Oehninger, Friedrich - Wahrheiten für unsere Tage - Christliche Erleuchtung und Gewissheit.

Oehninger, Friedrich - Wahrheiten für unsere Tage - Christliche Erleuchtung und Gewissheit.

Die Erkenntnis ist das Erbe
Nicht der Weisen, nein, der Frommen;
Nicht im Grübeln, nein, im Beten
Wird die Offenbarung kommen.
Soll ein Menschenauge schauen,
Muss der Himmel sich erschließen,
Und ein Strahl von seinem Lichte
In das dunkle Herz sich gießen.

So heißt es schön und wahr in Webers „Dreizehnlinden“.

Ein Beispiel merkwürdiger tiefer Erleuchtung war der Schuster Jakob Böhme in Görlitz (geboren 1575). Der Anfang solcher christlichen Erleuchtung ist uns schon in der heiligen Taufe gegeben, die eine Verpflanzung in die Gemeinschaft des Lebens und damit auch des Lichtes des Sohnes Gottes ist. Das Leben ist das Licht der Menschen, sagt der heilige Johannes in seinem Evangelium Kap. 1. - Darum hat der Bischof Cyprian, wie so viele andere, die Taufe auch die Erleuchtung genannt, was an die geheimnisvolle Salbung erinnert, durch die wir nach 1. Joh. 2 alles wissen und erkennen, was unser Heil betrifft.

Um zur wahren Erleuchtung zu gelangen, muss man vorher die eigene Wissenslampe auslöschen, (The best way to see divine light is to put out thine own candle) und die falsche Methode der Erkenntnis vermeiden. Göttliche Dinge werden nicht durch Disputieren erlangt, sondern durch Heiligkeit. (S. Bernhard: res divinas non disputatio comprehendit, sed sanctitas). Je nachdem ein Mensch sittlich und geistlich angetan ist, danach empfängt er; ein Wandel vor Gott gibt das reine Auge, das göttliche Dinge erfasst. Es liegt tiefer Sinn in dem Worte Rückerts:

Zwiespältig ist Verstand und kann oft missverstehen;
Gefühl, das mit sich eins, kann niemals irre gehn. -

Es wird daher, um zum Glauben zu gelangen, nicht genügen, die Verstandeszweifel durch Beweise zu verscheuchen; damit ist der Herzenszweifel, die Zweifalt der Gesinnung, die Geteiltheit zwischen Gott- Welt- und Ichheitsdienst noch nicht überwunden.

Es gilt, zuerst die sinnliche Decke, sowie die Vorurteile der Zeit und Welt zu erkennen und zu beseitigen, durch welche uns die ewige Wahrheit, die Welt der geistigen Realitäten verdeckt und verhüllt ist. Es gilt ferner, das Geheimnisvolle, menschlichem Denken ohne Offenbarung Unerreichbare, der Gnade und Wahrheit des Christentums einzusehen. In ersterer Hinsicht sagte einmal jemand: Ich wollte einmal mein Licht anzünden, aber es ging nicht: der Dämpfer war noch darüber! So hilft Bibellesen und theologisches Forschen allein dem Stolzen und Leidenschaftlichen nichts. (Pascal: Hasse die concupiscentia1), die Begierde, die sich aus sich selbst bestimmt und zur Leidenschaft wird; denn die Leidenschaft verblendet das Erkennen). Wie Christus als Arzt der sündenkranken Menschheit kam, so kann die Christuserkenntnis nur auf dem Grunde und im Bunde der Sündenerkenntnis sich auferbauen; musste Israel erst durch das Gesetz, durch welches Erkenntnis der Sünde kommt, auf den Erlöser vorbereitet werden. Alle göttliche christliche Erkenntnis erbaut sich auf der Erkenntnis des Gesetzes der Sünde und des Todes, - wie Christus nur aus seinen Beziehungen zur Sünde der Menschheit verstanden werden kann. Ja, dies gilt nicht nur mit Bezug auf den Anfang der christlichen Erkenntnis, sondern auch für den Fortgang derselben, und Kügelgen urteilt richtig: Der wachsende Fortschritt im Christentum ist zugleich wachsende Erkenntnis unseres eigenen inneren Verderbens. - Wie wenig die sich selbst überlassene Vernunft zur Erkenntnis der Wahrheiten der göttlichen Offenbarung ausreicht, und was der erste Schritt zur Erkenntnis ist, hat Hamann treffend in folgenden Worten ausgesprochen: „Dem Philosophen geht's wie dem Juden. Beide wissen nicht, weder wozu Vernunft noch Gesetz gegeben ist, zur Erkenntnis der Sünde und der Unwissenheit, nicht der Gnade und Wahrheit, die geschichtlich geoffenbart werden muss und sich nicht ergrübeln, noch ererben, noch erwerben lässt“ (vergl. Hamanns Werke IV. 200, dessen Erkenntnistheorie „Sensus principium alles Intellectus“).

Weder die persönliche Wissbegierde, noch die öffentliche Meinung können Führer zur Wahrheit sein; denn die erstere, eine Folge der natürlichen Blindheit, hängt am Eiteln, und die letztere ist oft selbst schon Verrücktheit, die aber nicht erkannt wird, weil da ein Irrtum den andern deckt. Der sogenannte Liberalismus mit seinem Majoritätsprinzip schafft kein Vertrauen, keine Gewissheit und keine Wahrheit. Immer strebt eine Minorität nach der Herrschaft und sucht dann die Beschlüsse der Mehrheit als Irrtum umzustoßen. Wohl muss man, um die Wahrheit zu erkennen, auch nach außen horchen und sich vor dem Abwege der Schwärmerei hüten, die alles innen, in sich finden, will. („Jüngling, wer soll dich belehren, wenn sich einmal der Wahn in dir festgesetzt hat, deine Einfälle und Ahnungen seien vom heiligen Geist? Du hast dann keine Ohren mehr für die Stimme der Erfahrung und der Weisheit, du belächelst und bemitleidest jeden besonnenern Jünger des HErrn, der nicht deiner Meinung ist, und hältst dich allein für klug und vom Geiste Gottes getrieben. Bedenke, dass dir Gott den Kopf zwischen die Ohren gesetzt hat, und nicht die Ohren zwischen den Kopf; darum sollst du nicht bloß nach Innen hören, sondern auch nach Außen und zwar auf beide Seiten hin, rechts und links, sintemal du auf jeglicher Seite ein Ohr hast. Und was die Ohren hören, das soll der Kopf prüfen.“ Zeller in Beuggen). - Aber die Außenwelt, die wir besonders zu hören haben, wollen wir in der ewigen Wahrheit und Weisheit gefördert werden, ist weniger das schwankende schillernde Bild der Gegenwart, als die Geschichte der Vergangenheit. In Hiob Kap. 8 lesen wir: „Ja, frage nur das frühere Geschlecht und merke, was die Väter einst erforscht! Wir sind von gestern her und wissen nichts; ein Schatten sind auf Erden unsre Tage.“ - Also: das Einzelleben gewährt keine vollkommene Gotteserkenntnis. Dazu gehört das Leben aller Geschlechter. Hierzu befindet sich unsere moderne Weisheit in stärkstem Widerspruch; die Jetztwelt hat mit der ganzen Vorwelt gebrochen. Man bedenke wohl die Kürze und Unbedeutendheit des menschlichen Wissens des Einzelnen gegenüber der alten historischen Tradition. Auf dieser Wahrheit beruht auch die Notwendigkeit der heiligen Schriften, ihrer Abfassung, Sammlung und Überlieferung.

Aber mehr als alle Außenwelt noch kommt hier die höhere Welt und ihre Verschlossenheit, soweit sie sich nicht offenbart, in Betracht. „Ist dir etwas verständlich, so ist's

nicht mehr unendlich“ (Rückert). Baco von Verulam2) sagt mit Recht: „Man muss den menschlichen Geist zur Größe der göttlichen Geheimnisse erweitern, nicht die göttlichen Geheimnisse zur Enge unseres Verstandes verkürzen.“ - Dieser Forderung wird nur derjenige gerecht, der darauf verzichtet, die göttliche Wahrheit ohne objektive Offenbarung und ohne subjektive Erleuchtung zu finden und der sich stets der Schranken des menschlichen Erkennens demütig bewusst bleibt, sowie dessen, dass wir nur in dem Maße erkennen, als wir selbst von Gott erkannt sind. Vergl. 1. Korinth. 13,12, - Beherzigenswert ist auch folgende Bemerkung Baaders zu dem Schriftwort: „Der Buchstabe tötet, der Geist macht lebendig.“ „Die Schrift tötet zuerst den eigenen, nicht rechten Geist und macht dann durch dieses Töten dem rechten Geiste Bahn. Verderblich ist bigottes Ankleben am Buchstaben; schlimmer der separatistische Missbrauch desselben zur Geltendmachung eigenen Geistes; noch schlimmer das revolutionäre Lossagen von Buchstaben und Geist.“ - Die sogenannten Reformtheologen vertreten das Seelische, die Vernunft gegen das Fleisch, aber den Geist erreichen sie nicht.

Zum Empfangen göttlicher Wahrheit und Erkenntnis gehört mehr Lehre als Kraft, mehr Ruhe als Mitwirkung.

Über den Unterschied von Wissen und Erkennen siehe: Vilmar in seinem Collegium biblicum zu 1. Kor. 8,4-3. -

Hamann war gewiss ein großer, erleuchteter Denker, der die Philosophen seiner Zeit wohl verstand, und doch vermutet er, dass diese Philosophie mehr aus Sprache als aus Vernunft bestehe und den Schlüssel der Erkenntnis verloren habe, wovon schon der alte Heide Salust eine Ahnung hatte, wenn er schrieb: Jamdin amisimus vera rerum vocabula - die wahren Begriffe der Dinge haben wir schon lange verloren! Da kann nur der weise werden, der vorher einem solchen Geschlecht als Tor erschienen ist dadurch, dass er das glaubte, was den Menschen absurd und töricht und unvernünftig zu sein scheint, weil es übervernünftig ist. (Non eris sapiens, nisi stultus in seculo fueris, Dei stulta credendo.3) Tertullian, de carne Christi. cap. V.)

1)
Konkupiszenz, heftiges Verlangen, Begierde
2)
Francis Bacon
3)
Du wirst nicht weise sein, wenn du nicht ein Narr auf der Welt warst und an die törichten Dinge Gottes glaubtest
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