Krause, Cäsar Wilhelm Alexander - Wie viel der Christ gewinnt, wenn er in seinem Herzen sich stets eine edle Kindlichkeit erhält.

Krause, Cäsar Wilhelm Alexander - Wie viel der Christ gewinnt, wenn er in seinem Herzen sich stets eine edle Kindlichkeit erhält.

Predigt am ersten Sonntage nach Epiphanias.

Dein Geist, o Gott, giebt Zeugniß unserm Geiste, daß wir deine Kinder sind; durch den Glauben an Jesum Christum sind wir's geworden. So leite uns denn ferner auch durch deinen Geist, daß wir wandeln, wie die Kinder des Lichts, und einst das uns von dir verheißene Erbe empfangen. Amen.

Geliebte Gemeinde! Alles, was aus der Hand Gottes hervorgeht, trägt auch den Stempel seines Wesens und ist eine Offenbarung des Schöpfers an uns. Von der unendlichen Erhabenheit seiner Macht, von der Fülle des Reichthums seiner Weisheit und seiner Erkenntniß, von der Alles umfassenden Größe seiner Liebe bietet unsere Welt in jedem ihrer Theile die deutlichsten Beweise dar: Gottes unsichtbares Wesen, das ist seine ewige Kraft und Gottheit, wird daraus ersehen, und wer seiner Werke achtet, der hat eitel Lust daran. - Aber nicht blos seine Lust daran soll der Mensch haben, sondern ihm ist die Oberfläche dieser Erde anvertraut, daß er sie sich nutzbar machen, sie bebauen und verschönern soll, indem er IN den regellosen Reichthum der schaffenden Natur die Ordnung bringt, und jedem Erzeugnisse derselben den Platz anweiset ihre Pflege zuwendet, wodurch er sie fruchtbarer macht für das Menschengeschlecht, zu dessen Gunsten sie„ geschaffen sind. Jedoch nur dann wird seine Kunst wirklich ihren Zweck erreichen, eine erhöhte Schönheit und Nutzbarkeit der Erzeugnisse der Natur hervorzubringen, wenn er das heilige Recht der Natürlichkeit achtet, wenn er den lebendigen und leblosen Geschöpfen, die des Herrn Gnade unter seine Hand gestellt, die Entfaltung nach ihrem innern selbsteigenen Triebe zuläßt und sich damit begnügt, diesen zu unterstützen und zu regeln. Will er es sich herausnehmen, dem Geschöpfe Gottes ein ihm fremdartiges Wesen durch Zwang aufzunöthigen, so siecht es dahin, so verkrüppelt es; seine Blüthe verkümmert, seine Frucht vergeht. Wollen wir darum die Geschöpfe Gottes verschönern und nützlicher machen, so müssen wir vor Allem ihr eigenstes Wesen erkennen und achten.

Sollte dies aber blos von den leb- und vernunftlosen Geschöpfen Gottes, sollte nicht vielmehr derselbe Satz für die Erziehung der Kinder gelten, die uns Gottes Gnade gegeben? Sollten wir nicht vor Allem verpflichtet sein, auch bei ihnen das heilige Recht der Natürlichkeit zu achten, und sollte es nicht die verderblichsten Folgen haben müssen, wenn wir sie, indem wir sie zu bilden streben, der Natur entfremden, und ihnen allerlei Fremdartiges, ihrer kindlichen Natur Widerstrebendes ein- und aufpfropfen? O, Jesus hatte sie so lieb in ihrer Natürlichkeit und um ihrer Natürlichkeit willen, daß er sie gern zu sich kommen läßt, daß er spricht: Ihrer ist das Himmelreich, daß er von uns verlangt, wir sollen wieder werden wie die Kinder, damit auch wir desselben theilhaftig würden. Nein, mit diesem Ausspruche reimt sich nicht die erschreckliche Lehre derer, die in ihnen schon alles Gute zerstört und das Verderben in üppigem Wuchern sehen, ja sogar die Fähigkeit zum Guten dem Menschen von Hause aus absprechen. - Aber wie Viele, die diesen Satz als Lehre entschieden verwarfen, führen doch die Erziehung ihrer Kinder so, als ob sie ihn vollständig anerkennten. Alles Natürliche in ihnen wollen sie verbannen und durch Kunst ersetzen, und nur dann sind sie mit den Ergebnissen ihrer Erziehung zufrieden, wenn ihre Kinder sich früh der unter Erwachsenen angenommenen, so oft geschraubten und verderbten Sitte anzubequemen wissen. Ihre kindliche Offenheit wird vernichtet, die Kunst, Verstellung zu üben, schon früh ihnen beigebracht; ihre kindliche Fröhlichkeit wird möglichst eingeschränkt; sie möchten am liebsten schon den grämlichen Ernst des Alters annehmen; ihr kindlicher Geselligkeitstrieb wird streng überwacht, auch bei ihrer Herzensneigung zu den Gespielen sollen schon Rang und Stand maßgebend sein, ihre kindliche Demuth entflieht, und die Eitelkeit pflanzt sich an ihre Stelle. Und was ist die Folge davon? Menschen wachsen heran, die das rein Menschliche, das Natürliche verlernt haben, denen mit dem Kindischen zugleich auch das Kindliche und damit der schönste Theil ihres Lebensglückes, ihre Nützlichkeit für das Leben verloren gegangen ist: - ein unersetzlicher Verlust.

Wie anders ist dies, wenn wir das Vorbild Jesu Christi, unseres Heilandes, aufmerksam betrachten? Als zwölfjähriger Knabe erscheint er uns in dem heutigen Evangelio, und eine edle Kindlichkeit spricht sich in seinem ganzen Wesen aus. Die Grundzüge dieser edlen Kindlichkeit zeigen sich in seinem ganzen ferneren, so wichtigen und ernsten Zwecken gewidmeten Leben, ja sie war es wesentlich, die ihn befähigte und kräftigte, seinem heiligen Berufe so vollständig zu genügen. O, lasset uns daran ein Beispiel nehmen, Geliebte, lasset uns erwägen:

Wie viel der Mensch gewinnt, wenn er in seinem Leben sich stets eine edle Kindlichkeit erhält.

(Gesang. Gebet.)

Evangelium Lucä 2,41-52.

Auf der Grenze des kindlichen und des Jünglingsalters erscheint uns Jesus in dem heutigen Evangelio, als er zum ersten Male mit seinen Eltern nach der heiligen Stadt wallen durfte, um dort in dem Heiligthume Gottes die religiöse Pflicht mit ihnen zu erfüllen. Es leuchtet aus ihm hervor der helle Geist, die heiße Sehnsucht nach der Erkenntniß der Wahrheit, die brünstige Liebe zu dem Heiligen. Aber auch die kindliche Unbefangenheit und Sorglosigkeit, in der er sich ganz jener Liebe hingiebt, Vater und Mutter darüber vergißt, und als sie ihn nach schmerzlichem Suchen endlich finden, da ist es nur seine Entschuldigung auf den mütterlichen Vorwurf: Ich mußte sein in dem, was meines Vaters ist. Willig und gehorsam aber folgt er ihnen, dienet ihnen, wächst auf und nimmt zu an Weisheit, Alter und Gnade bei Gott und den Menschen. - Eine edle Kindlichkeit blieb ihm in seinem ganzen ernsten und mühevollen Leben; sie sprach sich schon darin aus, daß er sich vorzugsweise gern „des Menschen Sohn“ nannte, daß er die Kinder so liebte, und, weit entfernt, seine Erhabenheit zu beeinträchtigen, ist sie es eben, die ihn uns so unendlich liebenswerth, so verehrungswürdig macht. Darauf lasset uns schauen und erkennen:

Wie viel der Christ gewinnt, wenn er in seinem Leben sich stets eine edle Kindlichkeit erhält, d. h. wenn in ihm stets mit dem männlichen Ernste - die kindliche Herzensfreudigkeit, mit der männlichen Festigkeit - die kindliche Bildungsfähigkeit, mit der männlichen Geistesklarheit - die kindliche Liebe zu dem Heiligen verbunden bleibt.

1)

Ja, die kindliche Herzensfreudigkeit, sie ist das Erste, was uns an dem Wesen des Kindes so beneidenswerth erscheint. Der Schmerz, der es trifft, er läßt keinen bleibenden Eindruck zurück; die Sorge, die es drückt, sie raubt ihm nicht des Lebens Lust und Muth; die Schwierigkeiten, die ihm bevorstehen, sie kennet es theils noch nicht, theils läßt ein leichter Sinn die Verzagtheit nicht aufkommen und bewahrt das Vertrauen, es werde Alles wohl gelingen: o, glückliche Zeit der kindlichen Unbefangenheit, kehrst du nie uns wieder? Nein, Geliebte, in diesem Maße nicht. Der Ernst des Lebens macht sich um so mehr geltend, je weiter wir in demselben vorschreiten, und er ist uns nothwendig, damit wir den hohen Zweck unsers Daseins stets fest im Auge behalten, damit wir die Heiligkeit der Pflicht, die uns obliegt, nicht verkennen, damit wir unsere Kraft im Verhältnisse zu ihr recht abwägen und uns über die Schwierigkeiten nicht täuschen, die ihre treue Erfüllung uns darbieten wird. Wo dieser heilige Lebensernst fehlt, da mangelt auch die rechte Lebensansicht, die rechte Kraft, der rechte Erfolg. Mit dem Leben und seiner Aufgabe soll man nicht kindisch tändeln und es vertändeln; aber der rechte christliche Lebensernst macht eine wahrhaft kindliche Freudigkeit vor Gott keinesweges unmöglich, er wird sie im Gegentheile nie vermissen lassen. - Das erkennen wir aus dem Vorbilde unseres Heilandes. Wahrlich, Niemand hatte jemals eine gleich große und gleich heilige Lebensaufgabe wie Er, und Niemand hat die Seinige mit gleicher Klarheit erkannt. Er wußte es, daß er berufen war, durch die Verkündigung seines Evangeliums das Gottesreich zu erbauen und die' Menschheit zu erlösen von dem Dienste des Aberglaubens und der Sünde; er wußte, daß diese sich ihm als Gegner auf allen seinen Wegen entgegenstellen würden. Er wußte es, daß Feindschaft und Arglist ihn umgaben, daß Kreuz und Tod ihn erwarteten, und dennoch geht er freudig den Pfad, den der Vater im Himmel ihm vorgezeichnet, und thut seinen Willen. Undank und Verkennung wird ihm von seinen Brüdern, die er so innig liebt, und dennoch hört er nicht auf, sie freundlich zu sich zu rufen, ihnen das Evangelium zu predigen, ihnen Wohlthaten aller Art zu erweisen; dennoch wird er nicht müde, sein Leben ihnen zu weihen, ja er bedenkt sich nicht, es für ihr Heil zu opfern. Er nannte nicht einen Ort sein, da er sein Haupt niederlegen konnte, und dennoch wirkt er freudig fort, theilt sein letztes Brod mit den Hungernden, und weiset die Jünger, die er aussendet, hin auf die Lilien des Feldes, die der Herr köstlicher kleidet, als mit Salomo's Pracht; auf die Vögel unter dem Himmel, die der Herr speiset, und ermahnet sie: Trachtet am Ersten nach dem Reiche Gottes und seiner Gerechtigkeit, so wird das Andere euch zufallen.

Wahrlich, nur eine von der Liebe Gottes getragene, ihm vertrauende kindliche Freudigkeit des Gemüthes konnte das Wirken des Herrn in seiner ganzen Lage zu einem so eifrigen, und dadurch zu einem so erfolgreichen und gesegneten machen, als es für uns geworden ist.

Sie verband sich auf das Schönste mit dem heiligen Ernst seiner Lebensansicht und verklärte ihn. - Dasselbe, meine geliebten Brüder und Schwestern in Christo, muß aber auch bei uns stattfinden, und wir werden den entschiedensten Gewinn davon haben, wenn eine solche kindliche Herzensfreudigkeit auch unsern Lebensernst durchdringt und ihn verklärt. Unsere Lebensaufgabe, wie groß und schwer sie ist, ist sie denn eine erdrückende und Mißmuth erzeugende? Nein, sie ist eine beseligende. Von dem Vater im Himmel ist sie uns gestellt, ihm sollen wir ähnlich werden, das Wohl der Brüder sollen wir wirken, zu ihm sollen wir einst kommen! Kann dies Ziel anders erreicht werden als im Geiste kindlicher und brüderlicher Liebe? Werden wir denn wahrhaft Gutes vollbringen, wenn die Sorgen des Lebens uns so niederdrücken, daß nur mit Unmuth und Klage wir unsere Tage erfüllen und unser Werk thun? Nein, der kindliche Ausblick zu dem Vater im Himmel, der auch für uns sorgt, giebt dem Geiste erst die Spannkraft, dem Herzen die Freudigkeit wieder, die dem Kleinmuthe widersteht und ihn besiegt. Sollen uns denn die Schwierigkeiten muthlos machen, die wir unsern pflichtmäßigen Bestrebungen sich entgegenstellen sehen? Nein, sondern die Nähe Gottes sollen wir fühlen, durch den kindlichen Aufblick zu ihm uns stärken, und nun rüstig fortarbeiten in dem Vertrauen, daß, der in uns und durch uns angefangen ein gutes Werk, es auch vollenden werde. Sollen uns die Opfer zurückschrecken, die unsere Pflicht von uns fordert? Nein, in kindlicher Demuth erkennend, daß Alles, was wir haben, von dem Herrn kommt, fühlen wir auch, daß es keine schönere Verwendung desselben giebt, als es dem Herrn wieder zu opfern. - Ohne solche kindliche Herzensfreudigkeit wird der Lebensernst ein trüber, verzagter, zurückstoßender, das Leben verödender. Darum soll durch das Evangelium Gott in uns wohnen, daß wir das Bewußtsein unserer Kindschaft und mit ihm die Freudigkeit des Daseins und Wirkens nie verlieren; darum soll Jesus uns stets vor Augen stehen, damit wir an seinem freundlichen, erhebenden Vorbilde stets erkennen, welche hohe Freudigkeit selbst bei dem Ernst und der Last des Lebens und des Leidens das Bewußtsein giebt: Es lebt ein Vater über uns. Solchen Segen gewinnen wir, wenn wir in unserm ganzen Leben uns eine edle Kindlichkeit, wenn wir bei dem männlichen Lebensernste uns die kindliche Herzensfreudigkeit bewahren, und in uns auch

2)

mit der männlichen Festigkeit die kindliche Bildungsfähigkeit verbunden bleibt.

Unser Evangelium zeigt uns Jesum noch in den Jahren, in welchen er zunahm und wuchs an Gnade bei Gott und Menschen, zeigt uns sein eifriges Nestreben, unterrichtet zu werden. Seine wißbegierigen geistvollen Fragen, die die Lehrer in Erstaunen versetzten, zeugen von seinem Triebe nach Wahrheit, der so eifrig war, daß er Vater und Mutter darüber vergaß, denn sein himmlischer Vater erfüllte seine ganze Seele. Als er später in seinem Lehramte austrat, da war er völlig jener von Gott erleuchtete, mit himmlischer Weisheit ausgestattete Lehrer, der wohl das Licht vom Herrn in diese Welt tragen, von ihr selbst aber nichts mehr empfangen, der von sich sagen konnte: Ich kenne den Vater, ich bin das Licht der Welt! Aber wo schließen wir, so lange wir leben, jemals mit unserer Bildung so ab? Die Erziehung, der Unterricht sollen uns die Befähigung geben für das Leben; aber eigentlich doch nur die Befähigung, die Erscheinungen des Lebens fortan selbstständig aufzufassen, die Lehren aus denselben uns selbstständig abzuleiten, und die rechten Entschlüsse ihnen gegenüber zu finden, welche uns frommen und ziemen. Das Leben bietet jedoch immer neue Erscheinungen dar, und wenn auch die alten mannigfach wiederkehren, so dreht es sich doch nicht in einem Kreislaufe, sondern es schreitet fort, und es sind immer neue Verhältnisse, welche die wiederkehrenden Erscheinungen umgeben, so oft sie von uns auch immer verschieden genommen werden müssen, immer neue Ansprüche an uns machen und die Entfaltung immer neuer Kräfte von uns verlangen. So erzieht die göttliche Vorsehung, die den Lauf aller Dinge regelt, uns fort und fort, so ist im höheren Sinne unser ganzes diesseitiges Leben eine Erziehung für das jenseitige, und damit wir sie annehmen können, ist es nothwendig, daß wir uns jene Bildungsfähigkeit erhalten, welche dem Kinde eigenthümlich ist. - Wohl soll das Leben uns nicht finden als schwankendes Rohr, nicht sollen wir Kinder sein und uns wägen und wiegen lassen von allerlei Wind der Lehre; sondern die Erziehung im jugendlichen Alter soll in uns Grundsätze zur Reife gebracht haben, die uns jene Festigkeit des Charakters und des Willens geben, ohne welche wir der Aufgabe unserer männlichen Tage nimmer gewachsen sein würden. Aber nimmer soll der Wahn uns beherrschen, als seien wir nun fertig mit unsern Ansichten und Erfahrungen, und könnten die Lehren, die die fortschreitende Zeit uns darbietet, gleichgültig übersehen, wohl gar verachten, oder weil sie mit unsern sonstigen Erfahrungen und Neigungen nicht übereinstimmen, beklagen und verdammen. Solchen Mangel an Fähigkeit, die Ereignisse der fortschreitenden Zeit richtig anzusehen, zu beurtheilen und sich in sie zu finden, gewahren wir wie oft selbst bei begabten Menschen. Sie haben mit sich abgeschlossen, sie veralten vor der Zeit, und verlieren dabei den Trieb, zu wirken und zu nutzen, wo ihre Kräfte vielleicht noch viel Gutes leisten könnten. Dieses Zurückbleiben hinter der Zeit, dieses Veralten vor der Zeit, diese Unfähigkeit und Ungeneigtheit in das, was sie neu gebiert, einzugehen, und sofern es gut ist, es zu fördern, droht in unsern Tagen mehr als je Gefahr, wo die Zeit rascher zu eilen, fruchtbarer zu gebären scheint, als seit Jahrhunderten, wo eine lebendige Bewegung alle Verhältnisse und alle Gebiete, auch die ihr sonst am strengsten verschlossenen ergriffen hat. Da ist es um so mehr nothwendig, daß wir einen kindlichen Sinn uns erhalten, der das Walten des ewigen Vaters demüthig aufnimmt, daß neben der männlichen Festigkeit, die das dem göttlichen Worte Widersprechende entschieden zurückweiset, uns auch die kindliche Bildungsfähigkeit bleibe, die es befähigt, an der Fortentwickelung desselben und an dem Fortschritte Theil zu nehmen, den die göttliche Weisheit seine Kinder wieder führen zu wollen scheint, und den apostolischen Spruch stets gewissenhaft in Ausführung zu bringen: Prüfet Alles und das Gute behaltet. Auch wir sollen, so lange wir leben, stetig zunehmen wie an Alter, so auch an Weisheit, an Gnade bei Gott und den Menschen. Solchen Gewinn werden wir aber nur dann davon tragen, wenn wir neben der männlichen Festigkeit die kindliche Bildsamkeit uns stets erhalten. - Jene edle Kindlichkeit, die ich rühme, wird sich aber auch endlich darin bei uns kund thun, daß durch sie

3)

mit der männlichen Geistesklarheit die kindliche Liebe zum Heiligen verbunden bleibt.

Gern und freudig öffnet sich das kindliche Herz den Eindrücken der Religion; sie erfüllt bald sein ganzes Gefühl, und seine Liebe wendet sich den Männern zu, von denen die heiligen Schriften ihnen erzählen. Frühzeitig schon fangen die Kinder an zu fragen nach dem lieben Gott, begierig nehmen sie die Rede auf, die zu ihnen von seiner Macht und Liebe spricht, und schon die Erzählungen des alten Testamentes, mehr aber noch die aus dem Leben Jesu fassen sie mit einer Leichtigkeit und erzählen sie mit einer Freudigkeit und Andacht wieder, die es recht deutlich zeigt, in welcher Liebe das unverdorbene menschliche Herz sich dem Heiligen stets zuwendet. Gewiß hat Jeder von euch, meine Zuhörer, der etwas auf eine religiöse Erziehung seiner Kinder giebt, dieselbe Erfahrung mit mir gemacht. Von dem grübelnden Verstande noch ungestört, sind sie ganz Gefühl, und in diesem Gefühle sind sie selig: ihrer ist das Himmelreich. - Das kann freilich nicht so bleiben. Je mehr die Geisteskraft erwacht, desto mehr strebt sie, das bisher im Bilde Empfangene in der Wahrheit zu erschauen; was ihr bisher in dunklem Spiegel gezeigt wurde, nun zu erkennen von Angesicht zu Angesicht. - Aber Gott wohnt in einem Lichte, dazu Niemand kommen kann, unser endliches Erkenntnißvermögen faßt das Unendliche nicht, auf welches die Religion uns hinweiset, und mit der übersinnlichen Welt sind wir nur durch Bande des Glaubens, nicht des Wissens verbunden. Der reifende Geist aber will Klarheit; er will wissen, und wenn in dem Gebiete des Zeitlichen ihm das Wissen und Erkennen von vielen Seilen zuströmt, so wendet er sich leicht mit einseitiger Liebe diesem zu, und an dem Uebermuthe des endlichen Verstandes, der das Unendliche nicht fassen zu können sich gestehen muß, stirbt der Glaube und die Liebe zu dem Unendlichen, Ewigen und Heiligen. Dadurch verödet der Mensch an Herz und Gemüth, und woher soll ihm die Hoffnung kommen, nachdem Glaube und Liebe ihm verloren gegangen sind? O erkennet daraus den Segen, den er gewinnt, wenn bei aller sonstigen Geistesklarheit ihm mit der Demuth des kindlichen Geistes auch die kindliche Liebe zum Heiligen bleibt. Nein, wir schauen Gott nicht; aber seine Werke zeugen von ihm. Wer könnte sie aufmerksam betrachten, ohne daß mit dem Entzücken des Glaubens und der Liebe sein Herz ihm entgegenschlüge, ohne daß er aus dem Reichthume und der Schönheit des Geschaffenen die Gnade und Liebe Gottes erkennte, ihn als seinen Vater anbetete und sich selig fühlte in dem Bewußtsein, Gottes Kind zu sein. - Seht das Vorbild Jesu im Evangelio! So wie er als Knabe uns erscheint, entbrannt von Liebe zu und Sehnsucht nach dem himmlischen Vater, so oft er spricht: Wisset ihr nicht, daß ich sein muß in dem, das meines Vaters ist, so durchglühte heilige Liebe zu Gott auch in den Jahren seines Lehramtes und in den Tagen seines Leidens sein ganzes Wesen. Daher kam ihm der heilige Eifer, indem er sich angetrieben fühlte, mit Verläugnung alles dessen, was der sinnliche Mensch in diesem Leben erstrebt, ja mit Aufopferung seines Lebens zu vollenden das Werk, das ihm aufgetragen war. Selbst heilig, erfüllte auch die Liebe zu dem Heiligen sein ganzes Herz. - Auch uns wird nur die wahre Freudigkeit zu unserm Berufe bleiben, wenn die Liebe zu Gott uns belebt. Sie allein giebt den rechten Sinn, aus dem eine segensreiche Thätigkeit entspringt; sie allein giebt die rechte Kraft und Ausdauer dazu; sie allein tröstet über Verkennung und Mangel an in die Augen fallenden Erfolgen. Das Alles wird durch kaltes Klügeln nicht gewonnen, sondern durch warme Liebe zu dem heiligen Gott, aus welcher auch die rechte Liebe zu den Brüdern stammt. Als Gottes Kinder, der auch ihr Heil will, der auch sie zum ewigen Leben berufen, der uns auf eine segnende Thätigkeit für sie hinweiset, wenn wir ihm den schuldigen Zoll unsers Dankes darbringen wollen, der aber auch der Richter und Rächer über die Unbill sein will, die dem Geringsten von ihnen zugefügt wird, gewinnen sie alle einen Werth in unsern Augen, welcher ihnen keine andere Rücksicht zu verleihen vermag. - Die Liebe zu dem Heiligen wirkt aber auch endlich zur Heiligung unsers ganzen Wesens. So lange die Liebe Gottes in dem Herzen lebt, wohnt dort auch noch die Unschuld und der Friede. Erst wenn das Aeußere, die Welt, ihre Güter und Genüsse unsere Begierden erregen, wenn wir sie so haben wachsen lassen, daß die Sehnsucht nach ihnen den Gedanken an Gott und die Rücksicht auf sein Gebot überwiegt, erst dann zieht die Sünde ein in das Herz - der Gottesfriede aber schwindet. Erwacht die Seele dann aus ihrem Taumel, so giebt sich in der Reue das schmerzliche Verlangen nach der Liebe Gottes wieder zu erkennen; aber erst dann, wenn es stark genug war, um uns zum Siege über das Böse zu leiten, erst dann beglückt uns wieder die Hoffnung auf Gottes Liebe. Je mehr Kindlichkeit sich das Herz bewahrt hat, desto leichter wird ihm die Erneuerung der Buße; je größere Liebe zu dem Heiligen in ihm wohnt, einen desto stärkeren Schutz hat es vor dem Bösen. Dann wird keine unbeugsame Starrheit in ihm gefunden werden, sondern wie die Pflanze nach dem Licht, so wendet sich auch das Gott liebende Herz dem Herrn zu, und wie jene an dem Lichte ihre grünen Blätter und duftenden Blüthen entfaltet, so ist es auch die kindliche Liebe zu dem Heiligen, welche in dem Leben des Menschen Früchte für das ewige Leben entwickelt und zur Reife bringt.

So wollen wir denn den Herrn und sein Heil in kindlicher Liebe suchen. Mit freudigem Eifer wollen wir aufstreben zu ihm, und uns kindlich freuen, daß er uns kundgethan, wie auch wir, wenn wir von hier scheiden, nur die Heimath wieder suchen; mit kindlichem Danke wollen wir aufnehmen jede neue Wahrheit, zu deren Erkenntniß er uns führt, mit kindlicher Fügsamkeit uns schicken in die Zeit, auch wenn sie böse ist; mit kindlicher Liebe aufschauen zu Jesu Christo unserm erhabenen Freunde und Führer zum Vater, und seinem Wandel nachfolgen. Das Kindische soll abfallen von uns, das edel Kindliche soll bleiben. Unser Leben wird dadurch glücklicher, fruchtreicher, unser Tod seliger werden. Amen.

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