Krummacher, Gottfried Daniel - Predigt vor der Wahl des vierten Predigers bei der evangelisch-reformirten Gemeine in Elberfeld über Lucas 20, Vers 21

Krummacher, Gottfried Daniel - Predigt vor der Wahl des vierten Predigers bei der evangelisch-reformirten Gemeine in Elberfeld über Lucas 20, Vers 21

9. Juni 1830

Die Gnade sei mit uns allen. Amen.

So ist denn die wichtige Stunde gekommen, in welcher Ihr, geschätzte Männer und Brüder, Repräsentanten dieser großen ehrwürdigen Gemeine, derselben im Namen des Herrn den vierten Prediger geben sollt. Es handelt sich um eine ersprießliche Ausdehnung, nicht um die Ausfüllung einer entstandenen Lücke. Wie sich die Gemeine im Anfang der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts veranlaßt sah, einen dritten Prediger anzustellen, so ist sie jetzt im Begriff, den vierten zu ernennen. Ein erfreuliches Zeichen!

Ihr, geschätzte Männer, übt heute den wichtigsten Theil Eures Amtes aus, ja Ihr verrichtet heute eine Handlung von unbeschreiblicher Wichtigkeit und Feierlichkeit, so daß ich keine Handlung zu nennen wüßte, die ich ihr an die Seite setzen dürfte. Genießt Ihr das heilige Abendmahl, wer wird dieß nicht wichtig und feierlich nennen? Aber blos Eure eigene Personen sind dabei betheiligt. Gesetzt, Ihr äßet und tränket, was Gott verhüte, unwürdig, so äßet und tränket Ihr Euch selbst das Gericht, ohne Andere mit in Euren Untergang zu verwickeln! Schwört Ihr einen Eid, - gewiß eine feierliche Handlung, eine Handlung, die sich auch auf Andere bezieht; - es ist eine Anrufung Gottes, daß Er, als der einige Herzenskündiger, der Wahrheit Zeugniß wolle geben, und mich strafen, so ich falsch schwöre; - eine Handlung, wodurch Ihr das kräftige Eingreifen Gottes feierlich aufruft, und zwar nicht seiner Güte, sondern seiner Gerechtigkeit und Macht - eine Handlung, bei welcher auch Andere betheiligt sein können, doch durchgängig nur in zeitlichen, nicht in den Angelegenheiten der Seele und des ewigen Heils. - Wird ein ernsthaftes Gemüth, das eine dieser Handlungen verrichtet, sich von einem heiligen Schauer durchzuckt fühlen, werden ihm die allererhabensten Rücksichten mit allem Nachdruck vors Gemüth treten: so gewiß jetzt.

Aber handelt, es ist Eure Pflicht! handelt als vor Gott, handelt als solche, die Ihm Rechenschaft davon zu geben haben!

Gott aber leite Euch, und mache dies zu einer Segensstunde, in welcher es sich um die allertheuersten und wichtigsten Angelegenheiten, um die Ehre Gottes, um das Heil so vieler tausend Seelen handelt. Ihre Folgen sind unabsehbar, sie reichen aus der Zeit hinüber in die Ewigkeit.

Mögen diese Stunden unter des Herrn gnädigster Regierung ein Ergebniß herbeiführen, wofür Euch, als Werkzeugen, noch im Himmel Dank gesagt werde.

Ich soll bei dieser Gelegenheit reden. Die Worte, welche ich dabei zum Grunde lege, stehen

Luc. 20, 21.

und lauten also:

„Meister, wir wissen, daß du aufrichtig redest und lehrest, und achtest keines Menschen Ansehen, sondern du lehrest den weg Gottes recht.“

Dieß Zeugniß wurde dem Herrn Jesu von sehr vornehmen Leuten gegeben, welche Eigenschaften an Ihm rühmen, wovon sie selbst ganz entblößt waren, namentlich die Aufrichtigkeit. Sie rühmen ihn arglistiger Weise blos darum, ihn zu fangen, wissen aber freilich nicht, daß sie mit einem solchen zu thun haben, der sie ganz durch, schaut, und ihre List zu Schanden macht, ehe sie dieselbe noch spielen lassen.

Laßt uns diese Worte auf unser heutiges wichtiges Vorhaben anwenden. Ihr sollt der Gemeine heute einen vierten Prediger geben. Laßt uns denn nach den vorgelesenen Worten drei nöthige Eigenschaften eines Predigers erwägen:

Er muß

  • aufrichtig seyn und lehren,
  • keines Menschen Ansehen achten, und
  • den Weg Gottes recht lehren,
  • und diejenigen, welche einen Prediger anstellen, müssen wissen und überzeugt seyn, daß er diese Eigenschaften besitzt.

Wir haben die angegebenen drei Eigenschaften nöthige genannt, und sie dadurch für Eigenschaften erklärt, welche nicht mangeln dürfen. Denn es gibt auch Eigenschaften, welche zwar wünschenswerth sind, aber doch nicht unentbehrlich. Dazu rechne ich die Gabe der Wohlredenheit, welche die Wahrheit zugleich auf eine liebliche und angenehme Weise vorzutragen versteht. Ist sie gleich angenehm, so ist sie doch nicht nöthig, ja wer diese Gabe besitzt, darf sich ihrer bei Verkündigung des Evangeliums nur mit Vorsicht und Zurückhaltung bedienen. Obschon man in dem fein gebildeten Korinth, wie überhaupt in Griechenland, welches das Vaterland der größten Redner war, welche die Welt gehabt hat, viel auf Wohlredenheit hielt, gab doch Paulus diesem Hang absichtlich nicht nach, predigte aber in Beweisung des Geistes und der Kraft, welches das Rechte und Wahre ist, auf daß ihr Glaube bestände nicht auf Menschen Weisheit, sondern auf Gottes Kraft. - Apollo ist der Einzige, welcher in der Schrift als ein beredter Christ bezeichnet, zugleich aber als ein solcher dargestellt wird, der noch einer nähern Unterweisung bedurfte, welche ihm Aquila und sein Weib Priscilla ertheilten. Bei einem Prediger vorzüglich auf Beredsamkeit sehen, wäre verkehrt. Das was, nicht wie er's verkündigt ist die Hauptsache, wie angenehm es übrigens ist, wenn er - mich der Worte Salomo's zu bedienen - den goldenen Apfel auf einer silbernen Schale darbeut.

Zu den zwar wünschenswerthen, aber nicht durchaus nöthigen Eigenschaften eines Predigers, gehört eine gewisse freundliche Zuthunlichkeit. Ja der Apostel sagt zum Timotheus: ein Knecht des Herrn soll freundlich seyn gegen Jedermann, der auch die Bösen tragen kann mit Sanftmuth. Wenn ich also diese Eigenschaft für eine nicht durchaus nothwendige, sondern nur wünschenswerthe erkläre: so betrachte ich sie nicht als eine Frucht der Wiedergeburt, sondern als eine Naturgabe, die etlichen schon vermöge ihres Temperaments in vorzüglichem Maaße zu Theil geworden ist, während andere den Mangel derselben mehr oder weniger zu beklagen haben, und sich das erbitten müssen, was andern von Natur schon eigen ist. Einigen Menschen ist eine gewisse Liebenswürdigkeit angeboren, die ihnen leicht Gegenliebe und Zutrauen erweckt, wogegen Andere etwas Zurückstoßendes in ihrer Art haben, das sie in gewisser Weise unzugänglich macht, und ihnen den Zugang wehrt.

Uebrigens wird gar Vielerlei von vielerlei Leuten von den Predigern gefordert, und oft ganz unbillig. So wie etliche armselig genug nur auf eine volltönende Stimme achten, und ihn nach Maaßgabe derselben hoch oder niedrig stellen, so wissen Andere ihren Forderungen fast kein Ziel zu setzen. - Doch ich schweige von dem Einen wie von dem Andern, weil uns zum Klagen, wegen unthunlicher Anforderungen an uns, so wenig Anlaß gegeben wird, als wir Ursache haben zu glauben, daß die Stimmberechtigten sich blos durch jene leiten lassen.

Desto wichtiger und nothwendiger sind die drei andern Eigenschaften, welche nicht nur zum Schmuck, sondern vielmehr zum Wesen eines Dieners Christi gehören. Die erste ist: die Aufrichtigkeit. Unter der Aufrichtigkeit versteht die h. Schrift mehr, als man im gewöhnlichen Leben damit meint, denn wenn Salomo sagt: Gott habe den Menschen aufrichtig gemacht, so faßt er in diesem einzigen Ausdruck das ganze göttliche Ebenbild zusammen, wie er den Verlust desselben in den Worten andeutet: Sie aber suchen viele Künste. Dies verlorne Ebenbild Gottes darf für uns überhaupt, am allerwenigsten aber für uns Prediger ein verlornes bleiben. Wir können es wiedererlangen, weil Christus den alten Menschen abgethan, und uns eine neue Natur, ein neues Leben, einen neuen Menschen durch sein verdienstliches Leiden und Sterben, durch sein Begräbniß und seine Auferstehung wieder erworben und zuwege gebracht hat - dies Ebenbild, welches in rechtschaffener Gerechtigkeit und Heiligkeit besteht. Jedoch hat er's dabei nicht gelassen, sondern auch dem h. Geist aufgetragen uns dasselbe mitzutheilen, und durch den Glauben anzueignen. Wir können es also erlangen. Aber damit ist's noch nicht genug, sondern wir müssen es auch wirklich empfangen. Kann auch ein Kranker gesund werden, so bleibt doch seine Lage so lange bedenklich, bis sich die Genesung wirklich bei ihm einstellt; und wenn die Möglichkeit einer guten Sache nicht zur Wirklichkeit wird, kann sie ja nichts nutzen. - Die wahre Aufrichtigkeit vor Gott ist daher nicht nur eine Frucht der Wiedergeburt, sondern die Wiedergeburt selbst. Wird ohne dieselbe überhaupt niemand ins Reich Gottes kommen: so soll sie insbesondere bei jedem Prediger vorgegangen seyn. Sie sollen nicht den Handweisern gleichen, die einen Weg weisen, den sie selbst nicht gehen; sie sollen nicht einen Christum anpreisen, den sie selbst nicht kennen; eine Gnade rühmen, die ihrem eigenen Herzen fremd ist; von einem Kampf sprechen, den sie selbst nicht führen. Ja, Prediger sollten Vorbilder der ganzen Heerde seyn, und an Erkenntniß, Erfahrung, Glaube und Gottseligkeit billig alle Glieder der Gemeine übertreffen. Dieß ist ein Hauptpunkt, welcher bei Besetzung einer Predigerstelle von denen, welchen dieß obliegt, höchst beherzigt werden soll. - Gebt der Gemeine den gottseligsten Prediger, den ihr wisset! -

Das zweite, was die Leute von Jesu sagen, und was eine nöthige Eigenschaft der Prediger des Evangeliums ist, besteht darin, daß sie kein Ansehn der Menschen achten, oder wie die andern Evangelisten hinzusetzen: nach niemand fragen, sich weder durch Menschenfurcht noch Menschengefälligkeit leiten lassen. - Die göttliche Predigt ist von Anfang an nicht zum Besten aufgenommen worden. Gefiel die Eine Predigt Christi den Leuten, so mißfiel ihnen die nächste desto mehr, und des Murrens und Tadelns war kein Ende. Dann hieß es: er ist unsinnig. Was hört ihr ihm zu? Dann: er ist ein samaritischer Irrlehrer; endlich gar: er hat den Teufel. Seinen Aposteln ging's nicht besser, sie wurden ja überall verlästert, verfolgt, getödtet. Ihre Lehre hieß eine Secte, der in aller Welt widersprochen werde; sie selbst galten für Leute, welche den ganzen Erdkreis verwirren. Im Grunde hat sich dieser Sinn noch immer nicht geändert, und wird sich nicht ändern, so lange die Welt bleibt, was sie ist, und nicht Buße thut, ihren Sinn nicht ändert. Worauf ist die Welt noch immer bedacht, als das Evangelium ganz zu verdrängen und demselben keine Kirche, keine Kanzel, kein Herz übrig zu lassen? Was thun diejenigen, welche in der Welt das große Wort führen, anders, als eine ganz andere Lehre, wie die des Evangeliums aufstellen, eine Lehre, worin Jesus soviel wie gar nichts gilt? Ist es nicht unserer Zeit vorbehalten, eine Wahrheit nach der andern zu verleugnen, und das mit schamloser Frechheit und Hohn zu thun? Und was ist diesen Herren des Unglaubens nicht alles dienstbar? Fast jedes Flugblatt, Scheltworte, Verunglimpfungen, Verdrehungen, Lügen, Verbannung sogar hin und wieder, alles ist ihnen willkommen, was nur an dem Tempel der Wahrheit rüttelt und bricht. - In unsern Tagen geziemts sich denn insbesondre für einen Prediger des Evangeliums, ohne Menschenfurcht und ohne Menschengefälligkeit zu seyn. Und die reformatorische Zeit, deren Gedächtniß uns dieses Jahr wegen Ablegung des Bekenntnisses des Glaubens vor 300 Jahren zu Augsburg, besonders lebhaft vor die Augen rückt, ist reich an den herrlichsten Exempeln dieser Art. Luther antwortete bekanntlich denen, welche ihm die Reise nach Worms widerriethen, wegen der augenscheinlichen Lebensgefahr, welcher er sich daselbst aussetzte: ich reise hin, und wenn so viel Teufel in Worms wären, als Ziegel auf den Dächern. An den, nicht unmächtigen und sehr gegen ihn erbitterten Herzog Georg schrieb er: Euer fürstlichen Ungnaden müssen nicht meinen, daß ich mich vor einer Wasserblase zu Tode fürchten werde. Theodor von Beza, Einer von den unsern, machte einst dem Regenten von Frankreich, und König von Navarra, die demüthigsten und dringendsten Vorstellungen wegen Aufhebung der Verfolgungen gegen unsere dortigen Glaubensgenossen. Als der König ihn ungnädig und finsterer Stirn abwies, sagte Beza, indem er sich entfernte: Sire, die Kirche Gottes ist ein Lamm, das allen Beleidigungen nichts als Geduld entgegenstellt. Bedenken Ew. Majestät aber auch, daß sie zugleich ein Amboß ist, auf welchem schon mancher Hammer sich entzwei geschlagen hat. Paulus hat uns, schon vor 1800 Jahren, Zeiten geweissagt, wo die Menschen die gesunde Lehre nicht mehr würden tragen wollen, sondern sich Lehrer aufladen, wonach ihnen die Ohren jucken. Wie möchte man es sich befremden lassen dürfen, wenn diese Zeit eingetreten ist? Sie bestätigt auf eine klägliche Weise das feste prophetische Wort, welches wir haben, und wohl thun, wenn wir darauf achten, als auf ein Licht, das da scheinet in einen dunkeln Ort, bis der Tag anbreche und der Morgenstern aufgehe in unsern Herzen; wenn wir halten ob dem Wort, das gewiß ist und lehren kann, und ermahnen durch die heilsame Lehre und strafen die Widersprechen.

Das ist besonders in unsern Tagen ein nothwendiges Erforderniß eines christlichen Predigers, daß er nach niemand frage, der nicht bleibet in der heilsamen Lehre, mag er seyn wer er wolle, daß er kein Haar breit weiche, und das Licht der eigentlichen christlichen Lehre so viel heller und höher leuchten lasse, je weniger der Welt- und Zeitgeist es erlauben will. Mögen die Mücken der Schmähungen das Licht umschwirren, sie werden sich selbst doch nur daran versengen. - Wählet denn einen solchen Prediger, von dem Ihr die Ueberzeugung haben könnt, daß er die Heilige Schrift als die einige und vollkommene Quelle der Wahrheit so ehrt, wie sie da ist; einen Prediger, der auch nach Euch nicht fragt, so bald Ihr Unrechtes wollt, der Muth genug hat, Euren Vorurtheilen, Euren Lastern, Euren Irrthümern, Euren Sünden entgegen zu treten, unbekümmert, ob Ihrs lobt oder tadelt, widerstrebt oder Euch - was das Beste wäre - beuget. Tragt das Eurige dazu bei, seinen Muth zu erhalten, und hütet Euch vor allem, was ihn zaghaft machen könnte - Eure Prediger sind fehlsame, sie sind sündige Menschen, wie Ihr selbst auch, und geben sich auch für nichts anderes aus. Es wird nie nöthig seyn, ihnen Fehler anzudichten, da sie deren wirklich an sich haben; oder sie zu vergrößern, da sie an sich nicht unbedeutend sind. Ihr aber werdet dem dritten Gebot entsprechen, wenn Ihr ihnen alle Ehre, Liebe und Treue beweiset, und Euch aller guten Lehre und Strafe mit gebührlichem Gehorsam unterwerfet, und auch mit ihren Gebrechen Geduld habt, dieweil Euch Gott durch ihre Hand regieren will. Und das hat seinen Lohn, denn „wer euch aufnimmt in eines Propheten Namen, der wird eines Propheten Lohn empfangen. Wer einen Gerechten aufnimmt in eines Gerechten Namen, der wird eines Gerechten Lohn empfangen. Wo ihr in ein Haus kommet, so grüßet dasselbige, und so es dasselbige Haus werth ist, wird euer Friede auf sie kommen. Ist es aber nicht werth, so wird sich euer Friede wieder zu euch wenden.“ Ehret und liebet in unsern Personen das köstliche Amt, das die Versöhnung predigt. -

Die dritte notwendige Eigenschaft eines Dieners des Evangeliums ist die, daß er den Weg Gottes recht lehre. Es gibt einen Weg zu Gott. Es gibt ein Mittel zu seiner Gemeinschaft zu gelangen. Das ist eine kostbare Wahrheit, eine Wahrheit, welche alle Religionen voraussetzen, worauf sie sich gründen. Ohne dieses Ziel: zu Gott, zur Glückseligkeit zu führen, würden sie nicht seyn, sondern aufhören. Bei allen Nationen der Erde, mögen sie auch auf der untersten Stufe der Kultur stehen, finden wir, wenn gleich auf eine dunkle und verworrene Weise, diesen Glauben, es sey ein Weg zum höchsten Gut. Sobald die Völker sich auf eine gewisse Bildungsstufe erhoben, fingen sie auch an, über dies höchste Gut zu philosophiren, mochten sie auch gar nicht darüber ins Reine kommen können, worin es bestehe, und wie man zum Besitz desselben gelange, worüber allein eine göttliche Offenbarung Aufschluß ertheilt. Höchstens leiten menschliche Forschungen auf das Ergebniß, daß Tugend der rechte Weg, wo nicht gar das Ziel selbst sey. So ist's der menschlichen Natur angemessen, in welche des Gesetzes Werk beschrieben ist, so daß die Gedanken sich unter einander verklagen oder entschuldigen.

Den Weg Gottes recht zu lehren, ist eine sehr große und wichtige Sache, eine Sache, die weder leicht noch gewöhnlich ist. Zwar dünkt sich fast ein jeder in Religionssachen klug zu seyn, mag er auch sonst seine Unwissenheit eingestehn. Ueber Religionssachen will fast ein jeder nicht nur mitsprechen, sondern sogar urtheilen und richten, und das mit großer Behendigkeit, grade als wäre uns diese Kenntniß angeboren. Es kann einen in Erstaunen setzen, mit welcher Leichtfertigkeit, Anmaßung und Frechheit, Arroganz und Insolenz, viele Leute über die allererhabensten Geheimnisse der Religion aburtheilen und absprechen, als hätten sie zu entscheiden, als wäre ihr Wort über allen Widerspruch erhaben, als wären sie andre Hiobs, nach welchem keiner redete, oder gehörten sie zu seinen Freunden, mit welchen die Weisheit zu sterben Gefahr lief - sie, die sich billig nicht werth achten, sich vor der Wahrheit zu bücken, um ihr einen Riemen an ihrem Schuh aufzulösen. Sogar kommt's ihnen nicht darauf an, durch einen witzigen lächerlichen Einfall eine ganze Schlachtordnung von Gründen für überwunden zu achten, in welchem Wahn sie leicht zahlreichen Beifall finden. Als ob lächerlich machen und widerlegen ein und dasselbe wäre! Dann könnte auch jeder Bube jeden Ehrenmann verächtlich machen, wenn er ihm nur etwas lächerliches anhängte. Wird er aber auch dadurch verständigen Personen verächtlich werden? Von solchen Religions-Pfuschern wimmelt die Welt, die sich für Meister achten, da sie nicht einmal zu Lehrlingen taugen, und wagte es Apelles dem großen Alexander zu rathen, er möge aufhören von der Malerei zu reden, um nicht den Knaben, welche die Farben rieben, zum Gelächter zu werden - wo fehlte es an denen gleichen Raths bedürftigen Personen wohl; wenn man nur Apelles hätte. In der Medizin zu pfuschen, ist schwer verpönt, obschon mancher Empyricker eine gute Kur verrichtet. Indem man so den Leib und das zeitliche Leben zu sichern sucht, wird die Seele und das ewige Heil dem Zufall, ja Giftmischern, preisgegeben! Wehe uns!

Das Evangelium lehrt nicht nur, daß die Gemeinschaft mit Gott das höchste Gut sey, sondern weiset auch den Weg, gewißlich dazu zu gelangen. Es offenbaret uns einen zugänglichen Gott. Es zeigt uns einen, nicht nur allenfalls möglichen, sondern sogar an sich bequemen, leichten, angenehmen Weg zu ihm zu gelangen, ja einen lebendigen Weg, welcher sich namentlich dadurch von allen andern Wegen so vortheilhaft unterscheidet, daß man beim Wandeln auf demselben nicht ermüdet, sondern im Gegentheil Kräfte und Munterkeit empfängt, ja alles findet, was zur glücklichen Fortsetzung und Beendigung desselben dient, wiewohl wir geneigt sind, die Richtigkeit des Weges nach der Schwierigkeit desselben abzumessen, was doch ganz verkehrt ist. Mein Joch ist sanft, und meine Last ist leicht, sagt der Herr. Die Schwierigkeit ist nicht in der Beschaffenheit des Wegs, sondern der Personen, die darauf wandeln wollen, zu finden. Viele sind - um doch einiges von der befremdenden Beschaffenheit dieses Weges hier beiläufig laut werden zu lassen - viele sind zu weise, zu stark, zu groß, zu würdig, zu eilfertig, um darauf wandeln zu können. Uebrigens werden auf diesem Wege die Blinden sehend, die Lahmen gehend, die Aussätzigen rein, und den Armen wird das Evangelium gepredigt, und selig ist, wer sich nicht an mir ärgert. Uebrigens bleibts dabei: wer es fassen mag, der fasse es. „Wer aus der Wahrheit ist, höret meine Stimme. Meine Rede sähet nicht unter euch, denn Ich kenne euch, daß ihr Gottes Liebe nicht habt in euch wohnen.“ Vorab merkwürdig aber ist es, daß diese Bekanntmachung an Sünder, an Verlorne, an Mühselige und Beladene, ja an keine andere als solche gerichtet ist, da jede andere Religion diese zurück weiset, weshalb auch die ältesten Widersacher des Christenthums, ein Celsus u. dgl. demselben vorrückten, es lade bei seinen Mysterien die Albernen ein, und die Schwachen und diejenigen, welche keine Würdigkeit und Tugend in sich finden; wogegen die Heiden bei ihren Mysterien ausrufen ließen: ferne ihr Profanen! Herbei ihr Weisen, ihr Tugendhaften, ihr Vortrefflichen - Ihr wisset den Weg, sagte Christus zu seinen Jüngern; das nämliche gilt in seinem buchstäblichen Verstände von einigen unter Euch - sollte aber von Euch allen gerühmt werden können - in seinem geistlichen von etlichen. Christus ist der Weg. Wir predigen euch Jesum Christum den Gekreuzigten, den Juden ein Aergerniß, und den Griechen eine Thorheit. Denen aber die berufen sind, predigen wir Christum, göttliche Kraft und göttliche Weisheit. Wir predigen euch Christum, daß er der Herr sey, wir aber eure Diener um Christi willen. -

Mit welchem köstlichen Auftrag an Euch sind wir denn nicht von der allerhöchsten Autorität beehrt. Das Evangelium, die frohe Botschaft von Christo sollen wir Euch bekannt machen, auf daß Ihr weise, gerecht, fröhlich, heilig, ewig selig seyd. Christus soll bei uns Kette und Einschlag, Anfang und Ende seyn, und ist es Gottlob von lange her. Diese unsre Kirche, diese unsre Kanzel, ist bisher eine Stätte gewesen, wo das lautre Wort Gottes und die Ehre seines getödteten aber nun ewig lebenden Sohns gewohnt hat. Menschen Fündlein sind ihr durch das Erbarmen Gottes ferne geblieben. Keiner Eurer Prediger, oder es sind durch denselben Jesu Christo Seelen gewonnen, bekehrt, getröstet, erbaut worden, und werden es durch die Eroberungen Gottes noch fortwährend; keiner Eurer Prediger, oder er hat sich Eurer Achtung und zum Theil Eurer Liebe zu getrösten gehabt. Freudig sehn wir auch in die Zukunft. Unser Bischof im Himmel wird hier sein Feuer und Heerd erhalten.

Zwar einen andern Grund kann niemand legen, außer dem, der gelegt ist, welcher ist Jesus Christus. Ein jeglicher aber sehe zu, wie er darauf baue, Gold, Silber, Edelsteine, Holz, Heu, Stoppeln. Derjenige lehret den Weg Gottes recht, der ihn so lehrt, daß dadurch die Ehre Gottes und das Heil der Seelen befördert wird; so lehrt, daß Menschen dadurch erleuchtet, bekehrt, gläubig, getrost, gottselig und selig werden.

Einen solchen Prediger, einen solchen Arbeiter sende der Herr in diese seine Erndte allhier. An Arbeit wird's ihm nicht fehlen, ihm viel mehr befohlen seyn als er thun kann. Groß ist der Haufen der Unbekehrten in allen Ständen unter uns, auch gibt's manche Halsstarrige, Widersprechende, Ruchlose, Unartige, Unkirchliche. Viele Richter, wenig Thäter, etliche Tröster, manche Betrüber. Arbeit genug.

Geliebte Gemeine! Du wirst nicht versäumt haben, ernstlich zu beten, und indem Du Dich erwartungsvoll herzugedrängt hast, wird dein Herz gen Himmel gerichtet seyn von dannen alle gute und alle vollkommene Gaben kommen. Du wirst Dein Flehen verdoppeln und hast Ursache dazu. O! es sey. Dir nicht so sehr um einen Prediger, sondern vielmehr darum zu thun, daß das Reich Gottes zu Dir komme, und sich in Dir verbreite, daß Du wiedergeboren, gläubig, getrost und selig werdest. So seyen Dir die Füße der Boten des Friedens willkommen, und Du ein williges Volk. -

Und nun, Ihr Männer lieben Brüder! der Augenblick ist da. Thut was Eures Amtes ist, gebt der Gemeine den vierten Prediger! Ein heiliger Schauer, ein Schauer der Gottesfurcht, ein Schauer der Ehrfurcht vor der Gegenwart der allerhöchsten, göttlichen Majestät durchbebe Eure ganze Seele. Euch, als verständigen Männern, brauche ich Eure Pflichten nicht weitläuftig vorzuhalten. Wäre es nöthig, so wäre es doch jetzt zu spät. Eine der vornehmsten ist die, daß Ihr nur als Organe, nur als Werkzeuge des göttlichen Willens gelten wollt, und nur begehrt, daß dieser, uns jetzt noch unbekannte Wille Gottes durch Euch offenbar werde. Meinet nur nicht, daß ich mich des Aberglaubens schuldig machen wollte, Euch als diejenigen anzusehen, welche uns den vierten Prediger geben. Nein, dieß wichtige Geschäft weiß ich in besseren Händen als den unsrigen. Sind der Könige Herzen in der Hand des Herrn, wie vielmehr die Eurigen, neigt er jene wie er will, gewiß auch die Eurigen. Zur Ausführung der göttlichen Rathschlüsse, zur Vollbringung seines heiligen, allein guten Willens muß jeder an seinem Ort das Seinige beitragen. Er kann es auf eine Weise, daß er sich hart dabei versündigt und nach Leib und Seele zu Grunde geht, er kann es auf eine Weise, daß er sich selbst selig macht und diejenigen, so es mitbetrifft. Nehmt also Euer selbst wohl wahr und sehet wohl zu, was und wie ihrs thut. Er einige Eure Herzen in Gnaden. - Eine einzige Stimme Mehrheit entschied damals, daß ein vierter Prediger seyn sollte, eine einzige kann auch heute entscheiden, wer es seyn soll. Der Mensch schlägt einen Weg an, aber, der Herr allein gibt, daß er fortgehe. In Kraft meines evangelischen Priester-Amtes fasse ich dann meinen und Euren Willen zusammen, und opfere sie dem Herrn, betend: Dein Wille geschehe! Zeige an, Herr, wen Du erwählet hast! Mache uns bloß zu Werkzeugen Deines allein guten Willens! - Welcher Einzelne unter uns würde wohl so anmaßend seyn, zu glauben, er wisse genau, was für ein Prediger für uns der Geeignetste sey. So sey denn jedem Einzelnen das Ergebniß der Gesammtwahl ein entscheidendes Zeichen des göttlichen Willens, dem er unterthänig gehorche, dem er beitrete, so oder anders.

Und so zweifeln wir denn nicht, unser allergnädigster Erzhirte und Bischof werde unserm wichtigen Geschäfte aus Gnaden präsidiren und es leiten, und laden Ihn so demüthig, ehrfurchtsvoll und gläubig dazu ein, wie wirs immer vermögen und verstehen.

Weg, weg mit allem eignen Willen. Gott macht's doch wie Er will, beides mit den Kräften im Himmel und mit denen, so auf Erden wohnen. Niemand kann Seiner Hand wehren, noch zu Ihm sagen: was machst Du. Die Creaturen alle sind also in Seiner Hand, daß sie sich ohne Seinen Willen nicht regen noch bewegen können. Des Herrn Wille geschehe! Zeige an, o Herr! wen du erwählet hast! Amen.

Quelle: Einzeldruck, Büschlersche Buchdruckerei, Elberfeld 1830

Cookies helfen bei der Bereitstellung von Inhalten. Diese Website verwendet Cookies. Mit der Nutzung der Website erklären Sie sich damit einverstanden, dass Cookies auf Ihrem Computer gespeichert werden. Außerdem bestätigen Sie, dass Sie unsere Datenschutzerklärung gelesen und verstanden haben. Wenn Sie nicht einverstanden sind, verlassen Sie die Website.Weitere Information
autoren/k/krummacher_g.d/krummacher-predigerwahl.txt · Zuletzt geändert: von 127.0.0.1
Public Domain Falls nicht anders bezeichnet, ist der Inhalt dieses Wikis unter der folgenden Lizenz veröffentlicht: Public Domain