Krummacher, Gottfried Daniel - Die Wanderungen Israels durch die Wüste nach Kanaan (Rotes Meer).

Krummacher, Gottfried Daniel - Die Wanderungen Israels durch die Wüste nach Kanaan (Rotes Meer).

Fünfte Predigt.

Text: 4. Buch Mose 33,8.

Wir verließen die Kinder Israel in der allerbedrängtesten Lage. Drei Feinde umlagerten sie zu gleicher Zeit, und es war schwer zu sagen, welcher unter diesen der grausamste war: Pharao, das Meer oder die Berge. Hatten sie in Hahirot den Mund ziemlich weit aufgetan, so öffnete er sich jetzt nur, um dem Seufzen ihres Herzens Luft zu machen. Selbst Moses verstummte, wiewohl sein Herz desto lauter und durchdringender zu Gott schrie. Doch, lasst uns die Geschichte selbst, nebst ihrer Bedeutung, in nähere Erwägung ziehen.

Moses war eine kurze Zeit auch wie erstarrt und verstummt, aber nur um ohne Worte zu beten und sodann seinen Mund zu desto herrlicheren Reden zu öffnen. Fürchtet euch nicht, sagt er, und stehet fest und seht, welch ein Heil der Herr heute an euch tun wird; der Herr will für euch streiten und ihr sollt stille sein. Ein merkwürdiges Wort. Es ging in seine volle Erfüllung auf Golgatha, aber es geht auch noch immer so. Und wie stille kann der sein, der das Wort fasst: Der Herr will für euch streiten und hat für euch gestritten. Es war aber in der Tat große Kunst, hier fest zu stehen. Ihre äußerliche Lage zu behaupten, war nichts sonderliches, denn dazu zwang sie die harte Notwendigkeit und die Unmöglichkeit, die Flucht zu ergreifen. Denn wohin sollten sie flüchten? Blos aufwärts gen Himmel stand der Weg ihnen offen, sonst war er von allen Seiten zu. Und so muss man freilich eingeengt und eingepresst werden, um allein auf Gott zu hoffen. Denn so lange die Natur noch ein Loch offen sieht, sucht sie sich da hindurch zu machen. So lange sie noch einige Gerechtigkeit, noch einige Stärke übrig zu haben meint, nimmt sie nicht Christum allein und ganz an. Daher kommts auch, dass wir dann so jämmerlich zu zagen pflegen, wenn uns nichts übrig bleibt, als Gott allein. Das Feststehen der Kinder Israel bestand in einem unwandelbaren Vertrauen bloß und lauterlich auf Gott, ohne alle sichtbare Stützen, ohne welches ihre Herzen würden gebebt haben, wie die Bäume im Walde.

Der Herr trat nun sehr majestätisch drein, indem er zu Mose sagte: Was schreist du zu mir? sage ihnen, dass sie ziehen. – Was schreist du zu mir? Es brauchts nicht. Sei auch du selbst ganz stille und lass mich nur machen. Es bedarf des Flehens nicht, um mich zum Helfen bereit zu machen. Ich bin bereit. Sage ihnen, dass sie ziehen! Welch ein Gebot! Wohin denn? Aufs rote Meer zu. Wie? um die ganze Größe ihrer Not und den ganzen Umfang ihrer Hilflosigkeit recht genau in Augenschein zu nehmen? Auch das. Dem weichen wir gern aus und begnügen uns gern, unsere Not nur so halb und halb, unser Elend nur so einigermaßen einzusehen, nicht aber in seiner ganzen Größe, - wie der Anblick des roten Meeres für Israel auch etwas Lähmendes und Entmutigendes haben musste. Sage ihnen, dass sie ziehen. Wenn’s so heißt, dann müssen wir aber schon heran, um zu sehen, wie wir Gottlose wie ein ungestüm Meer sind, das nicht still sein kann. Sage ihnen, dass sie ziehen. An nichts sollten sie sich kehren, sondern im Glauben sagen: In dem Allen überwinden wir weit. Was meinst du, Pharao, mit deinen Rossen und Wagen? was meinst du, Meer, mit deinen grausigen Wogen? Wollt ihr uns verschlingen? Jawohl! Sage ihnen, dass sie ziehen. Lasst diese gehen, sagte Christus, und man musste sie gehen lassen bis auf den heutigen Tag. Es liegt an diesem: Sage ihnen, dass sie ziehen, etwas Majestätisches, etwas Unaussprechliches. Gott tut gerade, als wäre kein Hindernis da, und ihm ist auch keins da, also auch im Grunde betrachtet, seinem Volke nicht. Im Glauben vorwärts. Es hat Alles nichts zu sagen. Aber auch immer weiter. Sage ihnen, dass sie ziehen.

Zu Mose aber hieß es: Du aber hebe deinen Stab auf und recke deine Hand über das Meer und teile es von einander, dass die Kinder Israel hineingehen mitten hindurch auf dem Trockenen. Welch ein Befehl: Teile du das Meer! und welch ein Mann, der nicht sagt: Herr, das kann ich nicht; sondern denkt: ich kann das wohl, weil mir’s der Herr gebeut. Es steht auch den Gläubigen weit schöner an und geziemet sich weit mehr zu sagen: ich kann das wohl, als: ich kann es nicht. Doch gehört Beides zusammen. Als die nichts können und Alles können. Ja, wir können es wohl, antworteten die lieben Jünger, als der Herr fragte: Könnet ihr den Kelch trinken, den ich trinke, und euch taufen lassen mit der Taufe, da ich mit getauft werde? – und Jesus tadelt sie wegen ihres Sagens nicht, mochte auch allenfalls manches noch daran zu tadeln sein und sie noch mehr und auch noch weniger können, wie sie noch selber wussten, wie sie ja auch mehr erkannten, wie sie dachten, nach Joh. 14., wo Jesus zu ihnen sagte: Ihr wisst den Weg und kennet den Vater und habt ihn gesehen; mag auch Thomas antworten: Wir wissen’s nicht und wie können wir den Weg wissen; Philippus aber sagen: Herr, zeige uns den Vater. - Teile du das Meer. Was für große Taten können doch die armen Christen ausrichten, wenn der Herr sie dazu beruft. Solch Zutrauen sollten sie daher auch billig zu Gott haben, denn auf eigenes Vermögen kommt’s gar nicht an. Wäre es beim Mose darauf angekommen, so wäre das Meer ungeteilt geblieben. Aber er brachte sein eigenes Können auch gar nicht in Rechnung; denn was konnte das Stabaufheben und Handausrecken irgend zur Teilung des Meeres beitragen? Er tat’s Alles im Glauben, welcher ein ausdrückliches Wort Gottes für sich hatte. – Wie verkehrt ist es daher, wenn wir gegen irgendein Gebot, möchte es auch noch so Großes fordern, das Mindeste einwenden, da es bloß darauf ankommt, wie wir es auffassen, ob im Sinne des Werk- oder des Gnadenbundes, - wie verkehrt, wenn wir ihm unsere Ohnmacht entgegen halten, oder gar in der Forderung eine Beeinträchtigung der Rechtfertigung wittern. Die Forderungen und Ermahnungen sind ebenso geeignet, unseren Geist zu erquicken, als die eigentlichen Verheißungen. Es kommt dabei nur auf das hörende Ohr und sehende Auge an, welche beide der Herr gemacht hat. Moses würde freilich ein großer Narr gewesen sein, wenn er den Befehl: Teile du das Meer! auf seine eigene Achseln und nicht im Glauben aufgefasst hätte. David zweifelte auch nicht daran, er werde den Goliath erlegen, obschon Saul es nicht glaubte, und obschon er diesem ungläubigen Könige es nicht sagte, wie er’s angreifen wollte, und es dabei bewenden ließ, ihn zu bemerken: Dein Knecht hat einen Löwen und Bären totgeschlagen, wo er raten mochte, woher er die Kraft dazu genommen. Vor dem Volke aber rief er: Ich komme im Namen des Herrn. Petrus zweifelte auch nicht daran, er werde mit Jesu ins Gefängnis und in den Tod gehen können, und floh und verleugnete ihn dreimal. – Der Weg ist hier schmal und zart, und Niemand ist, der ihn findet, als den der Herr unterweiset und ihm den Weg zeiget, den er wandeln soll. Also getrost Gebote her, und wenn es hieße: Ihr sollt vollkommen sein, gleichwie euer Vater im Himmel vollkommen ist; oder: Teile du das Meer! Mögen spitzfindige Leute es denn erläutern, wie der Herr dem Menschen das zuschreibt, was er doch selber tut, oder was für einen Anteil der Mensch an dem Werke hat oder nicht hat, das Gott durch ihn ausrichtet: wir wollen indes glauben lernen und im Glauben darreichen die Tugend.

Wie und wodurch sollte Moses das bewerkstelligen, dass die Kinder Israel trockenen Fußes mitten durchs Meer gingen? Das würde er nimmer erraten haben. Sollte man einen Damm durch das Meer aufwerfen? Gesetzt dies wäre möglich gewesen, was es doch nicht ist, so würde ihnen die Nähe Pharaos keine Zeit dazu gelassen haben. Ist es bisher unmöglich gewesen, die Landenge zu durchgraben, die das rote Meer von dem mittelländischen trennt und Asien mit Afrika verbindet, wie hätte man einen Damm mitten durchs Meer zu Stande bringen wollen? Aber Gott, der Mose befahl, das Meer zu teilen, nannte ihm auch die Art und Weise, wie er’s machen sollte. Seinen Stab sollte er aufheben und seine Hand übers Meer recken. Verachte nun noch Jemand die Mittel, sobald sie eine göttliche Einsetzung für sich haben! Das Aufheben des Stabes und das Ausrecken der Hand trug zur Teilung des Meeres nichts bei und war doch so durchaus notwendig, dass es sich ohne dieses nicht würde geteilt haben. Gott brauchte diese armseligen Mittel eines hölzernen Stabes und einer schwachen Hand eines 80jährigen Mannes nicht, und doch wollte er ohne diese nichts tun. Er hätte auch andere Mittel gebrauchen können, wählte aber dieses, und Moses würde nicht fromm sondern gottlos, nicht gläubig sondern widerspenstig gehandelt haben, nicht demütig sondern eigenweise gewesen sein, hätte er gesagt: Ich will meinen Stab nicht aufheben, weil der Herr es alles allein und selber tut. Gott hat im Natürlichen kein Brot und keinen Wein nötig, um unser Leben zu erhalten, so lange es ihm gefällt; er braucht nicht regnen zu lassen, damit ein Land fruchtbar sei, wie es denn in Ägypten nie regnet; er braucht im Geistlichen keine Kirchen und keine Prediger, ja keine Bibel und keine Sakramente, um Menschen zu bekehren und zu belehren, zu stärken und zu erfreuen. Aber wie verkehrt wäre derjenige, der das Eine oder das Andere verachten wollte, da Gott beides angeordnet hat. Nein, Mosis Hand und Stab, gerade dies und kein anderes Mittel, war notwendig, das Meer zu teilen, und Kirchen und Prediger, Bibeln und Sakramente sind notwendig, Menschen zu bekehren und zu belehren, zu stärken und zu erfreuen, wie wahr es übrigens ist, dass viele Tausend selig werden, die nie etwas von Adams Fall und Christi Blut, die nie eine Predigt gehört haben, welches von solchen Menschen gilt, die als unmündige Kindlein schon den armseligen Schauplatz dieser Erde wieder verlassen, nachdem man sie kaum auf demselben gesehen hat. War nicht Johannes schon im Mutterleibe erfüllt mit dem heiligen Geist? – Gern und gehorsamlich bedienen wir uns daher der Mittel, ohne bei ihnen stehen zu bleiben und ohne dasjenige von ihnen zu erwarten, was bloß vom Herrn kommt, was er aber durch Mittel geben will, sollten diese Mittel auch schwach sein und viel zu wünschen übrig lassen. Wir verlassen nicht die Versammlungen, wie Etliche pflegen, sondern ermahnen uns unter einander. Wir lesen, hören, kommen zum Tische des Herrn, das eine Mal belebter, das andre Mal trockner, und begehren, dass der Herr uns da segne, wo er seines Namens Gedächtnis gestiftet hat.

Der Herr sprach weiter zu Mose: Ich will das Herz der Ägypter verstocken, dass sie euch nachfolgen, und will Ehre einlegen an Pharao und an aller seiner Macht, an seinen Wagen und Reitern, und sie sollen inne werden, dass ich der Herr sei. (2. Mos. 14,17.) Gehorsamlich und gläubig, ohne auf Vernunft und ihre Frage zu hören: wie mag solches zugehen? reckte Moses Hand und Stab über das gewaltige Meer. Ein gewisser persischer König ließ einst eine Brücke über einen Arm des Meeres schlagen, um über derselben mit einer ungeheuren Macht Griechenland zu überfallen, die aber bald von den Wellen zerstört wurde. Der übermütige König ließ darauf das Meer für seinen Ungehorsam, lächerlicher Weise, mit Ruten peitschen, und bewies damit, dass seine Narrheit eben so groß war, als sein Stolz. Mosis Hand und seinem Stabe war das Meer gehorsamer, als der Brücke des übermütigen Xerxes. Es wich ehrfurchtsvoll und teilte sich voneinander, jedoch nicht auf einmal, sondern nach und nach, die ganze Nacht hindurch. Gott der Herr kam auch durch einen starken Ostwind zu Hilfe, wovon nachher Moses, ohne seines Handausreckens und seines Stabes zu gedenken, sang: Durch dein Blasen taten sich die Wasser auf und die Fluten standen auf Haufen. – Wie ist es doch dem Herrn so ein Leichtes zu helfen, und durch welche geringe, unscheinbare Mittel kann er helfen, so er sich anders der Mittel bedienen will. Eben noch in dem erschrecklichen Gedränge, von allen Seiten eingeschlossen, - ohne einige Aussicht zur Rettung, und so bald ein weiter offener Weg! Der Herr ist der rechte Kriegsmann. Herr ist sein Name! singt Mose. (2. Mos. 15,3.)

Es geschah aber noch etwas Besonderes. Gott wollte nicht bloß die Kinder Israel retten, sondern auch den Pharao und sein Heer vertilgen. Er verstockte also sein Herz, dass er beschloss, Israel nachzusetzen; denn eben darum, sagte Gott von ihm, habe ich dich erweckt, dass ich an dir meine Macht erzeige, und dass mein Name verkündiget werde auf der ganzen Erde. Er sollte ihnen aber nicht zu früh nachsetzen, sondern ihnen Zeit lassen, dass sie einen großen Vorsprung vor ihm gewönnen. Da erhub sich also der Engel Gottes, der vor Israel herzog, und machte sich hinter sie (2. Mos. 14,19.) und die Wolkensäule machte sich auch von ihrem Angesichte und trat hinter sie. Des Engels Gottes, dessen hier als eines solchen gedacht wird, der vor Israel herzog, wird mehrmals im ersten Buch Mosis erwähnt. Es ist kein geschaffener Engel, d.i. Gesandter, sondern eine der göttlichen Personen; deshalb heißt es auch gleich im 24. Vers: Der Herr schaute aus der Wolken- und Feuersäule auf die Ägypter. Dieser Engel erschien Mosi in dem brennenden Busch und nennt sich den Gott Abrahams, Isaacs und Jakobs. Er war’s, der mit dem Erzvater Jakob rang, und er nennt ihn den Engel und Gott. Hosea ebenfalls. Er hat, sagt er Cap. 12,4., aus allen Kräften mit Gott gerungen. Er kämpfte mit dem Engel, denn er weinte und hat ihn. Die Hagar ward auch seiner Anrede gewürdigt (1. Mos. 16.), und Moses sagt, sie habe den Namen des Herrn, der mit ihr redete, atta El roi, d.i. du Gott siehst mich, genannt. Dies ist der Engel des Angesichts, der Bundesengel, der Mittler zwischen Gott und den Menschen, der Sohn Gottes, welcher in der Fülle der Zeit Mensch wurde und Jesus Christus heißt. Er war es, der das Gesetz auf Sinai gab, wie uns Stephanus in seiner letzten Rede Apostelg. 7,38. berichtet, den er ausdrücklich Gott nennet und auch wieder von Gott unterscheidet, wenn er V. 35 sagt: Gott sandte Mosen durch die Hand des Engels, der ihm im Busch erschienen war, - woraus erhellet, dass die Lehre von der Dreieinigkeit eben sowohl im alten als im neuen Testamente enthalten ist. Pharao und Alles, was sich gegen die Gemeine Jesu Christi im Ganzen oder in ihren einzelnen Gliedern setzt, hat es demnach nicht bloß mit ihnen zu tun, wie sie meinen, sondern mit dem Sohne Gottes selbst, der sie schon schützen wird, mag es der Teufel, mag es die Welt oder der alte Mensch sein, der sie verfolgt.

Die Kinder Israel hätten in Verlegenheit geraten können, als sie die Wolken- und Feuersäule nicht mehr sahen. Aber zu ihrem Vorteil wich sie von ihrem Angesicht und trat hinter sie, weil sie ihnen da nötiger war. Zwar erschrickt auch das Herz der Gläubigen, wenn Christus sich vor ihnen verbirgt. Aber wenn das geschieht, so ist’s ihnen nützlich, nützlicher, als wenn’s nicht geschähe. Ob wir das aber immer einsehen, ist eine andere Frage. Unsere Armseligkeit kommt dann wieder oben, denn

wenn du entzeuchst das Deine,
bleibt Sünd’ und Schwachheit meine.

Aber auch das war heilsam.

Die Wolken- und Feuersäule verhinderte es, dass Pharao die ganze Nacht nicht zu Israel kommen konnte, welches die Zeit benutzte und in und durchs Meer ging. Es war eine finstere Wolke, heißt es, und erleuchtete die Nacht; nach der ägyptischen Seite nämlich machte sie die Finsternis der Nacht noch finsterer, nach israelitischer Seite aber leuchtete sie helle, dass sie sehen konnten, was sie zu sehen hatten. So ist’s. Es gibt ein Reich des Lichts und ein Reich der Finsternis, ein Reich der Wahrheit und ein Reich des Irrtums und der Lüge; es gibt Kinder des Lichts und Kinder der Welt und Finsternis. Gott erbarmet sich, welcher er will, und verstocket, welche er will. Indem er den neuen Menschen erleuchtet, wird der alte Mensch desto mehr verfinstert oder tritt doch als solcher hervor. Das nämliche Evangelium, das Einigen als ein helles Licht erscheint, kommt Andern als Finsternis und Torheit vor, und wie es Einigen ein Geruch des Lebens zum Leben, so ist es Andern ein Geruch des Todes zum Tode. Christus ist zum Gericht in diese Welt gekommen, dass, die da sehen, blind, und die Blinden sehend werden. Er ist gesetzt zum Fall und Auferstehen Vieler in Israel. Die Wege des Herrn sind richtig; die Gerechten wandeln darinnen, aber die Übertreter fallen darinnen. Die Heilige Schrift leuchtet Einigen schon wegen der Hoheit und Heiligkeit ihres Inhalts als eine göttliche Offenbarung ein, Andere stoßen und ärgern sich daran. Während sich Einer aus einer Familie bekehrt, werden Andere noch verstockter und erboster wie vorhin.

Indessen hatte sich ein Weg mitten durchs Meer geöffnet. Es stand an beiden Seiten wie kristallene Mauern, welche von dem Wiederschein der Feuersäule wunderbar glänzten. Der Ostwind, der mitten hindurch wehte, trocknete den Weg in der Geschwindigkeit so aus, dass keiner auch nur einen nassen Fuß bekam. Wer muss aber nicht den Mut derer bewundern, welche es wagten, zuerst hineinzutreten? Paulus bewundert ihn, wenn er Hebr. 11,29. sagt: Durch den Glauben gingen sie durchs rote Meer, als durch trocken Land; rechnet es also mit zu den Großtaten, welche er da anführt. Der Unglaube hätte denken mögen: wie? wenn diese seltsamen Mauern, diese flüssigen Wände, zusammen fielen! Ich sehe ja keinen Damm, der diese unermesslichen Massen bändigt! Der Glaube aber sah weder Mosis Hand an noch die unermessliche Masse noch ihre widernatürliche Stellung, sondern sah an die allmächtige Hand des Gottes, der dies Meer aus nichts erschuf und damit machte, was er wollte. Es gehorchte ihm das Nichts, wie er gebot: Es werde Licht! wie sollte ihm das Etwas, das Meer nicht gehorchen, wenn er ihm gebeut: Bis hierher sollt du kommen und nicht weiter. Und ist nicht der Glaube im Ganzen ein Wagestück? Selig sind, die nicht sehen und doch glauben. Petrus wagte noch mehr. Er wandelte nicht durch, sondern auf dem Meere. Moses hielt sich an dem, welchen er nicht sah, V. 27. Freilich eigene Gerechtigkeit, eigene Kraft und Weisheit zu besitzen, stände uns wohl besser an und schien uns sicherer, als nichts inne und doch alles zu haben, als mitten im Tode zu liegen und sein Leben außerhalb sich, in Christo zu suchen. Es gefällt uns weit besser, innerlich so überfüllt und überströmet zu werden, dass wir wohl so kühn wie David werden und sagen möchten: Nimmermehr werde ich danieder liegen, denn durch dein Erbarmen hast du meinen Berg stark gemacht; - als es uns gefällt, uns unserer Schwäche zu rühmen, damit die Kraft Christi in uns wohne. Wer zieht nicht den Reichtum der Armut, die Selbstständigkeit der Abhänglichkeit vor, und wer sammelte sich nicht gern Manna für längere Zeit, statt es jeden Morgen zu suchen? Aber des Glaubens Art ist die, seine Gerechtigkeit und Stärke im Herrn zu suchen, und zu haben in sich selbst so viel, als Gottes Lämmlein will in unser irdenes Gefäß strömen lassen.

Die Ägypter wagten es auch und betraten diesen wunderbaren Weg, in welchen sie geleitet wurden, um sie daselbst alle und auf einmal zu vertilgen. Sie gingen nicht im Glauben, den sie nicht kannten, sondern aus Verwegenheit. Die Kinder Israel gingen etwa Abends 6 Uhr Sonnenuntergang in das Meer und kamen gegen 4 Uhr Morgens an dem entgegengesetzten Ufer ans Land, so dass sie etwa zehn Stunden zu dem Durchgang brauchten, wo sie ohne Zweifel nicht säumten, sondern möglichst eilten. Gegen die Morgenzeit bemerkte Pharao wohl die Bewegung im israelitischen Lager. Er brach eiligst mit seinem Heer auf, ihnen nachzusetzen und sie einzuholen. In der dichten Finsternis, welche die Wolkensäule über ihn verbreitete, sah er weder Himmel noch Erde, und richtete sich in seinem Zuge nach dem Geräusch des israelitischen Lagers. So kam er, ehe er’s sich versah, auch mitten in das Meer, das noch wie Mauern stand. Jetzt schaute der Herr aus der Wolken- und Feuersäule auf die Ägypter, verbreitete einen Schrecken im Heer und stieß die Räder von den Wagen. Jetzt begriffen sie, dass der Herr für Israel streite und wollten wieder zurück. Aber nun befahl Gott dem Mose, seine Hand noch einmal übers Meer zu recken, Er tat’s. Und wie diese Handlung vorhin die Wasser geteilt hatte, so vereinigte sie sie nun wieder. Die kristallenen Mauern stürzten zusammen und das ganze ägyptische Heer ertrank, so dass kein Einziger entrann, der’s hätte verkündigen können, wie’s ihnen gegangen und wo sie geblieben. Dennoch breitete sich das Gerücht davon über ganz Kanaan aus, welche sich dieser merkwürdigen Begebenheit noch 40 Jahre nachher erinnerten und deshalb im Voraus vor dem Anzuge der Kinder Israel in Schrecken waren, wie Rahab den Kundschaftern erzählte, nach Jos. 2. Selbst alte, heidnische Schriftsteller erzählen von einer Sage, dass das rote Meer sich einst in zwei Teile gespalten und der trockne Boden sichtbar geworden sei.

So hat der Herr hier recht im Großen ein Exempel gegeben und aufgestellt, wie er seine Kirche, wie er seine Kinder aus den größten Nöten durch die wunderbarsten kleinsten und größten Mittel zu retten, seine und ihre Feinde aber zu dämpfen weiß, so dass sie in keiner Not zu verzagen Ursache haben, sondern es fortwährend heißt: Werfet euer Vertrauen nicht weg. Es kommt nicht selten wirklich auf die Spitze, dass man kein natürliches Durchkommen mehr sieht und alle natürliche Mittel als unzulänglich erscheinen, wo nur Gott allein durchhelfen kann. Wie ungern nun auch die Natur es bis zu dieser Spitze gebracht sieht, so wenig hat die Gnade es zu scheuen, denn es gehet ein Durchbrecher vor ihnen her. Und wie gewiss es ist, dass der wahre Christ endlich aus allen Nöten vollkommen erlöst wird, so gewiss ist es auch, dass alle Gottlosen endlich umkommen, und ständen sie fest wie ein Palast, und wären schön wie eine Aue. Das Volk des Herrn ist seliger in der äußersten Not, als die Gottlosen im höchsten Glücke, denn mit Beiden ändert’s sich gewiss.

Jetzt sollten wir denn auch die Bedeutung des Durchgangs der Kinder Israel in Erwägung ziehen; lasst mich aber diesmal mit folgender Anmerkung schließen:

Bei den Kindern Israel wurden nicht auf einmal alle Schwierigkeiten hintereinander beseitigt, sondern sie gerieten von einer Not wohl in eine noch größere, erfuhren aber auch eine Durchhülfe nach der anderen. Als sie glücklich aus Ägypten entronnen waren, also dass sie auch kein Hund anbellen durfte, schienen sie berechtigt zu glauben, dass es nun ferner ohne Anstoß bis ins gelobte Land hineingehen würde, und die Erscheinung der Wolken- und Feuersäule zu Etham schien diese Erwartung vollends zu befestigen. Aber etliche Tage später lagerte sich das rote Meer wie ein grimmiger Löwe über ihren Weg. Auf eine ähnliche Weise verhält es sich noch mit den Christen, dass sie wohl Anlass zu der Frage Gideons bekommen: Ist der Herr mit uns, warum widerfährt uns das? – oder gar zu dem Misstrauen Israels, da sie zu Mose sagten: Du hast uns nur in diese Wüste geführt, um uns zu töten. Der Weg führte sie einmal eine Zeitlang nah an Kanaan, und da mussten sie zurück, als sollten sie wieder in Ägypten, zurück ans rote Meer, wohl quer wieder über den Weg, den sie schon gemacht hatten. – Ist’s nicht wahr, dass der Christ auf seiner Pilgerreise auch wohl mehrmals ein Triumphgeschrei erhob und mit Simson ausgerufen hat: Da liegen sie mit Haufen, - geglaubt hat, von nun an werde es auf gerader und ebener Bahn fortgehen, und es doch anders befand? Wie sonderlich, dass sie bald bei Tage, bald bei Nacht aufbrechen und ziehen müssen, bald eine weite, dann eine kleine Strecke, dass sie bald eine lange, bald eine kurze Zeit an Einer Stätte verweilen. Aber Alles muss im Glauben geschehen. Sie haben nichts, was zur Reise erforderlich ist, wissen nicht einmal den Weg, dürfen nicht selbst wählen, sondern müssen sich leiten lassen.

Doch wohl dem Volke, des der Herr ein Gott ist. Geht’s auch wunderlich, so geht’s doch herrlich.

Durchs Gedränge
zum Gepränge,
durchs Verleugnen
zum Genuss.

Amen.

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