Kohlbrügge, Hermann Friedrich - „Aus tiefer Not“ - Sechste Predigt.

Kohlbrügge, Hermann Friedrich - „Aus tiefer Not“ - Sechste Predigt.

Gehalten den 31. Oktober 1858, abends.

Gesang vor der Predigt.

Psalm 89, Vers 7 u. 8.

Wie selig ist das Volk, das sich in dir erfreut,
Das deine Stimme hört und kommt und dir sich weiht!
Frohlockend steht es da vor deinem Angesichte
Und geht dann seinen Weg, bestrahlt von deinem Lichte.
Dein Nam', ihr hoher Ruhm, gibt Mut, stets fortzugehen,
Bis die Gerechtigkeit in dir sie wird erhöhen.

Herr! dir allein gebührt der Ruhm von unsrer Kraft.
Wir sehn, dass deine Hand Sieg und Erlösung schafft.
Ja, deine Gnade nur kann Mut und Stärke geben,
Und wir verzagen nie, wenn Feinde sich erheben.
Der Herr ist unser Schild, ihm sind wir untertänig,
Der Heilge Israels ist selber unser König.

Meine geliebten Brüder und Schwestern! Wir behandelten das vorige Mal die Worte aus dem 118. Psalm, welche wir daselbst finden Vers 18: „Der Herr züchtigt mich wohl, aber er gibt mich dem Tod nicht“. Nunmehr folgt Vers 19 und 20:

Tut mir auf die Tore der Gerechtigkeit, dass ich da hineingehe und dem Herrn danke. Das ist das Tor des Herrn; die Gerechten werden da hineingehen.

„Der Herr züchtigt mich wohl“, also: er handelt wohl so mit mir, als wäre er zornig gegen mich; er trifft mich wohl hart und gibt mir derbe Schläge, er führt mich wohl in die Hölle, er überliefert mich wohl der Macht jeglicher Anfechtung, aber dem ewigen Tod und der Macht des Teufels gibt er mich nicht preis. Das ist die Meinung. Und wenn es heißt: „Aber er übergibt mich dem Tod nicht“, so heißt das mit anderen Worten: „Er führt mich hinüber in die ewige Herrlichkeit“.

Diese Worte, meine Geliebten, sang unser teurer Herr und Heiland, wie ich euch schon wiederholt darauf aufmerksam gemacht habe, in der Nacht, da er verraten ward. Er hatte seine lieben Jünger um sich und hörte sie denselben Psalm singen, aber sie verstanden damals diese Worte noch nicht. Bei ihm jedoch gingen dieselben durch die Seele hindurch, und er sang aus der Seele heraus, aber also, dass er zu gleicher Zeit für seine Jünger den Geist erwarb, auf dass sie hernach diese Worte in dem Geist singen möchten, worin sie sollen gesungen werden. Da sind es denn Worte, die ausgesprochen werden angesichts des Todes, und sie lehren uns die rechte Sterbekunst, es sei in diesem Leben, wo wir tagtäglich mit Christo zu sterben haben, es sei in der letzten Stunde, da wir die Seele aushauchen.

Als der Herr im Geist gesagt hatte: Er überliefert mich nicht dem Tod, er gibt mich und die Meinen nicht der Verdammnis preis, sondern er führt mich samt ihnen hinüber in die ewige Herrlichkeit, - da konnte, angesichts des Todes, der Verdammnis und der Hölle, seine Seele nicht länger zurückgehalten werden, sondern sie musste in den Himmel hinein. Die Tore der Gerechtigkeit sind also der Eingang in die ewige Herrlichkeit. Es heißt nicht „tue mir auf“, sondern „tut mir auf!“ es steht die mehrfache Zahl. Welche waren es denn, die diese Tore verschlossen halten wollten? Adam ist aus dem Paradies vertrieben worden, damit er nicht seine Hand ausstrecke nach dem Baum des Lebens; er sollte im Elend einhergehen und essen von dem Baum des Lebens, der unsichtbar ist im Paradies Gottes dort oben, bis er wieder zu Erde würde, von der er genommen ist, um sodann erst in das ewige Paradies einzugehen. Der Cherub mit dem Flammenschwert wehrt ihm das Paradies, das alte, dass er nicht hineingehe; aber Tod und Teufel, Hölle, Sünde und verdammendes Gesetz wehren dem armen Menschen, dem gläubigen, aber in sich selbst elenden, den Eingang in das Paradies dort oben. Es lagerte sich vor dem Tor der Gerechtigkeit des Himmels der Teufel mit der Macht des Todes, und er meint alles Anrecht zu haben an den Herrn Christum, den er nicht kannte oder nicht kennen wollte; denn unser Herr war beladen mit der Sünde der ganzen Welt, er war zum Fluch geworden für uns, ist also Sünde und Fluch gemacht für uns. Da war denn die ganze Macht der Hölle und alle die bösen Geister ihm entgegen und wollten ihm den Himmel der Gerechtigkeit verschlossen halten, dass er nicht hindurchgehe. Nunmehr gebeut er, indem er hinsieht auf den Ratschluss Gottes zu unserer Seligkeit, und spricht: „Er übergibt mich dem Tod nicht!“ - nun gebeut er den Geistern, dass sie sich von der Tür hinwegmachen sollen. Nicht, dass sie wirklich Macht hatten diese Tore verschlossen zu halten - solche Macht hat Gott allein; aber eben durch ihr Recht, das sie meinten zu haben mit der Forderung des Gesetzes und mit all ihrer List, machten sie der Seele des Herrn gar bange: er möchte nicht hindurchkommen, er möchte und könnte nicht hinein. Er aber in der Gewissheit: ob Gott mich züchtigt, so gibt er mich doch dem Tod nicht, - in der Gewissheit, dass er das Recht erworben hat und erwerben wird auf das ewige Leben, - er gebietet, dass die Gerechtigkeit, womit der Teufel richtet, dass der Prozess, den die Pforten der Hölle führen, niedergeschlagen werden solle, auf dass es offenbar sei, dass sie an ihn, den Herrn, gar kein Recht hatten, dass sie kein Recht hatten, ihm den Eingang zu wehren zur ewigen Herrlichkeit.

So sind denn diese Tore der Eingang in die ewige Herrlichkeit, um Gott zu sehen von Angesicht zu Angesicht. Sie heißen Tore, weil in den Toren der morgenländischen Städte Gericht gehalten wurde; wie wir lesen im Büchlein Ruth im vierten Kapitel: „Boas ging hinauf in's Tor“ - das Tor war also zugleich Rathaus - „und setzte sich daselbst“. Da ging es nun darum, dass die arme Ruth in diesem Rathaus sollte getraut werden. Das sollte aber nach recht und Gerechtigkeit hergehen; denn Boas wollte nicht allein die Ruth haben, sondern er wollte auch alles, was der Ruth gehörte, auf sich nehmen, um ihr alles zu geben, was er hatte. So nahm er denn zehn Männer von den Ältesten der Stadt, nach der Zahl der zehn Gebote, setzte sich in's Tor, die Sache wurde geschlichtet, und die Trauung konnte vollzogen werden, indem Boas auf sich nahm, was der andere Erbe nicht auf sich nehmen wollte, wo denn der andere Erbe ein Bild ist des Gesetzes, Boas aber ein Bild unseres Herrn Jesu. In den Toren Gottes ist Gerechtigkeit, in dem Rathaus Gottes ist Gerechtigkeit; es ist aber in dem Himmel eine andere Gerechtigkeit, als die Gerechtigkeit ist, nach welcher das Gesetz des Buchstabens richtet; eine andere Gerechtigkeit, als die Gerechtigkeit ist, nach welcher der Teufel richtet; auch eine andere, als die ist, nach welcher der Tod, nach welcher Fleisch und Blut richtet. Es ist eine Gerechtigkeit, die ganz wunderbarlich hervorgegangen ist aus der ewigen Liebe, aus dem ewigen Erbarmen, aus der Weisheit Gottes, eine Gerechtigkeit, wie sie bei dem Fleisch nicht gefunden wird, die aber Gott dem Glauben zurechnet.

Diese Gerechtigkeit, meine Geliebten, war allererst da für unsern teuren Mittler und Bürgen, welcher der Anfänger und Vollender unseres Glaubens ist, der das Gesetz vollkommen erfüllt hat, indem er Gott vollkommenen Gehorsam leistete, indem er Gott wahrhaftig geglaubt, auf seinen Namen getraut und in diesem Vertrauen sich selbst geworfen hat in die Fluten des ewigen Zornes und der ewigen Vermaledeiung, uns daraus zu erretten. So lag für ihn im Himmel, im Rathaus Gottes, das geschriebene Recht, dass er sei der Erbe aller Dinge, der Herr Himmels und der Erde, ja auch der Herr über Teufel und Tod, dass er sei der Herr, um mit dem Ganzen es zu schaffen nach seinem Gefallen, zum Preise Gottes, wie wir so oft in den Psalmen lesen, z. B. Psalm 2: „Heische von mir, so will ich dir die Heiden zum Erbe geben und der Welt Ende zum Eigentum“. Indem er nun dastand als der Bürge aller, die der Vater ihm gegeben, und das ewige Recht geschrieben da lag für all die Seinen, so wollte er nun in den Himmel hinein, das Erbe zu bekommen, alles, was der Vater ihm verheißen, aber die ganze Hölle lag davor und legte sich ihm mit all ihrer Macht in den Weg; er jedoch spricht: Tut mir auf die Tore, dass ich da hineingehe! Ich muss, ich soll hinein, das ewige Recht zu erwerben! Tut mir auf die Tore der Gerechtigkeit, der Gerechtigkeit, wie es vor Gott Gerechtigkeit ist, dass ich da hineingehe. Denn unser Herr will in den Himmel hinein, wie Ebr. 9,12 geschrieben steht: „Er ist durch sein eigenes Blut Ein Mal in das Heilige eingegangen und hat eine ewige Erlösung erfunden“. Dieses Blut will er dem Vater vorhalten und ihn loben für den Rat seines ewigen Wohlgefallens, seiner freien Gnade und ewiger Erbarmung, für den ganzen Weg, wie er ihn geführt durch das Leiden und durch das Tal des Todes, und für seine Treue, wie er doch alle seine Verheißungen wahr gemacht hat. Darum spricht er: dass ich da hineingehe und dem Herrn danke, oder: den Herrn lobe.

Das hat der Heilige Geist von unserem Könige David, von dem Herzog unserer Seligkeit aufgezeichnet, nicht allein um seinetwillen, sondern auch um unseretwillen, und er legt uns den Psalm in den Mund, auf dass auch wir sagen: „Tut mir auf die Tore der Gerechtigkeit, dass ich da hineingehe und dem Herrn danke!“ denn es ist auch unserer Seele oft zu Mute, als ob ihr diese Tore verschlossen wären, namentlich wenn es gegen das letzte Stündlein geht. Ach, wenn Sünde da ist, wenn das Gesetz, das verdammende Gesetz, hinter dem Menschen her ist, wenn er die Pfeile des Zornes Gottes in seiner Seele empfindet, wenn die Wellen seines Grimmes über ihm zusammenschlagen, dann geht es darum, dass die verschlossenen Tore von oben geöffnet werden, auf dass man hindurchkomme. Da treten aber dem Gläubigen, dem Kind Gottes, allerlei Wegelagerer entgegen, es stellen sich die starken Stiere von Basan, die Hunde aus der Hölle vor diese Tür, dass das arme Schäflein ja nicht hinein komme. Da kommt der Teufel, das verklagende Gewissen, das verdammende Gesetz mit allen meinen Sünden, und macht, auch was ich gut getan habe, zur Sünde und bringt das ganze vorige Leben einem wieder in's Gedächtnis zurück. Wer nicht weiß, dass Gott in seiner Heiligkeit zu fürchten ist, wer nichts weiß von Gottes Zorn über die Sünde, der mag laut rufen und mit dem Psalm singen: „Macht mir auf die Tore der Gerechtigkeit!“ - er versteht doch nichts davon. Wo es Wahrheit ist, da geht es durch einen furchtbaren Kampf, da gibt es einen Streit auf Leben und Tod. Es ist keine Gerechtigkeit bei dem armen Menschen, es ist keine Heiligkeit bei ihm vorhanden, er besitzt gar kein Recht, dass er sollte durch diese Tore hineingehen dürfen. „Was?“ sagt der Teufel, „du bist mein!“ der Tod spricht: „du bist mein!“ Verdammnis und Finsternis liegt auf dem Herzen. Ja, wenn der Herr mit seinem Licht in das arme Herz hineinleuchtet, ja, dann gibt es Licht, dann gibt es Hoffnung, aber es gibt gewiss auch Stunden, es gibt Augenblicke im Leben, Augenblicke auch im Sterben, wo man es empfindet: hier lagert sich alles vor das Tor und hält es verschlossen; und ob der Herr auch möge gesagt haben: „Ich will deiner gedenken in meinem Reich“, und ich mit dem Schächer geschrien habe: „Herr, gedenke an mich, wenn du in dein Reich kommst!“ - es ist doch aller Trost dahin und vor meinen Augen verborgen! Wer auf Gottes Wort besteht, wer auf Gottes Zeugnis hält, der wird Wege geführt, die er zuvor nicht gekannt hat, solche Wege, dass alles, alles einem Menschen abgeschnitten wird. Wohin mit der ganzen Last meiner Sünde und Not? Wohin am Ende, wenn ich Tod und Grab vor mir habe? wenn ich die ewige Ewigkeit vor mir habe, und es ist mir alles Nacht, um und um Nacht? Die Augen des Herrn sehen nach dem Glauben, und der Herr Gott zieht den Menschen nackt aus, er soll nichts haben von Fleisches-Gerechtigkeit und Fleisches-Kraft, von Verstandesglauben, von all dem, womit der Mensch sich selber hilft und schmückt, auf dass er lediglich seinen Trost finde in der Gemeinschaft des Heiligen Geistes. Da hat uns denn in solcher Not unser lieber Herr diese Worte vorgesagt, dass wir sie ihm nachsagen, dass wir sprechen sollen: Weicht von mir, ihr Feinde alle! Verloren ist verloren! Nacht ist Nacht! Ich sehe nichts, ich fühle nichts, ich empfinde nichts; es donnert oben im Himmel, und in der armen Seele ist lauter Schmerz, nichts als Sünde, nichts als Not! Keine Gerechtigkeit und Heiligkeit ist da, und mehr und mehr muss ich es einsehen und bekennen, dass ich alle Gebote Gottes übertreten und deren keines je gehalten habe; mehr als je muss ich es fühlen, auch auf meinem Sterbebett, dass ich zu aller Torheit noch geneigt bin. Aber ob ich auch kein Recht habe hineinzugehen, dennoch soll ich hinein! Und ob du mich auch verklagst und meine Sünde mir vorhalten willst, hier habe ich eine andere Gerechtigkeit, als die Gerechtigkeit ist, nach welcher du richten willst, o Teufel! Ich habe eine andere Gerechtigkeit, als jene, welche du von mir forderst, verklagendes Gewissen! eine andere Gerechtigkeit, als du von mir verlangst, verdammendes Gesetz des Buchstabens! Meine Gerechtigkeit ist im Rathaus Gottes und meine Heiligkeit in den Toren des neuen Paradieses droben; - weicht von mir, ihr Übeltäter, ihr Feinde alle, dass ich hindurchkomme!

So liegt die Gerechtigkeit der Gerechten dort oben im Himmel, auf dem himmlischen Rathaus; daselbst findest du ihr geschriebenes Recht; dort ist es nach dem Rechte des Gesetzes festgestellt, dass dir ein ewiges Erbteil zugesichert ist. Droben in den Toren liegt das ewige Testament für dich, besiegelt mit dem Blut des Lammes; es ist die Genugtuung, die Gerechtigkeit und Heiligkeit Christi, die dort oben ist; und der Glaube an diese Gerechtigkeit ist es, der da bewirkt, dass der Arme, Notleidende, Sterbende, getragen vom Trost des Heiligen Geistes, zu den Feinden spricht: Macht euch von hinnen und haltet nicht länger verschlossen die Tore der Gerechtigkeit, ich muss hinein! Ich weiß es, dass dieses Gott gefällt, und das ganze Evangelium ruft es mir zu: hinein! hinein! hinein mit deiner Sünde und Schuld, mit deinem Verzagen, mit deinem Unglauben, trotzdem dass du Fleisch bist, dass du arm und elend bist - hinein! hinein! - Wie wir solches finden in dem Briefe Pauli an die Ebräer Kap. 4, Vs. 16: „Darum lasst uns hinzutreten mit Freudigkeit zu dem Gnadenstuhl, auf dass wir Barmherzigkeit empfangen“ - das ist ein gnädiges Recht „und Gnade finden auf die Zeit, wenn uns Hilfe Not sein wird“; das ist: dass wir hineingehen. Um was zu tun? Hat der Herr nicht gesagt: Du sollst nicht leer vor mir erscheinen? (2. Mose 23,15. 34,20.) Soll ich dem Herrn denn ein Opfer bringen? Habe ich nicht gelesen: „Opfer und Speisopfer gefallen dir nicht, Böcke aus deinem Stall nehme ich nicht“? Lese ich denn nicht: „Du hast nicht Lust zum Opfer, ich wollte dir's sonst wohl geben, und Brandopfer gefallen dir nicht. Die Opfer, die Gott gefallen, sind ein geängsteter Geist; ein geängstetes und zerschlagenes Herz wirst du, o Gott, nicht verachten“? Ich habe keine Opfer und habe dennoch ein Opfer! Das Opfer, das ich habe, ist das Lamm! Ich habe kein Opfer, aber dieses Lamm hat mich gelehrt, das rechte Opfer bringen! Ich muss hinein! hinein, nicht mit meiner Gerechtigkeit und Heiligkeit, nicht mit Früchten von meinem Acker, nicht mit meinen Werken oder meinem Tun, nicht mit dem, was ich bin oder hienieden war; ich muss aber hinein, Himmelswerk anzufangen, das darin besteht, dass ich den Herrn lobe, wie Gott gesagt hat: „Dies Volk habe ich mir zugerichtet, es soll meinen Ruhm erzählen“ (Jes. 43,21). Und dadurch wird der ewige Gott verherrlicht, darin besteht die ewige Herrlichkeit und Seligkeit, darin ist aufgeschlossen ewige Freude und Wonne im Angesicht Gottes, dass wir ihm danken - danken, dass er, der uns hat in die Welt kommen lassen, in seiner Gnade und Erbarmung auf uns hat niedersehen wollen von Mutterleib und von Geburt an, dass er mit großer Langmut uns hat wollen tragen, dass er, da es die Zeit seiner Liebe war, uns herumgeholt und sich gnädiglich über uns erbarmt hat, ja, da wir lagen in unserem Blut, und er uns sah auf dem Feld liegen, dass er da zu uns gesprochen hat: „Du in deinem Blut, du sollst leben!“ und dass er hinter uns her gewesen ist alle, alle Tage unseres Lebens bis in's graue Alter! Dass wir ihm danken, danken, danken, weil er die Millionen von Sünde und Schuld alle alle hat werfen wollen hinter seinen Rücken! Ihm danken, danken, danken, dass er ein solches Scheusal hat wollen zu sich lassen, dass es wohne bei ihm in seinem heiligen Palast und esse die Früchte des Paradieses dort oben! Ihm danken für die Wunder seiner Gnade, Barmherzigkeit und Langmut, dass, wo er doch an dem Menschen nichts gefunden als Sünde und Verkehrtheit, Arbeit und Mühe, seine Liebe dennoch stärker gewesen ist als das Grab, mächtiger als Tod und Hölle, um mich hinüber zu setzen in solche Herrlichkeit.

Gott ist Gott, und wie er Gott und König ist, wird er nur verherrlicht, indem gepriesen wird seine Barmherzigkeit, seine Langmut, seine Treue, seine Güte, seine königlichen Wohltaten, womit er den Armen und Elenden überschüttet. Er hat den ganzen Himmel gleichsam darum geschaffen und gebaut, dass ihm Lob, ewiges Lob gebracht werde, dafür, dass er sein Volk aus aller Gewalt der Sünde und der Hölle erlöst hat, dass er seinen lieben Sohn für uns dahingegeben und uns in ihm und durch ihn alle Dinge geschenkt hat; dass er in Gnaden mit solcher Seligkeit alle leeren Töpfe voll machen, alle Armen und Elenden, ja die ärmsten Sünder damit überschütten und überhäufen will, so dass sie ewiglich singen sein Lob und Preis, wie er, der sie zuvor versehen, sie auch berufen hat, wie er, der sie berufen, sie auch gerecht gemacht hat, und wie er, der sie gerecht gemacht hat, sie auch herrlich gemacht hat. Ich kann nicht in den Himmel mit meinen Werken und damit, dass ich Liebe und Gerechtigkeit geübt habe, ich binde es vielmehr alles samt und sonders in ein Bündlein und werfe es in den Abgrund; aber von dem Tor der Gerechtigkeit weiche ich nicht zurück, denn es wird daselbst offenbar werden, dass der Herr zu dem Satan sprechen wird: „Der Herr schelte dich, ja, der Herr schelte dich, der Jerusalem erwählet hat; ist dieser nicht ein Holz, das ich dir aus den Klauen gerissen habe?“1) Also weicht, ihr Feinde alle, dass ich durch dieses Tor hindurchkomme, dass ich meinem Gott danke für seine freie, mächtige, wunderbare Gnade, Güte und Treue, kraft welcher er verherrlicht hat alle seine Tugenden und Vollkommenheiten an dem Holz des Kreuzes und im Grab meines Immanuel.

Aber was sagst du? Du willst durch diese Tore hindurch? Erde bist du und zu Erde sollst du wiederkehren! Du wirst einmal in den Sarg gelegt und liegst dann unten in dem Grab, und es spricht der Teufel: Du bist mein! - Was ist nun wahr vom ewigen Leben? Und es spricht der Tod: Du bist mein! Was ist nun wahr von der Auferstehung des Fleisches? Das Gesetz verdammt, und es kommt so vieles auf; - ach, Sterben ist kein Kinderspiel, Sterben ist Sterben, es geht in ein Dunkel hinein, in welches keiner zuvor hineingeblickt, und der Mensch findet sich so sündig! Ja, käme ein Wagen wie beim Propheten Elias, dann möchte man glauben, dass man hindurchkomme; aber da liegst du nun auf dem Bett als ein Scheusal vor Krankheit, bist so ganz abgezehrt; welch eine Unzahl von Weh und Schmerz! Sollte es wahr sein? Wer ist je zurückgekommen von oben und hat es uns erzählt? Du, du in den Himmel? Sollten dir die Tore der Gerechtigkeit aufgeschlossen werden? Ja, tut sie mir auf! so spricht der Glaube. Das weiß ich, dass ich ein armer Sünder bin, aber ich will in den Himmel hinein, Gott zu danken für die Vergebung der Sünden! Das weiß ich, dass ich keine Gerechtigkeit habe, aber ich will in den Himmel hinein, dort liegt meine Gerechtigkeit! Ich weiß, dass ich keine guten Werke und keine Heiligkeit habe; meine guten Werke und meine Heiligkeit sind droben im Himmel! Ich will in den Himmel hinein, nicht um dem Herrn Gott etwas zu bringen, was von mir wäre, sondern ihm zu danken! -

Ja, das kannst du nun alles wohl so glauben, das steht so auf dem Bibelblatt, aber ob es auch wahr ist? Sieh mal, da liegst du nun krank und abgezehrt, wirst bald ausgekleidet und in den Sarg gelegt, nun ja, du bist mir ein nettes Königskind, siehst so mager aus! Es löst sich vielleicht alles auf im Tod? Vielleicht ist von allem nichts wahr, und du hast dir schön was eingebildet! - Wohlan, ist dies der Weg, durch das Grab hindurch, dann sei's der Weg! Wohlan, ist dies der Weg, durch allerlei Schmerz und Not, Leiden und Trübsal hindurch, so sei es der Weg! Ist dies der Weg, dass der Mensch ganz aller Gerechtigkeit und Heiligkeit, aller Lebenskraft und Macht bar und entäußert werde, so sei's der Weg!

Kinder, Kinder! ruft der Herr uns entgegen, also sieht das hohe Tor aus, gleichsam wie ein Nadelöhr, wo ihr keinen Seufzer hindurchbringt; und wenn es gegen das letzte Stündlein geht, ist es ebenfalls wie ein Nadelöhr, dass kein Schimmer von oben hindurchkommt; - aber Kinder, Kinder, dies ist das Tor! Dies Tor gehört dem Tod nicht mehr, es gehört dem Teufel nicht mehr, sondern dieses Tor, eben dieses enge Tor, das aussieht wie ein Nadelöhr, wo kein Seufzer hindurch kann, dieses Tor, es ist des Herrn Tor. „Tod, Sünd, Teufel, Leben und Gnad', Alles in Händen Er hat!“ Er ist's auch, der gesprochen: „Ich war tot und siehe, ich lebe, und habe die Schlüssel der Hölle und des Todes!“ (Offenb. 1,18.) Die Hölle und der Tod tragen die Schlüssel ihrer Festung nicht mehr, sondern Jesus hat sie in seiner Hand und Macht. Also Kinder, Kinder: dies ist das Tor des Herrn! wie wir auch beim Propheten hören: „Dies ist der Weg, denselben geht, sonst weder zur Rechten noch zur Linken!“ (Jes. 30,21.) Dies ist der Weg: durch Leiden, durch Schmerz, durch Trübsal, durch das Widerspiel hindurch, dass man jeden Tag der Sünde stirbt, und so ist dieses Tor eine Absterbung der Sünde und ein Eingang in's ewige Leben. Kinder, Kinder! ja, dies ist das Tor des Herrn! Es hat Tod und Teufel doch keine Macht mehr, sondern alle Macht ist des Herrn allein! Kein anderer Weg, kein anderer Weg, als Christo gleichgestaltet zu werden in Leiden und im Tod, auf dass wir auch ihm gleichgestaltet werden in der Auferstehung und Herrlichkeit, die er erworben hat. Wir werden, so wir mit ihm leiden, auch mit ihm verherrlicht werden. Es gibt keinen anderen Weg als durch dieses Tor, das so enge ist, dass nichts von Menschen übrig bleibt, so dass er kein Leben mehr hat in eigener Hand und keine Heiligkeit in sich findet, es ist alles versündigt; aber Gott der Herr in der Macht seiner Gnade, der macht es also, dass, je magerer, je schwächer, je finsterer es bei uns aussieht, um so mehr Stärke im Herrn da ist, um so mehr wahrhaftiger Friede, um so mehr Wahrheit im Innern, und dass wir eben also um so mehr Christo und seinem Bild gleichgestaltet werden.

Dies ist das Tor! Hier kommen die Hunde (Offenb. 22, 15) nicht durch, hier kommen die bösen Buben und Heuchler nicht durch, denn sie wollen nicht durch dieses Nadelöhr hindurch, sondern sie stehen mit einem Fuß auf der Erde, in der Welt, und mit dem anderen Fuße im Himmel; wenn aber die geringste Gefahr droht und wahrhaftiger Glaube da sein sollte, so ziehen sie - anscheinend gottesfürchtig - den Fuß heuchlerisch mit Gebet zurück.

Dies ist das Tor, die Gerechten werden da hineingehen, sie, die keine Heiligkeit und Gerechtigkeit in sich finden, und dennoch ohne Hochmut und Anmaßung mit gutem Gewissen es aussprechen, dass sie gerecht sind; denn sie wissen, dass ihre Gerechtigkeit droben verbrieft und besiegelt liegt. Daselbst ist ihr Hochzeitskleid, daselbst ihre Gerechtigkeit und Heiligkeit, daselbst ihre guten Werke; und wenn sie hineingegangen sind, so werden ihre Werke herunter regnen auf die Armen und Elenden als ein Segen, als Pech und Schwefel aber auf die Gottlosen und Heuchler.

Also spricht der Herr, und wir sagen es ihm nach: Ja, die Gerechten gehen da hindurch! alle, die der Herr hat auserwählt. Sie gehen mit ihm durch diesen Hohlweg, durch das Tal des Todes, durch dieses Grab hindurch, und auferstehn wirst du!

Amen.

Schlussgesang.

Psalm 89, Vers 1.

Ich sing in Ewigkeit von des Erbarmers Huld,
Er liebet treu sein Volk, vergibt und hat Geduld.
Mein Mund soll seine Treu und Wahrheit laut verkünden,
Dass auch die Enkel Gott, wie wir ihn fanden, finden.
Ja, deine Gnade steigt, sich ewig zu erhöhen,
Und deine Wahrheit bleibt' im Himmel feste stehen.

1)
Vergl. Sach. 3,2
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