Krummacher, Gottfried Daniel - Der verlorene Sohn

Krummacher, Gottfried Daniel - Der verlorene Sohn

(Abendmahls-Predigt, gehalten am 15. September 1833)

Lukas 15,11-23

Und Jesus sprach: Ein Mensch hatte zween Söhne. Und der Jüngste unter ihnen sprach zum Vater: Gieb mir, Vater, das Teil der Güter, das mir gehöret. Und er teilete ihnen das Gut. Und nicht lange darnach sammelte der jüngste Sohn alles zusammen und zog ferne über Land: und daselbst brachte er sein Gut um mit Prassen. Da er nun alle das Seine verzehret hatte, ward eine große Teurung durch dasselbige ganze Land, und er fing an zu darben. Und ging hin und hängete sich an einen Bürger desselbigen Landes; der schickte ihn auf seinen Acker, der Säue zu hüten. Und er begehrte seinen Bauch zu füllen mit Träbern, die die Säue aßen, und niemand gab sie ihm. Da schlug er in sich und sprach: Wie viel Tagelöhner hat mein Vater, die Brot die Fülle haben, und ich verderbe im Hunger! Ich will mich aufmachen und zu meinem Vater gehen und zu ihm sagen: Vater, ich habe gesündiget in den Himmel und vor dir; und bin fort nicht mehr wert, daß ich dein Sohn heiße; manche mich als einen deiner Tagelöhner. Und er machte sich auf, und kam zu seinem Vater, und jammerte ihn; lief und fiel ihm um seinen Hals und küssete ihn. Der Sohn aber sprach zu ihm: Vater, ich habe gesündiget in den Himmel und vor dir; ich bin fort nicht mehr wert, daß ich dein Sohn heiße. Aber der Vater sprach zu seinen Knechten: Bringet das beste Kleid hervor, und thut ihn an, und gebet ihm einen Fingerreif an seine Hand, und Schuhe an seine Füße; und bringet ein gemästet Kalb her, und schlachtet's; lasset uns essen und fröhlich sein.

In diesem Gleichnis ist unter anderm auch die Rede von einer reichen und fröhlichen Mahlzeit. Heute wird hier eine von Christo angeordnete Mahlzeit gehalten, bei welcher wir dasjenige antreffen, was zu einer Mahlzeit gehört. Die beste Speise: Brot, und der beste Trank: Wein. Doch ist diese Mahlzeit nicht für den Leib und dessen Bedürfnisse berechnet, sondern für den Geist und dessen ewige Angelegenheit. Ein großes Geheimnis wird uns darin bezeichnet und besiegelt, nämlich: Christus für uns und in uns, oder die Vereinigung mit ihm.

Von diesem seligen Geheimnis habe ich in mehreren Abendmahls-Predigten nach Vermögen gehandelt. Diesmal wollte ich nach diesem Gleichnis betrachten:

1. die rechte Fassung, das heilige Abendmahl zu halten,

2. die angenehme Folge.

Die rechte Fassung, das heilige Abendmahl zu halten, hat derjenige, welcher kommt, wie der verlorene Sohn kam.

Wir wollen nicht weit herumfragen, wer der zweite Sohn sei, und warum er der zweite genannt wird, ob die Heiden darunter verstanden werden. Laßt uns lieber von vornherein feststellen, es stelle eine Abbildung des Menschen vor in und nach seiner Begnadigung. Also treffen wir einen Spiegel, der jedes Angesicht treulich darstellt. Ein jeder ist der verlorene Sohn, entweder am Prassen und Säue hüten, oder am Darben und Insichschlagen, oder am Aufwachen und Kommen zum Vater, oder herrlich bekleidet an der Tafel. In welcher dieser Beziehungen bist denn du der zweite Sohn? In einer derselben gewiß. Wohl dir, wenn das erste bei dir zu den vergangenen Dingen gehört, und es heißen kann: Solche seid ihr gewesen!

Der zweite Sohn legt den Grund seines nachfolgenden Elends nach Vers 12 und 13 dadurch, daß er spricht: Vater, gieb mir meinen Teil der Güter, der mir gehört! Er will mündig, selbständig, unabhängig sein, und nimmt sein Erbteil aus den weisen und gütigen Händen des Vaters zu selbsteigener Verwaltung. Meinet ihr, der Vater hätte sich darauf nicht einlassen sollen, so redet ihr thöricht und müßt das mit dem Vater selber ausmachen, welcher noch lebt. Der Sohn, nun selber reich, verläßt das väterliche Haus und begiebt sich aufs Reisen, von einem Ort zum andern. Sehet da: Adams Fall! Er wollte Gott gleich sein, und was der zweite Sohn mit Worten, das bezeugte Adam mit der Hand, die er ausstreckte und die Frucht nahm und aß. Und warum aß er? Um sein Gut nicht in Gott, sondern in sich selber zu besitzen, und so Gott weder Gehorsam, noch Bitte, noch Danksagung schuldig zu sein, und sich selbst genug. Sehet da, den Grund und Ursprung alles menschlichen Elends, denn in Adam haben sie alle gesündigt! Wie ergeht's dem zweiten Sohn? Er verliert alles und wird selber ein Verlorener! Der sind wir in unserm Naturzustande.

Der Mensch mußte das Paradies räumen und hinaus. Er hatte das Ebenbild Gottes verloren, eingebüßt hat er die anerschaffene Gerechtigkeit und an deren Statt ein böses, furchtsames Gewissen gegen Gott, in welchem er nicht mehr an den Vater, sondern den Feind sieht und ihn haßt; statt weise ist er ein Narr worden, und aus einem Heiligen gottlos, ohne das verlorene Gut wieder beibringen zu können. Er giebt sich ans Reisen, und indem er von dem einen aufs andere verfällt, wird's je länger je ärger mit ihm. Verführt und wird verführt, kommt von des Vaters Haus immer weiter weg, wird immer verstockter und böser. Er reiset, und weiß nicht wohin, doch ahnet ihm nichts Gutes. Auch ist das Ende seines Weges die Verdammnis. Indessen verpraßt er alles, was er empfangen hat. Er verpraßt seine kostbare Zeit, binnen welcher er bedenken sollte, was zu seinem Frieden dienst, aber sich um nichts weniger bekümmert als um sein Seelenheil; er verpraßt seinen Leib, dessen Glieder er zu Waffen der Ungerechtigkeit macht; er verpraßt seine Seele, die er verloren gehen läßt, das Wort Gottes, das er nicht benutzt; Jesus Christus und seine Gnade selber, die er von sich stößt. Er, der Mensch, der nach Gottes Bild geschaffen war, ist fleischlich, verkauft Böses zu thun, ein Knecht des Satans, der sein Werk in ihm hat, und ihn zu einem Sauhirten macht, ja, wie zu einem unvernünftigen Tier, das nur für den Bauch sorgt und nur Träber, nur das begehrt, was auch ein Tier sucht. An diesen ist er verdungen, und was verdient er sich für einen andern Lohn, als die Hölle. O Jammer und Elend! Wie tief bist du versunken, Sohn eines angesehen Hauses, wirst du nun ein Hund, eine Sau, eine Schlange, ja, ein Kind des Teufels genannt; wälzest dich im Schlamm der Sünde, und der Abgrund öffnet neben dir seinen gähnenden Rachen; auf dich, du unfruchtbarer Baum, wartet das Beil, um dich abzuhauen, damit du verbrannt werdest. Tot in Sünde, hörst du mit hörenden Ohren nicht, siehst du mit sehenden Augen nicht. Betrachte in diesem Spiegel deine Gestalt nach deinem Naturzustande! Siehe, so bist du dieser Prasser, dieser niederträchtige Sklave, dieser Sauhirt, dieser Viehische! Glaubst du das, so ist dies wirklich ein Stück der rechten Fassung, wovon wir reden.

Aber was soll aus diesem zweiten Sohne werden? Ja, was kann, was soll, was wird und muß aus ihm werden, wenn er sich selber überlassen bleibt, wenn ihn nicht ein anderer dingt? Ach, das Wort: „Da er noch ferne von dannen war, sah ihn sein Vater und jammerte ihn“, das ist's, was sich bis auf diesen Zustand erstreckte. Wohl ihm, daß er Sohn ist, daß er einen Vater hat, und zwar einen solchen!

Laßt uns jetzt die gnädige Vorsehung betrachten, welche über dem Kinde waltet, um auch in diesem Spiegel unsere Gestalt zu erschauen, ob in unserm Lebenslauf ähnliches vorgekommen ist! Die gnädige Vorsehung, welche über ihm waltet, verhängt eine Teurung über das ganze Land, und er fängt an zu darben.

O anbetungswürdige, gnädige Vorsehung! Er kommt in die äußerste Not, in Gefahr, zu verhungern, und findet keinen, der ihn auch nur mit den Säuen hätte sich sättigen lassen wollen. Was bleibt ihm also anders übrig, als den erschrecklichsten Hungertod zu sterben. Und das war eine gnädige Vorsehung, eine sehr gnädige Vorsehung. O gnädige Vorsehung, welche einen Sünder an den Ort, in die Verhältnisse, zu den Mitteln führt, die seiner Seele heilsam werden, möchte es auch auf die unsanfteste Weise geschehen! Der Sünder, mit dem es gut werden soll, muß auch wirklich in die Not, und zwar in die allergrößte Not, die es giebt, versetzt werden, in Seelennot, in Not wegen seiner Sünde, ihretwegen nach Leib und Seele dem erschrecklichen Zorn Gottes und der ewigen Verdammnis anheim zu fallen. Das sind enge, schmerzhafte Schrauben, die der Heiland den Geburtsschmerzen vergleicht. Aber man muß hinein, und wohl dem, den eine gütige Vorsehung in diesen Netzen fängt, wie eng und angstvoll sie auch sind! In diese Not will freilich niemand hinein, und es geschieht leicht, daß, wenn jemand in diese Stricke des Todes hinein soll, er zu entwischen sucht. Der verlorene Sohn hängt sich an einen Bürger des Landes, ihm seinen Lebensunterhalt abzuverdienen. Er muß doch leben. Manche wollen das Gebiß, das ihnen angelegt wird, wie zwischen die Zähne nehmen und ausreißen, um sich ihrer innern Angst dadurch zu entledigen, daß sie sich vollends in dem Kot wälzen, um ihre vorige Ruhe wieder zu haben; andre fassen heuchlerische Vorsätze, die sich nicht auszuführen gedenken oder auch in etwa ausführen; etliche laufen in die Kirche, zu Menschen, und einige suchen sich hurtig mit dem Blute Christi zu beruhigen und wollen mit dieser heiligen Salbe ihre kaum empfangenen Wunden auf eine unheilige Weise selber heilen und mit einem einzigen leichtfertig ergriffenen Verheißungswort die ganze Festung sprengen. Diese falschen Wege abzuschneiden, fügt es die über dem zweiten Sohn gnädig und erbarmend waltende Vorsehung des Vaters, daß sich niemand findet, der ihm Ruhe, der ihm nur Träber gegeben hätte. Alles vermehrt seine Not, daß nichts als Sterben bei ihm blieb.

Weltlust ward ihm zur Hölle, wo der Satan herrscht, Vorsätze zur Heuchelei, die Besserungsversuche scheitern, und täglich böser findet er seinen Seelenzustand. Vor dem Paradies der Verheißung steht ein Cherub, der ihm mit einen hauenden Schwert den Zutritt wehrt, das Blut Christi wird ihm zu einem verzehrenden Feuer, das ganze Wort Gottes enthält nichts, das für, und alles, was wider ihn ist. Nichts Tröstliches kann er sich zueignen. O große Not! Ist noch Rettung vorhanden? Unbezweifelt ja. Das Walten der gnädigen, erbarmenden Vorsehung trägt den Sieg davon und führt ein gesegnetes „da“ herbei, das sich in vier Stücken offenbart. Er schlägt in sich. Er besinnt sich. Er kommt gleichsam zur Vernunft, erwacht wie aus einem tiefen Schlaf und Traum, den er nun lange genug geträumt hat. Er stellt Vergleichungen an. Besser, viel besser ist es doch, Gottes Tagelöhner als des Teufels Knecht zu sein. Dort Brot die Fülle. In satanischer Knechtschaft ewiger Hunger und Kummer; besser, unendlich besser, am Hause Gottes Thürhüter, der Geringste im Himmel, als nach kurzer Lust ewig, o ewig in der Hölle!

Es erwacht ein Entschluß: Ich will. O herrliches „ich will.“ Seht da die Wendung; seht da, wie nach Jesus Siege und durch denselben sein Volk ein williges wird! Ich will. Aber darfst du? Ich will und muß. Ich fühle mich gedrungen, gezogen. Aber wie darfst du das Wort „Vater“ in deinen Mund nehmen und dich erkühnen, zu sagen: Ich will zu meinem Vater gehen? Aber seht die Beschaffenheit zu seiner Entschließung! So aufrichtig, so ernstlich und entschieden ist sie, so demütig ist sie auch. Er will seinem Vater Recht wider sich selber geben. Er erkennt seine Unwürdigkeit: Ich bin dein nicht wert, daß ich dein Sohn heiße. Er bekennt seine Sünde: Ich habe gesündiget.

Von sich weiß er nichts als Sünde anzugeben, er weiß seine Hoffnung auf nichts als die Gnade es Vaters zu setzen, und obschon er sie unabweislich begehrt, stellt er's doch seiner Gnade ganz anheim, in welchem Maße sie sich an ihm erweisen will, zufrieden, wie einer der Tagelöhner dieses gütigen Herrn gehalten zu werden. Schau in diesen Spiegel, o Seele! Findest du in dieser Geschichte deine eigene? Sind ähnliche Verhandlungen zwischen deiner Seele und dem Vater vergangen, die Jesus eigentlich meint, so hast du die rechte Fassung fürs Kommunizieren. Aber was für einen Wert hat die beste, weiseste, zweckmäßigste Entschließung, wenn sie nicht zur wirklichen Ausführung kommt? Doch diese Ausführung wird da gewiß nicht fehlen, wo das in die Ferne schauende, jammernde Auge des Vaters den verlorenen Sohn bis auf diesen Punkt geleitet hat. O seht, der bis zum Säuhirt herabgesunkene Sohn läßt Säue und Träber fahren und macht sich auf. Nichts ist imstande, ihn zurückzuhalten; nicht seine zerrissenen Schuhe, nicht seine zerlumpten Kleider, nicht sein unartiges Benehmen, nicht der zu besorgende Zorn des Vaters, sein gesamtes Elend nicht; ja, dies treibt, dringt und zwingt ihn eben. Soll er ja umkommen, so will er's nur zu den Füßen seines Vaters, wenn er nicht statt des Rechts Gnade will ergehen lassen. Und seht, er macht sich auf. Er kommt glücklich zum Vater. Aber wie geht's ihm da? Was für eine Strafpredigt, was für wohlverdiente, bittere Vorwürfe wird er hören? Wie ernst wird sich der Vater halten, wird höchstens ihm seine Bitte gewähren und den Versuch machen, wie sich dieser leichtsinnige Bursche als Tagelöhner beweiset? Nichts dergleichen, das Benehmen dieses Vaters setzt ihn in Erstaunen, und nur ein solcher Vater, wie Jesus meint, kann, darf und wird sich also gegen solche benehmen, die dem zweiten Sohne gleichen, wie dieser thut. Ich halte dafür, das Sehen des Vaters, da er noch ferne von dannen war, das Jammern über denselben, das Entgegenlaufen ist die Quelle, woraus all' das Gute entsprang, was wir zuletzt an dem zweiten Sohn mit Vergnügen wahrgenommen haben, denn es liegt alles an Gottes Erbarmen. Als er noch in seinem Blute lag, sah er ihn und sprach: du sollst leben, ja zu dir sprach ich, da du so in deinem Blute lagst, du sollst leben.

Ich sah dich unter dem Feigenbaum, ehe dich Philippus rief. Ich sah ihre Wege an und heilte sie. Ich habe den gesehen, der mich zuerst angesehen, sagte Hagar und nannte den Namen des Herrn, der mit ihr redete: Du Gott sahest mich (1. Mos. 16).

Jetzt reihet sich eine Erbarmung an die andere, die eine noch herrlicher wie die andere. Der gnädige Vater läßt den Sohn anfangs nicht zu Worte kommen und verschließt ihm den Mund, indem er ihm um den Hals fällt und ihn küsset. Die Liebe des Vaters gegen den zweiten Sohn war nicht erloschen. Jetzt aber ergoß sie sich wie ein Strom. Er küsset den Schuldbeladenen, aber seine Schuld Erkennenden, wie zerlumpt er auch dasteht, und die Liebe erweiset sich um so größer und herrlicher, je elender und ekelhafter der Gegenstand ist, an dem sie sich ausläßt. Die Bezeugungen der Liebe geht dem Ausschmücken vorher und wartet nicht, bis er geschmücket dasteht. O Liebe des Vaters, wie groß bist du! O daß wir glaubten und erkennten die Liebe, die Gott zu uns hat, und uns tief beschämt fühlten über unsere Unliebe und Unglauben gegen ihn! Die Liebe Gottes sei nur mit uns, so soll's wohl geraten. Der Heilige Geist geußt sie aus ins Herz und versiegelt sie, daß die Seele sich sagen kann: Du hast mich je und je geliebt.

Wohl, wohl heißt es: „Eh' ich noch etwas Gut's geübt, warst du mir schon gewogen.“ Wer dies versteht, der hat den Schlüssel zum ganzen Gnadenbund. Du warst mir schon gewogen. Jetzt läßt der gnädige, freundliche Vater den bestürzten Sohn, der seine Sünde bekennen und sich selbst anklagen will, zu Worte kommen. Er hatte sich vorgenommen, zu sagen: Vater, ich habe gesündiget im Himmel du vor dir. Aber mache mich zu einem deiner Tagelöhner, aber den beabsichtigten Zusatz: Mache mich, läßt er weg.

Ich denke, Thränen der Liebe und des Dankes, Thränen der Wehmut und Freude ersticken seine Stimme, und der Gedanke, einen solchen Vater verlassen zu haben, zerreißet sein Herz. O, welche Seligkeit liegt im Bekenntnis seiner Sünde, seiner Unwürdigkeit, ja, Strafwürdigkeit, wenn es vor Gott geschieht, nicht als den heiligen und gerechten Richter, wo es unmöglich ist, sondern als vor dem versöhnten, gnädigen Vater. Als David davon einen Schimmer sah, sprach er: Ich will dem Herrn meine Sünde bekennen, die er vorher hatte verschweigen wollen, wiewohl er darüber wie auf der Folterbank lag. Der verlorene Sohn spürte ohne Zweifel etwas in sich, das ihm Mut achte, sich aufzumachen und zum Vater zu gehen. Wie hätte er's sonst wagen mögen? Ein Mut, den uns das ganze Wort Gottes auf allen Blättern macht. Wollen wir's doch nicht wagen und allem dem entsagen, was aufhält und beschwert? Ja, „willig bin ich, dir aufs neue Huld und Treue zu verschreiben, wenn dein Geist mich nur wird treiben.“ Mache uns, o Herr, den Mut, den wir selbst nicht haben! Locke und leite uns und rede denn freundlich mit uns. Der Vater antwortet nichts darauf, ja läßt ihn nicht ganz ausreden, denn sein Herz bricht ihm über Ephraim, daß er sich seiner erbarmen muß und will. Er sieht an den Demütigen und Zerschlagenen, der sich fürchtet vor seinem Wort. Er giebt fünf Befehle. Aber welche? Der erste Befehl, das beste Kleid herzubringen. Warum das beste? Weil es kein schöneres giebt und weil sich die Liebe des Vaters gegen den Sohn dadurch verherrlichen will. warum ein Kleid? Weil er eins bedarf, sich auch selber keins verschaffen kann, denn bei seiner Nacktheit ist er arm. Was ist denn das beste Kleid? Das aus den besten Stoffen auf die vortrefflichste Weise bereitet ist. Dieses Kleid war aus Weisheit, Gerechtigkeit, Heiligung und Erlösung gewoben. Es ist Christus selber, den ziehet an (Röm. 13,14). Es ist ganz fertig, ohne Naht und Fehl, so seid ihr vollkommen schön und ohne Fehl in ihm. Und thut's ihm an, so lautet der zweite Befehl des Vaters. Das betrifft die Hauptsache: Das Anthun. Aber auch dies wird dem Sohn nicht überlassen, sondern widerfährt ihm.

Er hat mich gekleidet mit den Kleidern des Heils und mit den Rock der Gerechtigkeit angezogen. Gott machte Adam nicht nur Röcke von Fellen, sondern zog sie ihm auch an. Christus hat das Heil nicht nur erworben, er eignet's auch zu denen, die daran Teil haben, die darnach hungern und dürsten. Ohne dies gäbe es mit unserm Seligwerden doch nichts, wie jener achtunddreißig Jahre an der Heilquelle lag und krank blieb, weil er niemand hatte, der sie ihm zueignete. Wir können aus uns selber nicht glauben. Aber es ist Gottes Gabe, und so gelingt es uns.

Der dritte Befehl lautet so: Und gebet einen Fingerreif an seine Hand! Das ist etwas, was nicht blos zum Schmuck, sondern auch zum Siegel dient, das die väterliche Liebe bestätigt.

Unser Katechismus drückt dies in den Worten aus: „Daß er mich des ewigen Lebens versichert.“ Dies ist ein Werk des Heiligen Geistes, womit ihr versiegelt seid auf den Tag der Erlösung. Er versiegelt die Liebe Gottes deinem Ohr durch die Verkündigung der Verheißung des Evangeliums; dem Auge und den übrigen Sinnen durch das heilige Abendmahl, daß Christi Leib so gewiß für mich geopfert und gebrochen und sein Blut für mich vergossen sei, als ich mit Augen sehe, daß das Brot im Abendmahl mir gebrochen und der Kelch mir mitgeteilt wird. Dem Verstande, dem er's klar macht, was ihm von Gott geschenket sei; dem Gewissen, daß das Blut Christi von den toten Werken, von Verdammung und Anklage reiniget und mit dem Frieden Gottes gespeiset wird; dem Glauben, den er so kräftig macht, daß er nicht zweifelt, sondern voll guter Zuversicht wird. Gebet ihm den Fingerring an die Hand, befiehlt der Vater. Die echte Versicherung macht man sich nicht selber, wo sie um so falscher wäre, je größer sie erschiene. Kann überhaupt niemand etwas nehmen, es werde ihm denn vom Himmel gegeben, wie insbesondere diese Versicherung nicht, denn Gott ist es, der euch befestiget in Christo. Ja, wir selber können sie, wenn sie mitgeteilt ist, auch nicht bewachen, sondern das Kleinod wird behalten im Himmel. Tausenderlei Dinge wollen uns beschwatzen, uns drumbringen. Was aber der Vater giebt, das ist gegeben, und seine Gaben und Berufungen mögen ihn nicht gereuen. Berge sollen wohl weichen und Hügel hinfallen, aber meine Gnade soll nicht von dir weichen, und der Bund meines Friedens nicht von dir genommen werden.

Der vierte Befehl ist der: Und Schuhe an seine Füße! Das ist die Bereitwilligkeit, Gott zu dienen im Geist und in der Wahrheit. Das ist die Liebe, die Lust an Gottes Gesetz nach dem inwendigen Menschen, die Tüchtigmachung zum neuen Gehorsam. Hier ist die rechte Stelle. Erst muß uns der Vater umarmt, geküßt, in seine Gemeinschaft aufgenommen haben; erst muß uns das beste Kleid der Gerechtigkeit Christi angezogen, erst der Ring eines völligen Glaubens geschenkt, wir aber von unserer gänzlichen Untauglichkeit und Unwürdigkeit überzeugt sein, dann empfangen wir zugleich die Schuhe, zu wandern, zu laufen; die Tüchtigmachung, Gott zu dienen ohne Furcht in rechtschaffener Gerechtigkeit und Heiligkeit; an Beinen gestiefelt, als fertig zu treiben die Botschaft des Friedens, damit ihr bereitet seid, den fröhlichen Reigen unter erheiternden Gesängen mitzumachen.

Der fünfte Befehl betrifft das Anrichten einer köstlichen Mahlzeit, zu speisen und fröhlich zu sein. Bei dieser Mahlzeit ist alles anzutreffen, was gesund und satt, heilig und selig macht. Es mangelt nichts, denn Christus selber ist die Speise, und die ist lauter Leben, so daß, wer davon isset, lauter Leben du Freude, Gerechtigkeit und Friede genießt. Eigentlich ist der Tisch im Himmel gedeckt, da ist das eigentliche Vollauf. Doch heißt es auch hienieden: Du bereitest mir einen Tisch. Je gläubiger wir werden, desto mehr genießen wir davon; je mehr wir davon genießen, desto mehr wächst unser Glaube, welcher in uns lebendig wird durch Erkenntnis all' des Guten, was wir haben in Christo Jesu. Bild davon ist das heilige Abendmahl, doch nicht blos ein Bild. Wie die Mahlzeit im väterlichen hause dem zweiten Sohne ein Siegel war der väterlichen Liebe, so auch das heilige Abendmahl hier, hier besonders muß das Gesetz weichen und wandelt sich um in die genannten fünf Gebote. Die Bedürftigkeit des Sohnes ist die einzige Bedingung. Seiner Blöße begegnet das beste Kleid, seiner Unwürdigkeit der adelnde Ring, seinem Hunger die Speise. Nichts braucht er sich selber zu bereiten. Es ist alles bereitet und wird zugeeignet. so verhält es sich wirklich. Versteht ihr's, in der Gestalt des zweiten Sohnes zu kommen, so erwartet mit ihm dieselbe Aufnahme. Alle eigene Gerechtigkeit bleibe zurück! Nichts als Unwürdigkeit eurer, nichts als Gnade von des Vaters Seite. O, daß jeglicher sich selbst in dem zweiten Sohne erblickte, daß er der schändlichen Sünde- und Teufelsdienste müde, in Hungers- und Todesnot geriete und spräche: Ich will mich aufmachen und zum Vater gehen! Welche Aufnahme würde er schon hier, welche Beseligung dort finden!

O, daß sehr viele bedächten, was zu ihrem Frieden diente! Kommet, denn alles ist bereit! Amen.

Quelle: Krummacher, G. D. - Gesammelte Ähren

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