Scriver, Christian - Gottholds zufällige Andachten. - 86. Die Fliegen.

Scriver, Christian - Gottholds zufällige Andachten. - 86. Die Fliegen.

Als die Fliegen gar häufig bei der Mahlzeit sich fanden und nicht allein mit vielem verdrießlichem Geschwirr sich um der Anwesenden Haupt schwangen, sondern sich wol auch auf die Speise, ja gar ins Angesicht setzten, sprach Gotthold: Das ist wol ein recht unverschämtes Geschmeiß, welches ohne Unterschied auf alles fällt und, wenn es schon gescheucht wird, doch alsofort wiederkehrt. Ich halte, der allmächtige Schöpfer aller Dinge habe dieses Ungeziefer dazu geschaffen, daß er uns Menschen unser Unvermögen und Schwachheit möchte zu erkennen geben, maßen auch der mächtigste nicht mächtig genug ist, eine Fliege zu zwingen und von seinem Gesicht zu halten; sie schnurrt und schwärmt ihm um den Kopf und macht ihm, wie man redet, eine schimpfliche Bravade und, wenn er meint, sie zu ertödten, schwingt sie sich davon, willens bald wieder zu kommen. Und wie mags doch immer kommen, daß wir dies einem Ungeziefer zu gut halten und es uns nicht lassen befremden, sobald aber wir vermeinen, die geringste Anzeige einer Beschimpfung von unsern Nächsten zu haben, so entbrennen wir und machten wol einen Aufstand im Himmel und Erden, die vermeinte Schmach zu rächen! Lieber, ists nicht eine Thorheit, von einer Fliege sich tummeln zu lassen und von einem Menschen, (der zuweilen wol nichts weniger, als uns zu beleidigen, im Sinn hat) durchaus nichts leiden wollen! Die Fliege, fuhr er fort, ist auch ein Bild eines unverschämten und neidischen Verleumders, weil sie alles beschmeißt und vornehmlich das, was hell polirt und weiß ist; also ists eines Verleumders Gewohnheit, daß er, was er kann, mit seinem Geifer bekleckst und vornehmlich denen aufsätzig ist, welche mit dem Glanz ihrer von Gott verliehenen Gaben der Tugend und Unschuld vor andern sich scheinbar machen. Weil auch das Fliegengeschmeiß nie muthiger und frevler ist, als wenn die Sonne am hellsten scheint und die heißen Sommertage einfallen, dagegen ganz ohnmächtig wird und als halb todt sitzt, wenn eine unvermuthliche Kälte kommt, oder der Herbst heran naht, so können sie deßfalls vorstellen solche Leute, welche die zeitliche Glückseligkeit stolz, frech und Verächter Gottes und der Menschen macht, da hingegen der geringste Uebelstand und unversehener, unglücklicher Zufall ihnen allen Muth nimmt; und so sind fast aller Menschen Herzen, trotzig im Glück und verzagt im Unglück. Jer. 17, 9. Endlich, was ist eine Fliege? im Augenblick ist sie dahin. Sie tummelt sich oft weidlich und schnurrt gräßlich, aber kaum geht sie sitzen, so ist sie erschlagen oder fällt der Spinne in das Garn, oder sie trinkt von dem Gift, so man ihr hingesetzt, und muß also allen Frevel bezahlen. Also, was ist der Mensch? eine Fliege. Er macht oft ein Wesen in der Welt, als wollte er Berge versetzen, er prahlt und prangt, er schnaubt und dräut und im Nu liegt er indes Todes Netzen und alsdann sind verloren alle seine Anschläge. Ps. 146, 4. Hilf, ewiger Gott! daß ich allezeit meine Nichtigkeit bedenke und erkenne, vor Hochmuth und Frevel mich hüte und allezeit in deiner Furcht gottselig wandle!

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