich erstickte und er eiligst nach der anderen Seite des Kirchhofs hin davon lief. Sie fanden ihn bleich vor Entsetzen, zitternd, ohne Kopfbedeckung, mit emporstehenden Haaren, kaum mehr im Stande, einige Worte zu stammeln. So brachten sie ihn nach Hause, wo er nach einiger Zeit Sprache und Besinnung wieder erlangte und seiner Mutter und seinen Kameraden, später dem Arzt und der Polizei, wie auch dem protestantischen Pfarrer, Folgendes erzählte. Bei der dritten Aufforderung an Gott oder den Teufel, ihn zu holen, habe er sich plötzlich am linken Arm ergriffen und festgehalten gefühlt, ein unbeschreiblicher Schrecken habe ihn erfasst, einen Augenblick sei er bewegungslos still gestanden, und dann, als er gefühlt habe, dass er nicht mehr gepackt werde, sei er in namenloser Bestürzung davongelaufen. Im Begriff über die Mauer zu steigen, sei er abermals von hinten am Rock angehalten und seiner Kopfbedeckung beraubt worden. Seither hatte er Ruhe und Schlaf, Gesundheit, Appetit und jede Lust, unter die Menschen zu gehen, verloren. Im linken Arm fühlte er einen beständig auf und abrieselnden Kälteschauer. Der Arm schwoll stark an und war um das Ellbogengelenk schmerzhaft gerötet. Im Munde zeigten sich immer stärker die Erscheinungen des Skorbuts, mit aasartigem Gestank. Allmählich wurden alle Glieder vom Skorbut ergriffen, alle vom Arzt angeordneten Mittel halfen nur vorübergehend, und am 40ten Tage nach jener Begebenheit hauchte der arme Mensch seine gemarterte, gefolterte Seele aus. Diesen Worten fügte der Arzt noch bei, dass der Geistliche, den der Kranke sich erbeten und dem er reumütig seine Sünden bekannt hatte, erstaunt gewesen sei über den Ausdruck namenlosen Entsetzens in seinem Gesicht, wie in allen seinen Worten, und dass dieser Pfarrer, der als Feldgeistlicher schon gar viele Sterbende gesehen, gegen den Arzt geäußert habe, noch nie habe er einen Sterbenden mit größerer Todesfurcht und Seelenangst getroffen als diesen. Unter der ganzen Bevölkerung machte diese Krankheit das größte Aufsehen; der Zudrang von Neugierigen, die, wie sie sagten, den „vom Teufel Gefassten“ sehen wollten, wurde so groß, dass die Polizei zu seinem Schutz und auch zur Konstatierung des Tatbestandes requiriert werden musste. Sein Begräbnis lockte eine zahllose, nie gesehene Menge herbei, an welche der Geistliche die Worte richtete: „Wer sich frei fühlt von Schuld und Fehler, der werfe den ersten Stein auf diesen reuigen Sünder.“ Dieser Bericht eines sehr verständigen Arztes, dessen Schilderung der einzelnen schaudervollen Krankheitserscheinungen wir hier übergangen haben, ist eine neue erschütternde Bestätigung des Schriftwortes: „Gott lässt Seiner nicht spotten.“ Vers 5 heißt es: „Du schaffst es was ich vor oder hernach tue, und hältst Deine Hand über mir.“ Der heilige und allwissende, allgegenwärtige und allmächtige Gott und Vater hält Seine Hände über uns, über uns elende, sündige Menschen. Er tut uns täglich und stündlich viel Gutes, lässt Seine Sonne alle Tage über uns aufgehen, schützt und segnet uns. Müssen wir da nicht auch mit dem Psalmisten sprechen: „Solches „Erkenntnis ist mir zu wunderlich und zu hoch, ich kann es nicht begreifen.“ (V. 6.)

Ja wir können das freilich nicht begreifen; aber sollte uns dieser Gedanke und dieses Bewusstsein nicht in den Staub beugen und zu aufrichtiger Reue und Buße antreiben?

Wie herrlich könnten wir es bei diesem barmherzigen, liebevollen Gott haben, wenn wir nur immer in Seiner Allgegenwart leben und uns nie von Seiner Hand entfernen wollten! Unter dem Schatten der süßen Jesushand, da hat's die Seele gut, da verspürt sie ein Wohlsein nach Innen und Außen, da hat sie Kraft und Saft, Gesundheit und Alles, was sie sich nur wünschen mag. - Der Apostel sagt: „Alles ist euer!“ 1 Kor. 3,22.

Seht die Patriarchen des alten Bundes an. Wie gesegnet war Abraham vom Herrn auch im Irdischen; denn es steht von ihm geschrieben 1 Buch Mose 12,2: „Und ich will dich zum großen Volk machen, ich will dich segnen und dir einen großen Namen machen, und sollst ein Segen sein, und in dir sollen gesegnet werden alle Geschlechter auf Erden.“

„Ach, wer nur immer bei Tag und Nacht,
Dein zu genießen, recht wär' bedacht,
Der hätt' ohn' End von Glück zu sagen,
Und Leib und Seel müsst immer fragen:
Wer ist wie Du?“

Ja, „wenn Jesus Christus bleibt der Herr, wird's alle Tage herrlicher.“ Da sind wir immer in einer feinen Zucht und haben Frieden und Freude im heiligen Geist. O meine Lieben, erfasst es, merkt es euch doch recht! In der Allgegenwart Gottes wandeln, nicht von der Hand Jesu weichen, ist das allerköstlichste, was es gibt, da sind wir geborgen vor Satans List und Trug, da sind unsere Gedanken und Begierden geheiligt, und wenn wir beten, berührt unser Herz das des Heilands. Dann gibt Er uns, was wir begehren, denn wir atmen Seine Luft und beten in Seiner Kraft und in Seinem Namen, und dann wird Er uns auch im Leiblichen geben, was wir brauchen. Wenn wir uns aber von Seiner Hand entfernen, da ist eitel Unfall und Herzeleid auf unserem Weg. Wenn unser Herz und unsere Gedanken nicht immer auf Jesus Christus gerichtet sind, fallen wir in Versuchungen aller Art, öffnen dem Satan Tür und Tor, die böse Lust verunreinigt unsere Gedanken und Begierden wieder und macht uns zu jeder Sünde fähig. Deshalb, meine Lieben, gilt es, ernstlich auf der Hut zu sein, und ohne Unterlass zu wachen und zu beten. Der Feind lauert fort und fort. Es ist daher sehr nötig, dass wir uns ernstlich vor dem heiligen Gott prüfen und alle Winkel unserer Herzen von Seinem heiligen Licht durchleuchten lassen, wie es mit uns stehe, ob wir auf bösem Weg sind oder uns leiten lassen auf ewigem Weg. Es muss uns aber, wenn wir zum Ziele gelangen wollen, ein tiefer Ernst sein, uns selber gründlich kennen zu lernen; unsere Sünden und Vergehungen müssen alle offen vor uns liegen: wir dürfen uns keine einzige Sünde verhehlen oder sie zu verstecken suchen vor dem allsehenden Auge Gottes. Wir müssen ernstlich Buße tun und um Vergebung für alle erkannten und unerkannten, für alle offenbaren und geheimen Sünden und Übertretungen bitten, uns nicht nur oberflächlich, nur mit dem Mund als große Sünder bekennen, so dass der stolze Heilige noch im Herzen sitzt. Nein wir müssen uns ganz und gar vor dem Herrn beugen, uns gänzlich vernichtigen lassen, so dass wir einsehen, mit unserer Macht ist nichts getan. Unsere Herzen sind verzweifelt böse, wir hätten allesamt den Zorn Gottes und Seine Ungnade verdient. Wir wollen uns in aller Einfalt dem Herrn zu Füßen werfen und Ihn bitten, dass Er unseren Eigenwillen und unsere Selbstgerechtigkeit vernichten und Alles in uns wirken und schaffen möchte, da wir selbst nichts, gar nichts vermögen.

Wer nur ein Sünder ist in seinem Wesen,
Und nicht aus eig'nen Kräften will genesen,
Und liegt zu Jesu Füßen als erstorben,
Von solchen ist kein Einz'ger noch verdorben;
Und wär' er wie ein Bär, er wird zum Lamme,
Und wär' er kalt wie Eis, er wird zur Flamme,
Und wär' er tot wie Stein, er kommt zum Leben
Und ihm wird Heil und Seligkeit gegeben.“

Wie köstlich, wie beseligend ist diese Verheißung. Ach, der Herr wolle doch Gnade geben, dass wir recht eingekehrt, recht stille vor Ihm werden, damit wir nicht durch Zerstreuung und Leichtsinn dem Satan Bahn machen, sondern der Herr Seine Gnadenströme fort und fort auf uns fließen lassen könne zum Heil und Segen für Leib und Seele. Wir wollen fest auf Ihn, den Anfänger und Vollender unseres Glaubens blicken und anhalten im Gebet, denn so oft wir beten, kommt eine Kraft vom Herrn auf uns. Je treuer wir an Ihm hangen und in Ihm bleiben, desto mehr Kraft und Segen werden wir empfangen und desto mehr können wir auch allen listigen Anläufen des Satans und unseres eigenen bösen Herzens widerstehen. Da kann uns dann der heilige Geist je mehr und mehr vollbereiten, stärken, kräftigen und gründen. Dazu verhelfe uns der barmherzige Heiland in Gnaden. Amen.

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