Rieger, Karl Heinrich - Von der freien Gnade.

Rieger, Karl Heinrich - Von der freien Gnade.

Über Röm. 9,14-29.

Der Mensch kann nicht viel mit Geduld von Gottes Vorsatz und Auswahl hören; er ist gleich schnell zum Reden; daher kommen hier die öfteren Anfragen vor: was wollen wir denn sagen, oder einwenden? Aller Menschen Partie, auch eines Esaus, nimmt unser ungebrochenes Herz eher, nur nicht Gottes. Der Mensch gerät so leicht in die Versuchung, über Gott Arges zu denken. Er hat gar ein eigenes Interesse darüber für sein rechthaberisches Herz, das lässt sich aus: was macht denn Gott für einen unbilligen Unterschied zwischen solchen, die weder Böses noch Gutes getan haben? – Das sei ferne. Gott ist ja Keinem etwas schuldig. Mithin hat Esau bei Jacobs Vorzug nicht über Unrecht zu klagen. Auch Esau und seine Nachkommen haben Handleitung zum Heil genug bekommen, wenn Gott schon durch seinen Beruf den Jakob so hervorgezogen hat. Esau hat hernach an Jakob selbst sehen und lernen können, wie geschmeidig man mit der Verheißung umgehen müsse, und wie sich mit dem verheißenen Segen nicht in fleischlichem Sinn über alles hinein fahren lasse. Weil nun aber freilich der Mensch hierin seinen Kopf so hart setzt, so muss er oft auch hart abgefertigt werden. Es verhält sich aber mit dergleichen Stellen, wie mit der Wolkensäule, die sich zwischen das Heer der Ägypter und das Heer Israel stellte, und gegen den Ägyptern eine finstere Wolke war, gegen Israel aber Licht machte. So haben diese Sprüche zwo Seiten; gegen die Gläubigen, die Gott und seiner Gnade trauen, geben sie einen lieblichen sanften Sinn; denen aber, die lieber mit ihren Werken aufkommen möchten, stehen sie freilich als eine finstere Wolke da. So viel einem Menschen diese Sprüche noch hart dünken, so viel steckt er in eigener Gerechtigkeit; so friedlich man aber damit auskommen kann, so weit ruhet das Herz ganz in der Gnade. Der Apostel fährt aber fort, und sagt: lasset euch das nicht als etwas neues an mir befremden. Ihr habt ja schon in Mose solche Sprüche, die den Menschen ganz herabsetzen, und alles auf die Gnade führen. Als Moses nämlich für sich und das verschuldete Volk um Gnade bat; so bekommt er auch zuletzt den Beschied: Dir, dem ich einmal Gnade zu beweisen angefangen habe, und der du es auch dafür erkennst, werde ich weiter gnädig sein; und die Barmherzigkeit, die ich einmal mit Verschonen des Volks angefangen habe, soll auch noch weiter reichen. Da hat es einen lichten tröstlichen Sinn. Aber für einen, der mit Werken umgeht, und der Gnade nicht trauen will, steht es als eine finstere Wolke da; gegen einen solchen behauptet es: es kann niemand Gott etwas abzwingen; wenn er es nicht tut, so kann man ihn nicht der Ungerechtigkeit beschuldigen. Es ist alles Gnade. – Dem Wollen und Laufen bleibt auch das Lob, welches es sonst in der Schrift hat, nämlich ein vom Berufe Gottes erwecktes Wollen, ein mit Gottes Wirkung verbundenes Laufen. Aber wenn man eigenmächtig will, wie Esau, nicht gnadenmäßig; wenn man will, was man das ein Mal schon verkauft und verachtet hat; wo man ein gezwungenes Laufen der Werkbeflissenen gegen die Gnade aufstellen will, da muss man es so niederschlagen. Wem dies Sprüchlein von Herzen lieb ist, bei dem ist der Fels gesprungen, an dem sich sonst so manches stößt. Ehe ihr euch so wider das Evangelium und den Gnadenruhm daraus auflasset, so werdet nur vorerst mit den Sprüchen fertig, die ihr im alten Testament in der von euch als Gottes Wort erkannten Schrift, findet. Was steht von Pharao, warum ihn Gott so lang habe stehen lassen? Dass über der aufgeschobenen, aber endlich geschärften Strafe, Gottes Macht erkannt und gepriesen würde. Das Erbarmen und das Verstocken setzt der Apostel hier bloß auf Gottes Willen aus, nicht als ob er die heilige und sonst im Wort Gottes so oft bezeugte Ordnung leugnete; sondern er redet hier so kurz und scharf, damit der Mensch sehe, er habe keine andere Wahl, als entweder der Gnade zu leben, so lange er sich noch von derselben gezogen findet; oder aber, wenn er das nicht haben will, es darauf ankommen zu lassen, wie ihm sein Herz immer mehr verhärtet, und wie Gott zuletzt auch sein richterliches Siegel darauf drückt, und einen Weg einschlägt, dass ein solcher Harter zum Beweis der göttlichen Macht auch auf harte Weise zerbrochen werden muss. Ein Vater hat oft gute Ursachen, aber zur Demütigung des Kindes beruft er sich bloß auf seinen Willen, und fordert Unterwerfung. – Durch die bisherigen Antworten nun wird ein neuer Einwurf gereizt: will mich Gott anders haben, so mache er mich anders; seinem Willen kann ja niemand widerstehen. Der Apostel antwortet hierauf doppelt; und beruft sich erstlich auf Gottes unumschränkte Macht; zeigt aber gleich auch, dass sich Gott derselben gegen niemand, auch nicht einmal gegen die Gefäße des Zorns bedient habe. Dem, der mit Gott rechten, Antwort auf Antwort haben, und zuletzt doch das letzte Wort behalten will, muss zuerst mit der unumschränkten Macht Gottes der Mund gestopft werden. Aber auch dieser Macht Gottes muss man nicht gleich auch auf einen eben so unbedingten Schluss seines Willens fallen. Denn Gott hat ja nicht nach dieser seiner unumschränkten Macht gehandelt. Er hätte das ganze menschliche Geschlecht in der Sünde und im Tode lassen können, niemand hätte mit ihm darüber rechten können, sondern er hätte eben seine freie Macht darunter gebraucht. Aber das hat er ja nicht getan, sondern hat Gnade vorwalten lassen. nicht den von Natur über allen Menschen liegenden Zorn hat Gott ausbrechen lassen; sondern erst der – auf die Verachtung der zuvor angebotenen Gnade gesetzte Zorn bricht aus an den vorher mit vieler Geduld getragenen Gefäßen des Zorns. Unter dieser Geduld ist eine beständige Anleitung zur Buße, nach dem allgemeinen gnädigen Willen Gottes, nach welchem er nicht will, dass jemand verloren werde. Aber über der Verachtung dieser Geduld kommt nun noch die Schuld auf den Menschen, die er nicht wollte auf sich kommen lassen, und es findet sich, dass er Gottes Willen widerstanden, und es wird offenbar, wie sich ein Mensch zurichten kann, der alles ausschlägt, was ihm Gott zu seinem Heil anbietet, und wie er sich zum Nachgeben und Beugen unter Gottes Gerechtigkeit immer untüchtig macht. Gleich wie es auch bei den Gefäßen der Barmherzigkeit nicht so ist, als ob sie Gott von Natur besser gefunden hätte; sondern unter vielem Erweis seiner herrlichen Gnade an ihnen, unter vieler Kraft seines durch alle Hindernisse durchbrechenden Worts werden sie zu dem bereitet und tüchtig, was ihnen in Gottes Beruf angetragen ist. Mithin wird der Beruf, die Macht dieselben am Herzen, der Gehorsam, so er einem abgewinnt, der Trieb, den man daher hat, als der richtigste Leitfaden in die Hand gegeben, an den man eben bleiben soll. – Von da an mildert nun der Apostel seinen Vortrag wieder, und da er Gottes Recht und Macht so hoch getrieben hatte, so zeit er nun auf gelindere Art, wie Gott den Weg, seine Auswahl durch Beruf aus Juden und Heiden zusammen zu bringen, schon in manchen Weissagungen des alten Testaments angedeutet habe; mithin dass doch diese Haushaltung Gottes nicht so verborgen sei, dass man sich bloß mit Gottes Recht und Macht müsste den Mund stopfen lassen, sondern dass man auch auf nähere Spuren kommen könne, was Israel zum Fall gereicht habe. Die bei der Assyrischen und Babylonischen Gefangenschaft geschehene Zerstreuung der Juden unter alle Völker war schon eine merkliche Vorbereitung auf die nachmals erfolgte Bekehrung der Heiden. Eines Theils kann manches von der Hoffnung Israel auch an sich selbst erkennen, wie oft durch Gerichte wiederum der Gnade und ihren Erweisungen müsse Raum gemacht werden. Viele Juden blieben ohnehin auf immer in heidnischen Ländern zurück, und dorthin musste ihnen im Evangelio der neue Gnaden-Antrag nachgetragen werden, da denn Gottes Beruf freilich Juden und Heiden neben einander wohnten. An der Menge, wie Sand am Meer, hat Gott freilich keinen Wohlgefallen, sondern bei der Menge ist vielmehr die Gefahr von Missbrauch seines Bundes desto größer. Aber die Übrigen, seine Auswahl, seinen Samen bringt er doch durch alle Zeiten durch. Die ungeschlachte Menge wird durch ein Verderben dahingerissen, und an den Übrigen geschieht ein Steuern zur Gerechtigkeit, und damit zu ihrem Heil. Darin liegt der Unterschied zwischen den Gerichten Gottes über Sodoma, und zwischen den Gerichten über sein Volk, wobei noch immer etwas zum Samen und künftiger Erfüllung seiner Verheißungen übrig bleibt.

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