Krummacher, Friedrich Wilhelm - Die Kehrseite der Lebensaufgabe des Gottespilgers.

Krummacher, Friedrich Wilhelm - Die Kehrseite der Lebensaufgabe des Gottespilgers.

Luc. 15, 1 - 10.
Es naheten aber zu ihm allerlei Zöllner und Sünder, daß sie ihn höreten. Und die Pharisäer und Schriftgelehrten murreten und sprachen: Dieser nimmt die Sünder an und isset mit ihnen. Er sagte aber zu ihnen dies Gleichniß und sprach: Welcher Mensch ist unter euch der hundert Schafe hat, und so er der eins verlieret, der nicht lasse die neun und neunzig in der Wüste, und hingehe nach dem verlorenen, bis daß er es finde? Und wenn er es gefunden hat, so legt er es auf seine Achseln mit Freuden. Und wenn er heim kommt, ruft er seine Freunde und Nachbarn, und spricht zu ihnen: Freuet euch mit mir, denn ich habe mein Schaf gefunden, das verloren war. Ich sage euch: Also wird auch Freude im Himmel sein über Einen Sünder, der Buße thut, vor neun und neunzig Gerechten, die der Buße nicht bedürfen. Oder, welches Weib ist, die zehn Groschen hat, so sie der Einen verlieret, die nicht ein Licht anzünde, und kehre das Haus, und suche mit Fleiß, bis daß sie ihn finde? Und wenn sie ihn gefunden hat, ruft sie ihre Freundinnen und Nachbarinnen, und spricht: Freuet euch mit mir, denn ich habe meinen Groschen gefunden, den ich verloren hatte. Also auch, sage ich euch, wird Freude sein vor den Engeln Gottes über Einen Sünder, der Buße thut.

Dies, Geliebte, das Evangelium des heutigen Sonntags. Es kommt uns wie gerufen, indem es sich auf's Trefflichste in die Reihenfolge unsrer Wallfahrtsbetrachtungen einfügt. Die Gleichnisse, welche der Herr in diesem Evangelium den über seine Herablassung zu Zöllnern und Sündern murrenden Pharisäern und Schriftgelehrten vorhält, sind euch nach Inhalt und Sinn zur Genüge bekannt. Ihr wißt, daß Er die Bilder des dem entlaufenen Schäflein nacheilenden Hirten, sowie der dem verlorenen Groschen nachspürenden emsigen Hausfrau vor Allem und zunächst auf sich selbst gedeutet wissen will. Es sollen aber auch nach der hier hervorgehobenen Seite hin seine Gläubigen insgesammt, und nicht blos die ordentlich berufenen Lehrer der Kirche, seinem Vorbilde nachfolgen und in seine Fußtapfen treten. Aus diesem Gesichtspunkte gedenke ich diesmal das Evangelium mit euch zu betrachten. - Als wir bei unserm letzten Zusammensein von der Hauptaufgabe miteinander handelten, deren Lösung dem gläubigen Christen während seiner Erdenwallfahrt obliege, und dieselbe darin fanden, daß er an sich selber arbeite, und seine persönliche Heiligung zu vollenden trachte, konnte es den Anschein gewinnen, als unterschätzten wir seine Arbeit nach Außen hin, und an Andern. Was wir aber sagen wollten, war nur dies, daß die Arbeit des Christen an sich selbst, d. i. an der fortschreitenden Verähnlichung seines Sinnes und Wandels mit dem Wandel und Sinne Christi, jeder andern vorgehe, und daß, wo sie versäumt, oder lässig betrieben werde, die Arbeit an Andern eine erfolglose und vergebliche sei. Vereinsmänner und Vereinsfrauen, die, während sie mit großem Eifer den sogenannten „Werken der innern Mission“ obliegen, doch bei jedem Anlaß sich als Solche erfinden lassen, die selbst noch unter der Herrschaft des Geizes nach eitler Ehre, des Selbstgerechtigkeitsdünkels, des Weltsinns, des Neides, der Klatschsucht, oder welcher schlimmen Untugenden sonst noch stehen, mögen sich nicht darob verwundern, daß sie so wenig Früchte von ihrer Arbeit sehen. Der Widerspruch, in welchem ihr Sein und Leben mit ihrem Bekenntniß und frommen Gebühren erscheint, ist wohl geeignet, das Evangelium zu verdächtigen, aber nicht zu empfehlen. Darum zuerst und vor Allem Arbeit an uns selbst; aber dann allerdings auch Arbeit an Andern. Christus will, und Er hat, wieder Apostel Epheser C. 4. bezeugt, auch Veranstaltung dazu getroffen, daß alle „Heiligen“, d. i. Alle, die des Geistes Christi theilhaftig geworden sind, zugerichtet werden zum Werke des Amts, (nach dem Grundtext: der Diakonie,) auf daß der Leib Christi erbauet werde.„ Ja, die Mitwirkung an der Rettung und Heiligung Anderer bildet die Kehrseite der Hauptaufgabe des Christen auf seinem Lebenswege, Auf sie laßt uns heute unsre Blicke richten. Wir sehen zuerst, wie diese Retterwirksamkeit geübt wird; und dann, wie sie so herrlich sich belohnt.

Trage unsre Betrachtung unter Gottes Segen etwas dazu bei, daß wir selbst je mehr und mehr zu Engeln des Friedens für unsre Brüder herangebildet werden!

1.

Der Pilger, den wir im Geiste begleiten, hat Christum ergriffen, nachdem er von Ihm ergriffen ward, und ist sich in Ihm der Gnade Gottes und seiner zukünftigen Erlösung selig bewußt geworden. Wie er nun aber um sich schaut, sieht er sich von einer Welt umgeben, die seinen Glauben so wenig theilt, daß sie denselben vielmehr nur anficht und befehdet. Ja, vielleicht erlebt er gar das Bittere, daß seine eigenen Hausgenossen seine Feinde werden, und ihn einen „Schwärmer“ schelten, und daß Freunde, die ihm bisher die vertrautesten waren, sich ihm entfremden, wo nicht gar mit Haß und Hohn ihm begegnen. - Das thut weh! Der Vereinsamte und Verarmte sucht nach Gleichgesinnten, denen er sein bedrücktes Herz ausschütten könne. Er findet wohl auch solche da und dort, und athmet wieder etwas freier in ihrer Gemeinschaft. Aber ihm zeuget der Geist, es sei der Wille Gottes nicht, daß er sich mit seinen Brüdern abschließe und isolire. - Er soll, nachdem ihm das neue Leben aufgegangen, nun selbst ein Licht der Welt, ein Salz der Erde werden. Er findet aber nicht blos in diesem „Soll“, sondern viel mehr noch in seiner mitleidigen Liebe den Sporn und den Beruf, so viel an ihm ist, auch Denen zurechtzuhelfen, die noch blind und heilsvergessen in der Irre gehen. Aber wie ist dies anzufangen? - Diese Frage verdient um so mehr eine ernste Erwägung, je häufiger namentlich Neulinge im Glaubensleben bei ihren Bekehrungsversuchen sich arge Mißgriffe zu Schulden kommen lassen. Gewiß verfehlen sie z. B. ihr Ziel, wenn sie Alle, bei denen sie den specifisch christlichen Glauben noch vermissen, ohne Weiteres zu den Feinden des Christenthums zählen, und ihnen als solchen auch entgegen treten.

Sie haben vollkommen Recht, wenn sie von der Voraussetzung ausgehn, daß außer der Gemeinschaft Christi kein Heil sei, und wenn sie diejenigen als in dringendster Gefahr schwebend ansehn, die in ihrer Blindheit noch auf ihre eigene Gerechtigkeit vertrauen. Wenn sie sie aber von vorneherein als Leute behandeln, in denen auch nicht eine Spur von einem religiösen Sinne und einer Richtung auf's Göttliche vorhanden sei, so begehen sie einen Mißgriff. Einen solchen begehen sie nicht minder, wenn sie für die dem Evangelium noch Entfremdeten etwas Anderes nicht haben, als Bußpredigten, womit sie dieselben überfallen und bestürmen. Gleicherweise werden sie ihr Ziel verfehlen, wenn sie ihnen, unter Androhung der ewigen Verdammniß für den Fall der Nichtannahme, das Evangelium verkündigen, nicht als das, was es ist: als eine fröhliche, selige und anlockende Botschaft; sondern als ein neues Gesetz, was es nimmermehr sein will; und vollends verfehlen sie's unausbleiblich, wenn sie das Bekehrungswerk mit fleischlicher Leidenschaft als eine Parteisache betreiben, und nicht als ein Werk zarter, heiliger und weisheitsvoller Liebe. Ja, laßt mich's wiederholen: die Hauptbekehrungskraft liegt in der geistdurchwirkten persönlichen Erscheinung des gläubigen Christen. Wenn er das Leben des Glaubens nicht nur anpreist, sondern auch als Träger desselben sich darstellt und es allewege gleichsam athmet; wenn in seinem ganzen Wesen und Verhalten sein christlicher Charakter sich lebendig ausprägt, und ihn als einen Mann aus einem Guß erscheinen läßt; wenn Alles, was immer er vornimmt oder redet, die göttliche Harmonie seines Innern wiederspiegelt, und den ungetrübten Reflex seiner geheiligten, himmlischen Gesinnung bildet: o, dann ist's in der That nicht noch, daß er, um Andere für das Evangelium zu gewinnen, viele Worte und große Anstrengungen mache. Ist er Hausvater, so darf er um das Heil seiner Hausgenossen nicht allzu besorgt mehr sein. Auch ohne, daß er förmliche und regelmäßige Haus-Andachten hält, wird schon der geheiligte Luftkreis, der sich um ihn bildet, und in dem die Seinen athmen, diese unvermerkt erziehen und dem Herrn in die Arme führen. Ist er Lehrer, nie wird sich in den Herzen seiner Schüler der gesegnete Einfluß ganz verwischen, den, abgesehen von seinen Lehren, seine Persönlichkeit als solche auf sie ausgeübt. Ist er ein Handwerksmeister, der Geist, der ihn regiert und von ihm ausgeht, wird ohne alle Mühe seinen Gesellen die Schranken der Zucht und Ordnung setzen, innerhalb deren sie sich zu bewegen haben, und ein Wort der Mahnung oder Strafe aus seinem Munde wird tiefer einschlagen und nachhaltiger wirken, als tausend christliche Worte eines Andern, im Blick auf den es in irgend welcher Beziehung heißen müßte: „Nach seinen Worten thut, aber nicht nach seinen Werken!“ Ist er Officier, - o, ein General Ziethen hat auf die religiöse Gesinnung und sittliche Haltung eines großen Theils der Armee des siebenjährigen Krieges, vermöge seiner zwar wortkargen, aber kernigten Frömmigkeit, und, wo die Gelegenheit es gebot, durch sein bündiges, aber energisches Glaubensbekenntniß gesegneter und nachhaltiger eingewirkt, als mancher Feldprediger mit allen seinen Predigten; und von dem vor Kurzem im fernen Indien auf dem Felde der Ehre gestorbenen englischen General Havelock wird uns berichtet, daß er, ebenfalls ohne viel von seinem Glauben zu reden, und ohne mit seiner Umgebung förmliche Betstunden abzuhalten, durch das harmonische Ganze seiner acht christlichen Haltung einen nicht geringen Theil des ihm untergebenen Officiercorps zum Glauben geneigt gemacht, und zum Gebete mit sich fortgerissen habe. Rein, mit frommen Zusprüchen, Ermahnungen und Bekenntnissen allein wird so wenig noch etwas ausgerichtet, wie mit gesetzlichen Vorschriften und Anleitungen zu gottesdienstlichen Uebungen und Formen. Bekehrer und Bekehrerinnen, die Andern predigen, während sie die Arbeit an sich selbst hintansetzen, und in ihrem eigenen Herzens und Lebensgarten das Unkraut des Hochmuths, der Schmähsucht, des Jähzorns, und welcher Untugenden sonst noch frei und ungehindert um sich wuchern lassen, schaden, - ich wiederhole es, - der guten Sache des Evangeliums ungleich mehr, als sie ihr Vorschub leisten. Der große Regent, der hier unter mir schläft, würde wahrscheinlich eine ganz andere Stellung zum Christenthum eingenommen haben, als in welche er hineingerathen war, hätte ihm dasselbe nicht blos äußerlich aufgedrungen werden sollen, und wäre die, übrigens höchst achtungswerthe, Persönlichkeit seines königlichen Vaters ein durchlauchtigeres Gefäß des evangelischen Geistes gewesen, als sie es war. Denn ihr wißt, wie von diesem Herrn nicht Wasser des Lebens nur, sondern gar häufig auch donnernde Katarakte zornmüthigen Ungestüms, fleischlichen Eifers und anderer Aufwallungen auszugehen pflegten, in denen sich von Liebe, Demuth und innerem Frieden nicht eben viel entdecken ließ. Er war mehr ein Mann vom Sinai, als vom Berge Tabor; aber immer noch ein beßrer Evangelist, als so Manche, die heut zu Tage für Mitarbeiter am Reiche Gottes angesehn sein wollen. Freilich werden's nun aber diejenigen, die das Werk ihrer persönlichen Heiligung mit allem Ernst betreiben, auch am Wort nicht fehlen lassen; denn wovon das Herz voll ist, davon geht der Mund über. Und da sie allerdings berufen sind, ein Jeder in seinem Kreise, auch Andere zur Fahne der allein seligmachenden Wahrheit zu werben, so thun sie gar wohl daran, daß sie eine immer gründlichere Bekanntschaft mit dem Worte des lebendigen Gottes anstreben, mit alle dem sich rüsten, was sie in den Stand setzt, die Zweifel zu brechen, von denen die heutige Welt beherrscht wird, und die Gabe eines liebreichen, klaren und eindringlich überzeugenden Zuspruchs sich anzueignen suchen. Es ist wahr, Manche sind hiezu weniger angelegt, oder auch in ihren Verhältnissen minder dazu gestellt. Aber es haben auch diese neben ihrem christlichen Wandel auch noch sonst ihr geistlich Netzlein empfangen, das sie gelegentlich in ihre Umgebung auswerfen mögen: das einfache Zeugniß von ihrem persönlichen Glauben, die demüthige und vertrauliche Mittheilung ihrer geistlichen Lebenserfahrungen, und vornehmlich das Gebet in der Verborgenheit des Kämmerleins. O wie so manche gläubige Mutter hat schon gleich der Monica, der Mutter des Kirchen-Vaters Augustin, ihre verlorenen Söhne aus dem Verderben heraus gebetet! Wie oft berichtet uns die Missionsgeschichte, daß gemißhandelte Sclaven durch ihre anhaltende Fürbitte für ihre tyrannischen Herren, diese aus Löwen und Tigern zu sanften Lämmern umgewandelt haben! Solchen Gebeten neigt der Herr sein Ohr; und nichts übt selbst auf die halsstarrigsten Seelen einen so mächtigen und zermalmenden Einfluß, wie die Entdeckung, daß irgendwo die Liebe, - ach, häufig unter vielen Thränen, - für sie bete, und mit Gott um ihre Rettung ringe. -

2.

Und Seelen retten, unsterbliche Seelen, - o Brüder, was gäbe es für ein Werk, das köstlicher und unser würdiger wäre, und reicher und herrlicher sich belohnte, als eben dieses? Gewiß ist's schön, die Thränen der Armuth zu trocknen, die Nackten zu kleiden, die Hungernden zu speisen, und den Kranken ein Labsal darzureichen. Es thun dies ja Manche unter euch. O, fahret ja fort, also zu thun. Gott wird es euch in Gnaden vergelten, schöner noch, als nur augenblicklich die Noth zu lindern, ist's, zerrütteten Haushaltungen gründlich wieder aufzuhelfen, und sie in den Stand zurückzuversetzen, sich fröhlich wieder selbst zu beschaffen, was des Leibes Nothdurft erfordert. Auch das geschieht ja zuweilen unter uns. Mögen alle Wohlthätigkeits - Vereine vorzugsweise dieses Ziel im Auge behalten! Und es giebt noch Schöneres, als das Genannte. Die sittliche Hebung der Familien ist's, die Gründung häuslicher Zucht und Ordnung, die Förderung jeder Wohlanständigkeit und bürgerlichen Tugend. Gesegnet seien die Vereine, die hierauf zumeist ihr Augenmerk richten und hinarbeiten! Doch alles dieses tritt in den Schatten vor einem andern Werke, das nicht blos auf das Diesseits berechnet ist, sondern mit seinen Erfolgen bis in die Ewigkeit hinüberreicht. Welches wäre das? Aller Werke schönstes ist ohne Widerrede dasjenige, welches der Apostel Jakobus bezeichnet, wenn er spricht: „Wer den Sünder bekehrt von dem Irrthum seines Weges, der hat einer Seele vom Tode geholfen.“ Und denkt auch nur: eine Seele einem Untergange entreißen, dessen Schrecken jeden Ausdruck übersteigen; ihr zu einem Frieden verhelfen, der probehaltig jedem Wechselfall des Lebens gewachsen ist; auf einen Standpunkt sie erheben, wo sie fröhlich mit Paulus sprechen kann: „Ich habe gelernt, bei was ich bin, mir genügen zu lassen: ich kann niedrig sein und hoch sein, satt sein und hungern, übrig haben und Mangel leiden; ich vermag Alles durch den, der mich mächtig macht: Christus“; - mit einem Freunde sie in Verbindung bringen, der niemals wieder von ihr weicht, der ihr Alles darzureichen hat, was sie bedarf und wünschen mag, und die Waffenrüstung ihr anlegt, in welcher Welt, Sünde, Teufel, Noth und Tod weit überwunden werden; - ja den Himmel ihr öffnen, und dazu beitragen, daß sie auf Flügeln seliger zuversichtlicher Hoffnung über den Höhen der Erde schwebe, und jede Trübsal mit dem Apostel „zeitlich“ und „leicht“ nenne, „sintemal sie eine ewige und über alle Maaße wichtige Herrlichkeit schaffe“: - o, welch' eine Wirksamkeit dies! Und zu dieser Wirksamkeit sind wir Alle berufen, die wir des Glaubens an Jesum Christum sind. Sagt aber nun, ob sich eine süßere und begehrenswerthere Belohnung denken ließe, als sie uns zu Theil würde, wenn bald hier, bald da Einer von seinem Herzen sich gedrungen fühlte, mit dem bekannten Dichterverse gerührt uns zuzurufen: „Du hast die Seele mir gerettet, Du!“ - Nein, ein schönrer Lohn ist nicht denkbar.

Vernehmt aber, was erst der Herr in unserm Evangelium uns eröffnet. Gelingt es uns, eine Seele zu bekehren und Ihm zuzuführen, so bereiten wir sogar dem Himmel dadurch ein Fest. Von keinem andern Werke, das wir hienieden verrichten, wird, welch Lob ihm auch widerfahre, ein Gleiches ausgesagt. „Es wird Freude im Himmel sein“, spricht der Herr, „über Einen Sünder, der Buße thut“, d.i. der seines Sündenlebens leid, zu Ihm seine Zuflucht nimmt. Fragt ihr, warum darüber solche Freude in der Höhe? Weil droben gewußt wird, daß nur, wer sich Christo übergibt, gerettet ist; weil die Liebe, die droben waltet, ihr heißes Begehren, Alles selig zu sehen, nun an Einer Seele wieder befriedigt sieht; weil in der Rettung dieser Seele das Blut des Sohnes Gottes, des über Alles dort geliebten, einen neuen Triumph feiert, und weil auf's neue ein lebendiges Steinlein dem Mauerwerk jenes geistlichen Tempels eingefügt ward, in welchem der Allerhöchste seinen Namen groß und herrlich machen will. Dieses Alles träfe ja nicht zu, wären nur Gerechte da, die den Einlaß in den Himmel als verdienten Lohn beanspruchen dürften. Dies der Grund, warum der Herr sagt, es werde Freude sein über den einen sich bekehrenden Sünder „vor neun und neunzig Gerechten, (d. i. größere Freude, als über diese,) die der Buße nicht bedürften.“ Nein, dann würde in solchem Maaße, wie jetzt, die Liebe Gottes nicht verherrlicht; und Gottes Gnade, Barmherzigkeit, und viele andere seiner Vollkommenheiten blieben ganz verschleiert. Ermeßt aber, wie beseligend das Bewußtsein sein muß, durch Gottes Gnade mitgewirkt zu haben, daß die Engel am Thron besondere Jubellieder anstimmen, und mit geheiterten Angesichtern zur dunkeln Erde niederschaun! Da wird ihnen denn auch nicht entgehen, wer bei der neuen Retterthat als göttliches Werkzeug diente, und sie werden unser gedenken, und unsern Namen mit Liebe nennen. Welch' eine unvergleichliche Vergeltung dies! Man half ein Werk verrichten, dessen beglückende Folgen in alle Ewigkeit hinüberreichen, und das im Himmel mit Wonne begrüßt, ja mit hoher Festesfreude gefeiert wird! Was will man mehr? - Wohlan denn, auch ihr, Geliebte, nehmt Theil an diesem schönsten aller Werke, und werbet, nachdem ihr euch selber werben ließet, für den Herrn, den König der Ehren. Pflegt nach dem Recht und der Pflicht geistlicher Priester, die ihr alle in Christo sein sollt, Evangelistenamts, ein Jeglicher in seinem Kreise und nach dem Maaße seiner Gabe; nur daß es geschehe in der rechten Art: einfältig und treu, aus herzlichem Liebesdrang, und sonderlich durch Leuchtenlassen des Lichtes eueres eigenen neuen Lebens. Vor Allem aber haltet an am Gebet für Alle, so noch in der Irre gehen, und nehmt zu Herzen, was euch der Dichter zusingt:

Die ihr mit sel'gem Herzenswallen
Versöhnt euch wißt durch Jesu Blut,
Geht aus, und sagt es Allen, Allen,
Wie süß an seiner Brust sich's ruht.
Zeigt ihnen die vernarbten Wunden,
Die wunderthätig Er geheilt,
Und rühmt's, wie Er zu allen Stunden
Als Fürst des Friedens bei euch weilt.

Es geh'n noch Viele in der Irre.
Ruft mit der Meldung sie herbei,
Daß aus dem mächtigsten Gewirre
Der Ausweg längst gefunden sei.
Noch kreuzen ohne Mast und Steuer
Sie auf bestürmtem Ocean;
Helft ihnen, wie des Leuchtthurms Feuer
Den Schiffern, auf die rechte Bahn.

Sie mögens von der Stirn euch lesen,
Daß euch ein Wunderbronnen quillt,
Der alle Kranken macht genesen,
Und jeden Durst der Seele stillt!
In Jesu Bild laßt sich versenken
Ihr Herz, bis es Ihn nicht mehr läßt.
Der Himmel wird es euch gedenken:
Denn ihm bereitet ihr ein Fest. - Amen.

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