Luger, Friedrich - Der Brief des Jakobus - Dreizehnte Betrachtung.

Luger, Friedrich - Der Brief des Jakobus - Dreizehnte Betrachtung.

Unterwinde sich nicht Jedermann, Lehrer zu sein!

Über Jak. 3,1.2.

Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserem Vater, und dem Herrn Jesu Christo! Amen.

Jak. 3,1.2:
Liebe Brüder! Unterwinde sich nicht Jedermann, Lehrer zu sein, und wisst, dass wir desto mehr Urteil empfangen werden. Denn wir fehlen Alle mannigfaltig. Wer aber auch in keinem Worte fehlt der ist ein vollkommener Mann, und kann auch den ganzen Leib im Zaume halten.

Meine lieben Freunde! Wenn man diese Worte unseres heutigen Textes liest, könnte man auf den ersten Eindruck meinen, sie stünden mit dem vorhergehenden zweiten Kapitel unseres Briefes, namentlich mit dem Schlusse desselben in gar keinem Zusammenhang, und Jakobus begönne in diesem dritten Kapitel mit etwas gänzlich Neuem. Aber doch ist dem nicht also; er hat dieselben Leser vor Augen, welche er im zweiten Kapitel vor einem toten Glauben warnte, und die er schon im ersten Kapitel ermahnt hatte, nicht bloß Hörer, sondern auch Täter des Wortes zu sein. Zu diesem Tun des Wortes gehörte eben auch, was er forderte: (Kap. 1,19.) „Darum, liebe Brüder, ein jeglicher Mensch sei schnell zu hören, langsam aber zu reden!“ Daran gerade ließen es diese Christen fehlen, die sich in falscher Sicherheit auf ihren Glauben verließen. Werke hatte ihr Glaube nicht, aber Worte; Täter des Wortes waren sie nicht; aber Lehrer desselben wollten sie sein. Darum tritt ihnen Jakobus mit der ernsten Mahnung entgegen: „Liebe Brüder! Unterwinde sich nicht Jedermann, Lehrer zu sein!“ und geht dann zu der gewaltigen Warnung vor dem Missbrauch der Zunge über, welche wir unserer nächsten Betrachtung zu Grunde legen. Für heute aber beschränken wir uns auf diese Mahnung:

Unterwinde sich nicht Jedermann, Lehrer zu sein!

und fragen:

  1. Was meint Jakobus mit diesem warnenden Worte? und:
  2. Was soll uns bewegen, dasselbe mit ganzem Ernste zu beherzigen?

Gott der Gnade aber walte über dieser Betrachtung seines Wortes mit seinem Geist und mit seinem Segen! Amen.

1.

Schon in der ältesten christlichen Kirche gab es ein ordentliches Hirten- und Lehramt. Jakobus selbst blieb, als die Apostel Jerusalem verließen, als oberster Hirte und Lehrer der Gemeinde daselbst zurück. Paulus bestellte hin und her in den Gemeinden, welche er durch die Predigt des Evangeliums gegründet hatte, Hirten und Lehrer, und ermahnte dann wieder den Timotheus, was er von ihm gehört habe, treuen Menschen zu befehlen, „die da tüchtig seien, auch Andere zu lehren“. (2 Tim. 2,2.) Aber daneben erinnert er allerdings die Christen zu Thessalonich auch: „Den Geist dämpft nicht; die Weissagung verachtet nicht!“ (1 Thess. 5,19.20.) Man ließ es nach der Weise der jüdischen Synagoge in den Versammlungen der Gemeinde Jedem frei, das Wort zu nehmen, und die großen Taten Gottes zu verkündigen, nach dem ihm der Geist gab auszusprechen. Da blieb es nicht aus, dass auch Irrlehrer und falsche Propheten auftraten, und Leute aus Eitelkeit sich dazu drängten, das Wort zu nehmen. Dem Missbrauch tritt Jakobus mit seinem warnenden Worte entgegen: „Unterwinde sich nicht Jedermann, Lehrer zu sein!“

In dem Herrn Gebiete! Es gibt noch heute christliche Parteien, in welchen der Beruf, zu lehren, nicht an ein ordentliches Hirten- und Lehramt gebunden ist, sondern ein Jeder, nach dem der Geist ihn treibt, in den Gemeindeversammlungen das Wort nimmt. Aber im Allgemeinen und insonderheit auch unter uns, innerhalb der evangelischen Kirche, ist das Lehren in der Gemeinde an ein Lehramt mit ordentlicher Vorbereitung auf dasselbe und ordentlicher Berufung in dasselbe gebunden. Darum gilt auch in Bezug auf dies ordentliche Lehramt in der Gemeinde. das Wort des Jakobus: „Unterwinde sich nicht Jedermann, Lehrer zu sein!“ Dränge sich nicht Jedermann zu diesem Berufe; sondern, wer ein solches Amt begehrt, der prüfe sich zuvor wohl, ob er auch zu demselben geschickt sei, und es als Gottes Beruf und Willen erkennen dürfe, dass er sich unterwinde, Lehrer zu sein. Aber in unseren Tagen ist freilich eine solche warnende Erinnerung gerade in diesem Sinne weniger erforderlich, da von einem besonderen Zudrange zu dem Beruf des christlichen Lehramtes und einem Sichherandrängen zu demselben kaum unter uns die Rede sein kann. Schon die anhaltende ernste Beschäftigung mit dem Worte Gottes, die sorgfältigere Achtsamkeit auf sich selbst und den eigenen Wandel, wie wir sie mit Recht von dem Lehrer des Wortes Gottes fordern, dies ganze Leben in Gebet und Arbeit und in dem Dienste opferwilliger Liebe, in stetem Kampfe wider die Macht des Unglaubens und der gelockerten christlichen Zucht und Sitte, sind nicht Jedermanns Sache, während andererseits die geringe Aussicht auf irdischen Lohn und äußere Anerkennung nicht Wenige von der Wahl dieses Berufes zurückschreckt, so dass es bei der Wiederbesetzung eines erledigten Lehramtes nicht selten an geeigneten Bewerbern für dasselbe gebricht. So wenig bedarf es also in diesem Sinne der warnenden Erinnerung des Jakobus: „Unterwinde sich nicht Jedermann, Lehrer zu sein!“ wörtlich: „Werdet nicht zu Vielen, in Menge, Lehrer!“ „Drängt euch nicht in Haufen danach, Lehrer der Gemeinde, Prediger des Wortes Gottes, zu werden!“

Aber in anderer Weise tut es allerdings gerade in unseren Tagen Not, diese warnende Erinnerung des Jakobus recht zu Herzen zu nehmen. Tritt doch unter uns, wie kaum je zuvor in vergangenen Zeiten, der Drang, den Lehrer und Meister spielen zu wollen, in der allerbedenklichsten Weise hervor. Kinder, Lehrlinge, Schulknaben können den Augenblick kaum erwarten, da sie der Unterweisung und der Zucht der Eltern, Lehrherren und Lehrer entwachsen sind. Das ganze jüngere Geschlecht glüht vor Eifer, dem älteren seinen Rat und seine Hilfe zur Umgestaltung und Erneuerung aller Ordnungen und Verhältnisse des Lebens zu Gute kommen zu lassen. Durch alle Kreise der Gesellschaft geht das Bedürfnis, sei es auf geordneten Wegen in der Vertretung des Volks und der Gemeinde, sei es in dem selbsterwählten Berufe des Volksredners und Stimmführers in Volksversammlungen und Vereinen, oder auch in Tagesblättern und Flugschriften die Menge zu belehren, die Regierungen und Obrigkeiten mit Ratschlägen zu unterstützen, und dadurch nicht selten die Freiheit ihrer Entschließungen und Maßnahmen zu lähmen. Es ist ja wohlgetan und der Anerkennung wert, wenn der Einzelne über das nächste Interesse seiner Person, seines Hauses, seines Berufes hinaus das Wohl der Gemeinde, des Staats, der Kirche auf dem Herzen trägt, und nach dem Maße seiner Einsicht und Erfahrung für dasselbe mitzuwirken bemüht ist. Aber wie Viele, die ohne Beruf und Einsicht oder Erfahrung sich dazu drängen, über die schwierigsten und verwickeltsten Fragen und Verhältnisse mitzusprechen und abzusprechen! Wie viel eitles, ehrgeiziges Jagen nach Einfluss und Ansehen! Wie viel unreifes und liebloses Richten und Splitterrichten über die Männer, deren Amt und Beruf es ist, für das Beste der Gemeinde mit Rat und Tat zu sorgen, Recht zu sprechen und des Regiments zu warten! Wie Viele, die es vergessen, dass es leichter ist, Andere zu meistern, als es besser zu machen! Vollends, wo es Christentum und Kirche gilt, wie wenig wahre und warme Teilnahme an ihrem Gedeihen, an den gottesdienstlichen Versammlungen, an den christlichen Vereinen und Werken der christlichen Liebe; wie wenig freimütiges, freudiges Bekenntnis zu dem Herrn und seinem Worte; aber wie viel des Mäkelns über die Schäden der Kirche und des kirchlichen Lebens, wie viel des lieblosen Gerichts über die Lehrer der Kirche, wie über gläubige und ernst gesinnte Christen; und über das Alles, wie viel leichtfertiges und hochmütiges, bald aus bodenloser Unwissenheit, bald aus eigener Zerrissenheit des Herzens hervorgehendes Absprechen über die Grundwahrheiten unseres Glaubens und die heilsame Lehre des Evangeliums! Ist doch kaum Einer so geistig oder sittlich verkommen, dass er nicht meint, sei es auch nur in Trinkstuben oder in Schmutzblättern, gegen die Kirche und den Christenglauben das große Wort führen zu müssen, und nur zu oft findet er Leute genug, die seinen Lästerreden ein williges Ohr leihen! Und in dem Allem, wie Not tut das warnende Wort des Jakobus: „Liebe Brüder, unterwinde sich nicht Jedermann, Lehrer zu sein!“ Wer seid ihr, und was macht ihr, dass ihr euch also in hellen Haufen zu Lehrern, Ratgebern, Richtern und Meistern über eure Brüder aufwerft? Zeige mir zuvor, wer du bist, und was du kannst, und was du weiß, damit ich sehe, mit welchem Rechte du dich unterwindest, Lehrer zu sein!

2.

Denn ein „Unterwinden“ ist es ja doch überall, ein Lehrer Anderer sein zu wollen, wie denn nicht vollends ein Lehrer in den höchsten, heiligsten Dingen! Wehe, wer da mit unreinen Lippen, ohne göttlichen Beruf, ohne eigene Heilserkenntnis und Heilserfahrung sich unterwindet, Andere lehren zu wollen!

„Liebe Brüder!“ schreibt Jakobus, „unterwinde sich nicht Jedermann, Lehrer zu sein, und wisst, dass wir desto mehr Urteil empfangen werden!“ Seht da das Erste, wodurch Jakobus seine warnende Mahnung unterstützt, und was uns bewegen soll, sie mit ganzem Ernste zu beherzigen! Je wichtiger der Beruf, um so größer die Verantwortung! So ist es ja auch sonst im Leben; wie denn nicht, wo es gilt, Seelen zu Gott zu führen, und in seiner Gemeinschaft zu erhalten! Freunde, was ist ein sündiges Menschenkind dieser ernsten, schweren Verantwortung gegenüber! Es gibt auch sonst im Leben des christlichen Lehrers und Seelsorgers ernste dunkle Stunden, Stunden der tiefen Trauer über vergebliche Arbeit, getäuschte Hoffnungen, Stunden des schmerzlichen Grams über den Undank derer, auf deren Dank und Liebe wir rechneten, der Tränen über die Seelen, welche wir von ihren Irrwegen zu dem Herrn bekehren, vor dem Verderben bewahren wollten, und an denen alles Gebet und alle Arbeit treuer Liebe umsonst war! Aber was sind solche dunklen, schweren Stunden des Grams und der Tränen und der Trauer gegen die dunkleren, schwereren Stunden der inneren Selbstanklage, des Selbstgerichts, wenn die Gedanken an den Ernst der Ewigkeit und der ewigen Rechenschaft, und an das Urteil, das wir empfangen werden, uns durch die Seele gehen, und es nun die Antwort gilt auf die Frage: „Wo sind sie? Wo sind sie, die Seelen, welche du zu hüten bestellt warst, welche du zu lehren dich unterwandest?“ Wehe, wenn in solchen Stunden, da Gottes Gerichte also dem christlichen Lehrer durch die Seele gehen, sein Gewissen ihm bezeugt: „Es war nicht Gottes Beruf und Wille; es war Ehrgeiz und leichtsinnige Vermessenheit, dass du dich unterwandest, Lehrer zu sein!“ Wer ermisst den Segen, aber auch den Unsegen, welchen wir mit einem Worte stiften können, das, sei es von der Kanzel, oder unter der Kanzel, geredet wird? Wie oft, dass wir schon hier Sturm ernten, wo wir Wind gesät haben? Und was will werden, wenn wir einst unser Urteil empfangen werden nach dem Worte des Herrn: „Ich sage euch, dass die Menschen müssen Rechenschaft geben am jüngsten Gericht von einem jeglichen unnützen Worte, das sie geredet haben. Aus deinen Worten wirst du gerechtfertigt werden, und aus deinen Worten wirst du verdammt werden!“ (Matth. 12,36.37.)

Freunde, welch eine ernste Warnung für uns Alle! Denn wer mag sagen, dass er kein unnützes Wort geredet habe? Denn wir fehlen Alle mannigfaltig; „wer aber auch in keinem Worte fehlt, der ist ein vollkommener Mann, und kann auch den ganzen Leib im Zaume halten.“ „Wir fehlen Alle mannigfaltig!“ Das Wort soll uns kein Ruhepolster sein, noch uns verführen, uns bei uns selbst zu entschuldigen. Jakobus will mit demselben vielmehr einen zweiten Grund hervorheben, der uns bewegen soll, sein warnendes Wort: „Unterwinde sich nicht Jedermann, Lehrer zu sein!“ recht zu beherzigen. Darum erinnert er daran, wie schwer es auch dem Christen wird, sich vor Zungensünden zu hüten. Nirgends so sehr, als da, werden wir es inne, wie fern wir noch von dem Ziele christlicher Vollkommenheit sind. Und doch ist, wer seines Wortes nicht mächtig ist, auch seiner Werke nicht mächtig, und nur, wer auch in Worten nicht fehlt, ist ein vollkommener Mann, und kann auch den ganzen Leib im Zaume halten“, sich selbst ganz und gar, alle seine Handlungen und Werke, beherrschen.

Und nun, in dem Herrn Geliebte! Eingedenk dieser Schwachheit und Fehlsamkeit des Menschen, wie mag Jemand sich leichtsinnig und vermessen unterwinden, Lehrer zu sein? Ist es für uns immer schwer, in Worten nicht zu fehlen, wie erst, wenn es gilt, das Wort der Wahrheit zu lehren, es klar, einfältig, erwecklich, vom Leben zum Leben zeugend, zu verkündigen, nichts als die Wahrheit, aber auch die ganze Wahrheit zu lehren, zur Zeit und zur Unzeit, sie mögen es hören wollen oder nicht; das Wort recht zu teilen, nach dem einem Jeglichen not ist, den Leichtsinnigen zur Warnung, den Betrübten zum Troste, den Verirrten zur Buße, den Gläubigen zur Ermunterung und Befestigung des Glaubens! Gedenket des allezeit, liebe Brüder! in eurem Urteile über uns, die wir euch das Wort der Wahrheit zu lehren berufen sind, auf dass ihr in Liebe und Lindigkeit über uns urteilet! Es ist doch kein vollkommener Mann, der auch in keinem Worte gefehlt hätte, als allein Er, der Eine, unser Aller Lehrer und Meister, welcher sprechen durfte: Welcher unter euch kann mich einer Sünde zeihen? So ich euch aber die Wahrheit sage, warum glaubt ihr mir nicht?“ (Joh. 8,46.) Wir aber sind allzumal fehlsame, sündige Menschen, die auch im Worte leider täglich sonntäglich viel sündigen. Darum dürft ihr auch von uns nicht mehr fordern und erwarten, als man von fehlsamen Menschen zu fordern und zu erwarten berechtigt ist. Statt zu urteilen und zu richten, tragt uns vielmehr mit euren Gebeten und eurer Liebe, damit wir nicht unter der drückenden Last unseres Berufes erliegen, selbst so sehr des Rates, der Lehre, des Trostes, der Stärkung bedürftig, immer wieder Andere beraten, lehren, trösten, stärken zu sollen

Vor Allem aber werde Du selbst nicht müde, o Herr, Du vollkommener Lehrer und Berater, Du rechter Tröster und einige Kraft der Deinigen, uns in alle Wahrheit zu leiten, uns zu trösten, zu stärken, und wohl bereit und tüchtig zu machen, die Seelen unserer Brüder, Deiner Erlösten, zu lehren, zu Dir zu weisen und in Deiner Gemeinschaft zum ewigen Leben zu erhalten! Gehe nicht mit uns ins Gericht um unserer mannigfaltigen und großen Fehler und Unvollkommenheiten willen in der Erfüllung unseres Berufes, Hirten und Lehrer Deiner Gemeinde zu sein! Entsündige unsere Lippen, und reinige sie mit dem Feuer Deines heiligen Geistes, dass wir nicht Andere lehren, und selbst nicht recht gelehrt sind, dass wir nicht Anderen predigen, und selbst verwerflich werden! Segne das Wort der Lehre, welches hin und her in unseren Kirchen gepredigt wird, auf dass es an seinem Teile zur Erbauung Deiner Gemeinde diene, und wir Alle, Hirten und Heerde, Lehrer und Hörer Deines Wortes, immer völliger im Glauben an dasselbe und im seligmachenden Tun desselben eins werden, und auch also unser ein Jeglicher ein Mann werde in Dir, und hinankomme zu dem Maße Deines vollkommenen Alters! Amen.

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