Rheims, Wilhelm von - Auf den dritten Sonntag nach Epiphanias.

Rheims, Wilhelm von - Auf den dritten Sonntag nach Epiphanias.

Die Liebe der vernünftigen Kreatur ist ein sich Bewegen, oder ein ruhiges Verharren, oder ein schließliches Versenktsein in etwas, über das hinaus der strebende Wille nichts mehr erstreben mag und nichts Erstrebenswerthes mehr findet. Wer aber, o Herr, über dich hinaus oder über dich hinauf etwas sucht, das noch besser wäre als du, der sucht etwas, das nicht zu finden ist, denn es gibt nichts besseres, als dich, nichts süßeres, als dich, du gute süße Liebe. Darum wird auch durch den Abfall von dir, der du in Wahrheit allein der Liebe werth bist, nichts anderes zu Wege gebracht, als ein Buhlen und Liebäugeln mit fremden Gefühlen, die fremde Namen tragen. Denn die Liebe, wie oft schon gesagt und öfter noch gesagt werden muß, ist allein auf dich gerichtet, o Herr, in dem allein zu finden ist, was wahrhaft Bestand hat; in dir ist ein ruhiges und sicheres Verharren. „Gott fürchten“ in keuscher Scheu der Liebe, „und seine Gebote halten, das kommt allen Menschen zu.“ So müsse von meiner Seele alle Ungerechtigkeit weichen, auf daß ich dich, den Herrn meinen Gott, liebe von ganzem Herzen, von ganzer Seele und von allen meinen Kräften. Es müsse von mir weichen alle falsche Liebe, die noch etwas liebt neben dir, das sie nicht lieben kann um deinetwillen, du wahrhaftige einige Liebe und wahrhaftiger Herr.

Wenn ich aber etwas um deinetwillen liebe, so liebe ich nicht dies etwas, sondern dich, um deswillen ich liebe, was ich liebe. Denn du bist in Wahrheit allein der Herr, dessen Herrschaft über uns dahin zielt, uns selig zu machen. Worinnen liegt dein Heil, o Herr, daß das Heil ist, und worinnen liegt dein Segen, den du auf dein Volk legst, wenn nicht darin, daß du uns die Gnade verleiht, dich zu lieben und von dir geliebt zu werden?

Darum, o Herr, wolltest du auch, daß der Sohn deiner Rechten, der Mensch, den du nach deinem Bilde schuft, Jesus, d. h. Seligmacher genannt werden sollte: „denn er sollte sein Volk selig machen von ihren Sünden.“ Und ist kein anderer, in dem wir könnten selig werden, als er, der uns gelehrt hat ihn lieben, der uns zuerst geliebt. Durch seine freundliche und herzliche Liebe erweckt er uns, ihn zu lieben, der uns zuerst geliebt hat bis ans Ende. Unter den Menschenkindern gilt als Recht: Liebe mich, weil ich dich liebe. Aber selten kann einer sagen: Ich liebe dich, damit du mich liebest. - Das hast du gethan, denn wie der Jünger, den du lieb hattest, bezeugt und verkündigt: „Du hast uns zuerst geliebt.“ Also, ja also ist es, du hast uns zuerst geliebt, auf daß wir dich wieder lieben möchten. Nicht weil du unserer Liebe bedürftig warest, sondern weil wir, die Geschöpfe deiner Hand, nicht leben konnten, ohne dich zu lieben. Darum „nachdem du vor Zeiten manchmal und mancherlei Weise geredet hat zu den Vätern durch die Propheten, hast du am letzten in diesen Tagen zu uns geredet durch den Sohn,“ d. h. durch dein Wort, durch welches „der Himmel gemacht ist und alles sein Heer durch den Geist seines Mundes.“ Dein Reden durch deinen Sohn bedeutet nichts anderes, als ihn im Lichte der Sonne, d. h. vor allen Augen darstellen. Wie hoch und hehr hast du uns geliebt, „daß du deines eigenen Sohnes nicht verschonet hat, sondern hat ihn für uns. Alle dahin gegeben.“ Er aber „hat uns geliebet, und sich selbst dargegeben für uns.“ Das ist dein Wort an uns, o Herr, das ist das allmächtige Wort, das, während alles in stummem Wahne halb ja ganz versunken lag, von seinem königlichen Throne herniederkam, erbarmungslos allen Irrthum niederzukämpfen und deine süße Liebe zu preisen. Und was es that, und was es sprach auf Erden, bis hin zum Verspeien und den Faustschlägen, bis hin zum Kreuze und Grabe, das alles war nichts anderes, als dein Reden zu uns durch den Sohn, der durch seine Liebe zu uns unsere Liebe hervorrief und erweckte. Denn du Gott, Schöpfer der Seelen, wußtest gar wohl, daß jenes Gefühl in den Seelen der Menschenkinder nicht erzwungen werden kann, sondern hervorgelockt werden muß; schon aus dem Grunde, weil, wo Zwang ist, es keine Freiheit mehr gibt, wo aber keine Freiheit ist, es auch keine Gerechtigkeit gibt. Du aber, gerechter Herr, wolltest uns auf gerechte Weise selig machen, denn du machst Niemand selig, verdammt auch Niemand anders, als gerechter Weise. Du führet unser Recht und Sache aus, du sitzest auf dem Stuhl und richtet nach Gerechtigkeit, aber nach der, die du bereitet hat, „auf daß Aller Mund verstopfet werde, und alle Welt Gott schuldig sei;“ denn welchem du gnädig bist, dem bist du gnädig, und welches du dich erbarmet, des erbarmest du dich. Du wolltest also, daß wir dich lieben sollten, weil wir nur durch unsere Liebe zu dir ein Recht auf unsere Seligkeit gewinnen konnten; wir könnten aber keine Liebe zu dir haben, wenn sie nicht von dir ausginge. Darum, o Herr, wie der Apostel deiner Liebe gesagt hat, und wir schon gesagt haben, „hast du uns zuerst geliebt,“ und liebt du zuerst Alle, die zu deiner Liebe leiten. So lieben wir dich denn mit dem Liebesgefühle, das uns von dir eingepflanzt ist; du aber, der du alle Dinge geschaffen, auch die guten Gefühlsregungen, auch die Seelen, die du zu dir ziehen willst, liebst du etwa, die du liebst, in einem Liebesgefühle, das dir zufällig und von ungefähr ankommt, oder weil irgend was in irgend wem dich anzieht, der du Alle und Alles zuerst schafft? Das sei ferne! Es ist das ein ungereimter Gedanke, es ist ganz unglaublich, ganz unangemessen für den Schöpfer aller Dinge. Wie kommst du also dazu, uns zu lieben, wenn du nicht Gefallen daran findet, uns zu lieben? Es ist deine Liebe ein Ausfluß deiner Güte, du Bester unter den Guten, du höchstes unter den Gütern. Der Heilige Geist, der da ausgeht vom Vater und dem Sohne, der vom Anfang der Kreatur auf den Wassern schwebt, d. h. auf den wogenden Seelen der Menschenkinder, und also Allen sich darbietet, Alles zu sich zieht, der durch sein Einhauchen und Anhauchen alles Schädliche verbrennt, mit allem Heilsamen versorgt: der macht Gott mit uns und uns mit Gott eins. Sonach ist es dein Heiliger Geist, man mag ihn die Liebe, das Einsein, das Wollen des Vaters und des Sohnes heißen, der durch sein gnädiges in uns Wohnen, und dadurch, daß er uns die Liebe Gottes anpreist und durch dieselbe uns mit ihm versöhnt, uns mit Gott eins macht und uns den guten Willen einflößt, der in seiner vollen Stärke die Liebe ist, mit dem wir lieben, was wir lieben müssen, nämlich dich. Denn Liebe ist nichts anderes, als starker, wohlgerichteter Wille. Also liebst du dich, du liebenswürdiger Herr, in dir selber, wenn von dem Vater und dem Sohne ausgeht der Heilige Geist, nämlich die Liebe des Vaters zum Sohne und des Sohnes zum Vater. Diese Liebe ist so groß, daß sie ein Einssein ist, dies Einstein so groß, daß es eine Wesensgleichheit ist, daß Vater und Sohn gleichen Wesens sind. Du liebst auch dich selbst in uns, indem du den Geist deines Sohnes in unsere Herzen sendet, der im süßen Gefühl der Liebe, in der Kraft des uns von dir eingehauchten guten Willens ruft: Abba, lieber Vater! So machst du uns zu deinem Liebhaber, ja so liebst du dich selbst in uns, auf daß wir, die wir zuvor auf dich hofften, weil wir, Herr, deinen Namen kannten, die wir uns deiner rühmten, weil wir deinen Namen liebten, nunmehr kraft der ausgegebenen Gnade, kraft des Geistes deiner Kindschaft, alles, was des Vaters ist, mit voller Zuversicht für unser Eigenthum halten und dich aus Gnaden der Kindschaft mit demselben Namen rufen, wie dein eingeborner Sohn von Natur. Aber weil das alles ganz dein Werk ist, du Gott der Liebe und des Wohlthuns, weil von dir alle gute und alle vollkommene Gabe herabkommt, du erhabener Vater des Lichtes, o so liebe doch dich selbst in uns und uns in dir; denn nur durch dich lernen wir lieben und nur insoweit werden wir eins mit dir, als wir würdig werden, dich zu lieben und den Segen empfangen jenes Gebetes, das dein Sohn that: „Ich will, daß, gleichwie ich und du eins sind, also auch sie in uns eins seien.“ Sind wir doch deines Geschlechts, o Herr; „wir sind göttlichen Geschlechts,“ wie dein Apostel sagt, der diesen Ausspruch eines heidnischen Dichters seines üblen Sinnes entkleidet und ihm eine gute Deutung gibt, auf daß er hinfort nur noch in apostolischem, in gutem Sinne verstanden werde. Ja, wir sind göttlichen Geschlechts, „Götter, und allzumal Kinder des Höchsten.“ Kraft einer gewissen geistlichen Verwandtschaft dürfen wir den Anspruch erheben, dir ganz nahe zu stehen. Darum verschmäht es dein Sohn nicht, mit uns, die wir den Geist der Kindschaft haben, denselben Namen zu tragen, und nach seiner heilsamen Vorschrift und göttlichen Anweisung wagen wir mit ihm und durch ihn zu sprechen: „Vater unser, der du bist im Himmel.“ So liebst du uns denn in dem Maaße, als wir von dir deinen Geist, das ist deine Liebe empfangen haben. Derselbe nimmt unter seine Herrschaft und in seinen Besitz alle unsere geheimsten Gefühlsregungen, er erfüllt sie vollständig mit deiner reinen Wahrheit und deiner wahren Reinheit, und bewirkt also, daß sie vollkommen den Ansprüchen deiner Liebe entsprechen. Aus dieser so innigen Vereinigung, so regen Verbindung, so seligen Genießung deiner Süßigkeit erwächst dann das Einssein, von dem dein Sohn, unser lieber Herr Jesus Christus in den Worten redet: „Auf daß sie eins seien in uns,“ und der er eine so hohe Würde, eine so große Herrlichkeit beilegt, daß er noch hinzufügt: „gleichwie wir, ich und du, eins sind.“ O welch eine Freude, welch eine Herrlichkeit, welch ein Reichthum, welch eine Hoheit! Ja, die Weisheit ist hohen Adels und kann sprechen: „Bei mir ist Reichthum und Herrlichkeit, köstliche Schätze und Gerechtigkeit.“ Was aber wäre sinnloser, als mit Gott der Liebe nach und nicht der Seligkeit nach eins werden? Denn wahrhaft selig, in ganz einziger, sonderlicher und vollkommener Weise selig sind. Alle, die wahrhaft und vollkommen dich lieben; niemals aber und keinerlei Weise wird selig, wer nicht dich liebt, mein Herr und Gott. Man nennt wohl ein Volk selig, das reich ist an den Gütern dieser Welt, aber man lügt daran; es ist nur selig, wenn der Herr sein Gott ist. Denn was heißt selig sein anderes, als nur das Gute wollen und Alles haben, was man will? Lieben also, lieben in sonderlichem Sinne, das heißt, dich wollen, mit aller Kraft dich wollen, neben dem gar nichts steht, nichts Fleischliches, nichts Geistliches, nichts Irdisches, nichts Himmlisches, das neben dir Liebe verdiente. Das erst heißt nur das Gute wollen, das heißt Alles haben, was man will, wenn man dich hat, weil man dich liebt, so sehr man kann. Sonach meinen wir, daß wir der Liebe nach und der Seligkeit nach mit Gott eins werden, denn fürwahr „bei dem Herrn findet man Hülfe, und deinen Segen über dein Volk.“ Darum bringen wir dir, Vater, ohne Unterlaß dar unsere Gebete, Danksagungen und Opfer, und Alles was wir sind und haben, durch unsern Herrn Jesum Christum, deinen lieben Sohn, wir, die wir glauben und erkennen, daß wir durch ihn aus dir und von dir und zu dir alles Gute, ja selbst das Leben empfangen haben, wir, die wir glauben und erkennen, soweit hier Erkenntniß möglich ist, daß Alles durch die Gabe deines Heiligen Geistes, der in uns wohnt, gewirkt, sintemal derselbe, um unsern Geist sich ähnlich und mit sich eins zu machen, in uns weht, wann und wie und wie stark er will. „Wir sind sein Werk, geschaffen zu guten Werken,“ er wirkt unsere Heiligung, unsere Gerechtigkeit, unsere Liebe. Ja, er selbst ist unsere Liebe, mit der wir nach dir verlangen, mit der wir dich umfangen. Wie könntest du sonst, du unerfaßliche Majestät, der Seele, die dich liebt, faßlich erscheinen. Denn mag auch kein Vermögen der Seele oder des Geistes dich begreifen können, so begreift dich doch ganz, so groß du auch bist, die Liebe eines Liebenden, der dich ganz liebt, so groß, du bist; wenn man anders von ganz reden darf, wo keine Theile sind, von groß, wo es keinen Maaßstab giebt, von begreiflich, wo alle diese Dinge sich nicht finden. Aber wenn wir dich lieben, so wirkt auf unsern Geist ein dein Heiliger Geist; durch ihn, der in uns wohnt, ist die Liebe Gottes ausgegossen in unsere Herzen. Und wenn deine Liebe, die Liebe des Vaters zum Sohne, die Liebe des Sohnes zum Vater, wenn der Heilige Geist, der in uns ist, zu dir zurücktreibt, dann ist die Liebe vorhanden, die alle Knechtschaft Zions, d. h. alle Regungen unserer Seele in sich umwandelt und heiligt, dann lieben wir dich, und du liebst dich in uns; wir lieben in leidendlicher, du liebst in thätiger Weise, und macht uns eins in dir durch dein Einssein, d. h. durch deinen heiligen Geist, den du uns gegeben hat.

Und gleichwie den Sohn kennen für den Vater nichts anderes ist, als das sein, was der Vater ist, darum es auch im Evangelio heißt: „Niemand kennet den Vater, denn nur der Sohn, und Niemand kennet den Sohn, denn nur der Vater,“ und gleichwie den Vater und den Sohn kennen und begreifen für den heiligen Geist nichts anderes ist, als das sein, was der Vater und der Sohn ist; gleich also ist für uns, die wir nach deinem Bilde geschaffen sind, und nur in deinem Bilde, das wir durch Adam verloren haben, durch Christum von Tage zu Tage verneuert werden, für uns, die wir Gott lieben, das Gott Lieben und Fürchten und seine Gebote halten nichts anderes, als sein und eins sein mit Gott. Aber „Gott fürchten und seine Gebote halten, das kommt allen Menschen zu.“

O du Anbetungswürdiger, vor dem wir im Staube zittern, du Gebenedeieter, so sende uns doch deinen Geist, „laß ausgehen deinen Odem, so werden sie geschaffen und wirst verneuern die Gestalt der Erde.“ Denn „im Gewoge großer Wasserfluthen,“ in der Unruhe und Verwirrung ganz widerstreitender Leidenschaften „werden sie nicht zu ihm gelangen.“ Lange genug, o Herr, hat die Sündfluth, die Strafzeit der Kinder Adams, gedauert; laß deinen Geist über die Erde fahren, auf daß das Meer zurückweiche, auf daß zurückweiche die bittere Fluth alter Verdammniß, und erscheine das Trockene, das da dürstet nach dem lebendigen Quell. Es müsse herbei kommen die Taube des Heiligen Geistes, nachdem ausgestoßen ist der garstige Vogel, der auf seinen Leichen sitzt. Es müsse herbeikommen die Taube mit dem Oelzweige, mit dem Zeichen der Versöhnung, und Licht und Frieden verkünden. Es müsse uns heiligen deine Heiligkeit und Heiligung, es müsse uns eins machen dein Einstein, auf daß wir mit dem Gotte, der die Liebe ist, gleichsam auf dem Wege naher Verwandtschaft durch das Wesen seiner Liebe verbunden, durch die Kraft seines Wesens eins werden. Aber es ist ein Unterschied, o Herr, in der Art und Weise, wie einer dich liebt. Wie einer deiner erleuchteten Knechte sagt: Viele lieben die Wahrheit, die Licht gibt, aber nicht die Wahrheit, die Tadel ausspricht; Viele verehren die Gerechtigkeit mit ihrer Zuneigung, aber sie bleiben fern von ihrer Aneignung; an und für sich schenken sie ihr Beifall und Liebe, aber sie pflegen sie nicht in sich. Ob wohl diese in Wahrheit dich lieben, o Gott, du wahre Gerechtigkeit, ja, ob sie dich wohl in Wahrheit lieben? Die Weisen dieser Welt haben einst im Triebe ihrer Liebe und in den Werken ihres Wandels die Gerechtigkeit so hoch verehrt, daß von ihnen gesagt werden konnte: die Guten hassen die Sünde aus Liebe zur Tugend. Indeß man kann sie überweisen, daß sie die Gerechtigkeit nicht geliebt haben, denn sie liebten dich nicht, von dem Quell und Ursprung der wahren Gerechtigkeit ausgeht, auf den Ziel und Ende der wahren Gerechtigkeit zurückgeht, ohne den alle menschliche Gerechtigkeit gleich wie ein besudelt Kleid ist. Sie hatten ja den Glauben nicht, der in der Liebe thätig ist, mochten sie auch etwa eine erzwungene Liebe und rechtschaffen scheinende Werke haben. Weil aber dieselben nicht aus dem Quell der wahren Gerechtigkeit hervorgingen und nicht auf das Ziel der wahren Gerechtigkeit hingingen, so gingen sie um so verzweifelter irre, je stärker die außerhalb des Weges liefen. Der rechte Weg, o Vater, ist dein Christus, der gesagt hat: „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben.“ Deine Wahrheit nun und das Leben, nach dem man geht, und der Weg, auf dem man geht, stellt uns das Ziel und den vierfachen Umriß der göttlichen und wahren Weisheit hin, wenn er zu seinen Jüngern spricht: „Gleichwie mich mein Vater liebet, also liebe ich euch auch. Bleibet in meiner Liebe. So ihr meine Gebote haltet, so bleibet ihr in meiner Liebe, gleich wie ich meines Vaters Gebote halte, und bleibe in seiner Liebe.“ Siehe, hier ist der Geliebte des Geliebten, wo der Vater den Sohn liebt, und der Sohn in der Liebe des Vaters bleibt bis zur vollen Erfüllung seiner Gebote. Und wiederum, hier ist der Geliebte des Geliebten, wo der geliebte Jünger Christum seinen Meister bis zur Erfüllung seiner Gebote liebt, und von seiner Wahrheit und Liebe erleuchtet, dieses Streben bis hin zum Todesstündlein nicht verliert, und alle Dinge, gute und böse, und die, so zwischen beiden mitten inne liegen, zum Guten wohl zu brauchen weiß. Das gerade ist ein Grundzug der christlichen Tugend. Ist doch die Tugend, wie wir schon oben sagten, der gute Gebrauch des freien Willens, ein Werk der Tugend aber ist die gute Anwendung aller der Dinge, von denen man auch einen schlechten Gebrauch machen kann. Auf daß aber die Liebe keinen Mangel habe, muß, nach der Schrift, noch hinzukommen die Liebe zum Nächsten nach dem reinen Gesetz der Liebe. Gleichwie Gott in uns nur sich selbst liebt, und wir in uns allein Gott zu lieben gelehrt sind, also sollen wir den Nächten als uns selbst in Liebe umfangen, in ihm, wie in uns, allein Gott lieben.

Wozu aber so viele Worte? Meine arme Seele, o Herr, ist nackt, kalt und starr, und sehnt sich zu erwärmen an der Wärme deiner Liebe. Weil ich keine Kleider habe, so nehme und nähe ich diese allenthalben aufgerafften Lumpen zusammen, um meine Blöße zu decken; und nicht „zwei Holz,“ wie jene fromme Wittwe zu Zarpath, sondern diese kleinen Hölzlein lese ich auf in meiner wilden Wüste, in der weiten Leere meines Herzens, um doch einmal in das Gezelt meines Hauses einzugehen und aus der Handvoll Mehl und dem wenig Oel im Krüglein mir zuzurichten, daß ich esse und sterbe. Ach nein, o Herr, nicht daß ich sterbe, sondern daß ich lebe und des Herrn Werk verkündige. So stehe ich denn im einsamen Hause wie ein einsames Wild, ich wohne im Lande der Trübsal und warte auf das Regen meiner Liebe, „ich thue meinen Mund auf“ gegen dich, o Herr, und warte auf den Geist. Und wenn ich gleichsam mit geschlossenen Augen nach dir dürste, so gibst du mir, o Herr, je dann und wann in den Mund meines Herzens jenes etwas, von dem mir nicht gebührt zu wissen, was es sei. Zwar spüre ich ein Wohlgefühl von solch einer Süßigkeit, solch einer Lieblichkeit und Erquicklichkeit, daß, wenn es in mir zu einer Fülle gediehe, mir nichts mehr zu wünschen übrig bliebe. Aber auch wenn ich es empfange, lässest du doch durch keinen Sinn des Leibes, durch kein Gefühl der Seele, durch keine Verstandesschärfe des Geistes mich ergründen, was es sei. Wenn ich es empfangen habe, versuche ich wohl es festzuhalten, auszudenken, seine Natur zu durchforschen, aber alsbald ist es dahin. Zwar fange ich es in mich hinein, was es auch sein mag, um die Hoffnung des ewigen Lebens in mir zu stärken; aber wenn ich, durch langes Versenken in die Kraft seines Wirkens, mit ihm als einem Lebenssafte alle Adern und geheimen Tiefen meiner Seele erfüllen wollte, damit sie jedes andere Gefühl geschmacklos und an diesem allein und für immer Geschmack finden sollte, so war es schnell vorüber. Und wenn ich bei der Erforschung seines Kommens und Wirkens bestimmt hervortretende Grundzüge meinem Gedächtniß fest einzuprägen, oder auch der Untreue des Gedächtnisses mit der Feder zu Hülfe zu kommen wünschte, so läßt mich dieser Versuch den Sinn jener Stelle im Evangelio verstehen, darin der Herr vom Geist sagt: „Aber du weißt nicht, von wannen er kommt und wohin er fährt.“ Denn was ich auch gleichsam mit wenigen festen Umrissen in mein Gedächtniß hineinzuziehen trachte, um es mir durch die Rückerinnerung daran nach Belieben wieder vorzuführen, und es mir dadurch, so oft ich will, wieder vergegenwärtigen zu können, so höre ich des Herrn Wort: „Der Geist weht, wo er will,“ spüre auch in mir selbst, daß er weht, nicht wann ich will, sondern wann er selbst will. Ich finde, daß alle jene innern Strebungen ein todtes und kraftloses Ding sind, und daß ich meine Augen allein zu dir erheben muß, „du lebendige Quelle,“ auf daß ich allein „in deinem Lichte sehe das Licht.“ Also auf dich, o Herr, sind oder sollen ein meine Augen gerichtet, es müsse alles Wachsthum meiner Seele zu dir, in dir, von dir einen Fortgang gewinnen, und wenn meine Kraft, die so schwach ist, erlahmt, müsse all mein Mangel dir nachseufzen. Aber inzwischen, wie lange verstößest du mich? Wie lange ziehest du meine arme, geängstete, seufzende Seele dir nach? Ich bitte dich: „Verbirg mich heimlich bei dir vor jedermanns Trotz, verdecke mich in deiner Hütte vor den zänkischen Zungen.“ -

Schon ruft der Esel zurück und die Knaben sind sehr unruhig. So sei das, o Herr, mein letztes Wort: Im vollen Glauben ehre ich dich als meinen Gott, als den einzigen Ursprung aller Dinge, als die Weisheit, durch die weise ist eine jegliche Seele, die da weise ist; als die Gabe, durch die selig ist, was da selig ist. Dich, den einigen Gott, ehre ich, bete ich an, benedeie ich; es treibt mich Liebe und Verlangen, von ganzem Herzen, von ganzer Seele, aus allen meinen Kräften ganz dich zu lieben. Von jedem Engel und jedem guten Geiste, der dich liebt, weiß ich, daß er in dir auch sich liebt und mich liebt. Wer dich für ein wahres Gut hält, der hilft mir hin zu dir, und kann mich nicht darum neiden, daß ich an dir mein Theilhabe. Denn nur der abtrünnige Geist kann an unserm Elend seine Freude finden, unsern Vortheil sich zum Schaden rechnen. Weil ihm das gemeinsame Gut Aller und die wahre Seligkeit entfallen ist, ist er natürlich nicht unterthan der Wahrheit, freut er sich seines Sonderbesitzes und trägt Haß gegen das gemeinsame Gut Aller. Dich also, Gott Vater, durch dessen Schöpfungsakt wir das Leben haben; dich, die Weisheit des Vaters, die uns erneuert hat zu einem Leben in Weisheit; dich, Heiliger Geist, gegen den und in dem wir die Liebe haben, die unser Leben selig macht und völlig selig machen wird; dich, Dreieinigkeit, du einiges Wesen, dich, den einigen Gott, von dem wir kommen, durch den wir sind, von dem wir sündigend abfielen, dem wir unähnlich wurden, den wir bitten dürfen, dich, den Ursprung, zu dem wir zurückkehren, dich, das Vorbild, dem wir nachfolgen, dich, die Gnade, durch die wir versöhnt werden, dich beten wir an, dich benedeien wir. Dir sei Ehre in Ewigkeit. Amen.

Quellen: Kessler, Hermann/ Senf, Friedrich - Fromme Betrachtungen aus alten Tagen. Nach der Ordnung des Kirchenjahres

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