Krause, Cäsar Wilhelm Alexander - Des christlichen Predigtamtes Bestimmung, Schmerz und Seligkeit.

Krause, Cäsar Wilhelm Alexander - Des christlichen Predigtamtes Bestimmung, Schmerz und Seligkeit.

Predigt am Sonntage Sexagesimä.

Ewiger Gott und Vater! Du hast uns Alle berufen zu deinem Dienste; ein Arbeiter soll Jeder sein in deinem Weinberge! So gib denn den Arbeitern allen rechte Erkenntniß deines Willens, erwecke sie zur rechten Treue und segne ihren Fleiß! Amen.

Geliebte Gemeinde! Gleich wie wir Menschen aus zwei Theilen bestehen, aus Leib und Seele, die jedoch auf das Innigste verbunden sind und zusammen nur ein Wesen ausmachen, so gehören wir auch zwei verschiedenen Gemeinschaften an: der bürgerlichen und der kirchlichen Gemeinde. Während die eine die Erhaltung und Förderung der äußerlichen Angelegenheiten, der bürgerlichen Verhältnisse, des leiblichen und zeitlichen Wohles erstrebt, soll die andere das geistige Wohl, Erkenntniß der Wahrheit und Sittlichkeit pflegen und ausbilden, die innere Gemeinschaft der Menschen mit Gott vermitteln; beide aber sollen nicht getrennt sein, sondern sich gegenseitig wie Leib und Seele durchdringen, und, Hand in Hand mit einander gehend, sich gegenseitig zur Erreichung ihrer Zwecke, die ja in der höchsten Vollendung zusammenfallen, förderlich und dienstlich sein. Für beide gibt es nur eine Regel, durch deren Befolgung sie allein gedeihen können; sie heißt: Einigkeit durch Ordnung, denn wo ein Reich uneins ist, da wird es wüste, und ein Haus fällt über das andere. In der bürgerlichen Gemeinde wird diese Ordnung erhalten durch das Gesetz; wird dies weise gegeben, zeitgemäß fortgebildet und von Allen gewissenhaft befolgt, so ist ihr Friede, so ist ihre Blüthe gesichert. In geistiger und religiöser Beziehung aber gehören wir der großen Kirchengemeinschaft des Evangeliums an, und das Evangelium hat die Eigenthümlichkeit, daß es weder ein Gesetz ist, noch ein solches aufstellt. Was wird denn da die Regel der Ordnung sein, ohne welche doch auch diese Gemeinschaft nicht bestehen kann? Keine andere, als der Heiland selbst, der ganze lebendige Jesus, wie er uns entgegen tritt aus den Berichten der Evangelien, aus den Zeugnissen seiner Jünger. In ihm soll Jeder das Vorbild seines Lebens, in seinem Worte die Anleitung für seinen Glauben finden. Jeder soll ihn liebend aufnehmen in dem eigenen Herzen, und dieses sein Herz nach ihm formen und bilden, so daß jede Empfindung desselben von dem christlichen Glauben durchdrungen sei, jede Aeußerung desselben von der christlichen Liebe zeuge, und jedes Streben desselben der christlichen Heiligung nachjage. Er selbst, der Heiland, ist zwar eingegangen zu seinem Vater im Himmel; aber seinen Geist hat er uns zurückgelassen. Er tritt uns entgegen in seinem Worte, er ist für uns aus demselben zu gewinnen. Darum muß auch immerdar das Wort des Herrn unsers Fußes Leuchte und das Licht sein auf unserm Wege, und in demselben und durch dasselbe ist der Herr bei uns alle Tage, bis an der Welt Ende. Auf sein Wort gründet sich die Ordnung und das Gedeihen unserer kirchlichen und religiösen Gemeinschaft, und je reichlicher und reiner es in ihr lebt, und je fruchtbarer es in uns ist, desto mehr werden Wahrheit und Heiligung zunehmen, desto mehr kommt das Reich Gottes zu uns, desto mehr werden wir in Wahrheit Gottes Kinder. -

Aber der Menschen Herz ist träge, der weltliche Sinn nimmt es leicht gefangen, die Begierden, welche es entflammen, lassen den göttlichen Willen als einen lästigen erscheinen, drängen wohl gar das Wort des Herrn heraus, und dann hat der Mensch keine andere Leitung mehr als seine Selbstsucht, in welcher er sich und der Welt ein Verderben wird. Zum Schutze der bürgerlichen Gemeinschaft gibt es Behörden und Aemter, welche die Gesetze handhaben, ihre Uebertretung zu verhindern suchen, und die Uebertreter strafen. In der geistigen und religiösen Gemeinschaft kann es selbstredend solche nicht geben; aber sollte der Herr das Reich des Geistes, welches er bauen wollte, für welches er sich selbst am Kreuze hingegeben, so ohne allen Schutz gelassen haben? Sollte er, der so eifrig war, sein Evangelium zu predigen, und zu suchen, was verloren war, nicht Veranstaltung getroffen haben, daß, nachdem er heim gegangen, dennoch sein Wort immer von Neuem den Menschen nahe gebracht werde, daß es fortfahre zu suchen, was verloren ist? Geliebte! Hätte der Heiland Solches unterlassen, so wäre das Evangelium wahrscheinlich längst vergessen, und eine christliche Kirche gäbe es wohl nicht. Der Heiland hat aber, indem er seine Jünger aussandte, das Evangelium zu predigen aller Welt, indem seine Jünger wieder Andere entsandten in gleichem Berufe, ein Amt des Wortes1) gegründet in der christlichen Gemeinde, welches die Aufgabe hat, ihn zu predigen, die Gemeinschaft der Christen mit dem Worte des Herrn fort und fort zu vermitteln, das Beispiel des Heilandes den an ihn Glaubenden immer wieder vor die Augen zu stellen, vor aller Welt zu zeugen von ihm, den Gottgesandten, und von dem durch ihn geoffenbarten Willen unsers Vaters im Himmel, die Sünder zur Buße zu rufen und den Bußfertigen Gottes Gnade zu verkündigen: Es ist das christliche Predigtamt. -

Die Zeit der Verderbniß der christlichen Kirche und des Menschenwahnes hatte auch dies Amt mit ergriffen, und vielerlei Mißbrauch ihm angehängt. Aber überall, wo der Geist des Herrn der Menschen Wahn wieder durchbrach, trat auch dies Amt, das Amt des Wortes, wieder von Neuem auf, fortzusetzen das Zeugniß von dem Herrn, und in ihm stellt sich der Mittelpunkt der christlichen Gemeinde dar, indem es seine Aufgabe ist, die christliche Gemeinschaft zusammenzuhalten und zu bauen, da diese, wie es die Erfahrung bisher stets bewiesen, ohne dieselbe zerfallen würde. Dieses Amtes Arbeit und Erfolge schildert der Heiland in dem heutigen Evangelio, und wir wollen aus diesem Gesichtspunkte es heute näher betrachten.

(Gesang. Gebet.)

Evangelium Lucä 8,4-15.

Nicht sich allein oder irgend einen andern Propheten, nein den ganzen Beruf der Lehre, das ganze Amt, welches von dem göttlichen Worte zeugt, wie es in der Religion des Moses schon im Keime vorhanden war, durch die Wirksamkeit des Propheten seine nächste, in Jesu aber seine höchste Ausbildung und von ihm seinen ferneren Auftrag in der christlichen Kirche für alle Zeit empfangen hat, also mit Bezug auf unsere Tage: das christliche Predigtamt schildert der Heiland in dem Gleichnisse vom Säemanne, das Amt, welches auch der in eurer Mitte führt, geliebte Mitchristen, der in diesem Augenblicke zu euch spricht, zu welchem er, wie er sich wohl gestehen darf, den nächsten Beruf nicht von außen, sondern durch sein eigenes Herz empfangen hat. Werdet ihr es ihm verargen, wenn er auch einmal von dem eignen Amte zu euch redet? Ihr könntet es nur dann, wenn ihr dies Amt geringschätztet oder gar verachtetet. So ists ja aber, Gott Lob! nicht bei uns! Ihr bezeuget uns ja täglich eure Theilnahme, eure Liebe und euer Vertrauen zu unserm Amte, und so darf ich denn auch wohl auf eure Theilnahme rechnen, wenn ich mich anschicke, euch darzuthun, wie der Heiland in dem heutigen Evangelio des christlichen Predigtamtes Bestimmung, Schmerz und Seligkeit schildert. Es steht ja alles dies in der nächsten Beziehung zu euch, zu der christlichen Gemeinde, denn für sie hat das christliche Predigtamt seine Bestimmung, in ihr findet es den Grund zur Trauer sowohl, als zur Freude. So richten wir denn, Geliebte, jetzt auf das Wort des Herrn unsere Aufmerksamkeit.

1) Es ging ein Säemann aus zu säen - sehet das ist des christlichen Predigtamtes heilige Bestimmung. - Aus diesen einfachen Worten- ersehen wir schon, was der Heiland diesem Amte zuweiset: Es ist nicht weltliche Herrlichkeit, nicht irdisches Gut, nicht äußerliche Gewalt, sondern Arbeit! Er selbst geht in derselben voran, da er von sich erklärt, er sei nicht gekommen, um sich dienen zu lassen, sondern zu dienen und sein Leben zu geben zu einer Erlösung für Viele; daß er wirken müsse die Werke seines Vaters, so lange es Tag sei, um das Reich Gottes zu bauen und das Verlorene zu suchen und zu retten; der, seine Jünger aussendend in die Welt, sie vorbereitete auf Arbeit, Mühe, Verkennung und Verfolgung, und ihre Bestimmung in den Worten aussprach: Lehret alle Völker, taufet sie, und lehret sie halten Alles, was ich euch geboten habe. Diesem Rufe folgend gingen die Jünger hin, predigten Jesum, den Gekreuzigten und Auferstandenen, den Heiland der Welt und sein Evangelium nicht als Solche, die über die Gemeinde herrschen wollten, sondern als Gehülfen ihrer Freude in dem Herrn.

Ja wahrlich! nicht zu Fürsten und Herrn, Nicht zum Herrschen und Richten hat der Heiland die Diener seines Evangeliums verordnet! Ueberall, wo man ihnen solche Macht zugewiesen, hat man den Geist des Christenthums verkannt, hat man statt des geistigen Gottesreiches irdische Priesterreiche gebaut, und das Bestreben befördert, statt Schätze für den Himmel zu suchen, Schätze dieser Erde zusammen zu scharren, welches sich gar schlecht für die Boten dessen eignet, der nicht einmal einen Ort sein nannte, da er sein Haupt niederlegen konnte. Bei solcher Verirrung ging die eigentliche Bestimmung des christlichen Predigtamtes verloren, und neben den wenigen Getreuen, die fortfuhren, mühevoll den Samen des Herrn zu streuen, fanden sich Viele, die es vorzogen, ohne Mühe zu erndten. Aber die Gemeinden verkümmerten, die christliche Wahrheit wurde von Irrthum und Aberglauben überwuchert, und die Kinder Gottes, für die Jesus sein Leben dahin gegeben, wurden von Neuem Knechte der Sünde. - Nicht so soll es mehr bei uns sein; durch die gesegnete Reformation ist das christliche Predigtamt wie: der auf seine ursprüngliche Bestimmung zurückgeführt, nach welcher sein Recht und seine Pflicht in dem einen Auftrage zusammenfällt: zu predigen das Evangelium. Jeder, der es bekleidet, hat sich zu betrachten als einen Säemann, dessen Arbeit nimmer endet, so lange ihn der Herr in seinem Werke erhält. Das Wort Gottes, wie es uns verkündet ist in dem Evangelio, ist der Same, den er streuen soll. Dieses Wort rein zu erkennen, wie es Jesus uns gegeben, nicht nach dem Klange des Buchstabens, welcher tödtet, sondern in dem Sinne des Geistes, welcher lebendig macht, ist des Säemannes erste Aufgabe. Zu ihrer Erfüllung bedarf er mancher Erkenntniß und Wissenschaft; denn, wenn der Landmann seine Erndte sich dadurch sichert, daß er den Samen, den er streuen will, recht sorgfältig prüft und ihn reinigt von allen tauben Körnern, von aller Spreu, von allem Samen des Unkrautes, welcher sich etwa bei der vorigen Erndte unter den guten Samen gemengt hat, so wird das Gleiche doch in demselben und in noch viel höherem Maße die Pflicht dessen sein, den Gott zur Arbeit auf dem Ackerfelde des Geistes berufen hat. Denn herrscht nicht hier grade der größte Zwiespalt über die Frage: welches denn der wahre reine Gottessame sei? Wird er nicht von Vielen in solchen Lehren gesucht, die dem göttlichen Lichte in dem Menschen, seiner Vernunft nicht nur nicht begreiflich sind, sondern denen sie sogar geradezu widerspricht? Hat sich nicht in das einfache Gotteswort, das uns Jesus gebracht, so viel Menschenwort, Menschenwahn und Menschensatzung gemischt, daß die Erndte des Herrn, die er in der Gottesfurcht, der Liebe, der Sittlichkeit und Gottseligkeit seiner Bekenner sucht, durch Jahrhunderte sehr verkümmert worden ist? Da gilt es denn nun die Worfschaufel des Geistes, die Wissenschaft zu erfassen, um das große Reinigungswerk zu beginnen. Seit länger als drei Jahrhunderten wird sie eifrig geführt, aber, wie viel Same des Unkrauts, wie viel taube Körner auch schon entfernt sind, bei neuer Sichtung finden sich immer wieder solche. Es kommt auch wohl der Feind, und streut wieder neue darunter, lähmt die Arme derer, die die Worfschaufel führen, oder verlangt von ihnen, daß sie auch den guten Samen mit fortwerfen! Da gilt denn nun, solcher Hemmung oder solchem Ansinnen zu widerstehen, die Augen des Geistes zu schärfen, um so die Ueberzeugung zu gewinnen: Was du säest, das ist es, was Jesus uns als Wahrheit dargeboten, - die Ueberzeugung, welche zu dem Amte der Predigt allein die rechte Kraft und Freudigkeit gibt! - Und wenn sie gewonnen, dann gilt es das Land zu prüfen und es vorzubereiten, daß es fähig werde, den Samen aufzunehmen und keimen zu lassen, und dann fort und fort zu säen trotz aller Ermüdung, trotz aller Hindernisse, bis der Herr der Erndte den Arbeiter am Abende abruft von seinem Tagewerke mit der Verheißung, daß er dort oben die Frucht seiner Arbeit schauen solle.

Sehet da, Geliebte, die Aufgabe des christlichen Predigtamtes. Zeugen soll es von Gott, seinem Wesen und Willen, von dem Heilande Jesu Christo, der uns Beides offenbart, ermahnen soll es ohne Unterlaß zur Treue gegen den Herrn, auf daß Frömmigkeit, Liebe und Sittlichkeit allgemein werde; warnen soll es vor der Sünde und allem ungöttlichen Wesen, weil es dem Menschen nichts helfen kann, so er die ganze Welt gewinnt und nimmt Schaden an seiner Seele; die Schwachen soll es unterstützen, die Trauernden trösten, den Leidenden Muth zusprechen, die Sünder zur Buße mahnen, daß sie sich versöhnen lassen mit Gott, seine Gnade verkündigen denen, die nach ihr ernstlich ringen, allem Bösen widerstreben, alles Gute fördern ohne Menschenfurcht, ohne Begehrlichkeit, ja mit aller Aufopferung, auf daß die christliche Gemeinde ihre Einheit in dem Herrn fühle, und immer lebendiger werde in dem Bestreben, sich zu einem Reiche Gottes zu gestalten! Die Ausrichtung solchen Amtes hat Jesus durch den seinen Jüngern gegebenen Auftrag in seiner Gemeinde verordnet; das ist das Amt, das in unserer Zeit so vielfach angefochten, als unnöthig, wenn nicht gar als verderblich geschildert ist, weil man es so oft mit dem Priesterthume verwechselt, das sich anmaßt, die Vermittelung zwischen den Menschen und Gott zu führen, ohne deren Zuhilfenahme der Mensch nicht zu Gott kommen könne; daher die Menschen zu beherrschen und zu verknechten. Ein solches ist freilich in der christlichen Kirche unzulässig; aber der Lehre und Mahnung können wir nimmer entbehren; sie muß eine berechtigte Stätte in der christlichen Gemeinde haben, und die diese einnehmen sind Säemänner, die im Namen des Herrn ausgehen, seinen Samen zu streuen. Sie säen aber recht, wenn sie es thun mit aller Treue, mit aller Wahrhaftigkeit, mit Aufopferung und Entsagung! das ist des christlichen Predigtamtes Bestimmung; sie ist eine hohe und heilige. Lasset mich aber nun, Geliebte, auch

2) von dem Schmerze zeugen, den dieses Amt mit sich führt.

Der Heiland fährt in dem Gleichnisse vom Säemann fort: Und als er säete, da fiel etwas auf den Weg und ward vertreten, und die Vögel unter dem Himmel fraßen es auf; und Etliches fiel auf den Fels, und da es aufging, verdorrete es, darum, daß es nicht Saft hatte; und Etliches fiel unter die Dornen, und die Dornen gingen mit auf und erstickten es. Das mußte den Säemann allerdings betrüben, denn es ist ja nichts trauriger als fruchtlose Arbeit. Wenn der Landmann sein Feld bestellt hat, und die Dürre tritt ein, so daß die Saat gar nicht, oder nur spärlich aufgeht, oder wenn sie kräftig aufgegangen ist, und ein Hagelschauer schlägt sie darnieder, - wird es ihm Jemand verdenken, wenn ein Seufzer über die vergebliche Arbeit, über die getäuschte Hoffnung sich seiner Brust entwindet? Wenn Eltern ihre Kinder mit Sorgfalt und Liebe erziehen, keine Opfer scheuen, um ihren Geist zu bereichern und ihr Herz zu bilden, wenn aber trotz aller Mühe und Opfer, trotz aller Liebe und Ermahnung die Kinder zum Bösen sich wenden, und so die Hoffnung verloren zu gehen droht, welche die Eltern auf sie setzten; wird man den Schmerz tadeln können, der darüber in ihren Herzen lebt?- Nun, wenn ihr diesen natürlich findet, so werdet ihr auch den Schmerz begreifen, den das christliche Predigtamt mit sich führt. Sollte es denn nicht auch berechtigt sein, die Hoffnung und den Wunsch zu hegen, daß es Frucht sehe von seiner Arbeit? Und wie spärlich wich ihm dies Glück zu Theil? Die heranwachsende Jugend wird dem Prediger übergeben, sie zu unterweisen im Christenthume, den Grund christlicher Frömmigkeit und Tugend in ihr Herz zu legen. Ex lehret sie mit aller Sorgfalt und mit allem Fleiße, nach bestem Wissen und Gewissen, er sucht ihre Seelen zu Gott empor zu richten, er freut sich, wenn sie sich an ihn anschließen, wenn sie sein Wort mit Freuden aufnehmen und erwärmt zu werden scheinen von Liebe zu Jesu und von dem Verlangen, seinem Vorbilde nachzufolgen. Aber ach! wie oft wiederholt sich da die Geschichte, von dem Wege, von den Felsen und von den Dornen? Wenn er dann nach wenigen Jahren sich und seine Lehre von ihnen vergessen, wenn er die Einen mit ihren Genossen wetteifern sieht an Rohheit und lüderlichem Wesen, wenn er vernehmen muß, wie die Andern von dem Wege der Arbeitsamkeit und Mäßigkeit, noch Andere von dem Wege der Treue und Redlichkeit, wieder Andere von dem Wege der Sittlichkeit und Keuschheit sich entfernt haben, gewahrt er dann nicht auch ein vernichtetes Saatfeld? dann kommen auch wohl die Gedanken: Wie? Lag die Schuld vielleicht an dir und deiner Lehre? Oder hast du nicht fleißig genug gesäet? Oder war das Land, welches den Samen aufnehmen sollte, vielleicht von vorn herein unfruchtbar? Wäre es aber dennoch durch eine andere und sorgfältigere Bearbeitung fruchtbar zu machen gewesen? Oder ist erst nachher der Feind gekommen, und hat das Unkraut gesäet? Ist's aber doch nicht vielleicht deine Schuld, daß nicht Schutzwaffen genug wider solchen Feind zu Gebote standen? - O, meine Geliebten, neben dem Schmerze über verlorene Mühe und Hoffnung ist auch die Sorge vor eigener Verantwortlichkeit nicht leicht zu tragen für den christlichen Lehrer, der seinem ernsten Berufe mit Liebe und Eifer angehört, denn wenn er sich auch mit Paulus sagen kann: Ich bin mir wohl nichts bewußt, so muß er doch wie jener hinzusetzen: aber darin bin ich noch nicht gerechtfertigt. Und welche Frucht wird ihm zu schauen von seiner Predigt, die er sonntäglich vor der christlichen Gemeinde hält? Das Samenkorn, das er dort streuet, fällt freilich in die Herzen, und dem irdischen Auge unsichtbar wächst es dort, denn das Reich Gottes ist inwendig in uns. Wirkte es aber wirklich auf die Veredlung der Herzen, so müßte seine Frucht sich in dem öffentlichen Leben zeigen. Wenn nun aber das öffentliche Leben der christlichen Gemeinde fortdauernd befleckt bleibt von Eigennutz und Geiz, von Unredlichkeit, Unmäßigkeit, Unkeuschheit, wenn die christliche Liebe vor der Herzenshärtigkeit so Vieler gar nicht aufkommen kann, sondern Zwietracht, Zank, Neid und Feindschaft bleiben; wenn die öffentliche Meinung so verderbt ist, daß sie offenbare Unsittlichkeiten gar nicht rügt; wenn es so schwer hält, die Gemeinden für Recht, Wahrheit und Freiheit zu begeistern, sie vielmehr gleichgültig bleiben, so lange nur ihr zeitliches Gut nicht angefochten wird; wenn sie so träge sind im Guten, sobald nur irgend ein kleines Opfer von ihnen verlangt wird, wenn das Gelübde des Trachtens nach der Heiligung, in jeder Beichte abgelegt, alsbald wieder vergessen wird, mit welchem Schmerze muß der Säemann des göttlichen Samens Solches nicht anschauen und sich sagen: Es fiel von deiner Saat viel auf den Weg, auf den Felsen, unter die Dornen; hast du nicht vielleicht ganz vergeblich gearbeitet? Und wenn nun gar Verkennung, Undank, ungerechte Vorwürfe ihn treffen, wie dies ja in unsern Tagen theils aus Mißverständnis, theils aus Gleichgültigkeit gegen alle Religion, theils aus Böswilligkeit gegen den Einzelnen nicht selten ist? Das Alles, Geliebte, würde diesen Schmerz zur Unerträglichkeit steigern, wenn er ein allgemeiner wäre. Aber, Gott sei gelobt, das ist er nicht; das Amt der christlichen Predigt führt neben ihm auch eine reiche Quelle

3) der Seligkeit mit sich, auf welche ich euch schließlich hinweisen will. Und Etliches, spricht Jesus, fiel auf ein gut Land, und es ging auf und trug hundertfältige Frucht. Ja, das ist wahr, und darin, daß es wahr ist, findet der christliche Lehrer seine Seligkeit. - Mag es immerhin Solche geben, welche die christliche Predigt verachten, und als ein Säen ohne Frucht darstellen, wir weisen auf die Weltgeschichte hin, die ihr ein besseres Zeugniß gibt. Daß in den Zeiten des Mittelalters Finsterniß, Aberglaube, Gewaltthat und Sünde neben bloss äußerlicher Frömmigkeit herrschten, ist bekannt; zu derselben Zeit war auch die Predigt des Evangeliums fast vergessen. Das ist kein zufälliges Zusammentreffen, sondern ein Zusammentreffen von Ursache und Wirkung. Unwiderleglich wird dies dadurch dargethan, daß, seitdem durch die Reformation die Predigt des Evangeliums wieder zu ihrem Rechte gekommen ist, die Hauptstelle im Gottesdienste einzunehmen, auch überall, wo dies geschehen, christliche Erkenntniß, Ordnung und Gesittung in stetem Fortschreiten begriffen ist. Sie ist das wesentlichste Mittel, das christliche Gemeinbewußtsein in der Gemeinde und in den Einzelnen lebendig zu erhalten, dem Denken und Leben derselben eine christliche Gesamtrichtung zu geben, die Fortschritte der Wissenschaft und der Aufklärung einem Jeden im Volke zugänglich zu machen, und das allein schon ist ein Segen, für den zu wirken eine Herzensfreude ist. - Wer möchte aber neben diesem allgemeinen Nutzen in Abrede stellen, wie viel gute Vorsätze durch die christliche Predigt in Einzelnen befestigt, wie viel Keime des Bösen zerstört worden sind, wie Viele durch sie Kraft in der Versuchung, Trost in der Betrübniß empfingen, und von ihrem rein irdischen Streben zu ihrem himmlischen Vater sich aufgerichtet haben? Wie viel Eifer für das Gute, für gemeinsames nützliches Wirken, oder gegen das Böse und den Mißbrauch dadurch erweckt worden ist? Ja es ist einem Jeden von uns vergönnt, zuweilen auch die Früchte unseres Wirkens zu sehen; Friede zu stiften, wo Entzweiung war, Gebeugte aufzurichten, Trauernde zu trösten, Sterbenden die Hoffnung des ewigen Lebens zu stärken, Gleichgültige für das Gute zu erwärmen, Sünder zur Buße zu leiten und die Wahrheit zu vertheidigen gegen ihre bewußten und unbewußten Feinde - und darin ist Seligkeit. Fünfzig Samenkörner gehen vielleicht verloren, daß ist schmerzlich; aber das eine, welches das gute Land trifft, das bringt ja auch hundertfältige Frucht, und so ist der Gewinn für das Gottesreich ja immer noch überwiegend. Darum wollen wir rüstig fortsäen, bis daß unser Abend kommt, und nur sorgen, daß wir treu erfunden werden vor euch, unserer Gemeinde, und vor Gott unserm Richter. Kein irdisches Drohen, keine Mißdeutung und Verachtung, kein Mißmuth über fruchtlose Arbeit soll uns abhalten, das Wort der Wahrheit zu verkünden, wie es uns dargeboten ist in dem Evangelio von Jesu Christo - in allem aber wollen wir halten an ihm, dem Anfänger und Vollender unseres Glaubens, und nicht müde werden nach seinem Worte uns zu mühen, daß wir Frucht schaffen, die da bleibe! Denn es kann kein anderer Grund gelegt werden, als der gelegt ist durch Jesum Christum; nur auf diesem Grunde bauen wir recht und fest.

Willst du nun, theure Gemeinde, uns dazu helfen, daß auch uns die Seligkeit werde, Frucht zu schauen von unserer Saat? Auf dich kommts an, das Wort aufzunehmen in feinen und treuen Herzen, damit es fort keime und eine reiche Erndte bringe! Wir aber müssen predigen das Wort vom Herrn, weil wir ihn erkannt haben als den Christ Gottes, sein Wort als das Wort göttlicher Wahrheit, weil wir der festen Ueberzeugung leben, daß kein anderer Name den Menschen gegeben ist, darin er könne selig werden, denn der Name Jesu Christi. Aus solcher Ueberzeugung folgt dann natürlich zuerst das Bestreben, dies Wort in der Wahrheit zu erkennen, in dem neuen Wesen des Geistes und nicht in dem alten Wesen des Buchstabens2), und des Herrn Willen in dem eigenen Leben zu erfüllen, damit wir nicht etwa Andern predigen und selbst verwerflich werden3). Wie ernst und eifrig dies Bestreben aber auch sei, wir wissen wohl, daß wir Alle irrthumsfähige und sündige Menschen sind, und Ihr, lieben Mitchristen, wißt es auch. Aber ihr wißt auch, daß unter den Menschen keiner gerecht ist, auch nicht Einer, und daß wir niemals auf unser Wort, auf unsern Wandel als auf euer Vorbild hingewiesen haben, sondern immer nur auf das Wort und den Wandel Jesu Christi, der da wahrhaftig und heilig ist, daß wir nicht minder uns, wie euch ermuntern zum Aufstreben zu ihm, und nur in sofern unserm Worte einen Werth für euch zuschreiben, als ihr selbst es zugestehen müsset, daß es das Wort Jesu in richtiger Auslegung und Anwendung wiedergebe. Nur darauf hoffen wir, daß ihr uns vertrauet: es sei stets nur redliche und gewissenhafte Ueberzeugung, die aus uns spricht und keine andere Absicht könne uns leiten als die Eine! unsere Gemeinde hinzuführen zur Nachfolge des Herrn Jesu, daß sie in ihm immer völliger werde4). - Und daß diese Hoffnung keine eitle sei, davon gebt ihr uns oft Beweise, das ist unsere Freude und unser Glück; das begründet die weitere Hoffnung: unsere Mahnung werde auch eine willige Aufnahme finden in euren Herzen, es werde euch anregen, dem nachzudenken und nachzustreben, was irgend ein Lob, irgend eine Tugend ist. - Theure Gemeinde! Wir sind alle Glieder des großen Leibes, dessen Haupt Jesus Christus ist. Wo das Haupt so heilig ist, da dürfen die Glieder nicht dem Dienste der Unreinigkeit sich hingeben; der Wille des Haupts muß sie regieren! Wirkt nun das Amt der christlichen Predigt unter euch die Bereitwilligkeit, sich von dem Herrn leiten zu lassen, o dann hat es auch unter euch seine Frucht und seine Seligkeit.

Dich aber, von dem alles Gedeihen kommt, dich, Vater im Himmel! rufen wir an: erleuchte mit deinem Geiste Lehrer und Hörer, daß sie sich gegenseitig anregen, dich zu suchen, dich zu finden durch Jesum Christum, daß die Einen den Samen deines Wortes recht streuen, die Andern in frommen und treuen Herzen ihn aufnehmen, und die Erndte groß werde. Amen.

1)
Luc. 1,2.
2)
Röm. 7,6.
3)
1. Cor. 9,27.
4)
1. Thess. 4,1
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