Kind, Paul - Worte, wodurch man selig werden kann - Dritte Predigt. - Die unumgängliche Notwendigkeit einer wirklichen Uebergabe an Gott.

Kind, Paul - Worte, wodurch man selig werden kann - Dritte Predigt. - Die unumgängliche Notwendigkeit einer wirklichen Uebergabe an Gott.

Text: Luc. XV. 20, 21.
Und er machte sich auf und kam zu seinem Vater und sprach: Vater! ich habe gesündiget gegen den Himmel und vor dir, und bin hinfort nicht mehr werth, daß ich dein Sohn heiße.

Wer überwindet, der soll Alles ererben. Das war der Zuruf unsers großen Heilandes an die mit mancherlei Verfolgung und Elend kämpfenden Christen (Apoc. 21,7). Und noch heute sind sie der Schrecken der sorglosen Seelen und die Ermunterung aufgeweckter Herzen. Wer nicht kämpfet, trägt auch die Krone des ewigen Lebens nicht davon. Kommt euch das fremd vor? Ist das etwas Ungewöhnliches? Seht ihr nicht eben das bei allen irdischen Dingen? Wer genießt die Früchte des Feldes, wenn er es nicht anbaut? Wer ruhet von seiner Arbeit? Ist's nicht der, welcher gearbeitet hat? Wer trägt bei einer Schlacht die Beute davon? Der, welcher vor dem Feinde geflohen? Der, welcher beim ersten Angriff zurückweicht? Der, welcher endlich nachgibt, wenn er einige Zeit mit Muth widerstanden und einige Wunden davon getragen? Nein! der, der bekommt die Siegeszeichen, der da überwindet.

Niemand mache sich Rechnung auf die Erwerbung des Himmelreichs, als wer da geistlicher Weise überwindet.

Nur diese Sieger werden gekrönt werden. Wer allen Beschwerlichkeiten unerschrocken entgegen geht, wer da siegt über die betrügerischen Annehmlichkeiten der Welt, wer da überwindet Fleisch und Blut, der soll alles erben. Da sehe ich, daß mein Heiland Gott ist. Fragt die Helden, die unter Monarchen kriegen, die Leib und Leben für sie in Gefahr setzen, was sie von ihnen zum Lohn bekommen? Was ist es anders, als Staub, Asche, Rauch, Nichts? hat der Held sein Blut für sie aufgeopfert; sie sind viel zu ohnmächtig, ihn zu belohnen.

Nicht so mein Erlöser; er gibt den Ueberwindern Alles. Er schenkt ihnen seine vollgültige Gerechtigkeit, Er bringt ihnen Gottes Liebe und Freundschaft zuwege. Gott schenkt sich ihnen selbst. Ich komme wieder auf das: „wer überwindet soll alles ererben.“ Aber auch nur, wer überwindet. Seht ihr da nicht die Notwendigkeit eines wahren Ernstes, eines unausgesetzten Eifers, eines gewaltigen Eindringens ins Reich Gottes? Wir wollen euch dieselbige in gegenwärtiger Gott geheiligter Stunde weiter an's Herz legen.

Vom verlornen Sohn heißt es in unserm Texte: „Und er machte sich auf und kam zu seinem Vater und sprach: Vater! ich habe gesündiget gegen den Himmel und vor dir, und bin hinfort nicht mehr werth, daß ich dein Sohn heiße.“

Daraus werden wir betrachten: Die unumgängliche Nothwendigkeit einer wirklichen Uebergabe an Gott, und zwar:

  1. Worin sie bestehe?
  2. Die Nothwendigkeit.

Großer Erbarmer! wir bekennen zum Preise deines Namens, du hast viel an uns gethan. Du hast uns oft gerühret, durch dein Wort und Geist aufgefordert, daß wir uns dir übergeben, bei dir unsere Hülfe, unsere Errettung und ganze Seligkeit suchen sollen. Wir haben uns oft dazu entschlossen; gar manche unter uns haben es dir gelobet, dich zu suchen: Aber ach, Gott! es blieb bei Entschlüssen, bei Rührungen, bei Bewegungen, bei bloßen Wünschen. Man macht sich nicht recht auf. Sodoma ist noch vielen gar zu lieb, als daß sie es sogleich verlassen sollten. Treuer Gott! Ergreife uns mit deiner allmächtigen Hand. Ach, errette uns durch deine große Gnade! Lasse uns heute die guten Entschlüsse zu Stand kommen sehen! Ach gieb! daß wir uns nun wirklich aufmachen, und zu dir hinnahen, Amen.

I.

Wir können der Zukehr eines Sünders zu Gott nicht Erwähnung thun, ohne zuerst an sein Scheiden zu gedenken. Wenn es nun der Seele einmal recht darum zu thun ist, zu ihrem Gott und Heiland hinzuzunahen, so nimmt sie Abschied von der Welt, Abschied vom Satan und ihren Lüsten. -

Sie nimmt Abschied von der Welt.

Glaubet nicht, liebe Freunde! daß wir euch hier rathen die Gesellschaft, den Umgang, Handel und Wandel mit den Menschen zu verlassen, eure Berufsarbeit aufzugeben, euch in Höhlen, in Klüfte der Berge zu verkriechen. Das wahre Christenthum weiß von solchen Mitteln der Heiligkeit nichts. Der umkehrende Sünder nimmt von der Welt Abschied, und bleibt doch in der Welt. Er ist in der Welt, und doch nicht von der Welt. Behalte dir, sagt er, dein fleischliches irdisches Herz, ich will mir von meinem treuen Helfer ein neues geben lassen. Richte meinetwegen dein Augenmerk auf den großen Haufen, und wandle, wie er; mich sollst du nicht mehr einflechten und dadurch blenden. Von nun an will ich suchen, unter den Wenigen erfunden zu werden, die den schmalen Weg wandeln, und auf den Herzog ihrer Seligkeit allein sehen. Trachte meinetwegen nach Gütern und Reichthümern, nach Ehre und Würden, nach guten Tagen. Ich will dich nicht beneiden. Ich will Gott suchen. Welt zanke dich ums Mein und Dein. Mein Freund ist mein und ich bin sein. Gute Nacht, o Welt! mit dir halte ich's nicht mehr. Ich müßte entweder, wie ein dummes Vieh, in den Tag hinein leben; oder ich könnte bei dir kein Vergnügen schmecken. Ach was hat man am Ende von dem Leben der Welt? Angst! Unruhe! Schrecken! Gewissensbisse! Qualen! eine ewige Verdammniß! Gute Nacht, o Welt! Ich kehre mich nun weder an dein Lob, noch an deinen Tadel etwas mehr. Deine Freundschaft ist Gottes Feindschaft. Es mit dir halten, heißt die Ehe brechen (Jac. 4, 4): Ich wende mich nun hin zu meinem Erlöser. Ich vergesse, was dahinten ist, und strebe nach dem, das vor mir ist, nach dem Kleinod, welches vorhält die himmlische Berufung Gottes in Christo.

Sie nimmt Abschied vom Satan.

Der Mensch ist durch die Sünde unter des Teufels Herrschaft gefallen, er muß ihm gehorchen. O Schande für die Menschheit! er muß ihm gehorchen nach seinem Willen. Doch nur so lange, als es dem Menschen wohl ist außer Gott. So bald der Sünder los seyn will, muß ihn der Satan los lassen. Das hat Jesus durch sein Blut ausgewirket. Das stellt sich die Seele vor, und kündiget dem Teufel den Dienst auf. Sie wirft sein Schandenjoch von sich.

O sage ihm ab, diesem Tyrannen, o Seele! Er hat dir Zeit Lebens weder etwas Gutes gethan, noch etwas Gutes gegönnt. Er hat dir keinen Bissen Brods gereicht. Ich will nicht sagen: Er hat dich nicht versorget, er hat dich nicht erhalten, er hat nicht sein Leben für dich gegeben. Nein! er hat dir auch keinen Trunk Wassers verschafft. Aber er ist der Löwe, der dich verschlingt; der Feind, der dein ewiges Verderben sucht; der Schadenfroh, der sich über dein Unglück freuet. Ach zittere, und fliehe vor ihm.

Sie gibt Abschied ihren Lüsten und Begierden.

Diese gibt der Mensch am letzten auf. Für diese legt noch so mancher Sünder Fürbitte ein. Gern wollte er sie und Gott zusammen fügen, und beiden gehorchen. Aber der umkehrende Sünder verabscheuet sowohl sie, als den Satan und die Welt. Er weiß wohl, was die Albernen gelüstet, das tödet sie, darum sucht er ihrer auch los zu werden. Er sucht sie in der Kraft Jesu, und sagt also ab allem, was er hat, um sein Jünger zu werden. Er macht sich auf, und kommt zum Vater.

Was ist denn das Kommen zu Gott? Es ist das Hinfliehen eines mit unzählbaren Sünden beladenen Menschen zu seinem Heiland. Es ist das Hingehen eines Kranken, eines tödlich Verwundeten, zu seinem Arzt, das Umkehren eines verlornen Schafes zu seinem Hirten. Es ist das Hinlaufen eines mit dem Fluch des Gesetzes beschwerten Herzens zu dem, der da war ein Fluch für uns.

Wollt ihr es deutlicher haben? Um zu Gott zu kommen, braucht man weder in die Höhe noch in die Tiefe zu fahren. Man geht in sein Kämmerlein. Man wirft sich vor dem Angesicht Gottes auf seine Kniee hin. Da eröffnet man Ihm mit der Freimüthigkeit, wie ein Kranker mit dem Arzte redet, man eröffnet Ihm sein ganzes böses Herz, öfters unter vielen Thränen, allemal aber mit Scham und Wehmuth. Man verschweigt nichts, und bricht in die Worte aus: Von den Fußsohlen an, bis zum Scheitel ist nichts Gesundes an mir (Jes. 1). Man seufzet mit David: meine Sünden gehen über mein Haupt (Ps. 38). Man klagt mit Manasse: meiner Sünden sind mehr, denn Sand am Meere. Man ist unwillig über sich selbst. Man sieht den Gräuel der Sünden und ist selbst ein Gräuel vor den allerheiligsten Augen Gottes. Welche Wehmuth überfällt da den Sünder, wenn sein innerer Richter auftritt und ihm unter die Augen sagt: Deinen Schöpfer hast du bis jetzt gelästert, deinen hohen Wohlthäter beleidigt, deinen um dich blutenden und sterbenden Heiland gehöhnet und den Geist der Gnade von dir gestoßen. „Ich habe die ewige Liebe erzürnet!“ Dieser Gedanke wird nun der unerträglichste, er ist ein zweischneidendes Schwerdt, das durch das Herz dringt. „Ich habe mich der Verdammniß würdig gemacht!“ Dieser Gedanke setzt die Seele in Schrecken: aber der andere: „ich habe die ewige Liebe erzürnt“, der beschämt sie und schreckt sie zugleich; der setzt sie in Traurigkeit und Wehmuth; sie fühlt die Schande der Undankbarkeit.

Nach diesem Geständniß seines Elendes bittet man um Gnade. Man eilt mit einem schmachtenden Herzen zur Quelle des Heils. Man fängt im Glauben Jesu Versöhnungsblut auf. Man ergreift seinen Herrn Jesum als das einzige Mittel unserer Erlösung; man hält sich an Ihn, wie Er uns von Gott gemacht ist zur Weisheit, zur Gerechtigkeit, zur Heiligung und zur Erlösung, und zweifelt nicht, daß einem durch Ihn geholfen sei und ferner geholfen werde. Der bringt sie dann dem Vater hin in seinen blutbeflossnen Armen, das neiget dann den Vatersinn zu lauter ewigem Erbarmen.

Aber wenn das geschehen, darf sich dann der Sünder wieder in dem Koth wälzen, wovon er rein gewaschen ist? Nein, meine Freunde Nein! Wer Jesum recht angenommen hat, der wandelt in Ihm. Wer in Jesum recht eingepfropfet worden, der sucht nun beständig in Ihm erfunden zu werden. Man wälzet nicht nur seine Sünden auf den Herrn, sondern man ergibt sich nun ihm auch als Eigenthum. Da opfert sich das Kind seinem Vater auf, da ergibt sich der Erlöste seinem Erlöser. Hat man von seinem Gott und Heiland alles erlangt, was er ist und hat, so hält man es nun für die größte Ungerechtigkeit, ihm etwas entziehen zu wollen. Man gibt sich Ihm ganz dahin. Da übergibt man Ihm seine Seele, da heiliget man Ihm seinen Leib, da widmet man Ihm alle Kräfte derselben. Die Seele wird ein Tempel, wo die Gottheit wohnet (II. Cor. 6, 16). Die Vernunft wird gefangen genommen unter den Gehorsam Christi. Der Wille sucht sich zu richten nach dem Willen Gottes. Die Zunge bekommt den Befehl, nichts Unnützes zu reden (I. Petr. 3, 10). Die Hände opfern sich auf und geben Almosen. Die Augen merken auf den Mund des Herrn und die Ohren auf seine Worte. Kurz man stellt seine Glieder dar zu Waffen der Gerechtigkeit, man preiset Gott an seinem Leib und an seinem Geist, als welche beide Gottes sind, und das nicht etwa heut oder morgen. Der Christ weiß, daß ein Zeitglaube weniger als nichts helfe. Er weiß und erschrickt davor, daß die nicht tüchtig seien zum Reiche Gottes, die ihre Hand an den Pflug legen und wiederum umsehen. Er weiß, daß er weder in Zeit noch Ewigkeit, außer Gottes Gemeinschaft, könne selig werden; darum schwört er seinem König eine ewige Treue und ruft mit einem Paulo triumphirend aus: Wer will uns scheiden von der Liebe Gottes? Trübsal? oder Angst? oder Verfolgung? oder Hunger? oder Durst? Ich bin gewiß, daß weder Tod noch Leben, weder Engel noch Fürstenthum, noch Gewalt, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, weder Hohes noch Tiefes, noch keine andere Kreatur mag uns scheiden von der Liebe Gottes, die in Christo Jesu ist. Nichts kann mir Gottes Liebe rauben; denn er ist unveränderlich. Nichts soll meine Liebe gegen ihn auslöschen; denn wir werden erhalten durch seine Macht zur Seligkeit.

Da habt ihr nun die Beschaffenheit der Zukehr zu Gott durch den Glauben. Höret nun, warum sie nothwendig sei.

II.

Aber warum führe ich diesen Punkt an? Weiß das nicht ein jeder selbst? Oder solltet ihr es wenigstens nicht alle wissen? Sollen Leute, die in der Christenheit geboren und erzogen worden, noch nöthig haben, daß man ihnen zeige: der Mensch müsse wiedergeboren werden; daß man ihnen darthue: es sei nothwendig, daß eine unsterbliche Seele suche selig zu werden; nothwendig, daß Sünder Gnade suchen; daß sich das Geschöpf zu seinem Schöpfer und Erlöser hinwende? Wer der Schrift nicht glaubt, die diese Notwendigkeit aller Orten einschärft, wird denn der mir glauben? Gott kann dem Abraham aus Steinen Kinder erwecken. Vielleicht segnet Er sein Wort an einem und dem andern Herzen. Im Vertrauen auf seine Gnade wollen wir euch denn zeigen, warum die wirkliche Uebergabe an Gott nothwendig sei. Ach höre es, o Seele! mit dem Ernst und der Aufrichtigkeit an, wie man Dinge anhören muß, wovon unser ewiges Wohl oder Weh abhängt. Es ist nothwendig, daß du dich aufmachest, Gottes Gnade zu suchen, noch, wendig, daß du verändert, erneuert und wiedergeboren werdest. Es ist nothwendig, weil es Gott befohlen hat; weil sonst dein ganzer Gottesdienst verwerflich ist; nothwendig, weil sonst die Bearbeitungen des heiligen Geistes nichts nützen.

Es ist nothwendig, wegen des Befehles Gottes. Wo ist ein Buch in der heiligen Schrift, das nicht zur Bekehrung ermahnt? Wo ist ein einziges Kapitel, ich möchte fast sagen, ein einzelner Vers, der nicht auf eine nähere oder entferntere Art daraufdringe? Gesetz, Propheten, Psalmen, Evangelien; die Briefe der Apostel, sind sie nicht davon voll?

Wenn Gott sich darstellt als den Richter der Gottlosen; als den, der im Anzug ist zu verderben; vor dessen Heere Donner daher gehen; vor dem das Land erzittert; vor dem die Himmel beben; vor dessen Glanz Sonne und Mond finster werden und die Sterne ihren Schein verhalten. Wenn Er sich in einem schrecklichen Tag sehen läßt, den niemand leiden kann. Was für einen Weg läßt er uns offen, seinen Schrecken zu entgehen? Ist's nicht der: Bekehret euch zu mir von ganzem Herzen! Wenn die ewige Liebe ihre Herolde ausschickt, den Frieden zu verkündigen und das Heil zu predigen; was zeigt sich uns alsdann für ein Weg, zum Genuß dieser Güter zu gelangen? Ist's nicht wieder der: So thut nun Buße und bekehret euch (Act. 3, 19). Warum breitet der himmlische Vater seine Hände den ganzen Tag gegen uns aus? und warum seufzet der gnädige Jesus mit Thränen auf seinen Wangen? Ist's nicht beides darum, daß wir Ihn suchen und finden möchten? Gott ermahnt uns überall zur Buße, und Er kann nichts Unnöthiges befehlen.

Wie notwendig muß denn nicht die Buße vor Gott sein Sie ist nothwendig, weil sonst der ganze Gottesdienst verwerflich ist. O armer Sünder! willst du dich nicht aufmachen, deinen Gott und Heiland zu suchen, so thue, was du immer willst; nimm vor, was du immer willst; thue so viel Gutes, als du willst: alles ist verwerflich, alles nur ein Gräuel vor Gott. Wenn du dich mit Lauge wüschest und nähmest Seife dazu, so würdest du dadurch deine Untugend nicht nur nicht bedecken; nein! sie würde nur noch mehr hervorleuchten (Jer. 2,22).

Ich sage es noch einmal: dein ganzer Gottesdienst ist, eitel. Nennst du dich dann nach dem Namen des Herrn; nennst du ihn deinen lieben Vater, den Meister deiner Jugend; so sagt er dir dennoch: du Volk von Gomorra (Jes. 1, 10); er sagt dir dennoch: du hast eine Hurenstirn, und willst dich nicht schämen (Jer. 3, 3). Gehest du dann in die Kirche, so ruft er dir aus Jes. I, 12 entgegen: Wenn ihr herein kommt zu erscheinen vor mir; wer fordert das von euern Händen, daß ihr auf meinen Vorhof tretet? Feierst du die Festtage Und meinest dadurch dem Mangel einer wahren Bekehrung abzuhelfen, so ist des Herrn Wort an dich: meine Seele ist feind euern Neumonden und Jahreszeiten; ich bin derselben überdrüssig; ich bin's müde zu leiden (Jes. 1, 14). Meinest du dann, du werdest dich wenigstens durch öfteres Gebet dem Herrn beliebt und angenehm machen; so mußt du wiederum aus dem Mund Gottes hören: Wenn ihr schon viel betet, höre ich euch doch nicht, denn eure Hände sind voll Blut (Jes. 1,15). Du singst, und tröstest dich, damit dem Herrn zu gefallen; aber umsonst; es heißt zu dir: Thue nur weg das Geplärr deiner Lieder; ich mag dein Psalterspiel nicht hören (Amos 5, 23). O wem leuchtet hier nicht die Nothwendigkeit einer wahren Bekehrung ein? Ohne sie ist das Gute bös, und die Ausübung der schönsten, der seligsten Pflichten eine Beleidigung. Es ist alles lauter Heuchelei.

Es ist nothwendig, daß man sich rechtschaffen zu Gott bekehre; weil sonst alle Bearbeitung des heiligen Geistes nichts nützet.

Ich lasse es gelten, o Seele! du bist beim Vortrag der göttlichen Wahrheiten aufs Empfindlichste gerührt worden; du hast das süße Wort Gottes geschmecket; du hast Zeichen deiner innern Rührung von dir gegeben; du hast Thränen vergossen; du hast die Stimme Jesu gehört: Wache auf, der du schläfst! Sein Anklopfen hat dein Herz erschüttert; du lobest die Frommen, du liebest sie. Es sind alles Dinge, die sich auch bei rechtschaffenen Seelen finden. Aber bist du dadurch nicht wirklich zu Gott gezogen, und völlig bekehrt worden, so hast du noch keinen Vortheil davon. Rühme von dir, was du immer willst; bekehrst du dich nicht zu Gott, so setzen wir dir immer entgegen: Es sei denn, daß jemand von Neuem geboren werde, kann er das Reich Gottes nicht sehen (Joh. 3,3). Kommt dir dann noch etwa ein gutes Werk in Sinn, das du gethan hast; wir müssen wiederum sagen: Es sei denn, daß jemand geboren werde aus Wasser und Geist, kann er nicht in das Reich Gottes kommen; und wiederum, o erstaunliche Wichtigkeit! zum drittenmal behauptet es Jesus gegen alle Einwendung von Fleisch und Blut: Ihr müßt von neuem geboren werden (Joh. 3, 3). Es sei denn, daß ihr umkehret, und werdet wie die Kinder, so werdet ihr nicht in's Himmelreich kommen. Kann nun noch der geringste Zweifel übrig bleiben, daß es nothwendig sei, sich zu bekehren?

Welch ein Unterschied, liebe Zuhörer, zwischen euch, und denjenigen Seelen, die zu Gott nahen! Ach wie bange wird mir, wenn ich euch nach diesem Merkmal untersuchen soll! Muß man sich nicht entsetzen, erschrecken, und sehr beben? Sollte man nicht mit Jeremia wünschen: Ach daß ich Wasser genug hätte in meinem Haupt, und meine Augen Thränenquellen wären, daß ich Tag und Nacht beweinen konnte die Erschlagenen in meinem Volk, die, so unter den Geistlichtodten liegen!

Oder wie? Sieht es so übel nicht aus? Wollt ihr euch rechtfertigen? Wohlan! Sagt mir: Nein! Sagt's dem allwissenden Gott, vor dessen Angesicht ihr hier zugegen seyd: Suchet ihr denn Ihn von ganzem Herzen und von ganzer Seele? Ihr! die Gott über uns gesetzt hat! Ist das euer Charakter? Ist das das Zeichen, das schimmernde Merkmal, das an euern Stirnen funkelt, das sich in eurem ganzen Wandel zeiget? Seid ihr Männer, die den Herrn ihren Gott suchen? Ihr Untergebene! Seid ihr es denn? Seid ihr alle so gesinnt, daß ihr die Wege des Verderbens verlasset, und weinend und betend euern Heiland suchet? Ihr Hausväter! Ihr Hausmütter! Ihr Söhne! Ihr Töchter! Redet vor dem Angesicht Gottes! Habt ihr euch je recht um euer Heil, um eure Seligkeit bekümmert? Seid ihr auf dem Weg von der Welt zu Gott? seid ihr zu Ihm genahet? redet, was euer Gewissen sagt? Nein! Ihr weicht! Ihr Elenden! Ihr weicht von Gott! Er ruft euch mit seiner Gnadenstimme; aber ihr fliehet vor Ihm. Ihr weicht von Gott! Sieht man es nicht an euern Handlungen? an der Lieblosigkeit, womit eins den andern begegnet? an der Bevortheilung des Nebenmenschen? an der Feindschaft? an dem Hader und Gezanke, so unter Blutsfreunden herrscht? Ihr weicht von Gott! Eure Herzen werden je länger je unempfindlicher gegen das göttliche Wort; je länger, je härter, je mehr sie sich der Bekehrung entziehen. O Schiers1)! Schiers! Geh in dein Herz! Ueberlege, was das zu sagen hat, was du Ps. 7, 12. 13 liesest: Gott ist ein rechter Richter und ein Gott, der täglich drohet; aber der es gewiß beim Drohen nicht wird bewenden lassen. Will man sich nicht bekehren, so hat er sein Schwert gewetzt, und seinen Bogen gespannt, und zielet, und hat darauf gelegt tödtliche Geschosse; seine Pfeile hat er zugerichtet zu verderben.

Entschließt sich gleich hie und da einer anders zu werden, sich aufzumachen und zum Vater zu gehen: ach des großen Jammers! er bleibt doch immer wie er vorher war: der alte Säufer, der alte Flucher, der alte Schläger, der alte Geizhals, der alte Verächter Gottes und seines heiligen Wortes, der alte Feind eines rechtschaffenen Wesens in Christo. Oder hat es sich etwa geändert seit dem letzten Sonntag? Hat man es gemacht wie der verlorne Sohn? Ist man zum Vater gekommen?

O dann, o selige Gemeinde! Die Engel müssen sich über dich freuen; jeder redliche Knecht Gottes würde Thränen der Dankbarkeit für dich weinen. Friede und Gerechtigkeit würden einander küssen. Ach! eilet wenigstens, dazu zu gelangen. Eilet, euch ein zerschlagenes und gedemüthigtes Herz schenken zu lassen. Eilet, den Rath Gottes von eurer Seligkeit anzunehmen! Noch wollt ihr nichts. Soll wiederum ein Sonntag vorbeigehen, wo Gott vergebens um euer Herz wirbt? Ist das Sündenregister nicht groß genug? Seid ihr nicht lange genug unselig gewesen? Ihr wollt die Bürde der Sünden noch länger tragen? Muß der erbarmende Heiland länger verachtet werden? Ach Sünder! Nein! mach dich auf, gehe hin zu Ihm und sprich: Ich habe gesündiget gegen den Himmel und vor dir, und bin nicht mehr werth, daß ich dein Kind heiße.

Erschrockenes Herz! was zagst du? Deine Sünden ängstigen dich? Deine Missethaten liegen auf dir? Sie machen dir schwer? Es ist Rath für. dich! Du Haft einen gnädigen Heiland, einen barmherzigen Vater, der schon lange auf dich gewartet hat, der sich eine Freude daraus macht, dir HU helfen, und deine Schande von dir zu nehmen. Ach gehe nur eilend hin, Ihn zu umfangen. Fürchtest du dich noch? Er ist ja der Vater! sollte Er sein armes Kind verstoßen, wenn es nun zu Ihm kommt?

Ihr, die ihr euern Heiland im Glauben ergriffen, und von dem himmlischen Vater gerecht gesprochen seid! ach denket unablässig daran, daß alles, war ihr besitzet, ein Geschenk der Gnade sey; denket daran, wie dem Herrn allein die Ehre gebühre, euch aber nichts, als Schmach und Schande. Erinnert euch öfters an das Elend, darinnen ihr gelegen; und habet Mitleid mit denen, die noch darinnen liegen.

O daß ihr gegen alle Versuchungen wohl auf eurer Hut seyn möchtet! O daß weder Satan noch Welt, weder Fleisch noch Blut, eure Sinne ableiten von der Lauterkeit in Christo! O daß ihr täglich euern Bund mit Gott erneuern möchtet! Daß es doch bei einem jeden Vergehen immer heißen möchte: Ich will mich aufmachen, zum Vater gehen, und zu Ihm sagen: ich habe gesündiget gegen den Himmel und vor dir. Daß ihr eure Kleider täglich im Blut des Lammes waschen und reinigen möchtet! Dieß vorausgesetzt, kann ich nun wohl sagen: Ruhet ohne Sorgen in den Armen eures mildreichen Vaters, und singt: Ich schlafe ganz mit Frieden, wir bleiben fort, so hier als dort, vereint und ungeschieden.

Fürchtet euch nicht; denn der Herr, der euch erschaffen und erlöset hat, ist bei euch; Er hat euch bei euerm Namen gerufen, ihr seid Sein (Jes. 43, !).

Dem aber, der uns selig gemacht und berufen hat mit einem heiligen Ruf, nicht nach unsern Werken, sondern nach seinem Vorsatz und nach seiner Gnade, die uns gegeben ist in Christo Jesu, vor der Zeit der Welt, sei Ehre von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen.

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Der Ort, in dem Kind u.a. wirkte
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