Krummacher, Gottfried Daniel - Briefe an einen Freund - 4. Brief

Krummacher, Gottfried Daniel - Briefe an einen Freund - 4. Brief

Baerl, den 5. Februar 1800

Herzlich geliebter Bruder in Christo!

Hier also die verlangte Predigt. Ich dachte, Du würdest sie vergessen haben, und freute mich deß, höre, denn ich weiß nicht, man gibt seine Arbeiten nicht gerne aus den Händen, ob aus Eitelkeit oder wahrer Bescheidenheit? Kurz, ich konnte darüber nicht eins mit mir werden. Hier hast Du sie nun also talis qualis est (so wie sie ist), denn wie könnte ich Dir etwas versagen? Gott wolle einen Segen darauf legen! Denn er kann auch vermittelst Kot die Augen öffnen, es kommt nur auf sein Hephata an! Die Predigt ist freilich kein Kot, sondern Gold aus der unerschöpflichen Fundgrube der Bibel. Aber wer bin ich? Doch darnach wird auch nicht gefragt. Aber Du, lieber Bruder hast sie auch nur für Deine liebe Gattin verlangt, und ich wünschte, daß Du hiervon Dein Wort genau nähmest, aus bekannten Gründen. „Wandelt vorsichtig!“ Du willst verlauten lassen, als dankest Du für hier genossene Erquickung mir. Dann muß ich wohl stillschweigen und meinem allergnädigsten Herrn sagen: „Ich danke dir, daß mir N… gabst, laß mich bei dem David ein Jonathan sein!“ Lieber Bruder, was soll ich auch anders sagen und weinen, daß Gott so gut ist und so liebe Kinder hat. Ja, Lieber, ich kann's so nicht sagen und will nur stillschweigen, sonst siehst Du leicht, daß ich gerne einen langen Dankbrief schriebe! Herr Jesu, du bist gut! O, lehre mich dies immer gläubiger stammeln! Ach, ich bin ein armer, geplagter Sünder und lerne immer mehr, was im Bösen steckt, doch dies kann und soll man nur dem Arzt, dem einzigen sagen. Ach, wie süß ist mir das oft, daß wir einen haben, dem wir alles ausschütten können! Und, mein Gott, welch' ein unermeßlich großes Geschenk ist die Bibel! Die Gnade Gottes in Christo ist mir manchmal so erstaunlich, daß ich kaum atmen kann! Ja, was wissen wir davon? Ein Nichts. Ist ein Tröpflein so groß, was werden die Ströme sein? O, und ich bin ein so harter Diamant! Schleppe mich so oft in angstvoller Not! Törichter Mensch, warum tust du deinen Mund nicht allezeit weit auf? Warum willst du noch so gerne etwas sein? Sei nichts, dann ist Christus alles. O, wäre unser Auge stets einfältig, was würden wir dann stets sehen! Nichts können, nichts wissen, nichts wollen, nichts haben, das ist es, dann kann man glauben, daß es der Mühe wert ist. Welche Torheit ist für einen Christen das Klagen, freuen soll er sich. Schöne Maximen, Herr Pastor! Ei, befolgen Sie dieselben doch nur allezeit! Welch' ein Rätsel ist der Mensch! Jetzt: Anbeten, staunen, schmelzen; komm über eine Viertelstunde wieder, wie finster, argwöhnisch gegen den Immanuel! Wie? Petrus, du hast Mut genug, auf Jesu Wort vom Schiff zu springen, und nachher hinkest du? „Ja, denk' einmal, wenn ich sänke!“ Und Jesus dazu! nicht wahr? Aber was ist Glaube? Een verlaten van Alles om Alles! Heraus aus dir selbst zu einem vollendeten Jesus, so ist's gewonnen! Freilich, du siehst, Torheit sind die Bedenklichkeiten, und obgleich du siehest, daß sie es sind, sie bleiben dennoch. Helle ist's im Verstande und senkt sich nichts ins Herz! Rätselhafter Sünder, geistlicher Pyrrhon! 1) O, die Welt ist ein großes Narrenhaus, selbst di, die zur Erkenntnis der Wahrheit gekommen sind, hindern sich oft nur geradezu, ins Hospital zu gehen. Der eine ist sich noch nicht närrisch genug, der andere allzu närrisch, sie liegen schon im Lazarett und meinen, nun hebe ihre Narrheit erst recht ungenießbar zu werden an. Muß man nicht über sich selbst mitleidig lächeln und bleibt doch ein Narr? Welch eine Arbeit! Geduld und Sanftmut muß doch wohl der Arzt mit dem Lazarett haben? Fürwahr, es ist Gott Jesus! Ach, was soll man sagen? Oder ist meine Vorstellung irrig? Sie ist wenigstens mein betrübtes Porträt!

Aber wo ist ein Lehrer, wie du bist? Und wie herrlich, daß Jesus das ganze Werk der Seligmachung auf sich genommen hat.

Mit der vorgeschlagenen Hinüberkunft nach E. (Elberfeld) sieht's noch was weit aus. Ich fliege so ungern weit von meinem Korbe. Doch so, wie der Herr will, das hoffe und wünsche ich auch zu wollen! Ich kann indessen den Herrn noch nicht um Erlaubnis bitten, ich finde mich so in der Gestalt Davids, wenn er sagt: Ich bin wie ein einsamer Sperling auf dem Dache und wie eine Steineule in den Ritzen. (Psalm 102,7.8). Ein freudiger Geist ist mir not, und den gibt mir Gott, wenn es ihm gefällt. Klagen tue ich nicht gern, als bei dem, der den Tröster verheißt, und wenn ich rühme, scheinen mir andere oft zu kalt, wie ich Dir auch sagte, alles ist bei mir sehr heftig, und ich muß noch die große Lektion lernen, nicht auf Gefühle, sondern aufs Wort zu bauen und - warte! - Nun, ich bin darin zufrieden und lerne auch viel, sauer und süß, wie es fällt. Der Herr tue mit mir nach seinem gnädigen Wohlgefallen und lasse mir Barmherzigkeit widerfahren! Er wird's wohl machen! Der ist und soll sein mein Trost, der mich erlöset hat, erlöset und erlösen wird. (2. Kor. 1,10)

Hast Du Deine englische Ware 2) (Gospel) auch glücklich nach Hause gebracht, und hat sie Abgang gefunden? Möchte man nach dem Gottesspiel nur stets tanzen wollen! Doch wenn der Löwe brüllt, wer sollte nicht beben, und wenn Gott spricht, wer sollte nicht weissagen? Ach, die Gnade unseres Herrn Jesu Christi sei mit uns allen! Amen! Er stärke und trage alle Schwache und Kranke, tröste alle Traurigen und rede ihnen von Friede, Friede, wecke alle Schlafenden und befestige alle Starken und heilige uns in seiner Wahrheit!

Ich grüße Deine liebe Gattin, den teuern Herrn Rauschenbusch, Freund Diedrichs, Ihre liebe Frau Mutter und Mademoiselle Schwester und alle Freund. Beten Sie für

Ihren Krummacher.

Quelle: Krummacher, G. D. - Gesammelte Ähren

1)
Pyrrhon war ein griechischer Philosoph, der einige Jahrhunderte vor Christi Geburt gelegt und die skeptische Schule gestiftet hat. Weil Pyrrhon die Möglichkeit einer Erkenntnis der Dinge nach ihrem wirklichen Sein verwarf, so ist sein Name und seine Schule sprichwörtlich geworden für solche Menschen, deren Ausgangspunkt bei ihrem Denken und Betrachten stets der Zweifel ist.
2)
damals wurde in den christlichen Kreisen Elberfelds fleißig die englische Sprache getrieben, insbesondere um die Missionsnachrichten der 1797 gestifteten englischen Missionsgesellschaft in der Ursprache lesen zu können
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