Schlatter, Adolf - Einleitung in die Bibel - Jona

Schlatter, Adolf - Einleitung in die Bibel - Jona

Es wird uns 2 K. 14,25 von Jona erzählt, daß der Herr durch seinen Knecht Jona, den Sohn Amittais, den Propheten aus Gath Hepher1) geredet habe, daß Israel wieder seine vollen Grenzen erhalten werde und sein Wort sei in Erfüllung gegangen durch die Siege Jerobeams II., der das Reich Israel bis nach Hamath und bis zum toten Meere ausgedehnt hat. Jona hat also vor den Siegen Jerobeams gelebt und geweissagt, vielleicht noch in der Zeit, als die Syrer Israel schwer bedrängten, ehe Jerobeam zur Regierung kam. Jedenfalls geht er Amos und Hosea voran und war noch nicht wie sie ein Verkündiger des Exils. Er schließt sich wie der Zeit, so auch dem Inhalt seiner Weissagung nach an Elisa an, der noch sterbend dem Vorgänger Jerobeams, Joas, seine Siege über die Syrer geweissagt hat, 2 K. 13,14 ff.

Jonas Sprüche blieben nicht erhalten; er hat sie schwerlich aufgezeichnet. Dagegen wird uns ein Erlebnis, das ihm in seinem prophetischen Berufe widerfahren ist, erzählt, ähnlich wie auch von Elia und Elisa keine Sprüche, sondern nur ihre prophetischen Thaten überliefert wurden. Das Ereignis, das in Jonas Prophetenleben als ganz besonders merkwürdig hervortrat und daß den Mittelpunkt des von ihm handelnden Buches bildet, war dies: Gott hat ihn nach Ninive geschickt. Er mußte nicht bloß Israel, sondern auch den Heiden weissagen, und erst noch den Assyrern, demjenigen Volk, das Israels schlimmster Feind war und ihm das bitterste Elend zugefügt hat. Diese Sendung nach Ninive wird noch besonders bedeutsam dadurch, daß Gott den Propheten zu derselben gewaltsam nötigen mußte, und sodann dadurch, daß der Erfolg derselben die Erhaltung der Stadt war und Gott vom Propheten verlangte, daß er sich hieran freue.

Die Strafe über den widerspenstigen Propheten, der nicht zu den Heiden gehen will. 1.

Gegen die Sendung nach Ninive sträubt sich Jona mit allen Kräften. Lieber gibt er alles hin, nicht nur sein Prophetenamt, sondern auch seinen Anteil an Israel. Er flieht, so weit er kann, übers Meer nach Tarsus ans Ende der Erde. Dadurch hofft er von Gott und seinem Auftrag frei zu sein. Aber Gott läßt ihn nicht ungestraft entrinnen. Der Sturm überfällt das Schiff und die Schiffsleute suchen in ihrer Mitte den, den der Zorn Gottes verfolge. Das Los bezeichnet Jona als den Schuldigen, und er selbst ist gewiß, daß Gottes Hand niemand suche als eben ihn. Er betrachtet sich als dem Tode verfallen und nach seiner Weisung werfen ihn die Schiffer ins Meer.

Die wunderbare Erhaltung des Propheten. 2.

Aber Gott begehrt nicht seinen Tod, sondern erhält ihn, damit er seinen Auftrag ausrichte. Das Werkzeug zu seiner Lebensrettung ist ein Fisch, in dessen Leib er vom Ertrinken gerettet wird. Jona preist mit einem Psalm Gott als seinen Lebensretter, der sein Gebet erhört habe, und der Fisch bringt ihn ans Land. 2)

Jonas Predigt rettet Ninive. 3.

Nun ist der Prophet zum Gehorsam willig und verkündigt Ninive nach Gottes Geheiß den Untergang. Aber die Stadt und der König erschrecken, ein Bußtag wird gehalten; Gott erhört ihr Flehen und die Stadt wird gerettet.

Jonas Zorn und Gottes Erbarmen über die Heiden. 4.

Dieser heilsame Ausgang seiner Predigt erbittert Jona. Es scheint ihm dadurch seine Weissagung vergeblich und seine Prophetenehre vernichtet. Aber sein harter Sinn, mit dem er sich an Ninives Untergang erfreut hätte, wird von Gott beschämt. Eine Staude, die ihm Schatten gab, reut ihn bitter, als sie ihm ein Wurm verdarb. Liegt ihm das rasch verwelkende Gewächs am Herzen, wie sollte nicht die große Stadt mit allen ihren Menschen und Tieren für Gott ein Gegenstand erhaltender Sorge sein?

Gott ist auch der Heiden Gott! das ist der Mittelpunkt des Buchs, worauf sich alle seine Teile beziehen. Dies wird Israel mit strafender Absicht vorgehalten, weil es den Heiden keinen Anteil an der Fürsorge Gottes gönnen will. Jona versagt zuerst das prophetische Wort den Heiden ganz. Was soll das Wort des Herrn bei den Heiden? Er schütte seinen Zorn über sie aus; was bedarf's hier noch der Warnung? Und als er, von Gott genötigt, sie in seinem Namen warnte, da betrachtet er seine Predigt von vornherein als unnütz. Daß sein Wort Glauben fand und die Nineviten mit Beten und Fasten den Herrn anriefen, das alles hat in seinen Augen keinen Wert. Er rechnet in seinen Gedanken nur mit dem Untergang der Stadt. Für die Heiden verlangt er von Gott Zorn und Gericht; seine Gnade ist nur für Israel. So, sagt das Buch, dürft ihr euch nicht zu den Heiden stellen. Vor Gott ist auch das Leben der Heiden wert gehalten. Wie sie ihm gehören, weil er ihr Schöpfer ist, so will er sie auch erhalten, sowie sie von ihrer Bosheit lassen, und auch ihr bußfertiges Gebet erhört er gern. Jona selbst verdankt sein Leben nur der Gnade Gottes, die ihn aus dem wohlverdienten Gericht wunderbar herausgerissen hat. Derselbe Gott waltet auch über Ninive.

So ist die Lehre des Buchs in hohem Maß ein prophetisches Wort mit einem weiten, reichen, verheißungsvollen Horizont. Das Buch durchbricht die Enge, in die Israels fleischlicher Sinn Gott einschränken möchte. Israel darf mit vollem Grunde sagen: Gott ist unser Gott; uns hat er sein Wort gegeben und uns seine Gnade geschenkt. Aber es darf daraus nicht folgern: also kann Gott sonst gegen niemand gütig sein. Es darf nicht sagen: wenn sich Gott nur gegen uns gnädig erzeigt, so mag die ganze übrige Welt zu Grunde gehen. Solche Selbstsucht und Eifersucht hat in der Furcht Gottes keinen Raum. Gott ist größer als Israels enges, eiferndes Herz. Er vermag Israel seine Verheißung zu erfüllen und seinen Bund zu halten und zugleich auch den Heiden seine Güte kund zu thun. Und hieran muß sich Israel freuen und darf nicht über Gottes Barmherzigkeit zürnen, wenn sie auch anderen Völkern widerfährt.

Manche Anzeichen in dem Buche lassen schließen, daß es nicht von Jona selbst geschrieben ist.3) Es wird hinter die Zerstörung Jerusalems zu stellen sein, in die Zeit, da ein großer Teil Israels unter den Heiden lebte. Da bekam die Frage, wie sich Israel gegen die Heiden zu verhalten habe, erst recht ihre Wichtigkeit. Und nun hob der Erzähler des Buchs die Sendung Jonas nach Ninive hervor und machte sie zum Zeichen für Israel, damit es den Heiden mehr als nur Haß und Verachtung widme, weil derselbe Gott mit demselben Erbarmen über beiden steht.

Die Wanderung Jona's in die Heidenstadt macht auf eine Erscheinung aufmerksam, die auch die prophetischen Sprüche deutlich zeigen. Bisher war das, was Israel empfangen hatte, in seinen Grenzen eingeschlossen. Es hatte zu den übrigen Völkern keine Beziehung, außer daß sie mit einander Krieg führten. Es war bisher nur Empfänger der göttlichen Gaben gewesen, hatte aber der Welt noch nichts gegeben. Die Prophetie macht die erste Öffnung in diesen Verschluß. Sie richtet ihr Auge auch auf die Völker ringsum und stellt sie Israel zur Seite. Der Geist der Weissagung wird als der Duell einer großen Liebe wirksam, die die ganze Welt umspannt. Zunächst spricht die Prophetie freilich deshalb zu den Völkern, um sie unter dasselbe Gericht wie Israel zu stellen. Aber auch der Schmerz über ihre Verderbnis und die Warnung vor Gottes Strafen ist ja der Liebe nicht fremd, und alsdann werden sie mit Israel auch derselben göttlichen Berufung und Gnade teilhaft gemacht.

1)
Gath Hepher lag wahrscheinlich in Galiläa etwas nördlicher als Nazareth.
2)
Die Stellung des Psalms könnte auffällig scheinen, da Jona nicht erst am Lande Gott dankt, sondern schon, als ihn der Fisch verschlungen hatte. Aber eben dies hebt die Erzählung als die rettende Fügung Gottes hervor. Durch den Fisch wird Jona vor dem Tod in den Fluten bewahrt.
3)
Die Sprache des Buches hat jüngern Charakter; der Psalm Jonas ist im Anschluß an mehrere Lieder des Psalters gedichtet und von Ninive wird geredet als von einer vergangenen Stadt, 3,3. Weil die Erzählung jedenfalls beträchtlich von der Zeit Jonas entfernt ist, kann die Möglichkeit nicht verneint werden, daß sich aus der Ferne der wunderbare Charakter derselben gesteigert hat, sowohl in Bezug auf die Rettung des Propheten durch den Haifisch, als in Bezug auf die Wirkung seiner Predigt in Ninive. Manche haben die Geschichte als eine frei entworfene, lehrhafte Dichtung betrachtet. Dann wäre die Erhaltung Jonas im Fisch das Spiegelbild der wunderbaren Errettung Israels unter den heidnischen Weltmächten, zu dem Zweck, damit es ein Zeuge und Werkzeug der göttlichen Gnade für alle Völker sei. Solche Urteile gehen wohl im Zweifel an der Geschichtlichkeit des Berichtes zu weit. Thatsachen erzeugen die Erkenntnisse und schaffen die Lehren. Daß das Büchlein so kühn allen jüdischen Eigenruhm durchbricht, wird sich darauf gründen, daß Jona wirklich von Gott nach Ninive geschickt worden ist.
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