Leibniz, Gottfried Wilhelm - Plädoyer für Gottes Gottheit

Leibniz, Gottfried Wilhelm - Plädoyer für Gottes Gottheit

in Gestalt einer Verteidigung seiner Gerechtigkeit in Uebereinstimmung mit all seinen übrigen Vollkommenheiten und Handlungsweisen.

Gliederung des Ganzen.

1.

Die apologetische Behandlung der Sache Gottes geschieht nicht nur zur Ehre Gottes, sondern auch zu unserem eignen Nutz und Frommen. Denn wir wollen ja nicht nur seine Größe, d.h. seine Macht und Weisheit, verehren, sondern ihn auch als den Guten und - was daraus folgt- als den Gerechten und Heiligen lieben und, soviel an uns ist, ihm nachzueifern suchen.

Dieser Traktat besteht aus zwei Teilen, einem vorbereitenden und einem Hauptteil; jener behandelt die Größe und das Gutsein Gottes getrennt, dieser diejenigen Probleme, die sich auf beides gleichzeitig beziehen, wohin ebenso die sich auf die ganze Schöpfung erstreckende Vorsehung wie die Regierung der vernünftigen Kreaturen, besonders im Hinblick auf ihre Frömmigkeit und ihre Seligkeit, gehören.

2.

Die strengeren Theologen haben mehr die Größe als das Gutsein Gottes in Erwägung gezogen, während die gelinderen das Gegenteil getan haben; die wahrhaft Rechtgläubigen aber lassen sich beide Vollkommenheiten in gleicher Weise angelegen sein. Den Irrtum derer, welche die Größe Gottes schmälern, könnte man als anthropomorphistische Verzeichnung des Wesens Gottes, den Fehler derer, welche das Gutsein Gottes aufheben, als despotistische Verzeichnung des Wesens Gottes bezeichnen.

Von der Größe Gottes.

3.

Die Größe Gottes ist eifrig zumal wider die Sozinianer und Semisozinianer, unter denen am meisten Konrad Vorst hierin verstoßen hat, in Schutz zu nehmen. Es kann aber die Größe Gottes auf zwei Hauptstücke, Allmacht und Allwissenheit, zurückgeführt werden. Von der Macht Gottes.

4.

Die Allmacht umgreift sowohl Gottes Unabhängigkeit von anderen als auch die Abhängigkeit aller von ihm selbst.

5.

Die Unabhängigkeit Gottes leuchtet in seinem Dasein und in seinem Handeln hervor. Und zwar ist Gott unabhängig in Bezug auf sein Dasein, sofern er notwendig und ewig und, wie man gemeinhin sagt, ein selbstgenugsam Wesen (ens a se) ist - woraus denn auch seine Unermeßlichkeit folgt.

6.

Als Handelnder ist er unabhängig in wesensmäßiger und in ethischer Hinsicht: in wesensmäßiger Hinsicht, denn er ist der Freieste und läßt sich nur durch sich selbst zum Handeln bewegen, in ethischer Beziehung, denn er ist niemandem untertan und duldet keinen Höheren über sich.

7.

Die Abhängigkeit der Dinge von Gott erstreckt sich auf alles nur Mögliche oder das, was keinen Widerspruch einschließt, als auch auf alle wirklichen Dinge.

8.

Selbst die Möglichkeit der Dinge, wenn sie auch noch nicht aktualisiert sind, hat Realität, die sich gründet im Dasein Gottes. Denn wenn Gott nicht existierte, so wäre nichts möglich, und das Mögliche besteht von Ewigkeit her in den Ideen der göttlichen Vernunft.

9.

Das Verwirklichte hängt ebenso seinem Dasein wie seiner Wirkweise nach ab von Gott, und zwar sowohl von seiner Vernunft wie von seinem Willen. Existentiell hängen alle Dinge von Gott ab, weil sie von Gott frei erschaffen sind und auch von ihm erhalten werden, und ganz richtig lehrt man, die göttliche Erhaltung sei, wie die Lichtstrahlung beständig von der Sonne ausgeht, eine fortgesetzte Schöpfung, wenn auch die Kreaturen nicht aus Gottes Wesenheit und nicht zwangsläufig aus ihm emanieren.

10.

In ihrer Wirkweise hängen die Dinge von Gott ab, sofern Gott zu ihrem Wirken mitwirkt; soweit irgendeine Vollkommenheit ihrem Wirken innewohnt, muß sie allerdings von Gott herfließen.

11.

Die Mitwirkung Gottes aber (auch die normale und nicht durch Wunder veranlaßte) ist zugleich eine unmittelbare und eine besondere. Und zwar ist sie unmittelbar, da ja das Wirk-Ergebnis nicht nur deshalb von Gott abhängt, weil seine Verursachung auf Gott zurückgeht, sondern auch weil Gott zur Hervorbringung des Wirk-Ergebnisses selbst nicht weniger und nicht entfernter beiträgt als zur Hervorbringung der Ursache dazu.

12.

Eine besondere aber ist die Mitwirkung Gottes, weil sie sich nicht nur auf das Dasein und die Wirkweise der Sache, sondern auch auf die Art ihrer Existenz und ihre Eigenschaften richtet - sofern nämlich irgendeine Vollkommenheit ihnen innewohnt, die ja immer von Gott herfließt, dem Vater des Lichts und dem Geber alles Guten. Von der Weisheit Gottes.

13.

Bisher haben wir von der göttlichen Macht gehandelt, jetzt wollen wir von seiner Weisheit reden, die wegen ihrer Unermeßlichkeit Allwissenheit genannt wird. Da diese nun (nicht minder als die Allmacht) die vollkommenste ist, umfaßt sie jede Idee und jede Wahrheit, d.h. alle einfachen wie alle komplexen Begriffe, die je Denk-Gegenstand sein können, und hat es ebensowohl mit dem Möglichen wie mit dem Wirklichen zu tun.

14.

Gottes Kenntnis des Möglichen, die man das Wissen der reinen Vernunft (scientia simplicis intelligentiae) nennt, hat es ebenso mit den Gegenständen wie mit deren Verbindungen zu tun. Und beide treten sowohl in der Form der notwendigen wie in der Form der zufälligen Gegenstände auf.

15.

Die möglichen Dinge, soweit sie zufällig sind (possibilia contigentia), können sowohl gesondert betrachtet werden als auch eingeordnet in eine unendliche Vielheit ganzer möglicher Welten (coordinata in integros mundos possibiles infinitos), deren jede Gott vollkommen bekannt ist, wiewohl nur eine einzige von ihnen wirklich in die Existenz überführt wird; denn es ist nicht nötig, sich mehrere wirkliche Welten vorzustellen, da ja die eine, die wir haben, die ganze Vielfalt der Kreaturen, durch alle Räume und Zeiten hin umfaßt; und in diesem Sinne möge hier das Wort „Welt“ genommen werden.

16.

Die Kenntnis des Wirklich-Geschaffenen oder der in die Existenz überführten Welt (scientia actualium seu mundi ad existentiam perducti) und alles in ihr Vorhandenen, des Vergangenen, Gegenwärtigen und Zukünftigen, nennt man die schauende Erkenntnis (scientia visionis) Gottes; sie unterscheidet sich von der Gott zuzuschreibenden reinen Vernunfterkenntnis dieser selben Welt, sofern sie als möglich betrachtet wird, nur dadurch, daß noch die reflektierende Erkenntnis (cognitio reflexiva) hinzutritt, vermöge welcher Gott seinen Ratschluß betreffs der Verwirklichung jener Welt erkennt. Auch bedarf das göttliche Vorherwissen (divina praescientia) keiner anderen Grundlage.

17.

Die gemeinhin sog. mittlere Erkenntnis (scientia media) Gottes wird unter der Erkenntnis der reinen Vernunft Gottes, wie wir sie verstehen, mitbefaßt. Wenn aber jemand zwischen der reinen Vernunft und der schauenden Erkenntnis Gottes noch eine mittlere annehmen möchte, der könnte sich diese Erkenntnis-Arten anders, als es gewöhnlich geschieht, vorstellen, so nämlich, daß die mittlere Erkenntnis nicht nur von den bedingten künftigen, sondern auch durchgehends von allen möglichen zufälligen Dingen verstanden würde (non tantum de futuris sub conditione, sed et in universum de possibilibus contingentibus accipiatur). So würde die Erkenntnis der reinen Vernunft Gottes in eingeschränkterem Sinne genommen werden, sofern sie nämlich von den möglichen und notwendigen Wahrheiten handeln würde, während die mittlere Erkenntnis Gottes sich auf die möglichen und zufälligen Wahrheiten, seine schauende Erkenntnis auf die zufälligen und schöpfungsmäßig verwirklichten Wahrheiten bezöge. Dabei wird die mittlere Erkenntnis mit der ersten dies gemeinsam haben, daß sie von möglichen, mit der letzteren, daß sie von zufälligen Wahrheiten handelt.

Von der Gutheit Gottes.

18.

Bisher sprachen wir von der göttlichen Größe, nun wollen wir auch Gottes Gutheit erörtern. Wie aber die Weisheit oder Erkenntnis des Wahren eine Vollkommenheit der Vernunft ist, so ist die Gutheit oder das Streben nach dem Guten eine Vollkommenheit des Willens. Und zwar hat jeder Wille das Gute, und sei es nur das gut Erscheinende, zum Gegenstande, der göttliche Wille aber nur das gleichzeitig Gute und Wahre.

19.

Wir wollen also den Willen und seinen Gegenstand, nämlich Gut und Bös, welches den Grund abgibt zum Wollen und Nichtwollen, betrachten. Beim Willen jedoch werden wir seinerseits sein Wesen, sodann seine Arten ins Auge fassen.

Vom Wesen des göttlichen Willens.

20.

Zur Natur des Willens wird erfordert die Freiheit, die darin besteht, daß die Willenshandlung eine spontane und überlegte sei - derart, daß sie die Zwangsläufigkeit ausschließt, welche Ratschlagung aufhebt (adeo ut excludat necessitatem, quae deliberationem tollit).

21.

Ausgeschlossen wird die metaphysische Notwendigkeit, deren Gegenteil das Unmögliche ist, bzw. den Widerspruch in sich faßt; nicht aber die moralische Notwendigkeit, deren Gegenteil die Disharmonie (inconveniens) ist. Denn wenn auch Gott nicht irren kann bei der Wahl, sondern immer das Passendste (maxime conveniens) wählt, so steht dies doch seiner Freiheit nicht im Wege, sondern gibt ihr erst die höchste Vollkommenheit. Aber das würde allerdings seiner Freiheit Eintrag tun, wenn nur ein einziger Gegenstand des Willens möglich gewesen oder es nur eine einzige mögliche Ansicht der Dinge gegeben hätte; in diesem Falle nämlich würde die Wahl aufhören und Weisheit und Gutheit des Handelnden könnte man nicht mehr loben.

22.

Deshalb irren diejenigen oder sprechen wenigstens unzulänglich, welche nur das für möglich halten, was tatsächlich geschieht oder was Gott erwählt hat; das war der Fehler des Stoikers Diodor bei Cicero und unter den Christen Abälards, Wicklifs und Hobbes. Aber weiter unten, wenn wir die Freiheit des Menschen verteidigen werden, soll noch mehr von der Freiheit geredet werden.

Von den Aeußerungsformen des göttlichen Willens.

23.

Soviel von der Natur des göttlichen Willens; es folgt jetzt ein Ueberblick über die verschiedenen Aeußerungsformen des göttlichen Willens. Wir müssen da für unseren Zweck vor allem eine doppelte Unterscheidung vornehmen: die eine, welche den vorhergehenden vom nachfolgenden, die andre, welche den wirkenden vom zulassenden Willen unterscheidet.

24.

Gemäß der ersten Einteilung stellt sich Gottes Willen dar, sei es als vorhergehend oder anbahnend, sei es als nachfolgend oder beschließend, anders ausgedrückt: teils als hinneigend, teils als entscheidend; jener kann als minder erfüllt, dieser als völlig erfüllt und unbedingt gelten (vel antecedens seu praevia, vel consequens seu finalis….vel inclinatoria vel decretoria; illa minus plena, haec plena vel absoluta). Zwar pflegt diese Einteilung - dem ersten Anschein nach - von einigen anders erklärt zu werden, so zwar, daß der vorhergehende Wille bei Gott - etwa im Falle der Seligmachung aller - der prüfenden Erwägung des menschlichen Handelns vorausgehe, der nachfolgende Wille aber - etwa im Falle der Verdammung einiger - dieser Erwägung folge. Aber jener vorhergehende Wille Gottes geht auch anderen Vorhaben Gottes voraus, und dieser nachfolgende Wille folgt ihnen; denn schon Gottes prüfende Erwägung der reinen Tatsache der Schöpfung als solcher entspringt nicht nur gewissen göttlichen Absichten, sondern zielt auch auf gewisse Absichten Gottes hin, ohne die die Tatsache der Schöpfung gar nicht gedacht werden kann. So finden wir denn bei Thomas, Skotus und anderen diese Einteilung in dem auch von uns gebrauchten Sinne: hiernach richtet sich der vorhergehende Wille Gottes auf ein Gutes an sich und im Besonderen, nach eines Jeglichen Würden (bonum aliquod in se et particulariter, pro cujusque gradu); daher ist dieser Wille immer nur ein auf ein bestimmtes Teilziel gerichteter Wille (voluntas tantum secundum quid) im Gegendsatz zu dem nachfolgenden Willen, der das Ganze ins Auge faßt und die endgültige Entscheidung fällt und daher unbedingt und beschließend ist und, da es sich hier um den göttlichen Willen handelt, stets seine volle Wirkung erreicht. Will sich im übrigen jemand nicht unsrer Erklärung anschließen, wollen wir uns mit ihm in keinen Wortstreit einlassen: mag er denn, wenn es ihm beliebt, statt des vorhergehenden und nachfolgenden Willens immerhin vom vorläufigen und abschließenden Willen Gottes (voluntas praevia et finalis) reden.

25.

Der vorhergehende Wille ist allerdings ernst und lauter und nicht zu verwechseln mit der Wollung (der Velleität) - wonach jemand wollte, wenn er nur könnte und können möchte -, die bei Gott gar nicht vorfällt; auch nicht zu vermengen mit dem bedingten Willen, von dem hier nicht die Rede ist. Es strebt aber der vorhergehende Wille in Gott dahin, alles Gute an sich zu befördern und alles Böse an sich zu verhüten, und zwar gemäß dem Grade, in dem das Gute gut oder das Böse bös ist. Wie ernst aber dieser Wille sei, hat Gott selbst erklärt, da er so nachdrücklich versicherte, er wolle nicht den Tod des Sünders, er wolle alle selig, er hasse die Sünde.

26.

Der nachfolgende Wille entsteht aus dem Zusammenwirken aller vorhergehenden Willensentschlüsse zusammengenommen dergestalt, daß, wenn zwar die Wirkungen aller dieser Entschlüsse auch nicht gleichzeitig Bestand zu haben vermögen, doch die höchstmögliche Wirkung erzielt werde, die nur irgend durch Weisheit und Macht erzielt werden kann. Dieser Wille pflegt auch Ratschluß (decretum) genannt zu werden.

27.

Hieraus erhellt, daß auch die vorhergehenden Willensentschlüsse nicht ganz vergeblich sind, sondern sich wirksam erweisen, wenn auch die Wirkung, die durch sie erzielt wird, nicht immer voll zutage tritt, sondern eingeschränkt bleibt durch andere konkurrierende Willensentschlüsse. Doch der beschließende Wille, der aus allen hinneigenden Willensentschlüssen resultiert, gelangt stets zu voller Wirkung, sooft es dem Wollenden nicht an Macht gebricht, woran es aber Gott sicherlich niemals fehlen kann. Allein im beschließenden Willen nämlich bewahrheitet sich der Grundsatz, daß was einer könne und wolle, er auch tue. Denn da das zum Handeln erforderliche Wissen unter der Macht mitbegriffen wird, so fehlt offenbar weder von innen noch von außen etwas, das zum Handeln nötig wäre. Es beeinträchtigt jedoch Gottes Seligkeit und Vollkommenheit keineswegs, wenn nicht jeder seiner Willensentschlüsse die volle Wirkung erzielt: denn weil er das Gute nur will nach dem Grade des Guten, das einem jeglichen innewohnt, geschieht seinem Willen das vollkommenste Genüge, wenn nur das daraus resultierende Beste erhalten wird.

28.

Weiter kann man den Willen einteilen in den schöpferischen (productivam) - bezüglich eigener - und den zulassenden (permissivam) - bezüglich fremder Handlungen. Denn man kann zuweilen etwas zulassen, d.h. nicht verhindern, was zu tun nicht erlaubt ist; dahin gehören die Sünden, wovon gleich zu reden sein wird. Und der eigentliche Gegenstand des zulassenden Willens ist nicht das, was zugelassen wird, sondern die Zulassung als solche.

Gottes Stellung zu Gut und Böse.

29.

Bisher sprachen wir vom Willen, jetzt wollen wir vom Beweggrund (ratio) des Willens oder von Gut und Böse handeln. Beides tritt dreifach auf: in metaphysischer, in physischer und in moralischer Gestalt.

30.

Das metaphysische Gut und Böse besteht allgemein in der Vollkommenheit und Unvollkommenheit der Dinge, auch der vernunftlosen. Christus sagte, sein himmlischer Vater sorge auch für die Lilien auf dem Felde und für die Sperlinge; und beim Propheten Jonas erbarmt sich Gott auch über die unvernünftigen Tiere.

31.

Das physische Gut und Bös bezieht sich insonderheit auf Glück und Unglück der vernünftigen Geschöpfe; hierher gehört das Strafübel ( malum poenae).

32.

Das moralische Gut und Bös bezieht sich auf tugend- und lasterhafte Handlungen solcher Wesen, hierhin gehört das Schuldübel (malum culpae); und in diesem Sinne pflegt das physische Uebel aus dem moralischen zu entstehen, obschon nicht immer in denselben Personen, aber was hier eine Abirrung (aberratio) scheinen könnte, wird mit Frucht wieder ins Rechte gebracht, so daß die Unschuldigen niemals wünschen würden, nicht gelitten zu haben - Siehe unten § 55!

33.

Gott will das Gute an sich, im vorhinein (antecedenter) wenigstens, nämlich sowohl die Vollkommenheiten der Dinge überhaupt als insbesondere aller vernünftigen Wesen Segen und Wert (felicitatem et virtutem) und ein jedes Gutes nach dem Grade seiner Güte, wie schon dargelegt worden.

34.

Obwohl der vorhergehende göttliche Wille mit dem Bösen nichts zu tun hat, außer soweit er nach seiner Beseitigung strebt, so doch zuweilen - aber nur mittelbar - der nachfolgende Wille; denn zuweilen verhindert die Tilgung des Bösen größere Güter, und in diesem Falle wird die Tilgung des Bösen nicht restlos durchgeführt: in den Grenzen des vorhergehenden Willens verbleibend, dringt die Tilgung in den Folgewillen nicht vor. So hat Thomas von Aquino es treffend dem Augustinus nachgesprochen, Gott lasse einiges Böse zu, damit nicht vieles Gute verhindert werde.

35.

Metaphysische und physische Uebel - wie die Unvollkommenheiten in den Dingen und die Strafübel in Personen - werden zuweilen zu Hilfsgütern (bona subsidiaria), gleichsam zu Mitteln zur Erlangung größerer Güter.

36.

Aber das moralische Böse oder das Schuldübel kann niemals als ein solches Mittel zur Beförderung des Guten angesehen werden; denn man darf nach der Mahnung des Apostels niemals Böses tun, damit Gutes dabei herauskomme. Doch kann es zuweilen seinen Sinn haben als unerläßliche Vorbedingung (conditio sine qua non) des Guten oder als etwas mit dem Guten Verbundenes oder es Begleitendes, d.h. als etwas, ohne welches das auserkorene Gute nicht erlangt werden kann; unter dem auserkorenen Guten aber wird auch die auserkorene Tilgung des Bösen miteinbegriffen. Das Böse jedoch wird nicht zugelassen auf Grund unbedingter Notwendigkeit, sondern mit Rücksicht auf die Weltharmonie (ex principio convenientiae). Denn es muß doch ein Grund vorliegen, warum Gott das Uebel lieber zuläßt, als es auszuschließen; der Grund jedoch für den göttlichen Willen kann nur vom Guten hergeleitet werden.

37.

Auch das Schuldübel ist niemals der Gegenstand des wirkenden Willens in Gott, sondern nur dann und wann des zulassenden, weil er selbst niemals Sünde tut, sondern höchstens sie zuweilen zuläßt.

38.

Die allgemeine Regel jedoch für die Zulassung der Sünde, Gott und dem Menschen gemeinsam, ist die, daß niemand eine fremde Sünde zulassen darf, wenn er nicht durch die Verhinderung selbst eine böse Tat verüben würde; und daß ichs mit einem Wort sage: Sünde zulassen ist nie erlaubt, wenn es nicht sittlich geboten ist; worüber genauer weiter unten §66.

39.

Gott hat also unter den Gegenständen des Willens vor Augen als letzten Zweck das Beste; das Gute als Zweck überhaupt, auch als untergeordneten; das Gleichgültige ebenso wie die Strafübel oft als Mittel, das Schuldübel aber nur als die unerläßliche Bedingung einer sonst sittlich gerechtfertigten Sache - in demselben Sinne, wie Christus davon spricht, daß Aergernisse sein müßten.

Von der Vorsehung im allgemeinen.

40.

Bisher haben wir von der Größe und Gutheit Gottes getrennt das ausgesagt, was als Vorbereitung dieses Traktates gelten kann; jetzt wollen wir von dem handeln, was beide Vollkommenheiten gemeinsam angeht. Daß der Größe und der Gutheit Gemeinsame nun ist das, was nicht allein aus der Gutheit, sondern auch aus der Größe, d.i. aus Weisheit und Macht, hervorgeht; denn die Größe macht, daß die Gutheit sich durchsetze. Und die Gutheit bezieht sich entweder auf die Kreaturen im allgemeinen oder auf die vernünftigen Wesen im besonderen. Nach der ersten Weise macht sie zusammen mit der Größe die Vorsehung in Erschaffung und Regierung der Welt aus, nach letzterer Weise die Gerechtigkeit in der besonderen Leitung der vernunftbegabten Geschöpfe.

41.

Weil die Weisheit Gottes die in den Kreaturen allgemein sich äußernde Gutheit Gottes lenkt, so folgt, daß die göttliche Vorsehung (providentia divina) sich in dem ganzen Weltlauf (in tota serie universi) zeigt, und man muß sagen, Gott habe aus einer unendlichen Zahl möglicher Weltläufe den besten ausgewählt, und er sei eben dieser, welcher wirklich existiert (ex infinitis possibilibus seriebus rerum elegisse optimam; eamque adeo esse hanc ipsam quae actu existit). Denn alles in der Welt steht in Harmonie miteinander (omnia in universo sunt harmonica inter se), und der Weiseste fällt die Entscheidung nur, nachdem er alles durchschaut hat und also nur auf Grund des Ganzen. Sehe ich nur auf die einzelnen Teile gesondert, so kann der Wille vorläufig sein; im Ganzen muß er als entscheidend angesehen werden.

42.

Daher ist, korrekt gesprochen, die Annahme einer Reihenfolge der göttlichen Beschlüsse nicht nötig, sondern man kann sagen, es habe nur einen einzigen Ratschluß Gottes (unicum decretum Dei) gegeben, den nämlich, daß dieser unser Weltlauf in die Existenz trete (ut haec scilicet series rerum ad existentiam perveniret); nachdem nämlich alles, was in diese Weltordnung gehört, in Betracht gezogen und mit dem, was in andere Weltverbindungen gehört, verglichen worden ist.

43.

Deshalb ist auch der göttliche Ratschluß unwandelbar (decretum immutabile), weil alle Erwägungen, die sich ergeben können, bereits angestellt worden sind. Aber hieraus entsteht keine andere Notwendigkeit als die der tatsächlichen Folge oder eine sogenannte hypothetische Notwendigkeit (necessitas consequentiae seu hypothetica), da man nämlich Gottes Voraussicht und seine Vorherverordnung unterstellt. Keineswegs aber handelt es sich hier um einen unbedingte Notwendigkeit oder eine Notwendigkeit der zwingenden logischen Folgerung (necessitas absoluta seu consequentis), denn es war ja - in den Teilen wie im Ganzen - eine andre Ordnung der Dinge möglich, und Gott, als er die Ordnung der zufälligen Dinge auswählte, hat ihre Zufälligkeit nicht geändert.

44.

Es sind aber wegen der Gewißheit des Weltlaufs Gebete und Arbeiten zur Erlangung dessen, was wir wünschen, durchaus nicht unnütz. Denn in der Vorstellung, welche Gott von dieser unsrer Weltordnung noch im Stadium ihrer Möglichkeit hatte, bevor er noch über sie den Beschluß, sie ins Dasein zu rufen, fällte, waren für den Fall, daß sie erwählt werden würde, in ihr schon die künftigen Gebete und die anderen Ursachen der in ihr zu verwirklichenden Vorgänge miteinbegriffen und haben zur Wahl dieser unsrer Welt und der in ihr befaßten Vorgänge - wie billig - das ihre beigetragen. Und was jetzt Gott zum Handeln oder Zulassen treibt, das hat ihn schon damals bewogen, als er beschloß, was er tun oder zulassen wollte.

45.

Und dies haben wir schon oben in Erinnerung gebracht, daß die Dinge auf Grund des göttlichen Vorherwissens und der göttlichen Vorsehung zwar festgelegt seien, doch nicht absolut ohne Rücksicht auf unser Handeln oder Nichthandeln, sondern wegen ihrer Ursachen und Gründe. Wenn demnach jemand Gebete oder Mühe und Arbeit für unnütz hielte, der würde in den Trugschluß verfallen, den schon die Alten als das „Sophisma der Faulheit!“ bezeichneten. Siehe unten § 106, 107!

46.

Die unendliche Weisheit des Allmächtigen jedoch, verbunden mit seiner unermeßlichen Gutheit, hat gemacht, daß nach Ueberschlagung aller Posten (omnibus computatis) nichts besseres hat geschaffen werden können, als was von Gott geschaffen wurde, und zwar so, daß alles miteinander vollkommen harmoniert und aufs schönste übereinstimmt: die gestaltenden Kräfte oder die Seelen mit den stofflichen Kräften oder den Körpern, die mechanischen oder natürlichen Ursachen mit den Zweck- oder moralischen Ursachen, das Reich der Gnade mit dem Reiche der Natur (pulcherrime inter se conspirant: causae formales seu animae cum causis materialibus eu corporibus; causae efficientes seu naturales cum finalibus seu moralibus; regnum gratiae cum regno naturae).

47.

Drum: so oft in den Werken Gottes etwas vorkommt, das tadelnswert erscheint, so muß man bedenken, daß wir es nicht genugsam kennen und daß ein Weiser, der es wirklich ganz verstünde, urteilen würde, daß man Besseres nicht einmal wünschen könne.

48.

Daraus folgt ferner, daß es kein größeres Glück gibt, als einem so guten Herrn zu dienen und daß man Gott über alles lieben und ihm völlig vertrauen müsse.

49.

Der wichtigste Grund jedoch für die Wahl der besten Weltordnung (dieser nämlich, in der wir leben) war Christus, der Gottmensch, der aber, soweit er eine Kreatur ist, und zwar die aufs höchste erhobene, in dieser trefflichsten Weltordnung mußte miteinbegriffen werden gleichsam als ein Teil der erschaffenen Welt, ja als deren Haupt, dem endlich alle Gewalt im Himmel und auf Erden ist gegeben worden, in dem alle Völker mußten gesegnet werden, durch den die ganze Schöpfung aus der Sklaverei der Sünde zur herrlichen Freiheit der Kinder Gottes befreit werden wird. Gottes Gerechtigkeit und Heiligkeit.

50.

Bisher handelten wir von der Vorsehung im allgemeinen. Nun gründet sich auf die insonderheit auf die vernünftigen Wesen bezogene Gutheit, im Verein mit der Weisheit, die Gerechtigkeit, deren höchster Grad die Heiligkeit ist. Deshalb umgreift in einem derart weiten Sinn die Justitia nicht nur das eigentliche Recht, sondern auch die Billigkeit und sogar die preiswerte Barmherzigkeit.

51.

Man kann aber die Gerechtigkeit überhaupt einteilen in die Gerechtigkeit im engeren Sinne und die Heiligkeit. Die Gerechtigkeit im engeren Sinne hat es zu tun mit dem physischen Gut und Böse anderer, und zwar vernünftiger Kreaturen, die Heiligkeit mit Gut und Bös in moralischer Hinsicht.

52.

Gut und Bös in physischer Hinsicht ereignet sich sowohl in diesem wie im künftigen Leben. In diesem Leben beschweren sich viele im allgemeinen darüber, daß die menschliche Natur sovielen Uebeln ausgesetzt ist, und bedenken dabei zu wenig, daß ein großer Teil dieser Uebel aus der Schuld der Menschen herfließt und tatsächlich die göttlichen Wohltaten gegen uns nicht dankbar genug anerkannt werden, wenn wir unsre Aufmerksamkeit mehr auf das Böse als auf das Gute, das uns widerfährt, richten.

53.

Anderen mißfällt vor allem dies, daß Gut und Bös in physischer Hinsicht nicht dem Guten und Bösen in moralischer Hinsicht gemäß verteilt sind oder daß es den Guten oft übel, den Bösen oft wohl ergeht.

54.

Auf diese Klagen muß zweierlei geantwortet werden: erstens, was der Apostel verkündet hat: daß dieser Zeit Leiden der künftigen Herrlichkeit nicht wert seien, die an uns solle offenbart werden, sodann was Christus selbst in einem wunderschönen Gleichnis uns mitgeteilt hat, daß nämlich das Saatkorn, das in die Erde fällt, keine Frucht bringe, es sterbe denn zuvor.

55.

Deswegen werden die Heimsuchungen nicht nur reichlich ausgeglichen werden, sondern dienen auch zur Mehrung des Segens, und dieses Böse hat nicht nur seinen Nutzen, sondern wird auch geradezu erfordert. Vergleiche § 82!

56.

Beim künftigen Leben ist die Schwierigkeit noch größer. Denn man wendet ein, daß auch dort das Gute bei weitem vom Bösen übertroffen werde, weil nur wenige erwählt sind. Origenes hat zwar die ewige Verdammnis ganz bestritten; einige von den Alten, unter denen auch Prudentius war, haben geglaubt, es seinen nur wenige zur ewigen Verdammnis bestimmt; andere wiederum waren der Meinung, daß zuletzt jeder Christ selig werden würde, eine Anschauung, der Hieronymus zugeneigt zu haben scheint.

57.

Indessen haben wir nicht nötig, zu diesen widersinnigen und verwerflichen Meinungen unsere Zuflucht zu nehmen. Die rechte Antwort ist: der ganze Umfang des himmlischen Reiches darf nicht nach unsrer Erkenntnis geschätzt werden, denn die in der Schau Gottes sich ereignende Herrlichkeit der Seligen kann so groß sein, daß die Leiden aller Verdammten ein solches Glück nicht aufzuwiegen vermögen. Und die Heilige Schrift nimmt selige Engel in unglaublicher Menge an, und die Natur selbst - was neue Entdeckungen veranschaulicht haben - zeigt uns einen großen mannigfaltigen Reichtum von Geschöpfen, weshalb wir viel leichter als Augustinus und andere Alte daran festhalten können, daß das Böse vom Guten überwogen werde.

58.

Unsere Erde ist ja nur der Trabant einer Sonne, und es gibt soviele Sonnen wie Fixsterne, und man muß annehmen, daß noch jenseits aller Fixsterne sich ein gewaltiger Weltraum ausdehne. So steht nichts im Wege, zu sagen, daß die Sonnen oder doch insbesondere die Räume über den Sonnen von seligen Geschöpfen bewohnt würden. Indessen könnten auch die Planeten selige Paradiese sein oder werden. In unsres Vaters Hause sind viele Wohnungen, hat Christus mit Bezug auf den Himmel der Seligen charakteristisch gesagt. Diesen Himmel nennen einige Theologen Feuerhimmel und setzen ihn noch über Sterne und Sonnen, obwohl von dem Orte der Seligen nichts Sicheres behauptet werden kann. Uebrigens muß es als wahrscheinlich betrachtet werden, daß es auch in unsrer sichtbaren Welt viele Wohnstätten vernünftiger Geschöpfe gibt, von denen immer die eine glückseliger ist als die andere.

59.

So ist das auf die Menge der Verdammten sich berufende Argument nur in unsrer Unkenntnis gegründet und kann durch eine einzige Entgegnung, wie wir oben gezeigt haben, beseitigt werden. Würde alles von uns bis auf den Grund durchschaut werden, so würde sich zeigen, daß wir Besseres, als was Gott geschaffen hat, nicht einmal wünschen könnten. Auch die Strafen der Verdammten müssen wegen ihrer anhaltenden Bosheit weiter andauern; deswegen widerlegt der berühmte Theologe Johann Fecht in seinem gediegenen Buche „Ueber den Zustand der Verdammten“ diejenigen gar wohl, welche sich dagegen wehren, daß die Sünden im zukünftigen Leben Strafe verdienten, gleich als könne die Gott wesentliche Gerechtigkeit jemals aufhören.

60.

Aueßerst gravierend endlich sind die Schwierigkeiten betreffend die Heiligkeit Gottes oder betreffend die Vollkommenheit, die sich auf den guten und bösen moralischen Zustand anderer bezieht, die macht, daß Er auch in anderen die Tugend liebt, das Laster haßt und so sehr wie möglich von jedem Sturz in die Sünde und von Berührung mit ihr fernhält, und dennoch herrschen überall die Verbrechen mitten im Reiche des mächtigsten Gottes. Aber worin auch immer diese Schwierigkeit bestehen mag, mit Hilfe des göttlichen Lichtes wird sie schon in diesem Leben derart behoben, daß die Frommen und Gottliebenden, soweit es nötig ist, sich daran genügen lassen können.

Widerlegung derer, die Gott zum Urheber des Bösen machen.

61.

Es wird nämlich der Vorwurf erhoben, Gott wirke allzu sehr, der Mensch nicht genug zur Sünde mit; Gott aber wirke allzu sehr mit zum moralischen Uebel physisch und moralisch, durch seinen Willen, der die Sünde hervorbringe und zulasse.

62.

Man beobachtet, daß Gottes moralische Mitwirkung auch dann statthaben würde, wenn er gar nicht handelnd zur Sünde beitrüge, bloß dadurch, daß er das Böse zuließe oder nicht hinderte, wo er es doch könnte.

63.

Aber in Wahrheit wirkte Gott zugleich moralisch und physisch mit; denn er hindert nicht nur nicht die Sünder, sondern hilft ihnen sogar irgendwie, indem er ihnen Kräfte und Gelegenheiten beut. Daher jene Wendungen der Heiligen Schrift, wonach Gott die Bösen verhärte und anstachele.

64.

Daher wagen gewisse Leute zu behaupten, Gott sei entweder auf beiderlei oder sicher doch auf die eine Weise der Mitschuldige, ja der Urheber der Sünde; und so werfen sie die göttliche Heiligkeit, Gerechtigkeit und Gutheit über den Haufen.

65.

Andere wollen lieber die Allwissenheit und Allmacht, mit einem Worte die Größe Gottes erschüttern, gleich als wisse er nicht vom Bösen und kümmere sich nicht im geringsten darum oder könne dem Sturzbach des Bösen keinen Einhalt tun.

66.

Um zunächst auf den Einwand der moralischen Mitwirkung des Zulassenden zu antworten, so ist, was wir oben auszusprechen begonnen haben, zu schildern, daß die Zulassung der Sünde erlaubt (oder moralisch notwendig) sei, wenn sie unabweislich (oder moralisch notwendig) erscheint, d.h. wenn fremde Sünde nicht gehindert werden kann ohne eigene Beschädigung, d.i. ohne Verletzung dessen, was man anderen oder sich selbst schuldet. Zum Beispiel darf ein Soldat auf Wache, zumal in gefahrvoller Stunde, seinen Posten nicht verlassen, um zwei Freunde, die sich duellieren wollen, vom Kampf abzubringen. Vergleiche oben § 36! Freilich sehen wir ein, daß man bei Gott nicht auf menschliche, sondern nur auf eine Gott gemäße Weise von einem solchen „Nicht-dürfen“ reden könne, wenn anders er nicht seine Vollkommenheiten einschränken müßte.

67.

Ferner: wenn Gott die beste Ordnung des Alls (in der die Sünde mitunterläuft) nicht gewählt hätte, würde er etwas Schlimmeres als alle Sünde der Kreaturen zugelassen haben; denn er hätte die eigene Vollkommenheit und was daraus folgt, auch die fremde beschränkt; die göttliche Vollkommenheit nämlich darf man nicht trennen von der Wahl des Vollkommensten, da das Mindergute den Ermöglichungsgrund des Bösen in sich schlösse (cum minus bonum habeat rationem mali). Und Gott würde fallen, alles würde fallen, wenn Gott an Ohnmacht krankte oder im Geiste irrte oder im Willen schwankte (Et tolleretur Deus, tollerentur omnia, si Deus vel laboraret impotentia vel erraret intellectu vel laberetur voluntate).

68.

Die physische Mitwirkung zur Sünde hat bewirkt, daß gewisse Leute Gott zur Ursache und zum Urheber der Sünde machten; so würde auch das Schuldübel Gegenstand des schöpferischen Willens Gottes sein; hier spotten unser am meisten die Epikuräer und Manichäer. Aber auch hier ist Gott, der den Geist erleuchtet, sein eigener Sachwalter in der frommen und wahrheitsbeflissenen Seele (Deus mentem illustrans sui est vindex in anima pia et veritatis studiosa). Wir werden also auseinandersetzen, was es heißt, Gott trage bei zum Wesen der Sünde oder zu dem, was im Bösen Gutes ist, nicht zu ihrer Gestalt (Deum concurrere ad peccati materiale seu quod in malo bonum est, non ad formale).

69.

Es ist nämlich zu antworten, daß nichts zwar an Vollkommenheit und an rein positiver Realität in den Geschöpfen und in deren guten wie bösen Handlungen anzutreffen sei, was nicht Gott zugeschrieben werden müsse, daß aber die Unvollkommenheit des Handelns in einer Beraubung bestehe und herrühre von der ursprünglichen Eingrenzung der Kreaturen, die ihrem Wesen gemäß ihnen schon eignet im Stande der reinen Möglichkeit, d.i. in der Region der ewigen Wahrheiten oder den Ideen, die der göttlichen Vernunft vorschweben; denn was keine Begrenzung hätte, wäre nicht Kreatur, sondern Gott (nam quod limitatione careret, non creatura, sed Deus foret). Begrenzt aber heißt die Kreatur, weil sie Grenzen hat ihrer Größe, ihrer Macht, ihres Wissens und jeglicher Vollkommenheit. So ist sachlich das Böse notwendig, aber sein Ursprung dennoch zufällig; d.h. es ist notwendig, daß Uebel möglich sind, aber zufällig ist es, daß die Uebel wirklich sind; nicht zufällig jedoch ist es, daß das Böse durch die Harmonie der Dinge von der Möglichkeit zur Wirklichkeit hinübergehen - wegen der Uebereinstimmung mit der besten Weltordnung, deren Teil es bildet (Ita fundamentum mali est necessarium, sed ortus tamen contingens; id est: necessarium est, ut mala sint possibilia, sed contingens est, ut mala sint actualia; non contingens autem per harmoniam rerum a potentia transit ad actum - ob convenientiam cum optima rerum serie, cujus partem facit).

70.

Was wir aber inbezug auf das negative Wesen des Uebels - nach Augustinus, Thomas, Lubin und einigen Alten und Neueren - behaupten, das von vielen für unbegründet oder wenigstens für sehr dunkel gehalten wird, so erklären wir auf Grund der Natur der Dinge selbst, daß es augenscheinlich nichts Gegründeteres geben kann: wir ziehen dabei als Gleichnis heran eine gewisse Sinnlichkeit und Stofflichkeit, die auch im Negativen (Beraubenden, Vereinzelnden) besteht, der Kepler, der ausgezeichnete Erforscher der Natur, den Namen der „natürlichen Trägheit der Körper“ (inertia corporum naturalis) gegeben hat.

71.

Ohne Zweifel teilt ein Fluß (um uns dieses einfachen Beispiels zu bedienen), wenn er Schiffe mit sich führt, diesen eine gewisse Schnelligkeit mit, aber eine Schnelligkeit, die durch die Trägheit der Schiffe begrenzt wird, so daß die, welche - bei sonst gleichen Bedingungen - schwerer beladen sind, langsamer fahren. So rührt die Geschwindigkeit her vom Flusse, die Verlangsamung von der Belastung, das Positive von der Triebkraft, das Negative von der Trägheit des Angetriebenen.

72.

Ganz so kann man sagen, daß Gott an die Geschöpfe Vollkommenheit austeile, aber eine solche, die durch ihre Aufnahmefähigkeit eingeschränkt wird; so werden die Güter der göttlichen Kraft, die Uebel der starren Trägheit der Geschöpfe entstammen.

73.

So wird der Geist oft aus mangelnder Aufmerksamkeit irren, der Wille aus mangelnder Frische oft gehemmt werden, so oft das Gemüt, wo es sich auf Gott oder das höchste Gut richten sollte, aus Trägheit im Kreatürlichen hängen bleibt.

Widerlegung derer, die dem Menschen die Schuld absprechen möchten.

74.

Bisher haben wir denen geantwortet, die Gott für die Veranlassung des Bösen verantwortlich zu machen glauben; nun gilt es denen entgegenzutreten, welche die Verantwortlichkeit und Schuld des Menschen bagatellisieren, um Gott wiederum die Schuld zuzuschieben. Dies suchen sie teils aus der vermeintlichen Schwäche der Menschennatur, teils aus dem Versagen der göttlichen Gnade, die unsrer Natur notwendig zu Hilfe eilen müsse, zu erweisen. Deshalb wollen wir jetzt die Verderbnis der menschlichen Natur wie den aus dem Stande der Unschuld verbliebenen Rest des göttlichen Ebenbildes ins Auge fassen.

75.

Was nun die Verderbtheit des Menschen angeht, so haben wir zunächst zu erwägen, wie sie entstanden ist, sodann, worin sie bestehe. Entstanden ist sie durch den Fall des ersten Menschenpaares, sodann durch die Fortpflanzung dieser ansteckenden Seuche. Beim Fall des Menschen sind wiederum Ursache und Wesen gesondert zu betrachten.

76.

Die Ursache des Falles - warum nämlich der Mensch mit Wissen, Erlaubnis und Beihülfe Gottes gefallen ist - darf nicht in einer Art Despotenherrschaft Gottes gesucht werden, als seien Gerechtigkeit und Heiligkeit als göttliche Eigenschaften ganz ausgeschaltet - was tatsächlich der Fall wäre, würde man Recht und Billigkeit nicht bei ihm in Anschlag bringen.

77.

Die Ursache unsres Falles darf auch nicht in einer gewissen Gleichgültigkeit Gottes gegen Gut und Böse, gegen Recht und Unrecht gesucht werden, als habe er das nur aus Willkür so geordnet; aus dieser Voraussetzung würde folgen, daß er alles mit gleichem, d.h. mit keinem Recht und Grund setzen könne, was wiederum den ganzen Ruhm seiner Gerechtigkeit und seiner Weisheit zunichte machen würde, da er ja dann in seinen Handlungen keine Wahl oder für seine Wahl keinen Grund hätte.

78.

Ebensowenig darf man die Ursache unseres Falles in einen gar nicht heiligen, gar nicht liebenswerten Willen Gottes setzen, den man ihm andichtet - so als habe er, lediglich den Ruhm seiner Größe vor Augen, bar jeder Güte, in grausamer Barmherzigkeit Elende geschaffen, damit es welche gebe, deren er sich erbarmen könne; und als habe er aus verkehrter Gerechtigkeit Sünder gewollt, damit es welche gebe, deren er sich erbarmen könne. All das ist Tyrannenart und weit entfernt von wahrer Herrlichkeit und wahrer Vollkommenheit, deren Wert ja nicht so sehr in der Größe als im Vollgehalt des Guten liegt.

79.

Vielmehr hat der Fall seine eigentliche Wurzel in der ursprünglichen Unvollkommenheit oder Schwäche der Kreaturen, so war die Sünde in der besten möglichen Ordnung der Dinge schon enthalten, wie wir oben dargelegt haben. Daher ist es denn gekommen, daß der Fall unbeschadet der göttlichen Wertefülle und Weisheit mit Recht zugelassen wurde, ja zugelassen werden mußte, sollten nicht jene Vollkommenheiten angetastet werden.

80.

Die Natur des Falles darf man sich mit Bayle nicht so vorstellen, als habe Gott zur Strafe für Adams Sünde ihn und seine ganze Nachkommenschaft zum weiteren Sündigen verdammt und ihm - damit das Urteil sich vollstrecken ließe - den Hang zu sündigen eingeimpft; vielmehr ist schon aus der Kraft der ersten Sünde - gleichsam in natürlicher Verknüpfung - der sündige Hang hervorgegangen, wie aus der Trunkenheit viele andere Sünden geboren werden.

81.

Jetzt wäre noch das Problem zu erörtern, wie diese mit dem Falle der ersten Menschen entstandene Sünde sich seuchenartig fortgepflanzt hat und in die Seelen der Nachfahren gelangt ist. Dies Problem scheint am bequemsten gelöst zu werden, wenn man annimmt, daß die Seelen der Nachkommen schon in Adam infiziert gewesen seien. Um dies besser zu verstehen, muß man wissen, daß es nach den Beobachtungen und Forschungen moderner Gelehrter den Anschein hat, als ginge die Bildung der Tiere und Pflanzen nicht hervor aus einem verworrenen Urstoff (ex massa quadam confusa), sondern aus einer Leiblichkeit, die schon irgendwie im Samen vorgebildet und beseelt verborgen ruhe (ex corpore jam nonnihil praeformato in semine latente et dudum animato). Daraus folgt, daß kraft des ersten göttlichen Segens gewisse organische Skizzierungen aller Lebewesen (rudimenta quaedam organica) - und zwar bei den Tieren unter der Gestalt noch unvollendeter Exemplare - und auch irgendwie die Seelen selbst längst in den ersten Vertretern jeder Art existiert haben, woraus dann im Laufe der Zeit sich alles entwickelt hätte. Von den Seelen jedoch und dem beseelten Körperchen der für Menschenleiber bestimmten Samenwesen - samt den übrigen Samentierchen, die eine solche Bestimmung nicht haben - ist zu sagen, daß sie sich auf der Stufe der empfindenden Natur gehalten haben, bis sie durch den letzten Empfängnisakt von den übrigen abgesondert wurden, zugleich ein organischer Leib zur menschlichen Gestalt zubereitet und die Seele - ob in natürlicher oder in übernatürlicher Wirkweise Gottes, lasse ich dahingestellt - zur Stufe der Vernunft erhoben ward.

82.

Hieraus wird auch deutlich, daß zwar eine Präexistenz der menschlichen Vernunft nicht zu behaupten wäre; wohl aber kann angenommen werden, daß in den präexistenten Wesen schon von Gott her prästabiliert und vorbereitet sei, was dann künftig daraus hervorgehen solle. So würde nicht nur der menschliche Organismus, sondern auch die Vernunft selbst von Gott vorher verordnet sein - derart, daß sozusagen ihr vorgesehener Gebrauch dem wirklich ausgeübten vorherginge (siganto actu exercitum praevenire), so hätte sich auch die erst durch Adams Fall erfolgte Verderbnis der ursprünglich nicht an den Menschen gebundenen Seele später durch Hinzutritt der Vernunft endlich zur Kraft des erbsündigen Hanges entwickelt. Im übrigen haben neuere Forschungen ergeben, daß Seele und beseelter Leib allein vom Vater stammen, von der Mutter hingegen in der Empfängnis gleichsam eine Umhüllung (in Eiform, wie man meint) und die für das Wachstum des jungen Organismus nötige Nahrung dargereicht würde.

83.

Damit entfallen alle philosophische Schwierigkeiten von dem Ursprung der organischen Gestalten und der Seelen, von der Immaterialität und der Unteilbarkeit der Seele, der zufolge keine Seele von einer anderen geboren werden kann.

84.

So entfallen auch die theologischen Schwierigkeiten von der Verderbnis der Seelen, so daß man nicht mehr behaupten kann, die reine Vernunft-Seele, sei sie präexistent oder neu geschaffen, werde von Gott - zu ihrer eigenen Verdammnis - in die verderbte Substanz hineingestoßen.

85.

So wird demnach ein gewisser Absenker (tradux) vorausgesetzt werden müssen, aber in einer plausibleren Weise als es Augustinus und andere treffliche Männer angenommen haben: ein Absenker nicht von Seele zu Seele (der, wie aus Prudentius erhellt, schon von den Alten verworfen wurde und mit der Natur der Dinge nicht übereinstimmt), sondern ein Absenker von einer beseelten Substanz zur andren.

86.

Bisher sprachen wir von der Ursache unsrer Verderbnis, nun wollen wir von ihrer Natur und Beschaffenheit handeln. Die besteht in der Erbsünde und in der abgeleiteten Sünde. Die Erbsünde hat solche Gewalt, daß sie die Menschen in natürlichen Dingen schwach, in geistlichen vor der Wiedergeburt tot macht, geistig dem Sinnlichen, willensmäßig dem Fleischlichen zugewandt, so daß wir von Natur Kinder des Zornes sind.

87.

Inzwischen darf man Bayle und andre, welche die göttliche Güte anfechten oder doch durch ihre Einwürfe verdunkeln, nicht einräumen, daß die, welche, zwar in der Erbsünde schuldig, aber ohne wirkliche Sünde vor zureichendem Gebrauch der Vernunft sterben (wie die Kinder, die vor der Taufe und außerhalb der Kirche entschlafen) notwendig dem ewigen Feuer verfallen; es ist vielmehr sinnvoller, sie der Milde des Schöpfers anheimzugeben.

88.

Hierin lobe ich die maßvollen Anschauungen Joh. Hülsemanns, Johann Adam Osianders und einiger anderer Theologen des Augsburgischen Bekenntnisses, die auch unsrer Meinung zuneigten.

89.

Es sind auch die Funken des göttlichen Ebenbildes, wovon noch zu reden sein wird, nicht völlig ausgelöscht, sondern können durch Gottes zuvorkommende Gnade (per gratiam praevenientem) auch zu geistlichen Dingen wieder angefacht werden - doch so, daß allein die Gnade die Bekehrung wirke (ita tamen ut sola gratia conversionem operetur).

90.

So entfremdet auch die Erbsünde die verderbte Masse des Menschengeschlechts der umspannenden Gnade Gottes nicht völlig; denn Gott hat doch die im Argen liegende Welt also geliebt, daß er seinen eingeborenen Sohn hingab für die Menschen.

91.

Die abgeleitete Sünde kann sich zwiefach äußern: als Tatsünde und als sündiger Hang (peccatum actuale et habituale); hierin besteht die Ausübung der Verderbnis, die sich nach Stufen und Graden wandelt und in verschiedenartigen sündigen Akten hervorbricht.

92.

Die Tatsünde besteht sowohl in inneren Entscheidungen, bei denen innere Entschließung und äußere Tat sich verquicken, besteht bald im Tun des Bösen, bald in der Unterlassung des Guten und erweist sich bald als Schuld, hervorgegangen aus der Schwachheit der Natur, bald als Bosheit, entsprungen aus der Verkehrtheit des Herzens.

93.

Der sündige Hang entsteht aus häufigen oder doch starken bösen Handlungen wegen der Menge oder Größe der Eindrücke. Und so kommt durch die Gewohnheitssünde noch etwas Böses zu der erbsündigen Verderbtheit hinzu.

94.

Dennoch darf man diese Knechtschaft der Sünde, mag sie sich auch auf das ganze Leben des noch nicht Wiedergeborenen erstrecken, nicht derart ausdehnen, als gäbe es gar keine guten und gar keine unschuldigen Handlungen der noch nicht Wiedergeborenen, sondern immer nur dem Wesen nach sündliche.

95.

Denn es können auch die noch nicht Wiedergeborenen in bürgerlichen Dingen gelegentlich aus Liebe zum Guten und zum öffentlich Besten, aus richtiger Ueberlegung, ja im Hinblick auf Gott handeln - ohne Beimischung häßlichen Ehrgeizes, persönlichen Eigennutzes oder fleischlicher Begier.

96.

Und doch bleibt immer alles, das aus solchem Handeln hervorgeht, in der Wurzel krank (ex radice infecta), und etwas Böses - sei es auch nur in Form eines Hanges zum Bösen - bleibt immer beigemischt.

Vom göttlichen Ebenbilde im Wesen des Menschen.

97.

Im übrigen macht diese Verderbnis und Bosheit des Menschen, so groß sie immer auch sein mag, ihn deshalb doch keineswegs entschuldbar und frei von Schuld, als handele er nicht spontan und frei genug; denn es ist immer noch ein Rest des göttlichen Ebenbildes vorhanden, so daß Gottes Gerechtigkeit, welche die Sünder straft, unangetastet bleibt.

98.

Dieser Rest des göttlichen Ebenbildes besteht einmal in dem angeborenen Lichte der Vernunft, sodann in der angeborenen Freiheit des Willens. Beides ist ja für das gute wie für das böse Handeln notwendig, denn wir müssen ja wissen und wollen, was wir tun, und nur so können wir auch von der Sünde lassen, wenn wir nur sittliche Kraft genug aufbringen.

99.

Das angeborene Licht besteht sowohl in einfachen Begriffen wie daraus hervorgehenden zusammengesetzten Erkenntnissen. So sind Gott und das ewige Gesetz Gottes unsern Herzen eingeschrieben, mögen sie auch menschliche Geringschätzung und sinnliche Affekte oft verdunkeln.

100.

Bewiesen aber wird dies Licht gegen einige Neuere sowohl aus der Heiligen Schrift, die bezeugt, daß das Gesetz Gottes unsern Herzen eingeschrieben ist, wie aus der Vernunft, weil die notwendigen Wahrheiten allein aus Prinzipien, die dem Geiste eingepflanzt sind, nicht aus sinnlicher Erfahrung abgeleitet werden können. Denn die induktive Untersuchung des Einzelnen führt nie zum Nachweis allgemeingültiger Notwendigkeit.

101.

Die Freiheit bleibt auch bei der größten menschlichen Verderbnis unverletzt, so daß der Mensch, obschon er ohne Zweifel sündigen wird, diese Handlung, die er begeht, doch nie notwendig begeht.

102.

Die Freiheit ist sowohl von der Notwendigkeit als auch vom Zwange frei. Notwendigkeit ist weder mit dem Künftigsein der Wahrheiten noch mit dem Vorherwissen und dem Vorherordnen Gottes noch mit der Vorherbestimmung der Dinge gegeben.

103.

Künftigsein macht noch keine Notwendigkeit; denn mag immerhin der Eintritt der künftigen Ereignisse eine determinierte Wahrheit sein, so darf man doch deren objektive Gewißheit oder die ihnen eigene unfehlbare Determiniertheit keinesfalls mit der Notwendigkeit verwechseln.

104.

Auch das Vorherwissen und Vorherverordnen Gottes, so untrüglich es an sich selber ist, macht noch keine Notwendigkeit. Denn Gott sah in der Ideenschau der Ordnung des Möglichen die Dinge, soweit sie künftig waren, und darunter auch den in Freiheit sündigenden Menschen; und er änderte auch nicht, als er nun gerade diese unsre Weltordnung ins Dasein rief, die Natur des Wirklichen und erhob nicht, was zuvor zufällig gewesen, jetzt zum Range der Notwendigkeit.

105.

So schadet auch die Vorherbestimmung der Dinge oder die Kausalordnung nicht der Freiheit. Zwar geschieht ja nie etwas, ohne daß dafür ein Grund könnte angegeben werden, und es gibt auch nie eine Indifferenzlage des absoluten Gleichgewichts (indifferentia aequilibri) - als ob sich in einer freien Substanz alles zu seinem Gegenteil jemals gleich verhielte, wo vielmehr in jeder Wirkursache und in allen mitwirkenden Instanzen stets gewisse Zurüstungen, die einige auch als Determiniertheiten bezeichnen, vorhanden sind. Trotzdem muß man doch sagen, daß diese Determiniertheiten nur geneigt machen, aber nicht nötigen, so daß immer eine gewisse Unentschiedenheit oder Kontingenz erhalten bleibt. Auch sind Begier und Leidenschaft in uns nie derart, daß daraus mit Notwendigkeit die Tat folgen müsse; denn solange der Mensch noch seines Geistes mächtig ist, so kann immer, mag er auch vom Zorn, vom Durst oder Aehnlichem getrieben werden, ein Grund gefunden werden, den Trieb zu hemmen, und zuweilen genügt schon der bloße Gedanke, seine Freiheit anzuwenden und den Leidenschaften zu gebieten.

106.

Es wäre also weit gefehlt anzunehmen, die Vorherbestimmung aus den Ursachen, von der wir gesprochen haben, führe eine Notwendigkeit ein, die das Zufallsgeschehen, die Freiheit oder sittliche Verantwortung ausschlösse; vielmehr unterscheidet sich eben hierin die absurde Schicksalsauffassung des Islam von der vernünftigen der Christen, daß die Türken sich um Ursachen nicht bekümmern, die Christen hingegen und alle Verständigen die Wirkung aus der Ursache herleiten.

107.

Die Türken nämlich - obwohl ich nicht meine, daß alle so töricht sind - glauben, man mühe sich vergeblich, der Pest und anderen Uebeln zu entgehen, weil das Künftige oder einmal Beschlossene eintreffe ohne Rücksicht darauf, was man tue oder lasse. Aber diese Ansicht ist falsch, schärft doch die Vernunft zur Genüge ein, daß der, welcher sicher an der Pest sterben wird, auch ganz sicher den Ursachen der Pest nicht entgehen werde; der Tod will nämlich, wie es im deutschen Sprichwort treffend heißt, eine Ursache haben. Und dies gilt auch in allen andren Fällen. - Vergleiche oben § 45.

108.

Es besteht auch kein Zwang in den willkürlichen Handlungen. Denn obgleich die Vorstellungen der äußeren Dinge in unserem Geiste sehr viel vermögen, trägt doch unser willkürliches Handeln ganz den Charakter des Spontanen, so daß es im Handelnden selbst sich gründet und urständet - eine Tatsache, die klarer als es bisher geschah, durch das Gesetz der prästabilierten Harmonie, nach dem Gott von Anfang an das Verhältnis von Leib und Seele geordnet hat, bewiesen wird.

Von der göttlichen Gnade.

109.

Bisher wurde von der Schwachheit der menschlichen Natur gehandelt, jetzt soll von der Hilfe der göttlichen Gnade gesprochen werden, deren Versagen unsre Gegner aufs Korn nehmen, um wiederum die Schuld vom Menschen auf Gott abzuschieben. In doppelter Gestalt aber kann man sich die Gnade vorstellen: die eine, die dem Wollenden zu Hilfe kommt, die andre, die unser Wollen überhaupt ermöglicht (una suficiens volenti, altera praestans ut velimus).

110.

Man muß zugeben, daß die dem Wollenden zu Hilfe kommende Gnade niemandem versagt wird. Daß dem, der tut, was an ihm ist, die Gnade nicht fehlen werde, ist ein alter Spruch; und Gott verläßt niemanden, er müsse denn schon selbst ihn verlassen, ist ein alter Satz, den Augustinus selbst den Alten nachgesprochen hat. Diese helfende Gnade äußert sich entweder gemäß der Art, wie uns da Heil verordnet ist, durch Wort und Sakramente oder auf eine außerordentliche, Gott zu überlassene Weise in der Art, wie er sie etwa dem Paulus erwies.

111.

Denn obgleich viele Völker niemals die heilsame Lehre Christi angenommen haben, es auch nicht glaublich ist, daß die Predigt von ihm bei allen denen, die sie nicht gehört haben, vergeblich gewesen sein sollte, wo ja Christus selbst von Sodom das Gegenteil behauptete, so ist deswegen doch nicht notwendig, einerseits daß jemand ohne Christus gerettet werde, andererseits daß jemand verdammt werde, auch wenn er alles getan hätte, was er von Natur hätte tun können. Denn es sind uns nicht alle Wege Gottes bekannt, und wir wissen nicht, ob nicht gar den Sterbenden auf außerordentliche Weise etwas geschenkt werde. Denn es ist - auch aus dem Beispiel des Cornelius - für gewiß zu halten, daß, wenn jemand das empfangene Licht wohl angewendet habe, ihm auch das benötigte, noch nicht empfangene Licht dazugeschenkt werde, möchte es auch erst in der Todesstunde geschehen.

112.

Denn wie die Theologen des Augsburgischen Bekenntnisses in den getauften Kindern der Gläubigen einen gewissen Glauben anerkennen, obwohl doch keine Anzeichen dafür vorhanden sind, so wäre nichts dagegen einzuwenden, daß Gott auch denen, deren wir gedacht, die bislang noch keine Christen sind, noch im Todeskampf auf außerordentliche Weise ein notwendiges Licht aufstecke, das sie ihr ganzes Leben hindurch vorher nicht gehabt haben.

113.

Deshalb muß man auch „die, welche draußen sind“, denen die bloße äußere Predigt versagt ist, dem Erbarmen und der Gerechtigkeit des Schöpfers überlassen denken, obschon wir nicht wissen, welchen unter ihnen und auf welche Weise er ihnen zu Hilfe komme.

114.

Da aber wenigsten dies feststeht, daß nicht alle die Gnade des Wollens an sich, zumal die, welche am glückverheißendsten gekrönt wird, geschenkt wird, so beschuldigen die Feinde der Wahrheit Gott des Menschenhasses oder doch gewiß des Ansehens der Person, daß er Elend über die Menschen bringe, nicht alle selig mache, wo er es doch könne, oder jedenfalls nicht die, welches es verdienen, erwähle.

115.

Und sicherlich: wenn Gott den größten Teil der Menschen nur dazu geschaffen hätte, daß er aus ihrer ewigen Bosheit und ihrem ewigen Elende sich den Ruhm der Gerechtigkeit zubereite, dann würden an ihm weder Güte noch Weisheit, ja nicht einmal wahre Gerechtigkeit gepriesen werden können.

116.

Vergebens entgegnet man , da wir vor ihm nichts, ja weniger als bei uns die Würmer gelten; denn diese Entschuldigung würde die Härte nicht mindern, sondern nur verstärken; denn dann würde ja alle Liebe Gottes für die Menschen aufgehoben sein, trüge er nicht mehr Sorge für die Menschen als wir für die Würmer, für die wir weder sorgen können noch wollen. Der Vorsehung Gottes aber ist nichts wegen seiner Unscheinbarkeit verborgen, und nichts wegen seiner Fülle verwirrt sie. Die Sperlinge nährt er, die Menschen liebt er; jene versorgt er mit Nahrung, diesen, soweit an ihm liegt, bereitet er die Seligkeit.

117.

Sollte aber jemand noch weitergehen und behaupten wollen, die Macht Gottes wäre so ungebunden, seine Regierung so frei von jeder Regel, daß er auch einen Unschuldigen, und zwar mit Recht, verdammen könnte, so wäre nicht klar, welche Gerechtigkeit bei Gott gelte oder wie sich ein solcher Regent der Welt von dem mächtigen bösen Prinzip der Dinge unterschiede; mit Recht würde man einem solchen Gott Menschenhaß und Tyrannei vorwerfen.

118.

Dieser Gott nämlich würde offenbar wegen seiner Größe zu fürchten, aber nicht wegen seiner Güte zu lieben sein. Bekanntlich erwecken tyrannische Taten keine Liebe, sondern Haß - und das ohne Rücksicht auf die Größe der Macht des Handelnden, ja mit der Macht wächst der Haß, mögen auch die Aeußerungen des Hasses von der Furcht unterdrückt werden.

119.

Und Menschen, die einen solchen Herrn verehren, würden dadurch, daß sie in seine Fußstapfen träten, von der Liebe zur Härte und Grausamkeit verleitet werden. So haben gewisse Leute übel daran getan, unter dem Vorwande eines in Gott vorhandenen unumschränkten Rechtes Gott solche Taten zuzuschreiben, wie denn auch einigen die These entschlüpft ist, daß das, was bei anderen böse sei, bei Gott nicht dafür anzusehen wäre, weil für ihn kein Gesetz gelte.

120.

Ganz anders heißen uns Vernunft, Gottesfurcht und Gott selbst von Gott glauben. Die in ihm mit der höchsten Güte verknüpfte höchste Weisheit läßt ihn die Gesetze der Gerechtigkeit, der Billigkeit und des Sittlich-Guten im reichsten Uebermaß beobachten; so sorgt er für alle, aber am meisten für die vernunftbegabten Kreaturen, die er nach seinem Bilde geschaffen hat, auf daß er so viel Glück und Gutes hervorbringe, wie diese beste Welt nur irgend fassen kann, und Sünde und Elend nicht anders zulasse, als sie sich mit der besten Weltordnung vertrage.

121.

Und obwohl wir vor dem unendlichen Gott dem Nichts gleichen, so ist doch eben dies das Vorrecht seiner unendlichen Weisheit, daß er auch für unendlich geringere Dinge aufs vollkommenste sorgt. Denn wenn diese auch zu ihm selbst in keinem angebbaren Verhältnis stehen, so wahren sie doch ein Verhältnis untereinander und erfordern eine Ordnung, die Gott in sie gelegt hat.

122.

Eben hierin ahmen in gewisser Weise die Mathematiker durch die neue Infinitesimalrechnung Gott nach, indem sie aus der Vergleichung unendlich kleiner und unmeßbarer Größen untereinander Größeres und Nützlicheres, als man irgend glauben möchte, herausbringen.

123.

Wir verwerfen darum jene höchst widerwärtige These vom Menschenhaß Gottes und stellen uns mit Recht schützend vor die Ansicht von Gottes höchster Menschenliebe, die ernstlich gewollt hat, daß alle zur Erkenntnis der Wahrheit kämen, alle von den Sünden zum Guten sich bekehrten, alle selig würden, und diesen Willen durch vielfältige Gnadenhilfen bekräftigt hat. Wenn freilich nicht stets geschehen ist, was Gott so gewollt hat, muß man das der widerstrebenden Bosheit der Menschen zuschreiben.

124.

Aber diese Bosheit, wird man einwerfen, konnte doch von Gottes höchster Macht überwunden werden. Das geben wir schon zu, aber daß er es tat, dazu war er auf keine Weise verpflichtet und nötigte ihn auch seine Weisheit nicht.

125.

Man wird ferner einwenden, eine solche Güte, wie wir sie mit Recht Gott zuschreiben, würde über die Grenze dessen, was sie zu tun gehalten war, weit hinausgegangen sein; ja, der beste Gott sei gehalten, das Beste zu tun, grade weil Güte selbst sein Wesen sei.

126.

Hier muß man nun endlich mit Paulus sich auf den Reichtum der höchsten Weisheit beziehen, die freilich nicht litt, daß Gott der Weltordnung und den Naturen ohne Gesetz und Maß Gewalt antat, die durchgehende Harmonie gestört und für die beste Ordnung der Dinge eine andere gewählt wurde. In dieser besten Ordnung aber war enthalten, daß alle ihrer Freiheit und einige auch ihrer Bosheit überlassen werden sollten - was wir daraus schließen, weil es geschehen ist. Siehe §142

127.

Inzwischen leuchtet die allgemeine Menschenliebe Gottes oder der Wille, alle selig zu machen, aus Gottes Hilfaktionen selbst hervor, die allen, auch den Verworfenen, genügend, ja oft überreichlich zuteil werden, wenn auch nicht in allen die Gnade siegreich ist.

128.

Im übrigen sehe ich nicht ein, warum die Gnade, wo sie ihre volle Wirkung erreicht, den Menschen immer ihrer Natur nach erreichen oder an und für sich schon wirksam sein müsse, wo es doch geschehen kann, daß das gleiche Maß der Gnade in dem einen, weil er widerstrebt und widrige Umstände hemmen, die Wirkung nicht erzielt, die sie in dem andern erreicht. So sehe ich auch nicht ein, wie man aus Vernunft oder Offenbarung beweisen könne, daß die siegreiche Gnade immer so groß sei, daß sie unbedingt jeden Widerstand, jede Konstellation widriger Umstände überwinden werde. Es ist kein Zeichen von Weisheit, überflüssige Kräfte einzusetzen.

129.

Dennoch leugnen wir nicht, daß es gelegentlich zu geschehen pflegt, daß Gott wider die größten Hemmnisse und härtesten Widerstand jene triumphierende Gnade anwende, damit wir nicht meinen sollen, man dürfe jemals an irgend jemandem verzweifeln, wenngleich sich keine Regel daraus ableiten läßt.

130.

Viel schwerer irren die, welche allein den Erwählten Gnade, Glauben, Rechtfertigung, Wiedergeburt zueignen, als wären - wogegen doch die Erfahrung streitet - die Weltkinder lauter Heuchler und empfingen weder von der Taufe noch vom Abendmahl noch allgemein von Wort und Sakrament geistliche Hilfe. Oder als könne anderseits kein Erwählter und wahrhaft Gerechtfertigter in Schuld oder vorsätzliche Sünde zurückfallen oder, wie andere es vorziehen sich auszudrücken, als könne der Erwählte mitten in den größten Freveln die Gnade der Wiedergeburt nicht verlieren. Aber grade die, welche dies behaupten, pflegen von dem Gläubigen die sicherste Ueberzeugung eines bis ans Ende beharrlichen Glaubens zu verlangen, weshalb sie entweder leugnen müssen, daß den Verworfenen der Glaube anbefohlen werde, oder genötigt sind zu behaupten, daß ihnen etwas Falsches zu glauben geheißen sei.

131.

Aber diese ganz willkürliche, unbegründete, von den Ansichten der alten Kirche, ja selbst von Augustinus sich völlig entfernende Lehre, würde sie in solcher schroffen Form aufgenommen werden, könnte doch in die Praxis übergehen: einerseits im Bösen eine leichtfertige Ueberzeugung vom künftigen Heile, anderseits im Frommen ängstlichen Zweifel wegen der gegenwärtigen Aufnahme in den Gnadenstand wecken, dort die Gefahr der Sicherheit, hier die der Verzweiflung heraufbeschwören. Darum möchte ich nächst dem Glauben an den Despotengott diese Auffassung von der Gnadenwahl am meisten widerraten.

132.

Glücklicherweise aber mildern die meisten die Schärfe einer solchen paradoxen Neuerung, und die noch übrigen Verteidiger dieser gefährlichen Lehre halten sich in den Schranken der bloßen Theorie und ziehen keine schlimmen praktischen Folgen daraus, während die Frommen unter ihnen, wie es der rechten Lehre gemäß ist, in kindlicher Furcht und liebevollem Vertrauen sich angelegen sein lassen, selig zu werden.

133.

Wir können der Gegenwart von Glaube, Gnade und Rechtfertigung gewiß sein, soweit wir uns dessen bewußt sind, was jetzt in uns geschieht; in Zukunft aber auszuharren, hegen wir gute Hoffnung - doch nicht ohne Besorgnis - gemäß der Mahnung des Apostels, daß der, welcher steht, zusehe, daß er nicht falle; die Gewißheit unserer Erwählung darf uns keineswegs verleiten, im gottseligen Wandel nachzulassen und uns beim Gedanken künftiger Buße zu beruhigen.

134.

Dies mag wider den Gott schuldgegebenen Menschenhaß genug sein. Nun müssen wir zeigen, daß ihm auch das Ansehen der Person mit Recht nicht könne vorgeworfen werden, als ob nämlich seine Wahl keinen Grund hätte. Der Grund der Wahl ist Christus; aber daß einige Christi weniger teilhaftig sind, daran ist ihre eigne bis zum Ende beharrliche Bosheit schuld, die Gott, als er sie verwarf, vorhersah.

135.

Allein hier hört man wiederum die Frage: warum werden verschiedenen Menschen verschiedene innere und äußere Hilfen gegeben, die in dem einen die Bosheit besiegen, in dem andern von der Bosheit besiegt werden? Hierüber sind verschiedene Meinungen entstanden; denn einigen hat es geschienen, als habe Gott den minder Bösen oder denen, die doch weniger widerstehen würden, mehr geholfen; andere glauben, daß eine gleiche Hilfe in diesen mehr ausgerichtet habe; andere hingegen wollen nicht zugeben, daß sich der Mensch irgendwie durch den Vorzug einer besseren oder wenigstens minder schlimmen Natur bei Gott unterscheide.

136.

Zwar steht es wohl außer Zweifel, daß bei einem Weisen die Berücksichtigung der Eigenschaften des Gegenstandes der Wahl in die Erwägung über die Wahl aufgenommen wird. Indessen macht nicht allemal die absolut genommene Würdigkeit des Gegenstandes den Grund der Wahl aus.

137.

So kann es geschehen, daß bei einem Bau oder als Zierrat nicht der schönste oder kostbarste Stein ausgewählt wird, sondern derjenige, welcher den leeren Platz am besten ausfüllt.

138.

Das Sicherste aber ist es, zu behaupten, daß alle Menschen, da sie geistlich tot sind, gleichermaßen, aber nicht auf gleiche Art böse sind. So werden sie in bösen Neigungen unterschieden sein, und diejenigen werden vorgezogen werden, die nach der Ordnung der Dinge in günstigere Umstände geraten, worin sie - wenigstens im Anfange - weniger Gelegenheit finden, besondere Bosheit zu verüben, und mehr Gelegenheit, die Gnade anzunehmen.

139.

Deswegen haben auch unsre Theologen, soweit sie der Erfahrung folgten, in den äußeren Hülfen des Seelenheils, wenn auch schon die innere Gnade gleich wäre, einen bedeutenden Unterschied unter den Menschen anerkannt und nehmen in der Oekonomie der äußeren uns betreffenden Umstände zur „Tiefe“ Pauli ihre Zuflucht, da durch das Los der Geburt, der Erziehung, des Umgangs, der Lebensart und der Wechselfälle des Schicksals die Menschen oft entweder verdorben oder gebessert werden.

140.

So ist uns außer Christus und der vorhergesehenen endgültigen Beharrung in dem seligen Zustand, der uns mit ihm verbindet, kein andrer Grund der Wahl oder des Glaubens, den wir empfangen sollen, bekannt, und wir können keine Regel angeben, deren Anwendung von uns eingesehen werden könnte, - keine Regel, die es rechtfertigen würde, sich selbst zu schmeicheln oder anderen zunahezutreten.

141.

Denn bisweilen besiegt Gott die eingewurzelte Bosheit und den äußersten Trotz des Widerstandes, damit niemand an der Gnade verzweifle, wie Paulus von sich selber sagt. Bisweilen versagen auch die, welche gut waren, mitten im Laufe, damit niemand sich allzu hoch dünke. Meist jedoch spüren die, welche weniger boshaft sind im Widerstreben und stärker geneigt zum Wahren und Guten, eine größere Frucht der göttlichen Gnade, damit niemand auf den Gedanken gerate, das Verhalten der Menschen sei für ihr ewiges Heil von keiner Bedeutung. - Siehe § 112.

142.

Die „Tiefe“ selbst jedoch ruht in den Schätzen der göttlichen Weisheit oder im verborgenen Gott und - was auf dasselbe hinausläuft - in der allumfassenden Harmonie der Dinge. Sie hat bewirkt, daß diese Ordnung des Alls, welche alle Schickungen, die wir bewundern, alle Urteile, die wir anbeten, in sich begreift, von Gott als die beste und als die allen andern möglichen Welten vorzuziehende angesehen wurde. - Siehe § 126.

143.

Die Bühne der physischen Welt offenbart uns im bloßen Lichte der natürlichen Vernunft schon in diesem Leben mehr und mehr ihre erlesene Schönheit, da die Systeme des Makrokosmos und des Mikrokosmos sich den Entdeckungen der Neueren zu enthüllen begonnen haben.

144.

Allein das herrlichste Stück der Schöpfung, die Stadt Gottes, ist ein Schauspiel, dessen Schönheit wir erst dann werden näher kennenlernen, wenn wir dereinst vom Lichte der göttlichen Glorie werden erleuchtet sein. Jetzt nämlich erreichen sie nur die Augen des Glaubens, d.h. das festeste Vertrauen auf Gottes Gottheit, da wir denn, je mehr wir die Auswirkung nicht nur der Macht und Weisheit, sondern auch der Güte des höchsten Geistes einsehen lernen, desto mehr in Liebe zu Gott entbrennen und der göttlichen Güte und Gerechtigkeit nachzueifern entflammt werden.

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