Schlatter, Adolf - Einleitung in die Bibel - Das Neue Testament.

Schlatter, Adolf - Einleitung in die Bibel - Das Neue Testament.

Als die Zeit erfüllt war, sandte Gott seinen Sohn, und nun entstand eine neue Gemeinde aus der Schar derjenigen, die in Jesus den „Christus“, den König des Himmelreichs, das Ziel aller Verheißungen und den Mittler aller Gaben Gottes erkannten, und aus der neuen Gemeinde ging eine neue Reihe von heiligen Schriften, ein neues Testament hervor.

Jesus hat die Bibel nicht selbst durch ein neues Buch vermehrt. Er wußte, daß ihm die Werke des Vaters übertragen seien, und achtete es für seinen Beruf, der Welt ewiges Leben zu geben. Hiezu gehörte auch dies, daß er seinen Jüngern als Lehrer diente. Er zeigte ihnen durch sein Wort den Weg zu ihm und in sein Reich. An seinem Wort erkannten sie, was für sie in ihm erschienen war; dadurch waren sie ihm verbunden im Stern und Grunde ihrer Person.

Die Jünger blieben auf demselben Weg und erbauten die Christenheit auf das Wort. Ihre Bibel nahmen sie natürlich mit hinüber aus der Schule in die christliche Gemeinde, und deren Vorlesung bildete überall ein Hauptstück des christlichen Gottesdiensts, in den aus den Heiden gesammelten Gemeinden so gut wie in Jerusalem. Das Neue Dagegen, was ihnen durch Jesus gegeben war, wurde zuerst durch das Wort erhalten und mitgeteilt. So finden wir es überall im Neuen Testament: wo daselbst von der „Schrift“ gesprochen wird, ist an das Alte Testament gedacht.

Allmählich kamen auch christliche Bücher zur bisherigen Bibel und zum lebendigen Wort hinzu. Man hat sich hiebei ohne Künstelei einfach vom Gang der Dinge leiten lassen und den Bedürfnissen gedient, so wie sie in den Gemeinden hervortraten. Deshalb sind die ältesten christlichen Zeugnisse Briefe. Das Missionswerk des Paulus wurde so groß, daß er nicht überall zugegen sein konnte, wo seine Leitung nötig war. Er mußte Briefe schreiben, und zwar solche Briefe, die den ganzen Reichtum der apostolischen Unterweisung in sich hielten. Ähnlich sahen sich später auch die ältern Jünger zu brieflicher Lehrthätigkeit veranlaßt.

Noch in anderer Hinsicht wurde das Verlangen nach Schriften in der Kirche groß. Ihr heiligster Besitz, der Grund, auf dem sie beruhte, bestand in ihren Erinnerungen an Jesus. Man hatte zunächst einander immer wieder von ihm erzählt und so die Hauptzüge seines Lebens allen bekannt gemacht. Allein je mehr die Kirche wuchs und je größer der Zeitraum ward, der sie vom Leben Jesu auf Erden trennte, um so notwendiger wurde es, diese Erinnerungen aufzuzeichnen, damit jedermann in der Gemeinde sicher und zuverlässig wisse, wer denn der Jesus gewesen sei, auf dessen Namen sie ihren Glauben gründeten. So entstanden Evangelien.

Sodann befand sich die Kirche am Ende der apostolischen Zeit innerlich und äußerlich in einer wesentlich andern Lage als bei deren Beginn. Man hatte rasch einen weiten Weg zurückgelegt und wollte und durfte nicht vergessen, wie Gott denselben geleitet habe. Damit es deutlich bleibe, wie die Apostel unter Gottes Führung die Kirche gesammelt und geordnet haben, dazu kam neben den Evangelien auch eine Apostelgeschichte in den Gemeinden in Gebrauch.

Zugleich war der Blick der Christenheit mit lebendiger Hoffnung nach der Zukunft gewandt auf die Vollendung der Werke Gottes und auf die Herrlichkeit seines Reichs. Die Hoffnung wurde zunächst durch die mündliche Weissagung erweckt und genährt, welche in den ersten christlichen Gemeinden sehr lebhaft wieder aufwachte. Es lag jedoch nahe, auch die Weissagung, die ja auf den großen Gang der göttlichen Weltregierung hinblickt, nach dem Vorbild der alten Propheten schriftlich der ganzen Kirche zu übergeben. So hat Johannes seine Weissagung den Gemeinden Kleinasiens in einem Buche übersandt.

Mit dem schlichten ungekünstelten Wachstum des Neuen Testaments hängt zusammen, daß sich alle Schriften desselben an die schon glaubende Gemeinde wenden. Keine ist für Juden oder Heiden bestimmt; alle haben ihre Veranlassung in der Lage und den Aufgaben der ersten Christenheit und setzen des: halb christliche Erkenntnis und Glaube voraus. Darum enthält auch kein neutestamentliches Buch eine absichtliche, vollständige Übersicht über die apostolische Lehre, sondern sie geben alle das Evangelium in bestimmter Begrenzung im Blick auf die besondern Verhältnisse und Anliegen ihrer ersten Leser. Gerade so stellen sie uns den Reichtum der apostolischen Erleuchtung auf's lebendigste vor's Auge.

Als man in der Kirche überhaupt zu schreiben begann, war es jedermann offenkundig, daß sich die Gemeinden überwiegend in den griechischen Ländern sammelten. Deshalb sind alle neutestamentlichen Schriften griechisch, auch diejenigen, die aus der Gemeinde in Jerusalem hervorgegangen sind. Wer hebräisch oder aramäisch geschrieben hätte, hätte nur einen kleinen Bruchteil der Kirche erreicht. So wird auch im sprachlichen Unterschied der beiden Testamente die große Wandlung der Zeit sichtbar: nun waren dem göttlichen Wort die Pforten in die Welt hinaus aufgethan.

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