Seckendorff-Gutend, Henriette Freiin von - Hausandachten - 15. Andacht.

Seckendorff-Gutend, Henriette Freiin von - Hausandachten - 15. Andacht.

Psalm 106.

Dieses Gebet des Psalmisten, meine Lieben, fängt wieder mit einer Lobpreisung der Güte und Barmherzigkeit des Herrn an, die über uns waltet und ewig währt; dann folgt ein offenes Sündenbekenntnis in tiefer Beschämung und Beugung mit dem lebhaften Bewusstsein der eigenen Unwürdigkeit, und schließt mit einer Anbetung des unendlichen Erbarmens Gottes. Wie siehts da aus, meine Lieben? Ist Loben, Preisen und Danken auch unser erstes und vornehmstes Geschäft, und ist es das Gefühl: „Herr, ich bin nicht wert, all der Treue und Barmherzigkeit, die Du an mir getan hast und noch tust! 1 Mos. 32, 10.“ das tief unsere Seele durchzieht? Ist nicht im Gegenteil bei Vielen unter euch das Gefühl des Undanks, der Unzufriedenheit und des Murrens gegen Gottes heiligen Willen, gegen Seine Wege vorherrschend, und sind nicht eure Gebete deshalb nicht erhörlich, weil ihr Lob und Dank nicht vorausschickt für all die unverdienten Gnaden und Segnungen, die ihr schon erfahren habt, sondern voll Unzufriedenheit seid über die Heimsuchungen, die ihr doch alle durch die vielen Sünden und Übertretungen, die vielen Untreuen und Versäumnisse selbst verschuldet habt. Wenn wir unzufrieden sein wollen, so müssen wir's vor allem mit uns selbst sein und nicht mit unserem himmlischen Vater, der uns durch diese Gnadenheimsuchungen nur zur Erkenntnis unserer Sünden, zur Besserung und Umkehr bringen will. Er hat keine Freude daran, uns so krank und elend zu sehen; aber, da wir abgewichen sind von Seinen Geboten und Wegen, so hat Er dem Satan erlaubt, uns anzutasten wie Hiob. All die vielen schrecklichen Leiden Leibes und der Seele sind Werke des Satans, in dessen Dienst und Macht wir uns begeben haben. Er hätte gar keine Macht an uns, denn er ist ein Gerichteter, wenn wir ihm nicht unseren Willen gegeben hätten, deshalb ist Jeder selbst der eigene Schmied seines Glückes oder Unglücks. Bedenkt das doch recht, meine Lieben, und erkennt, was zu eurem Frieden dient. Dringt recht tief ein in euren bösen Herzensgrund und seht wie traurig es da aussieht; wie viel Unordnung, wie viel Lust zum Bösen, wie viel Undank, Unglauben und Kleinglauben, wie viel Zweifel und Teufelsphantasien, welch' ein Abgrund des Verderbens darinnen ist! Seht zurück auf euer bisheriges Leben! Wie ungescheut, ja wie treu habt ihr dem Satan gedient, mit welchem Undank die vielen unverdienten Wohltaten Gottes gelohnt, wie oft das Blut Christi mit Füßen getreten! O, wir müssen uns Alle in tiefer Demut in den Staub werfen und mit Beschämung und Reue bekennen, wie viel Schmerz, wie viel Mühe und Arbeit wir dem lieben Heiland mit unseren Sünden und unserer verzweifelten Halsstarrigkeit gemacht haben. „Mir hast du Arbeit gemacht in deinen Sünden, und hast mir Mühe gemacht in deinen Missetaten,“ sagt der Herr durch den Propheten Jesaja K. 43, V. 24, setzt aber gleich wieder V. 25 hinzu: „Ich, Ich tilge deine Übertretung um Meinetwillen, und gedenke deiner Sünden nicht.“ Sind wir im Stande, diese Tiefe der göttlichen Liebe, des göttlichen Erbarmens zu begreifen? Nein, unmöglich!

„Blick ich in dies eig'ne Herz,
Dann ergreift mich Angst und Schmerz,
Schau' ich in das Herz da oben,
Fang ich an zu danken und zu loben.“

Ja, „Seine Güte und Treue ist groß, und Seine Barmherzigkeit hat noch kein Ende.“ Klagl. 3, 22 u. 23. Dürfen nicht wir Alle, wie wir hier sind, diese Wahrheit in reichstem Maß erfahren? Statt uns um unserer Sünden, unseres Ungehorsams und Undankes willen zu verderben, hat Er uns durch viele Gefahren gnädig hindurchgeführt, und uns nun hier versammelt, wo wir Sein heiliges Wort betrachten dürfen und nach Leib und Seele genesen können. Wie unendlich beschämend und demütigend ist das! Ach, dass wir doch ganz ausgezogen und vernichtet werden möchten, denn nur wenn wir von unserem „Nichts“ ganz durchdrungen sind, kann die Sonne der Gerechtigkeit in unsere Herzen scheinen und uns durchleuchten. Der Heiland schmachtet ja nach unseren Seelen, Er kann es nicht erwarten, bis wir umkehren und uns Ihm unmächtig zu Füßen werfen. Aber so lange noch etwas zwischen dem Herrn und der Seele steht, sei es auch nur ein ungläubiger zweifelnder Gedanke, geschweige denn grobe Sünden und Ungehorsam, so lange unsere Seele nicht dürstet nach Hilfe und Rettung, so lange kann der Herr nichts an uns tun. Es darf Ihm nichts mehr im Weg stehen. Der Herr muss erst ein brennendes Verlangen, eine heilige Begierde in uns wahrnehmen; aber dann eilt Er zu helfen, zu heilen, zu erretten und zu erlösen; dann aber muss uns ein wahrer Feuereifer beseelen, alle Trägheit und Bangigkeit muss durch die Kraft des heiligen Blutes Jesu überwunden werden, und wir dürfen nicht ablassen um die Kraft des Namens Jesu, um Treue und Beständigkeit zu bitten.

„Wer seine Hand an den Pflug legt und sieht zurück, der ist nicht geschickt zum Reiche Gottes.“ „Was hilft ein guter Anfang, wenn wir wieder lass und träge werden! O, meine Lieben, es gehört ein fester Wille und ein heiliger Eifer dazu, durchzudringen. Die Flammenaugen Gottes schauen bis in den tiefsten Grund des Herzens: wir haben es nicht mit einem „Eli“ zu tun, der das Sündenleben ungestraft hingehen lässt, sondern mit einem heiligen, gerechten Gott. Das Gebet ist ein starkes Band, das uns mit dem Heiland verknüpft, wenn wir nur Seufzer und Blicke, oder ein paar Worte zu Ihm aufschicken, dürfen wir gleich die Kraft verspüren, die von Ihm auf uns ausströmt, wir werden dadurch vor weltlicher Zerstreuung und unnötigen Phantasien bewahrt, auch in der Stille und Sammlung, die uns so hoch von Nöten ist, erhalten. Fleht oft:

Versöhnungsblut komm über mich,
Vertreib' die Macht der Finsternis!“

Oder:

„O, Heiland, Dir nur dien' ich gern,
Denn Du hast mich erkauft;
Ich weiß und will sonst keinen Herrn,
Auf Dich bin ich getauft!“

Nur fest beim Heiland bleiben, und wenn im täglichen Beruf Gedanken und Worte uns auf Momente von Ihm abbringen, schnell wieder auf Ihn blicken, sich vergewissernd, dass man unter dem Schatten Seiner süßen Jesushand steht. Nur immer auf den Herrn geblickt, wie Petrus auf dem stürmischen Meer; so lange er auf den Herrn blickte, konnte er ganz sicher gehen, sah er aber auf sich selbst und auf die Wellen, so begann er zu sinken. So ist's gerade bei euch, ihr lieben Kranken. So lange ihr noch eure Krankheit, eure Umstände anseht, so lange könnt ihr nicht recht durchdringen; ihr müsst fest aufs Wort blicken, dem Herrn in festem Glauben und unerschütterlichem Vertrauen Seine Verheißungen vorhalten, z. B. „So Ihr den Vater etwas bitten werdet in meinem Namen, so ihr glaubt, so wird Er es euch geben. Joh. 16, 23.“ Mein Urgroßvater, Minister von Pfeil, pflegte zu beten:

„Ich nahm das Buch des heil'gen Bundes,
Und sagte: siehe da, Dein Wort!
Sind das nicht Reden Deines Mundes,
Bist Du es nicht, o Gott, mein Hort,
Der dies verheißen hat,
Was da geschrieben steht?
Du bist es, ja!“

Ehe ihr nur die Bitte ausgesprochen habt, müsst ihr schon gewiss sein, dass ihr dieselbe habt und schon dafür danken. Das ist aber freilich dem natürlichen Menschen fast unmöglich, es ist ihm eine Torheit zu danken, ehe er die Bitte in Händen hat; der Herr aber verlangt es in Seinem Wort. Er gibt uns selber ein herrliches Beispiel am Grab des Lazarus: Er dankte schon für die Auferweckung des toten Lazarus, als dieser noch in der Verwesung lag. Auch bei dem Bau meines Hauses musste ich mich im Glauben der Ordnung des Wortes Gottes unterziehen und in dieselbe eingehen. Ich sah ein, dass ich in Stuttgart mit meinen Kranken keine Mietwohnung bekommen konnte, da sich das Werk sehr ausdehnte und der Herr mir immer mehr Kranke zuführte; deshalb musste ich darauf denken, ein eigenes Haus zu bekommen. Nun bat ich den Herrn darum und blickte fest auf Seine Verheißungen, wobei mir besonders die Stelle wichtig wurde: „Wahrlich, wahrlich, ich sage euch, so ihr den Vater Etwas bitten werdet in meinem Namen, so wird er es euch geben.“ Alle Verheißungsworte der Schrift stunden vor meiner Seele, und ich glaubte denselben felsenfest; ja ich sprach in den Gebetsstunden dem Herrn meinen Dank dafür aus, dass ich das Haus im Glauben schon habe, weshalb mich die Leute nach Beendigung der Gebetsstunde frugen, wo sich denn das Haus befände, für das ich so eben gedankt hätte? „In meinen Glaubenshänden, antwortete ich ihnen, da habe ich es felsenfest.“ Vielen kam dies töricht vor, allein, liebe Seelen, wenn ich das Erbetene in Wirklichkeit habe, so bedarf es keines Glaubens mehr, denn der Glaube ist eine gewisse Zuversicht des, das man hoffet und nicht zweifelt an dem, das man nicht sieht. Und wirklich, der Herr hat mich mit diesem Glauben nicht zu Schanden werden lassen. Im Vertrauen auf Ihn und auf Seine Verheißungen habe ich angefangen, das Haus zu bauen, welches mit Grund und Boden 30.000 Gulden gekostet hat, und obgleich ich nicht weiter als 2.000 Gulden bar daliegen hatte und sonst Nichts, hat mich mein Herr und Heiland doch nie in Geldverlegenheit kommen lassen. Ich erhielt immer zur rechten Zeit die nötigen Mittel zur Fortsetzung des Baus, ungeachtet mich alle meine Freunde dabei im Stich ließen. Sie waren mit dem Hausbau nicht einverstanden und zogen sich deshalb ganz von mir zurück. Dagegen aber mussten auf des Herrn Befehl ganz fremde Leute durch Anlehen und Geschenke mir helfen das Haus zu bauen. Ich durfte dabei die merkwürdigsten Erfahrungen machen, dass, wenn ich auf keine Hilfe meiner Freunde wartete, der Herr alsdann ins Mittel trat und mir Geld schickte; blickte ich aber auch nur mit einem Gedanken auf dieselben, so floss das Geld schon nicht mehr so reichlich. Diese Sprache Gottes verstand ich bald und bitte auch euch, ihr Lieben, sucht nie bei Menschen eure Hilfe, auch wenn es eure besten Freunde wären; suchet dieselbe allein nur bei dem Herrn. O traut Ihm doch auch Etwas zu, wie es in jenem Liede so schön heißt:

„Liebe Seelen, traut beständig
Eurem ewig treuen Hort;
Er ist Gott und ist lebendig,
Ist euch nah an jedem Ort;
Ist euch irgend Hilfe nötig:
Klopft nur an, er ist zu Haus
Und zu jeder Hilf erbötig,
Schüttet euer Herz nur aus.“

Das ist kein Glaube, wenn wir die Gewährung unserer Bitte schon haben und dann erst glauben und danken wollen. O, wie oft betrüben wir unseren lieben Heiland durch unser Misstrauen und unseren Unglauben; dennoch hat Seine Barmherzigkeit kein Ende, sondern Seine Güte ist alle Morgen neu, und Seine Treue ist groß. Ganz in dem Grad, wie wir uns hergeben, willenlos werden, und uns vernichten lassen, will uns der Herr mit Seiner Gnade und Seinen Segnungen überschütten, uns Seine Lichtskräfte schenken. Zieht dann der Herr mit diesen und mit Seinem heiligen Geist bei uns ein, so muss die Macht der Sünde und oft auch die Krankheit weichen. Lasst es euch deshalb einen heiligen Ernst sein durchzudringen, der Sünde ganz abzusterben und eifrige Werkzeuge im Reich Gottes zu werden, denn der Heiland hat so wenige Arbeiter in Seinem Weinberg und der Satan so viele. „Haltet an am Gebet; wacht, steht im Glauben, seid männlich und seid stark. Kol. 4,2. 1 Kor. 16,13.“ Ich kann euch versichern, dass ich auch einen harten Kampf gekämpft habe. Ich war vor zwei und dreißig Jahren fünfviertel Jahr lang lahm, habe aber dem Herrn fest geschworen vor der heiligen Engelschar, dass ich Allem absagen wolle, was nicht ins Reich Gottes tauge, um ein Werkzeug Seiner Gnade werden zu können. Ich kann euch nicht aussprechen, welch einen seligen und glücklichen Lauf ich in diesen zwei und dreißig Jahren durch die Gnade Gottes meines Heilandes gehabt habe.

Sind wir einmal durchgedrungen, so müssen wir auch um eine seelenrettende Liebe bitten, um dem Herrn Seelen zuführen zu können, da muss ein Trieb in uns sein, den nur der heilige Geist in uns wirken kann, und auch um diesen haben wir zu bitten. So oft ich im Herbst einen von Früchten schwer beladenen Obstbaum sah, bat ich den Herrn: „So viele Früchte dieser Baum hat, so viele Seelen lass mich auch Dir zuführen.“ Dies war das tiefste Verlangen meines Herzens, und ich hatte ein solches Sehnen und Drang dem Herrn Seelen zuzuführen, dass ich gerne Alles daran gab. Wie gnädig hat der Herr meine Bitten erhört. Nachdem ich siebzehn Jahre lang täglich die Kranken des Bürgerhospitals besuchte, und nebenbei an verschiedenen Kranken in Stuttgart Seelenpflege übte, aber wenig Erfolg sehen durfte, hat mir der Herr nun in seiner großen Liebe und Treue hier einen seligen Beruf angewiesen, worin ich Ihm viel sicherer und leichter Seelen zuführen kann dadurch, dass ich die Kranken im eigenen Haus habe. Wenn ich zurückdenke, wie huldvoll und gnädig der treue Gott sich an den 2500 Kranken, die hier schon aus- und eingegangen, erwiesen hat, bin ich aufs tiefste beschämt und kann kein Ende finden, die unendliche Liebe und Barmherzigkeit Gottes und den herrlichen, süßen Jesusnamen, in dessen Kraft dieses Alles gewirkt worden ist, zu loben und zu preisen. O, ich kann euch nicht sagen, meine Lieben, welch' glückliches, welch' beseligendes Gefühl das ist, ein Werkzeug des lieben Heilandes sein zu dürfen, für seine Mitbrüder und Mitschwestern vor Gott in den Riss zu stehen. Sind wir einmal gerettet, so haben wir nur den einen Wunsch, dem Herrn recht viele Seelen zuführen zu dürfen. Geht es dabei auch durch viel Trübsal und manches Schwere hindurch, man verzagt doch nicht, weil der Herr mit uns ist, fühlt sich im Blick auf Ihn stets unter dem Schatten seiner süßen Jesushand sicher und geborgen.

Der Herr wirke Alles in uns, beides, das Wollen und das Vollbringen, nach Seinem Wohlgefallen. Amen.

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