Riggenbach, Johannes - Der apostolische Glaube nach Geschichte und Bedeutung - III. Prüfung.

Riggenbach, Johannes - Der apostolische Glaube nach Geschichte und Bedeutung - III. Prüfung.

1. Die Höllenfahrt.

Wer eine Festung angreifen will, der sucht den Ort auf, wo er denkt, sie sei am schwächsten verschanzt. Wir wundern uns nicht, wenn die Widersacher des apostolischen Glaubens zum ersten Angriffspunkt vorzüglich gern den Artikel nehmen, der von Jesus aussagt: er sei hinabgefahren zu der Hölle. Ist ja das überdies, wie wir gesehen haben, einer der am letzten in das Symbolum aufgenommenen Aussprüche, und gewiß unter den „ganz krassen und unwahren Sätzen“, worüber wir die siebzehn Berner Pfarrer klagen hörten, der vor allen verpönte. Ja hier können die Reformer auf die geheime oder offene Zustimmung von vielen Nichtreformern zahlen. Scheint es doch eine recht grausige, zurückstoßende Vorstellung zu sein: daß unser Herr und Heiland in die Hölle hinuntergefahren sei. Das ruft den Bildern von Höllenschlund und Flammen sammt Zuthaten von Hörnern und Klauen, von Marterwerkzeugen und Ungethümen, wie die alten Maler sie gräßlich darzustellen pflegten; und dagegen sträuben sich die Kinder unsrer Tage gerade so sehr, als die frühern Geschlechter damit einverstanden waren.

Aber ist denn auch wirklich der Satz descendit ad inferna oder ad inferos so massiv gemeint? Der lateinische Ausdruck bezeichnet das Gleiche, was im Hebräischen Scheol, bei den Griechen Hades heißt, und das ist nicht dasselbe mit Gehenna, dem Feuerpfuhl oder der Hölle im engern Sinn, nämlich dem Ort der Verdammten. Wohl braucht Luther zur Uebersetzung auch von Scheol oder Hades das gleiche Wort Hölle, aber die Ursprache redet an diesen Stellen vom Aufenthaltsort der Todten überhaupt. Es würde somit der Sinn des Artikels im Symbolum vollkommen richtig und weniger mißverständlich wiedergegeben, wenn man statt: hinabgefahren zu der Hölle, sagen würde: hinabgestiegen zu den Todten; und nur im Zusammenhang mit dem folgenden Artikel: am dritten Tage wieder auferstanden von den Todten, würde sich dadurch eine ungeschickte Wiederholung des gleichen Wortes ergeben.

Wie wenig der Wortlaut des Artikels uns nöthigt, an den Feuerpfuhl der Verdammten zu denken, zeigt uns gleich der erste Zeuge für denselben, Rufinus, der in Aquileja Presbyter war. Gerade in Aquileja war der Zusatz üblich; und an Ort und Stelle gibt uns Rufinus zugleich mit dem Artikel auch die Auslegung: er wolle das gleiche sagen was: begraben; das heißt, so verstehen wir ihn: neben dem Loos des Leibes werde dadurch das Loos der abgeschiedenen Seele bezeichnet. Ganz wie es später Zwingli wiederholte: daß Jesus wahrhaft todt gewesen sei, das und nichts weiteres sei in diesem Artikel gemeint.

Das wäre freilich dürftig genug und schwer zu begreifen, wie zu den Ausdrücken: gekreuzigt, gestorben und begraben noch ein vierter wäre hinzugefügt worden, der eigentlich nichts neues sagte. Es drängt uns doch anzunehmen, daß der Satz gehaltreicher gemeint war. Fuhr Jesus nach seinem Sterben zu den Todten, so möchten wir erfahren: was that er daselbst? was war sein Werk? Darauf deutet schon Tertullian und nach ihm Rufinus die Antwort an, die sodann in einer apokryphischen Schrift, in dem später sogenannten Evangelium Nicodemi, eine fantasiereiche Ausmahlung findet: er führte das Gericht zum Siege, Tod und Hölle bebten vor ihm, als er erschien und die Frommen des alten Bundes oder auch weiter die Frommen der Vorzeit überhaupt aus ihren Banden erlöste. Eine Spur davon möchte jener Bericht des Matthäus (27, 52. 53) enthalten, von den auferweckten Heiligen, die nach Christi Auferstehung Vielen erschienen. Diese Lehre, vielfach ausgeschmückt, ward in der katholischen Kirche die herrschende; sie wird zum Theil noch von Luther wiederholt, der freilich in diesem Stück sehr schwankend lehrte; ebenso von Melanchthon, von Urbanus Regius und auch von Bullinger (Güder, die Lehre von der Erscheinung Jesu Christi unter den Todten, S. 232. 233. 251). Aber die herrschende Kirchenlehre sowohl der Lutheraner als der Reformierten schlug andere Bahnen ein. Gemeinsam war Beiden, daß sie nicht nur das Fegfeuer, sondern bald auch jeden Zwischenort zwischen Himmel und Hölle verwarfen, und auch für die Zeit des alten Bundes statt eines allgemeinen Todtenreiches nur den Himmel für die Gläubigen, die Hölle für die Verlornen gelten ließen. Da nun aber der Artikel von der Höllenfahrt im Glaubensbekenntniß stund, so mußte man dafür irgend ein Verständniß suchen. Die mannigfachsten Deutungsversuche begegnen uns nicht nur bei Luther selbst, sondern auch in der nach ihm genannten Kirche. Die jüngste Bekenntnißschrift derselben, nämlich die Concordienformel (IX) zeigt deutlich diese Rathlosigkeit. Es frage sich, ob hier ein Vorgang gemeint sei, der vor oder nach dem Tode Jesu stattgefunden habe? ob Jesus nur nach seiner Gottheit oder als Gott und Mensch, ob nur mit der Seele, oder mit Leib und Seele hinuntergefahren sei? ob dieß noch zu seinem Leiden oder bereits zum Sieg gehöre? Doch solle man darüber keine unnützen Fragen der Neugier auswerfen, sondern genug daran haben, daß Christus für alle Gläubigen die Hölle zerstört habe. Es überwiegt indessen die Begünstigung der Lehrart, die später bei den Lutheranern die herrschende wurde: Christus als Gott und Mensch, nach Seele und verklärtem Leibe, sei zur Hölle im strengen Sinn, also in den Ort der Verdammten herabgefahren, um über den Teufel zu triumphieren. Heiße es doch Col. 2,15: Er hat ausgezogen die Fürstentümer und die Gewaltigen und sie Schau getragen öffentlich und einen Triumph aus ihnen gemacht. Das lesen wir freilich; aber kein Wort davon, daß Christus an Ort und Stelle diesen Triumph gefeiert habe; sondern nur allgemein auf eine Siegesfrucht des Todes Christi führt uns der Zusammenhang.

Die reformierte Lehre, im Aufgeben des Hades mit der lutherischen einig, aber einem so dramatischen Fantasiebild abgeneigt, nahm eine andere Wendung. Was Calvin schon im Genfer Katechimus gelehrt hatte, drang auch in den Heidelberger ein (Fr. 44), daß man die Höllenfahrt bildlich deutete und darin die unaussprechliche Angst, Schmerzen und Schrecken erblickte, die der Heiland auch an seiner Seele, am Kreuz und zuvor erlitten habe. Da war aus der Höllenfahrt die Höllenangst in Gethsemane und auf Golgotha geworden; solche sei nöthig gewesen zum vollen Verdienste seines versöhnenden Leidens. Es ist darin, von einer grausigen Uebertreibung abgesehen, eine große Wahrheit enthalten: das gehorsam getragene Seelenleiden Christi ist größer und wichtiger als die Leibesqual, und ist ein heiliges Geheimniß, das wir nicht ausschöpfen. Aber der Artikel von der Höllenfahrt, erst nach der Erwähnung von Tod und Begräbniß kommend, redet von etwas ganz anderem, das im Grund aufgegeben ist.

So sehen wir ja freilich, daß in Betreff dieses Artikels sowohl Lutheraner als Reformierte ziemlich unsicher sind. Man hat ihn auch immer als ein Lehrstück von untergeordneter Wichtigkeit behandelt. Aber allerdings, die Ermahnung der Concordienformel stellt uns eine Zumuthung, der sich heute die wenigsten unterwerfen möchten: wir sollen genug daran haben, daß Christus für alle Gläubigen die Hölle zerstört, und sollen nicht fragen, wie das geschehen sei; das werden wir in der andern Welt einsehen, unterdessen aber sollen wir beim einfältigen Christenglauben bleiben. Gewiß, wer gewürdiget sein wird, zu der Seligkeit zu kommen, da wir erkennen, wie wir erkannt sind, dem wird über manches Dunkel ein Licht aufgehen. Aber der Artikel heißt ja nicht bloß: Christus hat die Hölle zerstört, sondern: Christus ist hinabgefahren in die Hölle oder zu den Todten; da drängt sich doch nothwendig die Frage auf: wie ist das zu verstehen? und weist man uns an, beim einfältigen Christenglauben zu bleiben, so müssen wir verlangen zu wissen: ob und in welchem Sinne denn dieser Artikel zum Christenglauben gehöre? mit andern Worten: ob und in welchem Sinn er schriftgemäß sei?

Da steht es nun freilich so, daß mehr als eine Stelle der Schrift, in welcher man früher die Höllenfahrt fand, durchaus nichts von derselben aussagt. So mußten wir schon über Col. 2, 15 urtheilen. Dasselbe gilt nach dem Urtheil der besten Ausleger von Eph. 4, 9. Hier wird nämlich aus einem Psalmwort, das vom Hinauffahren des Herrn redet, in sehr freier Anwendung gefolgert, daß nur der hinauffahre, der zuvor sei hinuntergefahren, wie Luther übersetztem die untersten Oerter der Erde. Genauer müßte es lauten, wenn die Höllenfahrt sollte gemeint sein: in die Theile (der Welt), die tiefer unten als die Erde sind; und diese Uebersetzung wäre nicht von vornherein unmöglich. Doch genauer angesehen stimmt sie weder zu dem Psalmwort, noch im Brief des Apostels zum Zusammenhang. Der Herr, der seiner Gemeinde Gaben gibt (V. 7 u. 11), ist kein anderer als Christus, der das Gefängniß gefangen, alle Feindesmacht überwunden hat, und nachdem er auf Erden gekommen, erhöht ist zu einer Herrlichkeit über alle Himmel. So verstehen wir den Ausdruck, auf den es hier ankommt, von den Niederungen der Erde gegenüber dem Himmel; eine Deutung, deren Richtigkeit von Seite der Sprache nicht anzufechten ist (vergl. Harleß, Meyer n. Güder S. 83 ff. Doch hat noch neuerlich Herm. Müller in der Zeitschr. für luth. Theol. u. Kirche 1871, S. 619 für die Beziehung auf die Höllenfahrt nicht unerhebliche Gründe beigebracht).

Nichts Gewisseres ist für die Höllenfahrt aus dem Wort Matth. 12, 40 zu gewinnen: daß des Menschen Sohn werde drei Tage und Nächte im Herzen der Erde sein. Manche meinen wohl: im Herzen der Erde, das lasse merken, daß von einem tiefern Innern als nur vom Grabe die Rede sei. Wir werden aber Güder nach den Beispielen, die er beibringt (S. 17 f.), Recht geben müssen, daß solches keineswegs unbestreitbar sei.

Etwas mehr ist aus Röm. 10, 7 zu folgern. Wir haben hier die kühne Freiheit, mit welcher der Apostel das alttestamentliche Schriftwort anwendet, nicht weiter zu erörtern. Genug, daß er gesagt hat: Sprich nicht in deinem Herzen: wer will hinauf in den Himmel fahren? das ist Christum heranholen; und dann fortfährt: oder wer will hinab in die Tiefe fahren? das ist Christum von den Todten heraufholen. Warum denn wehrt er so zu sprechen? weil wir weder brauchen noch vermöchten ihn herunter oder heraufzuholen; er aber ist von selber zuerst herabgekommen, und dann aus der Tiefe, aus dem Abgrund herauf. Der Ausdruck ist hier der gleiche, der sonst zur Bezeichnung der eigentlichen Hölle dient (Offb. 9,1 u. s. w.); diesmal aber scheint er vom Todtenreich überhaupt gebraucht zu sein. Also merken läßt sich, daß der Apostel so nicht geschrieben hatte, wenn er an keinerlei Höllenfahrt dächte. Geradezu gelehrt hat er sie auch hier nicht.

Hingegen aus des Petrus Pfingstrede Apg. 2, 27. 31 konnte sie nur durch eine künstliche Auslegung weggeschafft werden. Der Apostel wendet hier auf Christum ein Wort des 16. Psalms an, von welchem manche behaupten, es spreche ursprünglich nur die Zuversicht aus, daß der Herr den Sänger jetzt noch nicht werde dem Todtenreich zum Raub werden lassen; während andre dafür halten, schon dort seien Züge, die höher hinauf zielen; die Lebenszuversicht: der Herr ist mein Theil, verbunden mit der Hoffnung: auch mein Fleisch wird sicher liegen, du lehrest mich den Weg des Lebens, liebliches Wesen ist zu deiner Rechten ewiglich, das alles reiche weiter als nur auf eine Rettung aus der augenblicklichen Gefahr. Doch wie dem auch sei: der Apostel in seiner Anwendung auf Jesum versteht das Wort als eine Verheißung, daß der, welcher wirklich gestorben, dessen Seele somit in die Gewalt des Hades dahin gegeben war, wie die Seele eines andern Todten, in dieser Gewalt nicht bleibend gelassen werde; und diese Verheißung sieht er an Ostern erfüllt. Zwischen dem Sterben somit und der Auferstehung war die Seele Christi am Ort der Todten gewesen; das lernen wir hier als den Glauben des Apostels kennen.

Von diesem Ort der Todten redet Jesus selbst mit einem andern Ausdruck. Wir denken an das herrliche Trostwort, mit welchem er den bußfertigen Schächer tröstete: Heute wirst du mit mir im Paradiese sein (Luk. 23, 43). Vielleicht fragt mancher Leser verwundert: was dieser Ausspruch mit der Höllenfahrt zu schaffen habe, und wundert sich noch stärker, wenn wir ihm antworten: er bezieht sich freilich darauf, denn dieses Paradies ist in der Hölle. So ist es aber in der That, nur müssen wir die Hölle im weitern Sinn vom Aufenthaltsort der Todten überhaupt verstehen, und ferner darauf verzichten, das Paradies ohne weiters für einerlei mit dem Himmel zu nehmen. Paulus freilich redet unzweifelhaft in jener Beschreibung seiner Verzückung (2 Cor. 12, 4) vom obern, himmlischen Paradiese. Der Name aber, wie er vom ersten Wohnort voll ungetrübten Friedens herkommt, läßt sich in verschiedener Weise auf eine Stätte der Ruhe und Seligkeit übertragen, sei es auch einstweilen nur einer vorläufigen, unvollkommenen. Aus jüdischen Schriften wissen wir, daß zu der Zeit des Herrn im Reich der Todten unterschieden wurde zwischen einem Ort der Qual und einem Ort der einstweiligen Ruhe und Beseligung. So thut auch Jesus selber im Gleichniß von Lazarus. Die Stätte des Friedens, wohin der Dulder kommt, wird dort als Abrahams Schooß bezeichnet. Das Gleiche ist unter dem Paradies verstanden, das Jesus dem Schacher zuspricht. Es genügt nicht, den einzigen Nachdruck auf den Trost zu legen: Du wirst bei mir sein. Er sagt ihm auch wo: im Paradiese; und wann: schon heute; also vor der Auferstehung am dritten Tage.

Wir kommen endlich zu der Stelle, die Vielen für die entscheidende gilt, deren Auslegung freilich am allermeisten noch streitig ist: 1 Petr. 3, 19 f. in Verbindung mit 4, 6.

Der ersten Stelle geht das Wort voran (wir übersetzen möglichst wörtlich): Christus hat einmal für die Sünder gelitten, als Gerechter für Ungerechte, auf daß er uns Gott zuführte; getödtet zwar im Fleisch, aber lebendig gemacht im Geist, und nun heißt es weiter: in welchem er auch den im Gefängniß befindlichen Geistern hingegangen predigte, nachdem sie einst ungehorsam gewesen, als die Langmuth Gottes wartete in den Tagen Noahs, während die Arche bereitet wurde. Was für ein Verkünden Jesu beigelegt werde, das ist nicht gesagt. Hingegen scheint es in dem genannten Vers des nächsten Kapitels nachgebracht zu werden, wo der Apostel sagt: Denn dazu ward auch Todten das Evangelium gepredigt, damit sie zwar gerichtet würden nach den Menschen im Fleisch, aber lebten nach Gott im Geiste. Also das Evangelium scheint es, wurde auch Todten gepredigt; den ungläubigen Zeitgenossen des Noah insonderheit, sagt uns die erste Stelle. Das that Jesus, als er hingieng zu den Geistern im Gefängniß. Daraus ziehen manche, nur allzu voreilig und unvorsichtig, weitgehende Folgerungen für eine Heilsanstalt, eine Art fortgehender Missionspredigt im jenseitigen Leben, wozu doch die Petrusstellen, die nur von dem reden, was einmal geschehen sei, uns gar nicht ohne weiteres berechtigen.

Wird doch die ganze Deutung dieser Stellen auf die Höllenfahrt, wie schon früher von Augustin, Beza, dem Lutheraner Joh. Gerhard, dem Genfer Franz Turretin, so neuerdings (1868) von Alex. Schweizer angefochten. Die Schwierigkeiten, welche die erste der beiden Stellen für jeden Ausleger hat, bilden den Ausgangspunkt seiner Kritik; doch muß auch er es stehen lassen, daß uns jedenfalls hier in mehr als einem Stück Ungewöhnliches vorliegt; so die Bezeichnung gestorbener Menschen als Geister, und ihres Aufenthaltsorts als eines Gefängnisses (ähnlich wie Offb. 20, 7). Den Hauptangriff aber führt er von dem Grundgedanken aus, der im Zusammenhang der Stelle sich darbiete. Der Apostel wolle ja den Christen zur Ermahnung vorhalten, wie sich die erbarmende, Rettung versuchende Liebe sogar der Unwürdigsten annehme; so vor allem in seinem Sterben am Kreuz, so auch in dem, was er im Geiste hingehend gethan. Dazu würde aber übel passen eine Predigt an Geister, die schon im Gefängniß wären, und gar an solche Verächter der Langmuth, deren Schuld so geflissentlich hervorgehoben werde, und vollends eine Predigt, die sich auf diese Frevler beschränkte, denn nur von einer Predigt an Noahs Zeitgenossen sei ja die Rede. Diese seien vielmehr als unrettbar verloren zu denken, und ihnen im Gefängniß zu predigen eine vergebliche Sache, man wollte denn mit den lutherischen Auslegern an eine richtende Verkündigung der Verdammniß denken; das aber wäre kein Beispiel der rettenden Liebe, und stünde (von Kap. 4, 6 noch zu schweigen) im Widerspruch mit dem Gebrauch des Wortes: predigen, das so wie hier angewendet (Mark. 1, 38; 3, 14) immer von der Verkündigung des Reiches Christi zum Heil der Seelen zu verstehen sei.

Diese Schwierigkeiten alle seien gehoben, sobald wir das Hingehen Christi im Geist als ein Hingehen Christi vor seiner Menschwerdung verstehen; da habe er hingehend gepredigt, als sie einst sich ungläubig zeigten in Noahs Tagen (S. 29 der Schrift von Schweizer). Nun ist ja freilich nicht zu bestreiten, daß sich allenfalls für den Gedanken einige Stellen zur Vergleichung darbieten. Wie 1 Cor. 10, 4 Christus bezeichnet wird als der geistliche Fels (Jehova), der die Israeliten durch die Wüste begleitete und tränkte; oder wie 1 Petri 1, 11 vom Geiste Christi gesagt wird, daß er es war, der schon die Propheten erleuchtete; so wäre es ja möglich, daß ihm auch eine Wirksamkeit schon zu Noahs Zeiten beigelegt würde. Nämlich im Allgemeinen wäre das möglich; im Zusammenhang unserer Stelle aber ist es wahrhaftig unmöglich. Sehen wir nur, wie gewaltsam der Text verrenkt wird. Wie sollen wir auf einmal zwischen Tod und Auferstehung Christi diesen Rücksprung über Jahrtausende machen, auf welchen kein Wort uns vorbereitet hat, welchem vielmehr alles widerspricht! Denn die Umschreibung: in welchem (Geiste) er auch schon hingegangen war (S. 33) ist eben nicht minder willkürlich, als die Näherbestimmung, daß er den jetzt im Gefängniß befindlichen Geistern gepredigt habe, als sie einst nicht gehorchten. Von dem im Geist lebendig gemachten Christus heißt es, daß er hingieng zu den Geistern, wie er nachher hingieng in den Himmel und sitzt zur Rechten Gottes (V. 22). Und auch die Übersetzung: als sie einst sich ungläubig zeigten, gleichzeitig mit dem Predigen, verstößt wider die Sprache; vielmehr können die Worte nur heißen: nachdem sie einst sich ungläubig erwiesen (das ist trefflich erörtert von Herm. Müller in der Zeitschrift für Luth. Theologie und Kirche, 1870, S. 481). Schweizer wird nicht müde, von der Schwerfälligkeit des Styles Petri zu reden; wir aber haben in diesem Fall wohl ein Recht, die größere Schuld dem Ausleger des Apostels beizumessen.

Versuchen wir unser Verständniß der Stelle in Kurzem zu entwickeln. Christus habe gelitten, heißt es, getödtet im Fleisch, aber lebendig gemacht im Geist. Das nehmen wir so: wie Jesus nach seiner ganzen Person im Fleisch, das er von uns hatte, und vermöge desselben den Tod erlitt, so wurde wiederum Jesus nach seiner ganzen Person im Geist, den er von Gott hatte, und vermöge desselben lebendig gemacht; also ähnlich wie wir 2 Cor. 13, 4 lesen: er wurde gekreuzigt nach der Schwachheit, aber er lebt nach der Kraft Gottes. Ohne Beweis wäre es, wollten wir verstehen: er ist lebendig erhalten im Geiste; lebendig gemacht, das schließt den Auferstehungsleib in sich. Sodann heißt es weiter: in welchem, in diesem Geiste nämlich, in dem er lebendig gemacht wurde, gieng er auch hin und predigte den Geistern im Gefängniß. Nachdem seine Seele wie diejenige der Todten überhaupt in den Hades gekommen (Apg. 2), oder in das Paradies (Luk. 23), war es der erste Akt des Lebendiggemachten, noch vor der Auferstehung: zu den Geistern im Gefängniß hinzugehen.

Diese werden nun in einer Weise geschildert, die recht stark an ihre Verschuldung erinnert. Es ist von einem Geschlecht die Rede, das 2 Petri 2, 5 als eine Welt von Gottlosen bezeichnet wird; und sogar diesen predigte er, natürlich sich selbst als ihren König und sein Reich als das einzige Heil auch für sie. Selbst diesen Verstockten der alten Zeit ward dies noch angeboten; ob auch unter ihnen noch etliche wären, mehr hingerissen vom Strom, als selbst entschieden zur äußersten Verhärtung, also noch bekehrungsfähig, wenn die volle Gnade sie suchte; ganz wie Jesus von Sodom sagte, es werde ihm erträglicher als Kapernaum gehen, denn hätten die Leute von Sodom seine Thaten gesehen, sie hätten Buße gethan (Matth. 11, 23. 24). Nicht davon ist die Rede, daß die Predigt jedenfalls diesen Erfolg gehabt; man klagt sogar darüber, daß keine Silbe von Wirkung der Predigt spreche. Das ist nicht völlig wahr, sobald wir nur nicht verschmähen, Kap. 4, 6 damit zu verbinden. Ist aber auch eine zwiefache Wirkung denkbar, so paßt beides wohl in den Zusammenhang. Denn es ist einseitig, wenn man nichts als ein Beispiel der barmherzigen rettenden Liebe in jener Predigt sieht; das ist wohl das Eine, was wir daraus abnehmen sollen: bis zu diesem Aeußersten trieb er sein Erbarmen sogar gegen die schlimmsten Gottlosen; aber das andre gehört auch dazu, daß Petrus die Zuversicht der Leser stärken will: fürchtet euch nicht vor ihrem Trotzen (V. 14); der Herr kann euch erretten, und wenn ihr den Feinden gegenüber noch so wenige wäret, wie damals nur acht Seelen der Sündfluth entrannen.

Was am meisten ein Räthsel bleibt, das noch nicht ganz aufgehellt ist, das ist die Beschränkung jener Predigt auf Noahs Zeitgenossen. Man mag darüber verschiedene Vermutungen aufstellen. Man kann sagen: das Ende jener alten Welt und das Gericht über dieselbe stehe dem Apostel vor der Seele als Gegenbild zur letzten Zeit und dem Gericht, an dessen Nähe er glaubte. Man kann hinzunehmen, daß die Vergleichung der Fluth mit der Taufe seine Gedanken leiten half. Aber etwas Unverständliches bliebe doch in jener Beschränkung, wenn dieselbe als eine ausschließliche müßte verstanden werden. Allein das muß sie nicht einmal. Das Wörtlein auch in dem Satze: in welchem er auch den Geistern im Gefängniß predigte, von verschiedenen verschieden bezogen, läßt sich als eine Steigerung verstehen: der sogar solchen predigte. Damit ist nicht gesagt, daß er's Andern nicht auch that. Kap. 4, 6 verallgemeinert vollends die Rede.

Freilich auch an diesem Vers haftet mehr als Eine Schwierigkeit. Das ist noch die geringere, daß von Todten die Rede ist ohne den Artikel; es könnten dennoch die Todten überhaupt gemeint sein, wie im Satz vorher. Aber es ist auch nicht einmal nöthig. Das Evangelium gelangte nicht nur an Lebendige, sondern auch an Todte, das will er sagen; und zwar will er damit beweisen, daß er mit vollem Recht Christum als den Nichter über Lebendige und Todte bezeichnet habe (V. 5). Denn dazu wurde auch Todten das Evangelium verkündigt, daß auch an ihnen nichts versäumt sei, wenn sie vor sein Gericht kommen müssen. Da steht nun aber die größere Schwierigkeit darin, wie vom Gericht als einem noch künftigen geredet wird: auf daß sie gerichtet würden nach her Art, wie das Gericht über Menschen ergeht, im Fleisch, aber lebten nach der Weise Gottes im Geist. Nimmt man das Eintreten des Todes, der ja der Sünde Sold ist, als das Gericht, von dem der Apostel redet, so ist dieß schon da, sobald sie todt sind. Dann müßte den jetzt Todten gepredigt worden sein, da sie noch lebendig waren. Aber jene Beschränkung des Gerichts auf den Augenblick, da der leibliche Tod eintritt, ist weder nöthig noch richtig. Es steht ja allen, Lebendigen und Todten, ein Erscheinen vor dem Richterstuhl Christi noch bevor, und davon ist hier die Rede. Den entgegengesetzten Schein bewirkt einzig das Wort Fleisch. Von diesem und vom Geist wird ähnlich wie in Kap. 3, 18 im Gegensatz geredet; und so verstehen wir ähnlich wie dort: die Todten empfiengen das Evangelium, damit sie in dem, was von Fleisch in ihnen ist, gerichtet würden (einmal, das drückt die Zeitform aus); wenn das Fleisch in ihnen die Herrschaft behauptet, so werden sie im Fleisch verdammt werden; dagegen sollen sie im Geiste (bleibend) leben, wenn er in ihnen Herr geworden ist.

Wir meinen nicht, mit diesen kurzen Winken seien alle Schwierigkeiten erledigt, die so vielen Auslegern Noth gemacht haben; aber den Eindruck sollten doch aufmerksame Leser empfangen haben, daß wir möglichst ungezwungen das Schriftwort auszulegen versuchten. Trotzdem wollen wir sogar den Fall setzen, daß wir mit unfrei Deutung der Petristellen im Unrecht wären und Schweizer im Recht: dennoch müßten wir den Titel rügen, den er seinem Schriftlein vorgesetzt hat: „Hinabgefahren zu der Hölle als Mythus ohne biblische Begründung durch Auslegung der Stelle 1 Petri 3, 17-22 nachgewiesen.“ Er wußte wohl, wenn er diesen einen Artikel des Symbolums als Mythus bezeichnete, daß es sich nicht darum handeln konnte, nur diesen einen später hinzugefügten Satz zu beseitigen und etwa zur altrömischen Formel (s. oben S. 17) zurückzukehren. Wie die Sache im Kanton Zürich stund, wußte er, daß er einen Stoß gegen Bestand und Geltung des ganzen apostolischen Symbolums führte. Um so ernstlicher fragt es sich: wäre wirklich die Höllenfahrt Christi als Mythus erwiesen, wenn Schweizers Auslegung der Petristelle richtig wäre? Ruht in der That der Artikel auf dieser einzigen Schriftstelle (Schw. 21)? Gilt denn Apostg. 2 nichts mehr und Luc. 23 ebenso wenig, oder höchstens in unbestimmter Umdeutung? Ja wenn wir nur mit dem Wenigen Ernst machen, was Schweizer (S. 39) übrig läßt: daß auch Christus, so lange er todt war, irgendwie als im Todtenreich befindlich gedacht wurde, ist nicht auch dies noch „irgendwie“ eine Höllenfahrt? Für die Höllenfahrt in irgend welchem Verstande hat nur derjenige keinen Raum, der auch keine Auferstehung Christi bekennt. Anstatt dieser hat er dann höchstens einen Vorgang in den Jüngern, wodurch sie zur Gewißheit kamen, daß Jesus lebe.

Wer aber bei dem unzweifelhaft apostolischen Artikel bleibt: am dritten Tag auferstanden von den Todten (1 Cor. 15), der kann auch nichts Triftiges einwenden gegen den Artikel, wie ihn zum Beispiel die hiesige Bearbeitung des Heidelberger Katechismus auslegt: daß Jesus wahrhaftig gestorben und daß seine Seele an den Ort der Todten gekommen ist, wiewohl es unmöglich war, daß er sollte vom Tode gehalten werden; mit den Stellen Luk. 23, 43; 1 Petri 3,19; Apg. 2, 24. 31. Man muß sich dann freilich entschließen, von der protestantischen Kirchenlehre, die nur Himmel und Hölle kennt, zur biblischen zurückzukehren, das heißt nicht etwa ein Fegefeuer, wohl aber einen Wohnort anzunehmen, der wie er die vorchristlichen Todten empfieng, so auch diejenigen aufnimmt, die jenen gleichstehen, das will sagen: die zur eigenen Entscheidung für oder wider das Heil in Christo noch keine Gelegenheit hatten. So gibt sich der Artikel, ohne einer falschen Vertröstung Vorschub zu leisten, als ein wahrhaft trostvoller zu erkennen.

Wenn aber auch der Artikel sich biblisch rechtfertigen läßt, sollte man nicht wenigstens den Anstoß vermeiden, der in der Uebersetzung liegt? Wir haben bereits erinnert, daß die Uebertragung: hinabgefahren zu den Todten, ganz richtig wäre, nur ungeschickt in Verbindung mit dem folgenden Artikel. Man müßte etwa sagen: hinabgefahren zu denen, die drunten sind. Aber was wäre damit gewonnen? Vielleicht ein neuer Anstoß. Am Artikel, wie er lautet, würden die Leute sich weniger stoßen, wenn die Theologen, statt ihn für mythisch zu erklären, einträchtig und in treuer Geduld das Volk über den richtigen Sinn belehrten. Ueberhaupt sollen wir ja nicht meinen, es könne uns je gelingen, alles wegzuräumen, woran man etwa könnte Anstoß nehmen. Wir dürfen auch nicht vergessen, daß wenn das Glätten und Schwächen und Wegräumen immer weiter geht, der gerechteste Anstoß am Ende daran müßte genommen werden, daß nichts mehr übrig bliebe, woran die Welt sich stoßen könnte. Das Evangelium muß auch ein Geruch des Todes zum Tode sein, soll es nicht seine Kraft verlieren, sich als ein Geruch des Lebens zum Leben zu erweisen.

2. Die allgemeine Kirche, eine Gemeinschaft der Heiligen.

Nächst dem Artikel von der Höllenfahrt gehören zu den Bestandtheilen, die am letzten in das Symbolum aufgenommen wurden, zuerst in Südgallien, endlich auch in Rom, zwei Zusätze zum Artikel von der Kirche; einmal nämlich das Beiwort catholica, die allgemeine; sodann die Erweiterung durch die Worte sanctorum communio, eine Gemeinschaft der Heiligen. Weil auch diese Hinzufügungen so spät auftreten, nur darum reden wir schon hier davon; nicht daß sie ebenso sehr wie der Artikel von der Höllenfahrt angefochten würden. Denn wirklich geschieht es mehr vereinzelt, daß man etwa versucht, unverständige Protestanten oder auch reizbare Separatisten gegen das Bekenntniß einzunehmen mit dem Vorhalt: hier sei doch der katholische Charakter desselben handgreiflich.

Ja, die Kirche heißt die katholische, das ist: die allgemeine; wie Petrus verkündigt: daß in keinem Andern Heil sei, auch kein andrer Name unter dem Himmel den Menschen gegeben, darinnen wir sollen selig werden, als der Name Jesu Christi allein (Apg. 4,12); und wie Paulus daraus für alle, die au diesem einen Haupte hangen, die Folgerung zieht, daß auch sie eine große lebendige Einheit bilden, und berufen seien zu halten die Einigkeit im Geist durch das Band des Friedens; Ein Leib und Ein Geist, wie wir auch berufen seien auf einerlei Hoffnung unseres Berufs; Ein Herr, Ein Glaube, Eine Taufe, Ein Gott und Vater über alle, durch alle und in allen (Eph. 4, 3-6).

Die Apostel halten eben mehr als manche Söhne unsrer Tage auf die Einheit und Einigkeit, die über alle Spaltungen des Eigenwillens und der besondern Meinungen triumphiert. Wer schon etwas von der Freude empfunden hat, in Zeiten und Ländern, wo man nicht daran dachte, Brüder zu entdecken, die mit uns in der gleichen göttlichen Wahrheit verbunden sind, dem wird das Wörtlein: die allgemeine Kirche - ein theures Gut. Wir können uns desselben um so hingebender freuen, als hier die Einheit nach ihrem tiefsten Wesen etwas ganz anderes ist als die despotische Unterjochung unter einen Menschenwillen oder der Zwang einer bloß menschlichen Satzung. Es ist eine Einigkeit im Geist, eine Vereinigung unter dem Sohn, dem zu gehorchen uns freimacht, eine lebendige Einheit, die im Zusammenfassen mannigfaltiger Glieder und Gaben besteht. Nicht verwischt oder gar verschlungen werden hier die eigenthümlichen Vorzüge der Einzelnen und der Völker, sondern je reicher entwickelt, wenn nur die Liebe sie zum Dienste des Ganzen heiligt, desto besser erfüllen die Gaben ihre Aufgaben.

Schon der alte Menenius Agrippa wußte den unzufriedenen Plebejern vorzurechnen, wie thöricht die Glieder handeln würden, die dem Magen, der alle speise, wollten den Gehorsam aufkünden (Liv. 2, 32). So machte er ihnen anschaulich, daß bei der Wohlfahrt der res publica, ein jeder seine Rechnung finde. Wie viel edler ist aber die Ausführung des Apostels 1. Cor. 12 und 13, wo er das Wesen der Gemeinde Christi schildert! welches höhere Ziel des Lebens, welches viel schönere Band der Einigkeit weiß er hier den Gläubigen vorzuhalten! Und wenn er anderwärts in hochbedeutsamer Rede (Röm. 11, 29) ausspricht: daß Gottes Gaben und Berufung ihn nicht gereuen, so meint er nach dem Zusammenhang noch über die Ausrüstung der Einzelnen hinaus die Gnadengaben, welche die Völker auszeichnen; auch diese sind berufen, zum Gedeihen der einen katholischen, das ist allgemeinen Kirche zusammenzuwirken.

Unstreitig gibt es freilich eine Neigung, die wieder und wiederkehrt, diese hohe Wahrheit zu verfälschen. Immer von neuem möchte der Mensch die Vollendung vorwegnehmen, über die noch vorhandenen Gebrechen sich selber täuschen, zu einer gerade jetzt vorliegenden Form der Kirche die Widerstrebenden zwingen. „Es gibt nur Eine Wahrheit, und an dieser hängt die Seligkeit,“ dieser große Gedanke kann für die edelsten Geister zur Verführung werden. So mißbrauchte Augustin das Wort aus jenem Gleichniß vom Gastmahl: Nöthige sie hereinzukommen (Luk. 14, 23) zur Rechtfertigung des Zwangs gegen die donatistischen Separierten. Wie wenig der Herr an solches Gewaltbrauchen dachte, kann schon das Eine zeigen, daß doch sicher, wenn überhaupt von Zwang die Rede wäre, vor allem die zuerst eingeladenen Gäste gezwungen würden. Aber nichts von dem; sondern ein Nöthigen meint er durch dringendes Zureden, welches den Erschrockenen Muth macht. Es war ein unseliger Mißgriff, den Augustin begieng, es war namentlich auch ein folgenschweres Beispiel. Nicht besser ist es, in irgend einer geschichtlichen Gestalt der Kirche nach Lehre und Bekenntniß, nach Verfassung und Regiment schon die völlige Verwirklichung der Gemeinde Jesu Christi zu sehen, vollends ihre Geltung gewaltsam erzwingen zu wollen.

Jesus allein darf sagen: wer nicht mit mir ist, der ist wider mich (Luk. 11, 23). Wo hingegen Menschen, und wären es die höchsten Apostel, sich mit ihm zusammenfassen und meinen: wer zu Jesu gehöre, müsse nothwenig auch zu ihnen halten, und wollens dem wehren, der seine eigenen Wege geht; da lautet das Urtheil, so wenig auch Jesus den Sonderling rühmt: ihr sollt ihm sein Thun in meinem Namen nicht wehren, denn wer nicht wider uns ist, der ist für uns, oder noch deutlicher nach der bessern Lesart: wer nicht wider euch ist, der ist für euch (Luk. 9, 50). Mußten sich dies die Apostel gesagt sein lassen, wie dürfte die Kirche irgend einer spätern Zeit sich in Bausch und Bogen mit dem Herrn Christo selbst für einerlei erklären? So große Schätze der Wahrheit ihr anvertraut sind, die besondere Gabe des einen Volkes, der bestimmten Zeit, der einzelnen Führer ist doch nicht das Ein und Alles für immer und ewig; und niemals wird es völlig einerlei: zu dieser bestimmten Kirche gehören und zu Christo gehören. Die Kirche ist keine seligmachende, sondern eine seliggemachte, und darum auch eine katholische nur erst im Werden, nicht schon in der erreichten Vollendung.

Es ist allezeit vom Uebel, wenn die Christenheit sich überhebt, als wäre sie schon satt und herrlich (1 Cor. 4, 8). Hingegen als Mahnung an das Ziel, das vor uns liegt, daß Eine Heerde unter dem Einen Hirten werde (Joh. 10, 16), ist das Beiwort: die allgemeine Kirche - hoch zu halten. Wie der edle Separierte, der kein Seltner war, Gerhard Tersteegen sich ausspricht, das ist der Ausdruck für die Gesinnung eines solchen echt katholischen Christen: „Mein Sinn oder Religion ist diese, daß ich als ein durch Christi Blut mit Gott Versöhnter mich in täglichem Leiden, Sterben und Beten durch den Geist Christi herausführen lasse aus mir selbst und allem Geschaffenen, um Gott allein zu leben in Christo Jesu und durch seine Barmherzigkeit die Seligkeit zu erlangen. Mit allen, die also gesinnt sind, habe ich einerlei Religion.“ Aber dieses Einssein in der Hauptsache läßt den Spielraum offen für die Mannigfaltigkeit der Gaben. Ihr Reichthum darf nicht auf das enge Maß eines einzelnen noch so vorzüglichen Gliedes herabgesetzt werden. Und auch zur wirklichen Wahrheit dürfen solche, die ihr noch widerstreben, nicht mit fleischlichem Zwang genöthigt werden, denn durch solches Gewaltthun selber dringt ein Element der Verfälschung in die Wahrheit hinein. Es steht auch der besten Gemeinde um so weniger zu, wenn sie der Gebrechen gedenkt, die in Erkenntniß und Leben auch ihr noch anhaften.

Das führt uns auf den weitern Zusatz, worin die Kirche als eine Gemeinschaft der Heiligen bezeichnet wird. Es kommt derselbe durchaus nur in den Taufbekenntnissen des Abendlandes vor. Wo wir in der griechischen Kirche einem ähnlichen Ausdruck begegnen, da ist er ganz anders gemeint, er bedeutet nämlich das Theilhaben an den Heiligthümern, insonderheit am heiligen Abendmahl. Aber auch der lateinische Ausdruck wird von Verschiedenen verschieden gedeutet. Die einen verstehen ihn von der Gemeinschaft der wahrhaft Geheiligten, der allein echten Glieder der Kirche, die freilich, so lange diese Weltzeit dauert, von der großen Zahl unechter Mitläufer nicht können ausgeschieden werden. Das sind augustinische Gedanken. In der Reformation kam dafür der Ausdruck auf: das sei die unsichtbare Kirche, die innerhalb der sichtbaren verborgen sei. Andre hingegen nahmen den Ausdruck als Bezeichnung für die Gemeinschaft mit den vollendeten Heiligen im Himmel. In den südgallischen Auslegungen des Symbols ist diese Deutung namentlich zu Hause.

Wahrscheinlich war es in diesem letztern Sinn, daß die fraglichen Worte zugleich mit dem Artikel von der Höllenfahrt zuletzt allgemein in das Symbolum aufgenommen wurden. Derselbe Rufinus, der die Höllenfahrt so eng mit dem Wort begraben verbindet, fügt auch schon eine Hinweisung bei auf die Ausführung der Erzväter aus dem Hades (Zezschwitz S. 122). Als diese Lehrweise nach und nach allgemeiner durchdrang, als zugleich das Gedächtniß der abgeschiedenen Heiligen in den Gebeten, besonders beim Abendmahl, zur verbreiteten Uebung wurde, da entschied, wie es scheint, nicht die Polemik, sondern die liturgische Rücksicht für die schließliche Aufnahme des Artikels von der Höllenfahrt, sowie der Worte von der Gemeinschaft der Heiligen (Zezschwitz S. 117 und 121).

Hiemit aber scheinen wir ja selber zugestanden zu haben, daß diese Bestandtheile des Symbolums im schlimmen Sinn katholisch seien. Es wäre so, wenn dieser katholische Mißbrauch unabtrennbar mit den Worten verbunden wäre. Das ist aber ganz und gar nicht der Fall. Wie verhält sichs denn in Wirklichkeit?

Fürs erste ein Element der Wahrheit ist ja darin, daß zur Kirche im umfassenden Sinn auch die bereits vollendeten Heiligen gehören. Sie leben ihm alle, heißt es von denen, die Gott als die Seinen erkennt (Luk. 20, 38). Dazu gehört die ganze Wolke von Zeugen des Glaubens, die Hebr. 11 aufzählt. Wer also ein Kind des Glaubens Abrahams wird, (Röm. 4, 16), wer in den Oelbaum gepfropft wird, dessen Wurzel die gläubigen Erzväter sind (Röm. 11, 16), der ist dadurch gekommen zur Stadt des lebendigen Gottes, dem himmlischen Jerusalem, und zu der Gemeine der Erstgebornen, die im Himmel angeschrieben sind, und zu den Geistern der vollendeten Gerechten (Hebr. 12, 22. 23). Von Anrufung dieser Heiligen ist keine Rede. Aber die Gemeinschaft mit ihnen gehört zur Gliedschaft der Kirche.

Doch nicht der ganze Begriff der Kirche wird durch die Gemeinschaft mit den abgeschiedenen Heiligen erschöpft; die gegenwärtig lebenden gehören auch dazu; wie der Heidelberger Katechismus (Fr. 54) den Artikel von der Kirche so schön erklärt: (Ich glaube) daß der Sohn Gottes aus dem ganzen menschlichen Geschlecht ihm eine auserwählte Gemeine zum ewigen Leben durch seinen Geist und Wort, in Einigkeit des wahren Glaubens, von Anbeginn der Welt bis ans Ende versammle, schütze und erhalte; und daß ich derselben ein lebendiges Glied bin und ewig bleiben werde.

Der letzte Satz freilich führt zu der Frage: worauf gründet sich diese deine Zuversicht? Was sind denn das für Heilige, zu deren Gemeinschaft auch du dich rechnest? Gewiß keine andern als diejenigen, an welche Paulus schreibt: den Heiligen in Corinth, Philippi, Colossä. Solche Heilige sind aus sich selbst arme Sünder, Es hat an ihnen der Apostel noch genug zu rügen und zu strafen. Aber durch Gottes Gnadenwahl, durch seines heiligen Geistes Werk, durch seiner Diener Wort sind sie doch aus der Welt heraus gerissen, für Gott ausgesondert, haben sich aussondern lassen und sind nun berufen, durch den Geist, der in ihnen Wohnung gemacht, im täglichen Kampf der Heiligung zu wachsen.

Ob das Werk echt sei, ob es mit ihnen ans Ziel komme, oder ob sie zurückfallen und die Welt wieder lieb gewinnen, das ist die ernste Frage, die mit völliger Sicherheit erst der Tag des Gerichtes klar machen wird (1 Cor. 3, 13). Mit keinerlei menschlicher Maßregel ist es zu erreichen, daß aller Unvollkommenheit in Lehre und Leben jetzt schon gesteuert werde, daß eine Gemeinschaft zu Stande komme, die schon jetzt keine unechten Glieder mit umfaßte, keine wahren von der Verbindung ausschlösse. Die Gemeinschaft der Heiligen, der Glieder, die allein zur wahren Kirche gehören, ist für diese Weltzeit unausscheidbar mit unechten Gliedern vermischt. Das schlimmste Unkraut, von welchem das Gleichniß redet (Matth. 13), der Heuchelwaizen kann am wenigsten von Menschen ausgerottet werden. Nicht als sollte jede Zucht unterbleiben. Die Wichtigkeit derselben hat Jesus an einer andern Stelle (Matth. 18) nachdrücklich betont. Aber einen reinen Acker herstellen zu wollen, vollends dem Gericht des Herrn mit Gewalt vorzugreifen, darauf sollen seine Jünger in dieser Weltzeit verzichten. Statt dessen sollen sie laufen durch Geduld in den Kampf, der ihnen verordnet ist (Hebr. 12,1), und die Wahrheit von der Gemeinschaft der Heiligen als einen Glaubensartikel festhalten.

Wie man dessen froh werden kann, das hat z. B. der katholische Priester van Maasdyk in Belgien erfahren. Nachdem er bereits von evangelischen Überzeugungen mächtig ergriffen war, ja im Dienste derselben gearbeitet hatte, beunruhigte ihn bei der traurigen Zerrissenheit der Protestanten die Frage: wo denn nun die wahre Kirche sei? bis zu dem Grade, daß er sich bewegen ließ, zur stillen Sammlung und Prüfung für einige Zeit in ein Kloster zu gehen. Dort gieng ihm das Licht auf durch des Apostels Wort 2 Tim. 2, 19: Der Herr kennt die Seinen, und es trete ab von der Ungerechtigkeit, wer den Namen Christi nennet. „Ja, so ist es,“ sprach er zu sich selber: „der Herr kennt die Seinen. Er wird sie auch zu sich sammeln, und wenn wir ihn kennen, kennt er auch uns, und er ist unser Haupt, so sollen wir uns selbst nicht beunruhigen mit der Frage, wo die Glieder seines Leibes seien: der Herr weiß ja, wo sein Leib, wo seine Gemeine ist.“ (Vrgl. die anziehende kleine Schrift: wie H. van Maasdnk evangelisch wurde; von, ihm selbst erzählt; im Verlag christlicher Schriften zu Basel.)

So verstehen wir die Worte: eine Gemeinschaft der Heiligen. Sie sind nichts als eine Erweiterung des Ausdrucks im altrömischen Bekenntniß: Ich glaube eine heilige Kirche. Sie stärken uns gegen alle Anmaßung von Priestern, die uns die Gliedschaft absprechen möchten; gegen alle Sektenwillkür, die nur in den Schranken ihrer engen Kammer Christum findet; gegen die Zerfahrenheit einer Volkskirche ohne Glaubensbekenntniß, die uns in die Wüste der form- und zuchtlosen Weite hinauslocken möchte. Wir erleben von der Gemeinschaft der Heiligen nur einen schwachen Anbruch. Aber er genügt uns als Angeld, um uns zu verbürgen, daß der sein Werk in uns angefangen hat, der wird es auch vollenden in Ewigkeit.

3. Die älteren Hauptartikel

Von den einzelnen Artikeln des apostolischen Glaubens haben wir bis jetzt erst diejenigen eingehender betrachtet, die am spätesten darin Eingang fanden: denjenigen von der Höllenfahrt Christi, und die Erweiterung des Artikels von der Kirche, die Aussage nämlich, daß sie eine allgemeine sei, eine Gemeinschaft der Heiligen. Wir sahen, wie die Aufnahme dieser Zusätze den alten Grundstock zwar erweiterte, aber keineswegs alterierte. Wer an die Auferstehung Jesu Christi glaubt, der hat auch keine triftige Einwendung gegen sein vorangegangenes Niederfahren zu denen, die drunten sind; und die Bereicherung des andern Artikels ist nichts als eine genauere Bestimmung dessen, was schon die älteste Formel bekannte: ich glaube eine heilige Kirche. Die endgültige Gestalt des Bekenntnisses ist von der kürzern Formel der frühesten Zeit nicht wesentlich verschieden.

Es liegt derselben, wie wir sahen, das Taufbekenntniß Matth. 28 zu Grunde. In diesen Rahmen sind eine Reihe von Sätzen gefaßt, welche die Grundwahrheiten der apostolischen Glaubenspredigt ausdrücken. Gegen etliche derselben würde sich kaum der Angriff richten, wenigstens von Seiten solcher nicht, die noch irgend etwas von christlicher Religion im Volke leiden und pflegen wollen. Ich glaube an Gott Vater den allmächtigen, der erschaffen hat Himmel und Erde, das wird Niemand anfechten, der es nicht für seine Aufgabe hält, auch für die erklärten Atheisten einen Platz in der Kirche zu erkämpfen. Und an Jesum Christum, seinen eingebornen Sohn, unsern Herrn, - auch das wird kaum ein Gegenstand der Bestreitung sein; denn es ist ja nichts anderes als in kurzen, durchaus evangelischen Worten ein Bekenntniß dessen, was wir glauben, wenn wir die Taufe vollziehen auf den Namen nicht nur des Vaters, sondern auch des Sohnes. Ausgesprochen ist es in Ausdrücken, die allen evangelischen Schriften gemein sind; nur daß er der „eingeborne“ Sohn heißt, findet sich dem Wortlaut nach einzig bei Johannes; der Sache nach ist auch dieses die allgemein apostolische Lehre.

In den weitern Aussagen über Jesum Christum ist am wenigsten anzufechten, was von seinem Leiden unter Pontius Pilatus, seinem Sterben am Kreuz und seinem Begrabenwerden bezeugt wird. Das alles ist nichts als die nackte Thatsache der Geschichte, die unter den Augen alles Volks, sogar der Feinde vor sich gieng. Ihr widerspricht nur allenfalls die Hypothese von Jesu Scheintod, die man todt geglaubt hatte, die aber selber nur scheintodt war; wenigstens ist sie, ich weiß nicht durch welche Gewürze, wieder zum Leben gekommen (Zeitst. XII, 337); wird freilich ein sieches Leben sein. Sonst erhebt man etwa gegen diesen Artikel die Beschwerde, daß er nur die äußere Thatsache ohne alle Deutung enthalte; doch ist sicher, daß, wenn eine Deutung ausgesprochen wäre, man diese noch weit heftiger angreifen würde. Auch sollte man nicht übersehen, daß es vor allem auf die große Thatsache ankam, und daß diese Thatsache Gegenstand des Glaubens ist.

Das Bekenntniß: ich glaube an den heiligen Geist, ist wieder durch Matth. 28 gegeben. An die Vergebung der Sünden zu glauben, das muß in jeder Predigt, die noch irgendwie christlich sein will, seine Stelle finden. Wollte man an dem Artikel aussetzen, daß er zu allgemein und dürftig gehalten sei, so ist doch nicht zu vergessen, daß Luther durch die Trostkraft desselben den ersten Keim des Glaubens an das Gnadenevangelium empfieng. Endlich auch das ewige Leben verkündigen in ihrer Art selbst diejenigen, welche sich nur mit halber Wahrheit auf Johannes berufen, indem sie nämlich darauf dringen, das ewige Leben sei nichts, das erst nach dem Tode beginne, und sich dann freilich anders als Johannes auf den diesseitigen Anfang beschränken.

Wir haben diejenigen Lehrstücke bis jetzt übergangen, die nächst dem Artikel von der Höllenfahrt den meisten Angriffen müssen zum Zielpunkt dienen. Sie stehen sämmtlich bereits im altrömischen Bekenntniß, dessen Spur wir bis in die zweite Hälfte des zweiten Jahrhunderts hinauf verfolgen tonnten. Schon dieses bezeugt von Jesu Christo: er sei geboren vom h. Geist aus Maria, der Jungfrau; er sei am dritten Tag auferstanden von den Todten, darauf gen Himmel gefahren, von dannen er wiederkommen werde die Lebendigen und die Todten zu richten. Und was den Menschen durch ihn erworben sei, darunter steht schon dort die Auferstehung des Fleisches.

Der Mittelpunkt von allen diesen Aussagen, der Herzpunkt aller apostolischen Predigt, das wovon Paulus bezeugt: sowohl die Urapostel als er selber stimmen in dieser Verkündigung alle zusammen, das ist die Botschaft: daß der gekreuzigte und wahrhaft gestorbene Jesus am dritten Tag auferstanden sei (1 Cor. 15, 1-11). Dem legt der Apostel eine so entscheidende Wichtigkeit bei, daß er andernfalls erklärt: wäre Christus nicht auferstanden, so wäre euer Glaube eitel, so wären wir Prediger der Auferstehung falsche Zeugen Gottes, so lagen wir alle noch in unsern Sünden, so gäbe es keine Erlösung von Sünde und Tod.

Wie fest und lebendig alle Apostel von der Auferstehung Christi überzeugt waren, das ist eine Thatsache, so augenscheinlich, daß niemand sie in Abrede stellt. Es hatte keine christliche Kirche gegeben ohne diesen Glauben. Was man bestreitet, ist nur, daß diesem Glauben die Thatsache der wirklichen Auferstehung zu Grunde liege. So müssen sie nun, mit Strauß zu reden, „entweder die Unzulänglichkeit der natürlich-geschichtlichen Ansicht bekennen, oder sich anheischig machen, die Entstehung des Glaubens an die Auferstehung Jesu ohne ein entsprechendes wunderbares Factum begreiflich zu machen.“ Ja, dazu machen sie sich ^anheischig„; dazu nehmen sie bald von dieser, bald von jener Seite den Anlauf. Es will aber nicht zur Befriedigung gelingen, sogar zu ihrer eignen nicht. Das verräth schon das Schwanken von einer Auskunft zur andern hinüber. Reimarus hat seiner Zeit die Auferstehungsberichte in gröbster Weise für unwahr erklärt, indem er den schnöden jüdischen Vorwurf des Leichendiebstahls aufwärmte. Diese sittliche Rohheit verdient keine Antwort. Etwas feiner haben Neuere den einen Zug aus dieser Hypothese wiederholt: es sei das Grab leer gefunden worden, weil unbekannte Freunde, die Leute des Joseph von Arimathäa z. B., die Leiche geholt hätten, um sie anderwärts definitiv zu bestatten. So hätten die Apostel zu ihren Verzückungen Spielraum bekommen. Jene unbekannten Freunde müßten dann aber entweder unbegreiflich verschwunden sein, oder noch unbegreiflicher mit schlauem Schweigen der Auferstehungspredigt der Jünger zugehört haben. Dr. Paulus hingegen ließ Jesum aus dem Scheintod neubelebt hervorgehen; und von solchem Siechthum sollten die Jünger den Eindruck sieghaften Lebens empfangen haben! Das wird nicht besser, nur unbegreiflicher, wenn Schleiermacher das halbe Wunder einer raschen Herstellung kraftvollen Lebens hinzufügt, aber doch eines Lebens, das bald genug im Stillen erlischt.

Nein, wenn der Unglaube an die Auferstehung irgend eine Methode der Erklärung mit einiger Aussicht versuchen kann, so ist es die Hypothese der Visionen und Hallucinationen. Der Apostel Paulus bietet den Anlaß dazu. Für diejenigen, die außer dem Menschen nur eine niedere Außenwelt kennen und keine höhere Wirklichkeit, die auf ihn einwirken könnte, muß die Aufgabe entstehen, Erlebnisse, die als ein Wunder erscheinen, als unfreiwilliges Erzeugniß innerer Nervenreizungen zu deuten, die ein Gesichtsbild, ein Hören, ja Tastempfindungen zu Stande bringen, ungefähr wie wir's im Traum erleben. Wir kennen solches als Symptom einer Krankheit, als Beginn einer ernsten Geistesstörung. Sie versichern uns, es komme dergleichen auch im gesunden Zustand vor. Daß nun Paulus zuweilen Verzückungen hatte, sagt er uns selber (2 Cor. 12). Er redet freilich von der Entrückung in den dritten Himmel, bei der er nicht wußte, ob er noch im Leibe war, gar anders als von jener Offenbarung, wo er den Auferstandenen gesehen hatte (1 Cor. 9,1; 15, 8). Jene Verzückungen berührt er nur ungern, gezwungen; das Erlebniß aber, durch welches er Christ und Apostel wurde, das Sehen des Herrn bei Damaskus, gehörte zu den Hauptstücken, die er überall zuerst erzählte. Und wenn er sagt: ihm zuallerletzt sei der Herr erschienen, so stellt er diese Offenbarung nicht nur denjenigen gegenüber, welche die andern Apostel früher hatten, sondern ebenso auch den Entzückungen, die ihm selber später wurden; wie denn auch Petrus zwischen Gesicht und Wirklichkeit wohl zu unterscheiden wußte (Apg. 12, 9, 11). Unsere Modernen aber werfen beides zusammen, und schildern uns überdies den Verfolger Saulus, als wäre er innerlich zerrissen gewesen, als hätte heimliche Gewissensangst ihn umgetrieben: haben etwa die Galiläer doch Recht? bin ich vielleicht ein Kämpfer wider Gott? als sei er darum in Stunden des Unmuths und des innern Unglücks, wo die Selbstbetäubung des Fanatismus nachließ, von einer Qual bis zur Verzweiflung ergriffen worden. Da bedarf es kaum des Gewitters, das Renan vom Hermon herbeiführt, mit Fieber, Gehirnaffectionen und Augenentzündung, um die Extase zu bewirken, wo er nicht mehr vermag wider den Stachel zu locken.

Man kann das hübsch pragmatisch ausmalen, und hat am Ende doch nur einen Roman entworfen. Denn der wirkliche Saulus zeigt nichts von solcher innern Zerrissenheit. Er ist ganz und ungetheilt in der Meinung, durch sein Verfolgen der Nazaräer Gott einen Dienst zu thun. Mitten im ungestümen Lauf seines Drohens und Mordens packt ihn Jesus. Jetzt erst wird ihm der Stachel angesetzt, wider den er nicht locken kann. Und von diesem Augenblick an weiß er sich berufen nicht nur zum Christen, nicht nur zum Apostel, sondern was der ganzen bisherigen Entwicklung der Gemeine und seinem eigenen Gesichtskreis bis jetzt am fremdesten war: sogleich wird ihm die Aussicht auf seine Sendung unter die Heiden eröffnet (Gal. 1,14.16). Das stimmt übel zu der Voraussetzung der Visionstheorie: es könne zu einer Vision nur kommen, wo die Elemente des Bildes schon vorher im Geiste vorhanden waren. Vollends daß ein Gesandter, dessen Sender nur der Jesus seines eigenen Gehirns gewesen wäre, gegen dreißig Jahre diesen Glauben unter zahllosen Leiden und Gefahren festgehalten, als seligmachende Gotteskraft verkündigt, mit heiligster Hingebung sein Leben daran gesetzt hätte, das bliebe ein Wunder, das keine Visionshypothese zu erklären vermöchte.

Hält somit schon bei Paulus diese Erklärungsmethode keineswegs Stich, so will sie noch viel weniger auf die Berichte der Evangelien passen. Ich gehe nicht auf die Deutungen ein, welche Strauß bei den Jüngern, die nach Emmaus wandern, und bei den Aposteln am See Tiberias - offenbar nur mit halbem Ernst - in Anwendung bringt. Von der Magdalenerin aber sagt er (Leben Jesu für das deutsche Volk, S. 309): der Ausdruck, daß sieben Dämonen von ihr seien ausgetrieben worden, gebe viel zu denken. Er sagt uns nicht, was; das Volk der Denker wird es ja selber merken. Es wird nicht weit von Renan's Versicherung abliegen (Vie de Jésus, p. 434), daß die leidenschaftliche Liebe einer Hellseherin der Welt einen auferstandenen Gott geschenkt habe; also wohl etwas unsauberer, sonst aber das Gleiche, was schon die Jünger dachten, da sie den Bericht der Frauen als leeres Geschwätz taxierten (Luk. 24, 11). Will uns aber Strauß erklären, wie die Jünger selbst vom Unglauben und Zweifel durch die Steigerung ihres Gemüths- und Nervenlebens allmälig zum Glauben gekommen seien, so muß er allerlei beseitigen und auf der andern Seite dazu dichten. Beseitigen muß er die Erscheinungen am dritten Tag und in Jerusalem. Denn auf Künste wie jene Hypothese von den unbekannten Freunden, die den Leichnam entfernten, setzt er selbst kein Vertrauen. Deßwegen verwirft er unter den windigsten Vorwänden die ehrliche Bestattung, für welche doch alle vier Evangelisten und überdies Paulus zeugen und die durchaus dem Gesetz der Römer gemäß ist. Er muß sie verwerfen, denn ein Grab, an welchem die Jünger ihres Irrthums überführt worden wären, aus welchem der Leichnam hätte können hervorgeholt werden, das kann er nicht brauchen. Jesus muß am unehrlichen Orte verscharrt sein. Die ersten Visionen aber sollen erst spät und fern von Jerusalem stattgefunden haben. Natürlich, denn so leichtfüßig ist Strauß nicht wie Renan, der fast schon am Samstag nach der Kreuzigung den Auferstehungsglauben sich regen läßt. Nein, so rasch nach der tiefen Niederschmetterung aller Hoffnung ist die Fantasie der Jünger noch nicht produktionsfähig zu denken, und in Jerusalem hätten sie am Ende sogar die Stätte des Verscharrens auffinden können. Im fernen Galiläa, da war Zeit und Raum für jenes Besinnen, jenes Disputieren, jenes Forschen in den Propheten, das uns von Strauß, allerdings frostig genug, geschildert wird, und das dann endlich zur guten Stunde den gewaltsamen Durchbruch einer Verzückung herbeiführte.

Schade nur daß Paulus die Auferstehung Christi schon am dritten Tage bezeugt (1 Cor. 15,4), und zwar übereinstimmend mit allen vier Evangelisten und mit der Auszeichnung des Sonntags schon in der apostolischen Kirche. Ja, sagt man uns, die Auferstehung freilich am dritten Tage, nicht aber die Erscheinung des Auferstandenen. Denn es steht ja nur: und er erschien dem Kephas, nicht aber wie bald nachher, so wenig als gesagt wird, welche Fristen später zwischen die einzelnen Erscheinungen gefallen seien. Wie wären sie denn aber darauf gekommen, zu sagen: er ist am dritten Tag auferstanden, wenn nicht dadurch, daß sie an diesem Tag die erste Erscheinung erlebt hatten? Nein, heißt es abermals, die erste Vision kann um ein ziemliches später eingetreten sein, und nur „nach den Schriften“, Hosea 6, 2 und andern Stellen, haben die Jünger sich vorgestellt: auferstanden müsse er schon am dritten Tage sein, wenn gleich unbestimmt viele Tage oder sogar Wochen später erst erschienen. Nachdem aber einmal die Schleusen aufgethan waren, dann wäre die Nervenerregung epidemisch geworden, hätte einmal sogar mehr als 500 Brüder zumal ergriffen; und hätte sich doch wieder, so lautet die Erinnerung der Gemeine, nach höchstens 40 Tagen gelegt, und wäre in eine Thätigkeit übergegangen, wo der heiligste Schwung mit der lautersten Besonnenheit wunderbar verbunden erscheint.

Man wird gestehen müssen: natürlich ist diese Erklärung nicht. Die Liebhaber derselben werden sich durch Gründe schwerlich widerlegen lassen, denn ihr Widersprechen hat eine tiefere Wurzel. Des Gefühls aber möchten sie sich doch schwerlich ganz erwehren, daß die übernommene Pflicht, den bloß menschlichen Jesus darzustellen, nicht ohne die saure Mühe gezwungener Künsteleien erfüllt wird.

Die Gegner selbst bekennen ihre Verlegenheit unter anderm dadurch, daß sie versuchsweise von der Visionshypothese zu derjenigen vom Scheintod Jesu, ja theilweise vom Betrug der Jünger zurückkehren. Das neueste derart ist die bereits erwähnte Vermuthung, Joseph von Arimathäa sei mit Pilatus heimlich einverstanden gewesen, den Scheintodten vom Kreuz abzunehmen und ihn ohne Wissen der andern Jünger in der Stille zu pflegen. Wieder zum Leben gekommen, habe Jesus eingesehen, daß seine Mission abgelaufen; vielleicht auch habe er nach seiner Neigung zum Wunderhaften selber geglaubt, gestorben und auferweckt zu sein! wahrscheinlich ohne daß ihn der Schmerz der Wunden eines andern belehrte! Solches Zeug nimmt der Redakteur der Zeitstimmen auf, weil bei den „ungeheuren Schwierigkeiten der Frage“ auch diese Meinung sich dürfe hören lassen. Warum nicht so gut als die Straußische? Es ist die eine der andern werth. Nur sollte man nicht vergessen, daß diese Schwierigkeiten bloß da bestehen, wo es als ein Axiom gilt: die wunderbare Neubelebung, das Hervorbrechen des wahrhaftigen Sieges über den Tod ist eine Unmöglichkeit. Hier aber heißt es entweder - oder: entweder die einstimmige Botschaft der Apostel ist wahr, ihrem Glauben liegt die Thatsache der Auferstehung zu Grunde, es gibt eine Erlösung von Sünde und Tod; oder was die Heiden in Athen und Corinth einwarfen, was die heutigen Gegner mit dem Anspruch auf Christlichkeit wiederholen: eine solche Erlösung gibt es nicht.

Aber liegen denn nicht auch auf unsrer Seite bedenkliche Schwierigkeiten, die wir eingestehen sollten? So führt ja die Auferstehung Christi nothwendig die Himmelfahrt nach sich, und das Sitzen zur Rechten Gottes, bis er wiederkommt zum letzten Gericht. Wie will man einem aber seit Copernikus schon das erste zumuthen, daß man nach alter Weise an den Himmel und die Himmelfahrt glaube? und was das Gericht betrifft, ist nicht die Wahrheit dieses Gedankens durch Schillers Wort erschöpft: die Weltgeschichte ist das Weltgericht?

In Betreff des ersten Punktes machen wir die alte Wahrheit geltend, daß nur, wer richtig unterscheidet, richtig lehrt. Die Bewegungen der sichtbaren Himmelskörper lehrten Copernikus, Keppler, Newton berechnen; die Beschaffenheit ihrer Stoffe lernen wir nach und nach durch die Spektralanalyse kennen. Die Untersuchung nämlich der verschiedenartigen Strahlenbrechung im Prisma läßt uns vermuthen, daß der Glanz der fernsten Gestirne von nichts anderem komme, als von einer Verbrennung der gleichen Stoffe, deren Glühen wir auf Erden untersuchen können. Nach den Gesetzen der Bewegung wie nach den Stoffen sind alle die sichtbaren Himmelskörper keine Schöpfung von wesentlich anderer Grundbeschaffenheit als die Erde. Aber das ist nicht der Himmel, zu welchem der Glaube emporblickt. Hingegen folgt auch gar nicht aus dem Gesagten, daß der Himmel nur noch als ein räumliches Bild gelten könne für etwas ganz und gar Raumloses, nämlich für das überweltliche, ewige, allumfassende Sein Gottes. Daß der allgegenwärtige Gott nicht auf irgendwelchen Ort im Himmel einschränkt ist, das lehrt uns auf's Klarste die Schrift schon des alten Bundes (1 Kön. 8, 27; Ps. 139); aber das Meßt nicht ans, sondern ein, daß seine Offenbarungsgegenwart je nach den verschiedenen Stätten und der Empfänglichkeit ihrer Bewohner eine verschiedene sein kann; daß wir somit auch vom Himmel als einer andern Oertlichkeit eine Klarheit der Erkenntniß Gottes und eine Innigkeit der Gemeinschaft mit Gott erwarten dürfen, wie wir es auf Erden noch nicht haben. Es gibt noch ein Jenseits für uns auch im örtlichen Sinn, das der Gegenstand unseres Glaubens und Hoffens ist. Wer das leugnen wollte, der müßte von einem Wissen ausgehen können, wie denn das geistige Leben im Weltraum vertheilt sei. Nun aber haben wir darüber kaum ein Ahnen und Meinen, dagegen ein Wissen aus natürlichen Mitteln auch nicht im geringsten Maß. Vollständige Unwissenheit aber ist ein schlechter Stützpunkt, um darauf eine Theorie zu bauen, sei es positiv oder negativ; also auch um die Himmelfahrt zu leugnen, die von Lukas (und Markus) ausdrücklich erzählt, von den andern neutestamentlichen Verfassern vorausgesetzt wird (Joh. 6, 62; 20, 17; Eph. .4, 10; Col. 3, 1; 1 Petri 3, 22). Sie verwerfen, heißt das persönliche Fortleben Jesu leugnen.

Das Weltgericht aber läßt sich, wenn wir der Schrift ihr Recht geben wollen, nicht einzig in das fortgehende Gericht, das durch die ganze Geschichte seinen Verlauf hat, sozusagen auflösen. Das angeführte Dichterwort spricht eine große, erhabene Wahrheit aus, aber nicht die ganze Wahrheit. Wenn schon im alten Bund die Propheten weißagten: siehe, es kommt ein Tag des Herrn, ein Tag der Vergeltung, so fand dies fort und fort seine Verwirklichung. Hier kam ein Tag des Herrn über das abtrünnige Volk, dann ein neuer über die Heidenmacht und ihren Uebermuth, dagegen ein Tag der Gnade über den Rest, der sich zum Herrn bekehrte, später über neue Versündigung ein neuer Tag der Vergeltung. So ist auch die Zerstörung Jerusalems ein Tag des Herrn, der über die gottlose Stadt kommt, aber noch nicht der letzte. Das ist das fortgehende Weltgericht, von dem der Dichter redet. Es ist aber einseitig unwahr, nur von diesem endlosen Fortschritt wissen zu wollen und nichts vom Ziel. Selbst die Naturforschung erklärt es aus ihren Mitteln mehr und mehr für unhaltbar, sich einen endlos-gleichmäßigen Fortbestand der Schöpfung einzubilden. Und was die Forderungen der Gerechtigkeit betrifft, so ist das Weltgericht, das in der Weltgeschichte Schritt für Schritt sich vollzieht, durchaus noch ein unvollendetes. Es sind lauter Abschlagszahlungen ans neue Verschuldung. Ist das nicht von den gewaltigen Dingen, die vor unsern Augen geschehen sind, der tiefste Eindruck, der uns ergreift? Das ist die Langmuth Gottes; und er kann ja zuwarten und die Sünder mit ihren Sünden tragen, weil er ewig und allmächtig und also des Zieles Herr ist. Aber er will und wird das Ziel erreichen, das lehrt uns der Christenglaube. Die Reihe wird ihren Abschluß finden. Und daß Christus der Richter sein wird, das hat er sich selbst zugeschrieben. Das ist die Noth für alle, die es nicht annehmen wollen (vgl. Kirchenfr. II, 90 ff.), der Anker der Zuversicht für alle, die sich als Jünger einstellen.

Steht es so mit dem Kern des Bekenntnisses, wo es von Christo handelt, daß es völlig biblisch ist und daß uns die Einwürfe dagegen nicht als triftig erscheinen, so erstreckt sich von diesem Mittelpunkt aus die Folgerung rückwärts auf den Artikel von der jungfräulichen Geburt und ebenso vorwärts auf den von der Auferstehung des Fleisches.

Wenn Christus auferstanden ist, dann ist er mehr als ein gewöhnlicher Mensch; dann werden wir uns auch rückwärts blickend nicht verwundern, wenn uns sein erster Lebensanfang als ein anderer denn der gewöhnliche beschrieben wird. Die Abweichung zwischen Matth. 1 und Luk. 1 brauchen wir hier nicht zu erörtern; die beiden Berichte zeugen durch die Unabhängigkeit von einander für ihre Selbständigkeit. Nun ist freilich hier ein Punkt, wo viele, die sollst an der Bibel und an Christo hangen, durch kritische Einwürfe schwankend gemacht oder gar überwunden sind. Die Kunde über jene verborgenen Anfänge gilt ihnen geschichtlich für nicht so verbürgt wie das, was wir vom spätem Leben und Wirken erfahren. Die Lebensanfänge bedeutender Männer seien im Alterthum gewöhnlich mit Sagen ausgeschmückt, und das sei auch hier der Fall bei aller sinnvollen heiligen Zartheit der Erzählungen. Man müsse das um so mehr anerkennen, als die andern Schriftsteller des Neuen Testamentes, Markus, Johannes, Paulus nichts davon wissen, und selbst bei Matthäus (Kap. 1) und Lukas (Kap. 3) die Stammbäume Jesu auf Joseph führen, somit ursprünglich ihn als den Vater Jesu bezeichnen. Die spätere Umdeutung derselben entspringe einer Denkart, die bereits beginne die eheliche Gemeinschaft für sündlich und unrein zu halten.

Wir erinnern dagegen, was die Stammbäume betrifft, an den Umstand, daß sie uns ausschließlich von den zwei Evangelisten gegeben werden, welche Jesum ausdrücklich als Sohn der Maria ohne menschlichen Vater bezeichnen. Daß sie in anderer Meinung entworfen waren, ist nichts als eine leere Vermuthung. Bei Matthäus sehen wir, in welchen Zweig der Königsfamilie Jesus durch seinen Pflegevater Joseph aufgenommen wurde. In dem, was Lukas gibt, erkennen wir den Stammbaum des Eli, des mütterlichen Großvaters Jesu, somit die Nachweisung seiner wirklichen menschlichen Abstammung, die bis auf den erstgeschaffenen Menschen zurückgeführt wird. So stehen diese Geschlechtsregister mit dem, was die gleichen Evangelisten von Jesu Geburt erzählen, nicht im Widerspruch. Und ebenso wenig widersprechen diese Kindheitsgeschichten den andern neutestamentlichen Schriften.

Es kann uns befremden, daß die Angehörigen Jesu (Mark. 3, 21. 31) einmal ausgiengen ihn festzuhalten, weil er außer sich gekommen sei, und daß auch Maria sich durch die ungläubigen Brüder Jesu mitreißen ließ. Aber das zeigt doch in keiner Weise, daß die Kindheitsgeschichte unglaubwürdig sei, sondern höchstens etwa, daß selbst die Mittler augenblicklich der kleingläubigen Sorge unterliegen konnte, weil sie nicht im Stande war, die Größe seines Geistes und den Eifer, mit dem er sich seinem Beruf aufopferte, zu fassen. Gar kein Gewicht hat die Rede der ungläubigen Juden Joh. 6, 42, und auch das ist nicht zu fordern, daß der Evangelist sie korrigieren sollte; er läßt sie schwatzen. Das Wort ward Fleisch, das ist seine Botschaft. Dieses heilige Wunder verträgt sich wahrhaftig nicht mit einer Erzeugung durch Joseph. Hingegen verstehe ich nicht, wie man behauptet: empfangen vom heiligen Geiste sei dadurch ausgeschlossen. Durch die Selbstentäußerung (Phil. 2, 7) und das Fleischwerden (Joh. 1,14) tritt der Sohn in den Bereich der Wirkung des schöpferischen Geistes ein. Das heilige Geheimniß wird durch die verschiedenen Ausdrücke nach verschiedenen Seiten bezeichnet; aber sie treffen zu Einer Wahrheit zusammen. Auch Paulus widerspricht ihr keineswegs. Wenn er vom Sohne Gottes sagt, er sei vom Weibe geboren (Gal. 4, 4), so lehrt er nicht ausdrücklich wie Matthäus und Lukas, daß derselbe keinen menschlichen Vater hatte, aber er läßt die Stelle dafür offen.

Diese Lehre wird mit Unrecht als eine Herabwürdigung der Ehe bezeichnet. Es ist durchaus keine Herabsetzung derselben, wenn sie auch für unfähig erklärt wirb, den reinen Anfänger eines neuen heiligen Lebens, den Erlöser von Sünde und Tod zu erzeugen. Das ist der Punkt, auf den es ankommt. Mit denjenigen, welche sich nicht scheuen, den Herrn Jesum für einen sündigen Menschen wie wir zu erklären, können wir nicht verhandeln. Wem es aber wie Schleiermacher damit Ernst ist, seine sündlose Heiligkeit festzuhalten, den fragen wir: was thust du sonderbares? proklamierst du nicht auch deinerseits ein Wunder? Du lehrst ja, von sündigen Eltern sei nur hier einmal nicht wie sollst immer ein Sünder erzeugt, sondern hier allein durch göttliche Bewahrung ein Reiner, der nicht von Geburt an unter der Knechtschaft der Sünde stehe. Du behauptest von Jesu, was der Papst am 8. Dezember 1854 von Maria dekretiert hat. Wunder gegen Wunder. Da bleibe ich aber lieber bei dem von den Evangelisten bezeugten, von einem Schriftsteller namentlich, der uns so schlicht und ernst versichert, wie er alles von Anbeginn sorgfältig erkundet habe, und seinem Leser gewissen Grund der Lehre geben könne (Luk. 1, 3. 4), und der uns merken läßt, aus welcher Quelle jene zarten Geheimnisse stammen, wenn er ausdrücklich meldet, daß nach der Ostern die heilige Mutter. im Kreise der Jünger weilte (Apg. 1, 14).

Wir sind etwas ausführlicher, und doch nur andeutungsweise auf den Artikel vom Lebensanfang des Menschgewordenen eingegangen. In Betreff der Auferstehung des Fleisches können wir uns kürzer fassen. Von einer Auferstehung mit Haut und Haar, von einer Auferweckung desselben unveränderten Körpers, wie er in's Grab gelegt wurde, ist ja in keiner Weise die Rede. Möchte es eine beschränkte Denkart geben, die solches meinte, die wird niemanden zugemuthet, die wäre auch keineswegs biblisch. Die Sadducäer fochten gegen die Auferstehung mit einem Beispiel, das die unveränderte Fleischlichkeit voraussetzte; aber sie fochten damit nur gegen ihre eigenen Hirngespinste. Manche, die sich durch Sadducäereinwürfe einschüchtern lassen, sind wenigstens dem Außdruck: Auferstehung des Fleisches - abgeneigt. Man mag ihnen durch eine andere Uebersetzung: Auferstehung des Leibes - zu Hilfe kommen, obwohl im Grund unnöthiger Weise. Wohl heißt es von Fleisch und Blut, daß sie das Reich Gottes nicht ererben (1 Cor. 15, 50); dagegen schreibt doch der Auferstandene sich selber Fleisch und Bein zu (Luk. 24, 39); und wenn gesagt wird, daß alles Fleisch soll auferstehen, so versteht sich, daß in der Auferstehung selbst die Wandlung und Verklärung inbegriffen ist. Kein Mensch kann daran denken, kein Mensch begehrt uns mit dem Ausdruck: Auferstehung des Fleisches - einen Glauben zuzumuthen, der im Widerspruch stünde mit 1 Cor. 15, 35 ff., jenem wunderbaren Bilde des neuen Lebens, das uns bei jedem neuen Lesen wie ein Vorschmack der seligen Ewigkeit anmuthet. Weiteres zu sagen überhebt uns der jetzige Stand sogar der gegnerischen Meinungen. Man dringt jetzt nicht mehr wie früher statt auf die Auferstehung des Leibes auf bloße Unsterblichkeit der Seele. Eine solche bleibende Trennung des Zusammengehörigen wäre in gewissem Sinne ein bleibender Tod. Jetzt wird entweder für Leib und Seele das Fortleben geleugnet, oder für den ganzen Menschen ein Theilhaben am ewigen Leben geglaubt.

Das führt uns auf eine letzte Betrachtung. Wir sagten vom ersten Artikel: den werde kaum angreifen, wer noch irgend einen Glauben an Gott festhalten und im Volke pflegen wolle; und was den letzten Satz vom ewigen Leben betrifft, erinnerten wir an die auffallende Erscheinung, daß auch solche, welche den Glauben an persönliche Unsterblichkeit bekämpfen, doch in ihrer Art mit Eifer eine Lehre vom ewigen Leben ausstellen. Aber freilich: in ihrer Art. Es ist etwas seltsames um dieses ewige Leben. Sie reden von Lebensgemeinschaft und Liebeeinheit des endlichen Geistes mit dem absoluten Geiste. Aber der absolute Geist gilt ihnen nicht als Persönlichkeit. Und so ist auch das Geistes- und Liebesleben, von dem sie reden, wohl ein fortwährendes, immer neu sich gebärendes, aber auch immer neu sich verzehrendes. Wer dazu kommt, daß er in dieses Leben wirklich eintritt, der hat das ewige Leben - bis er stirbt und verwest.

Das Evangelium lehrt uns au ein anderes ewiges Leben glauben. Ihr wisset die Schrift nicht, noch die Kraft Gottes, spricht Jesus zu den Sadducäern. Was Gottes Kraft in der sichtbaren Schöpfung wirkt, ist wundervoll. Der Mensch erforscht es mehr und mehr bis auf die Wurzel und in alle Verzweigungen hinein. Es ist staunenswürdig, wie sehr gerade die Ausdehnung der Einzelkenntniß dazu dienen muß, uns überall die einfachsten Grundkräfte als wirksam zu zeigen. Fragen mir aber: wie denn das eigentlich zugehe, daß aus den elementarsten Stoffen und aus den kleinsten kaum entdeckbaren Anfängen alles Leben auf Erden entstehe, so können wir wohl das Wachsen von Stufe zu Stufe verfolgen, können es beschreiben und sagen: so geht es zu. Was aber das innerste verborgenste Wesen dieser Kraft ist, begreifen wir nicht. Wie denn wollten wir derselben Grenzen stecken und gebieten: bis hieher und nicht weiter, ein höheres Leben als das jetzige irdische, ein Leben der Verklärung, der Erlösung von Sünde und Tod kann nicht zu Stande kommen? Ihr wisset die Kraft Gottes nicht, sagt Jesus zu den Sadducäern. Und auch die Schrift nicht.

Wir wollen nicht von der neutestamentlichen Schrift reden, die klar genug lautet, sondern gerade jene alttestamentliche Schrift in's Auge fassen, das Wort des Herrn nämlich: Ich bin der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs. Aber handelt denn dieses Schriftwort von Auferstehung und ewigem Leben? Sagt es doch, so scheint es, nichts anderes aus, als daß von dem Gott die Rede sei, den seiner Zeit Abraham, Isaak und Jakob verehrten. Ja, so wäre es, wenn sich's nur um einen Gedankengott handelte, um einen Gott der menschlichen Meinung und Einbildung wie bei den Heiden. Wenn es aber der Gott ist, der einzig wahre, den nicht nur Abraham, Isaak und Jakob nach ihren Gedanken sich vorstellten und verehrten, der vielmehr sich ihnen geoffenbart, sich ihrer angenommen und einen Bund mit ihnen geschlossen hat, dann steht es anders. Solcher Bund ist beständig, ewig, unwandelbar. Ich lebe, und ihr sollt auch leben, heißt es. Das ist der tiefste, das ist zuletzt der alleinige Grund unserer Gewißheit des ewigen Lebens. Außerdem haben wir nur eine Ahnung desselben, eine Sehnsucht danach, ein Hoffen darauf, aber keine Gewißheit. Und so soll es auch sein. Wir sollen des ewigen Lebens nicht sicher und froh werden neben und außer unserm Gott. Nur wenn wir unsers Gottes gewiß wer- den, des wahren Gottes, der nicht bloß die Kraft hat, ein Leben der Erlösung von Sünde und Tod zu wirken, sondern auch die Liebe es zu wollen, ja der die Liebe selber ist, nur in diesem Gotte werden wir des ewigen Lebens gewiß. Er als die heilige und ewige Liebe will das Leben, das er selber hat und ist, mittheilen nicht nur auf eine Zeitlang bis zum Versinken in Tod und Verwesung, sondern ewiglich.

Der Vater unsers Herrn Jesu Christi ist dieser Gott. Von dem Gott des neuen Heidenthums hingegen, der kein Urquell wahrhaftigen ewigen Lebens ist, hat einer der vornehmsten seiner Propheten in entschiedener Lossagung vom Christenglauben gesagt: Unser Gott ist ein anderer (Strauß, der Christus des Glaubens und der Jesus der Geschichte, S. 213). So müssen diejenigen bekennen, die Jesum zu einem gewöhnlichen Menschen machen. Das wirkt auch auf die Lehre vom Vater zurück. Es geht in Erfüllung, was geschrieben steht, daß wer den Sohn leugnet, der hat auch den Vater nicht (1 Joh. 2, 23); er hat den Gott nicht, der seine mächtige Stärke ausgewirkt hat in der Auferweckung Christi von den Todten (Eph. 1, 20) und der auch uns dieses Lebens will theilhaft machen in Ewigkeit. Das ist es, um was es sich handelt, wenn über das apostolische Glaubensbekenntniß der Kampf geführt wird. Wir werden daraus in einer Schlußbetrachtung die Folgerungen ziehen.

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