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Keller, Samuel - Römerbrief

Keller, Samuel - Römerbrief

Römer 1

“Gott hat sie dahingegeben in eine Vernunft, welche die Probe nicht aushält.“
Röm. 1, 28

Wenn die Probe kommt, ob die Vernunft allein - ohne den Geist Gottes - ihre Aufgabe erfüllen soll, ganz säuberlich und ohne Vorurteil zu unterscheiden, was wahr oder unwahr ist, hat sie die natürlichen Menschen noch immer im Stich gelassen. Göttliche Dinge kann sie erst recht nicht von sich aus durch angestrengtes Denken finden, richtig erkennen und beurteilen. Ohne das Gewissen des Menschen wäre er der kritiklosen Vernunft ganz rettungslos ausgeliefert. Vernunft ohne Gewissen macht pfiffige Schurken. Im Gewissen aber ist die Handhabe, die Wohnung, das Werkzeug des Geistes des Menschen. Wenn dieses geistige Gewissen nun Eindrücke vom Geist Gottes erhält, kommt die Entscheidung, ob es sich diesem Zeugnis ausliefern will. Dann erst bekommt Gottes Geist die Möglichkeit, von hier aus den ganzen Menschen zu regieren. Dann gibt es aber für viele soziale Fragen ein Umdenken, was die Schrift Sinnesänderung nennt und was Luther mit Buße übersetzt. Nachher kann die Vernunft wieder als eine gereinigte Magd zu Ehren kommen, und dann kann auch ihr Denken, wie ein Philosoph mal im Scherz gesagt hat, ein Gottesdienst werden.

Reinige, Herr Jesu, meinen Sinn, mein Denken und Trachten; alle meine geistigen Gaben und Kräfte sollen dir offen stehen, damit du mich ganz brauchen könntest zu deinem Dienst. Es soll in mir nichts bleiben, was sich deiner Wirkung entzieht! Amen.

Römer 6

“Nun habt ihr eure Frucht, dass ihr heilig werdet.“
Röm. 6, 22

Unser Charakter, unser inneres Werden, gilt vor dem Herrn viel mehr als unser Tun und Arbeiten. Ist das Innere erst zu einer bestimmten Höhe und Reife gekommen, dann wird das Tun als reife Frucht von selbst kommen. In unserem Text ist sogar das Heiligwerden als Frucht hingestellt. Frucht ist die Folge einer gesunden natürlichen Entwicklung des guten Samens, wenn keine besonderen Hemmungen und Hindernisse diese Entwicklung stören. Hat Jesus sein gutes Werk in uns begonnen, so zielt solches Werk aufs Fruchttragen - auf die Heiligung jetzt und die Heiligkeit in jenem Leben. Die erfahrene Vergebung der Sünden zielt auf das völlige Geschiedenwerden von der Sünde hin; der erfahrene Frieden auf den vollen Frieden der Seligkeit; die erfahrene Freude auf die Vollkommenheit der Freude. Wollen wir mit uns selbst Geduld haben und den jungen Baum nicht verdammen, wenn seine Früchte noch nicht so groß und so süß sind, wie sie sein werden, wenn die Sonne der Ewigkeit sie reift. Ihre Art erkennt man doch. Beim Ungläubigen wird die Frucht seines Lebens böser und bitterer mit den Jahren; bei uns umgekehrt.

Herr Jesu, du verlangst jetzt nicht mehr als möglich ist im Schattenlande des Stückwerks, und doch soll man deine Veredlungsarbeit aus unseren Früchten erkennen. Da bitten wir dich, hilf uns, segne unser Wachsen und Werden um deinetwillen. Amen.

Römer 8

“So ist nun nichts Verdammliches an denen, die in Christo Jesu sind.“
Röm. 8, 1

Nichts Verdammliches? Widerspricht dem nicht mein Gewissen und die tägliche Erfahrung? Waren nicht heute am Tage noch gewisse Gedankengänge und Empfindungen in meiner Seele verdammlich? Da ist es schon eine Erleichterung, dass der Grundtext eigentlich sagt: „So ist nun keine Verdammnis an denen“ Verdammnis als Endurteil Gottes über einen Menschen, der in Christo Jesu ist, kann es wohl nicht geben. Denn in Christo Jesu sein, das wird doch wohl heißen, auf seiner Seite stehen, ihm kindlich trauen, auf seine Hilfe hoffen. Sind wir so sein Eigentum, dann ist die Verdammnis abgewendet, von ihm für uns getragen und trifft uns nicht mehr. Dessen muss ich mich heute Abend trösten: an mir und in mir ist mancherlei Unruhe und mancherlei Schwäche, aber seine Gnade hat keine Lücke. Die deckt all meine eigene Erbärmlichkeit ganz zu, so dass ich mich nicht auf meine Bravheit verlasse, sondern auf sein Erbarmen. Es ist dabei nebensächlich, ob ich schöne Gefühle, große Freudigkeit und süße Andacht empfinde, es kommt bloß auf meines Glaubens Richtung an: sucht meine Seele ihn, dann deckt er Schuld und Übertretung, und das nicht nur heute, sondern er wird den ganzen Prozess meines Lebens zum seligen Ende hinausführen.

O Herr Jesu, lies eben in meiner armen, bedrückten Seelenverfassung die Sehnsucht nach dir und deiner Gnade. Deck mich mit deiner Versöhnung und tröste mich mit deiner Liebe! Amen.

“Wer aber Christi Geist nicht hat, der ist nicht sein.“
Röm. 8, 9

Das ganze Christentum vieler sogenannter Christen besteht nur darin, dass sie Vorkehrungsmaßregeln treffen, um nicht in die Hölle zu kommen. Es kann einem gruselig werden in ihrer Nähe. Ob es nicht daher kommt, dass sie schon so etwas wie Hölle spüren, während sie die Sandsäcke schleppen zum Dammbau gegen die künftigen Fluten des Verderbens? Dicht neben ihrer angstvollen Strandarbeit schaukelt des Glaubens Schiff auf den Wellen. Bin ich darauf, dann wird jene Hochflut nicht schaden können. Das Schiff ist für solche Wellen eingerichtet. Der jetzt eben mir schon Vergebung, Friede und Freude durch seinen Geist gewährt, hat mehr und Schöneres mit mir vor, als mich bloß mit knapper Not an einem ewigen Tode vorbeischlüpfen zu lassen. Solches Angstchristentum ist gewiss nicht nach seinem Herzen. Der Geist Christi ist etwas anderes als solche geschraubte Angst. Aus Liebe zu Jesu ihm folgen; an ihm hängen und ihn meinen und suchen und wollen - das ist eher von seinem Geist gewirkt als Höllenangst. Furcht ist nicht in der Liebe; Furcht hat Pein. Denn ihr habt nicht einen knechtischen Geist empfangen, dass ihr euch abermals fürchten müsstet.

Nein, Herr Jesus, wir haben durch deinen Geist die große Gewissheit erhalten, dass uns nichts von dir scheiden soll. Lass aus solcher Freude starke Triebe der dankbaren Liebe wachsen, dass unser Leben voll wird von deinem Lobe! Amen.

“Wir sehnen uns auch bei uns selbst nach der Kindschaft und warten auf unseres Leibes Erlösung.“
Röm. 8, 23

Im Glauben sind wir Gottes Kinder - aber Kinder, die in der Fremde sich nach Hause sehnen. Eine Glaubenssache kann ganz fest und gewiss sein, und doch kann man ein Seufzen nicht unterdrücken, dass sie jetzt bloß Glauben und noch nicht handgreifliche Wirklichkeit geworden sei. Es wird doch etwas anderes sein, wenn wir leibhaftig erlöst und neu geworden, in des Vaters Hause sein werden, wo die vielen Wohnungen sind! Auch unser armseliger, hinfälliger Leib mahnt uns oft genug: Wann kommt denn für mich die volle Erlösung? Wann sind alle Schmerzen und Schwächen endgültig abgetan? Wann tritt meine Freiheit und Schönheit strahlend hervor? - Daher ist die Sehnsucht nach dem neuen Zustand, nach der Neuordnung aller Dinge berechtigt und verständlich. Aber sie darf nicht bloß in einem wehmütigen Gefühl bestehen, sondern soll uns jetzt treiben nach der einen Seite, an dem Kommen des Reiches Gottes zu arbeiten. Denn es gibt keinen Frühling für einen allein, sondern nur für alle. Je tiefere Sehnsucht, desto stärkere Liebe zum Herrn und zu den Brüdern in aller Welt.

Herr, solches Sehnen hast du uns in die Brust gepflanzt. Dann soll es auch von dir kommen, dass wir stärker die Flügel unserer Sehnsucht regen und dir die Wege bereiten zu uns und zu allen Menschen. Dazu hilf uns, Herr Jesu! Amen.

Römer 10

“Mit dem Herzen wird geglaubt zur Gerechtigkeit, mit dem Munde bekannt zur Errettung.“ (Wörtlich)
Röm. 10, 10

Schöner, voller, vertrauter klingt's in der Lutherischen Übersetzung: „Denn so man von Herzen glaubt, so wird man gerecht, und so man mit dem Munde bekennet, so wird man selig.“ Ist denn überhaupt ein Gegensatz zwischen „mit dem Herzen glauben“ und „mit dem Munde bekennen“? Ja, es kann ein stufenmäßiger Fortschritt, ein Weiterkommen damit angedeutet sein. Der Herzensglaube schafft innerlich im Menschen die Rechtfertigung; das darauffolgende Bekenntnis schließt erst die Heilserfahrung ab. Daher mag es kommen, dass wir nach einem Bekenntnis Jesu unter erschwerenden Umständen ein so gehobenes Gefühl, eine Beseligung erfahren, als wäre jetzt erst alles in Ordnung. Es muss nun noch hinzugenommen werden, was damals das Bekennen Jesu meistens einbrachte: Trübsal, Verfolgung und Verachtung. Bei uns ist's oft nur das letzte Stück, und wie scheuen wir jenes verächtliche Zurückziehen, jenes „Geschnittenwerden“ oder Totschweigen. Dann muss noch hinzugerechnet werden, dass manche Naturanlage schnell fertig ist mit dem Bekenntnis; da ist die Tugend kleiner. Andere ringen sich ordentlich mit äußerster Selbstüberwindung das Aussprechen ihres Seelengeheimnisses ab, dann bedeutet und wirkt solches Bekenntnis mehr.

Herr Jesu, vergib mir, dass ich heute am Tage eine gute Gelegenheit, dich zu bekennen, so ängstlich gemieden habe. Innerlich wog das wie eine Verleugnung! Und doch liebe und suche ich dich! Amen.

Römer 12

“Stellet euch nicht dieser Welt gleich“
Röm. 12, 2

Diese Welt! Wie hatte Paulus sie kennengelernt, als die Macht der Mode, als den Glanz des Diesseits, als die Lust des Augenblicks, aber vor allem in dem heißen Hass gegen Christum und seine Apostel und die Predigt vom Kreuz! Wie konnte es da überhaupt eine Möglichkeit für wirkliche Christen geben, diese Weltart anzunehmen? Die Gefahr bestand darin, dass die Welt gleichsam eine Schablone für den Einzelfall erfunden hatte und versprach, die Christen in Ruhe zu lassen, wenn sie sich mit dieser Schablone zeichnen ließen. Gebot nicht die Klugheit, dieses äußere Schema anzunehmen? Nein, die äußere Zustimmung zu der Weltschablone ist schon Abfall. Viele Christen behalten leider, um mit der Welt Frieden zu halten, der Welt Form bei und tun so, als wäre wirklich Religion „Privatsache“. Feigheit schafft Gefügigkeit gegen die Weltschablone, und daraus entsteht ein falsches Christentum, das sich nach der Mode richten muss, bis es seine Gotteskraft ganz verliert und vom Herrn verworfen und von der Welt verachtet wird. Darum, mein Herz, sei auf der Hut, dass du deine Selbständigkeit dieser Welt gegenüber und deine Gebundenheit an Jesum nicht preisgibst! Lieber Hass und Feindschaft, als Schablone dieser Welt!

Herr Jesu, ich spüre die Gefahr; ich erkenne meine schmiegsame, schwache Art. Bewahre du mich, dass ich im Zusammenhang mit dir bleibe, dass mich weder die gottlose noch die christliche Weltart gefangen nehme. Du bist mein Muster und mein Meister und meine Hilfe. Amen.

“dass niemand hinaustrachte über das, was er beanspruchen darf“
Röm. 12, 3

Ach ja, das Hinaustrachten über die Grenze. Wie viel Herzeleid und Unrecht hat das schon eingebracht! Der eine will geistig mehr scheinen, als er ist, unternimmt und verspricht zuviel, und dann langt es nirgends, seine Blöße zu decken. Verzweifelte Anstrengung, die doch nicht zum Ziele führt, verstimmt ihn, und jetzt wird er ungerecht gegen die andern, die Erfolg und Ehre erreichten. Auf dem Boden der inneren gläubigen Erfahrung geht es ganz ähnlich. Man trachtete hinaus über das Maß, das der Herr in unserer Begabung, unserer Stellung oder Lebensführung uns mit Glauben gefüllt hatte. Nach glänzenden Beispielen besonderer Glaubenshelden wollte man auch wachsen, wachsen! Das gibt eine Aufgeblasenheit, eine Anstrengung, frömmer, größer zu scheinen als man ist, wo man sich der Unwahrheit gar nicht bewusst ist, weil man ja innerlich sich nach solchem Wachstum sehnt, vielleicht sogar ungeduldig darum betet. Was ist es dagegen für eine schöne, stille, starke Sache, wenn einer seine Grenze erkannt hat und lieber im engen Kreis etwas Ganzes und Kerniges werden will, als nach hohler Größe trachten.

Herr Jesus, du Meister meines Lebens, zeige mir doch allezeit meine Grenzen. Behüte mich, nach irgendeiner Seite über das hinauszutrachten, was du für mich vorhergesehen, als du mich geschaffen hast. Das Trachten macht krank. Mache du mich gesund, Herr Jesu! Amen.

“Die Liebe sei nicht erheuchelt“
Röm. 12, 9

Wenn ein Wort des christlichen Wortschatzes imstande ist, blitzschnell eine Bußstimmung in mir auszulösen, so ist es „Liebe“. Wie viel erleben wir vom Herrn, wie wenig klingt davon unser Umgang mit andern wider! Darüber ist Freund und Feind einig, dass der Hauptbeweis des neuen Lebens Liebe sein müsse, und wenn sie nicht da ist, fühlt man sich versucht, sie wenigstens vor andern zu markieren oder wenigstens mit dem wenigen, was man davon hat, eine möglichst günstige Schaufensterauslage herzustellen. Wie dünn wird das Metall, wenn man eine sehr große Fläche mit einem kleinen Klumpen Gold überziehen will! Man lebt gleichsam über seine Verhältnisse, indem man wenig hat und doch nach außen den großen Christen spielen will, bei dem ein Überfluss an Liebe vorhanden ist. Daher ist die Warnung des Apostels nicht unberechtigt und trifft auch mich. War meine Liebe gegen andere wirklich echt, dass sie das Arge, was jene an sich hatten, hasste und ihre guten Seiten unerschütterlich festhielt? War sie wirklich ein starker Trieb, ihren Seelen voranzuhelfen, dass sie ihr Ziel erreichten oder wenigstens wuchsen an Nähe zum Heiland?

Herr Jesu, du bist der Born der echten großen Liebe! Vergib mir, dass ich dir so wenig ähnlich war und hilf mir, mehr Liebe nehmen, damit ich sie umsetzen kann in Wort und Wesen und du darüber Lob und Ehre erlangest, der so viel Liebe den Menschen gibt. Amen.

“In Ansehung der Brüderlichkeit voll Zartheit gegeneinander.“ (Frei übersetzt)
Röm. 12, 10

Ein schneller Blick in einen sehr guten Spiegel zeigt uns einen Flecken im Gesicht. So scheint mir s mit diesem Wort des Apostels zu sein. Ist in dieser hellen Beleuchtung nicht ein Fehler an meiner Liebesstellung gegen die Brüder? Die Brüderlichkeit setzt das Wort als vorhanden voraus; ich will das mal heute bei mir auch tun. Aber hat sie diesen zärtlichen Charakter einer familienhaften Zuneigung? Gegen einige Menschen, die mir gar nicht verwandt sind, gewiss. Ihr Schmerz wäre mein Schmerz; ihr Glück würde meines erhöhen; ihre Verunglimpfung würde mich erzürnen. Aber wie wenige sind es unter den Tausenden, die vielleicht an meine christliche Bruderliebe ihnen gegenüber glauben? Manchen gegenüber finde ich in mir Gleichgültigkeit oder nur schwache Ansätze von Interesse; andere liebe ich mit einem starken Aber! Wo ist die neidlose Freude an meinen Brüdern? Auf einmal scheint's mir, als ob meine brüderliche Liebe kleiner geworden sei, seit ich sie so aufmerksam betrachte, und der schwarze Flecken selbstischer Gefühle wächst. Und zart? Rücksichtsvoll, sie schonend und hegend? Erst recht nicht!

Da ist kein Rat, Herr Jesus, du musst dich ins Mittel legen. Vergib mir das eigene Wesen so, dass es ausgewurzelt abfallen kann, und gib mir deine Liebe zu den Brüdern so, dass sie fest einwurzeln und stark wachsen kann und blühen und grünen zu deiner Ehre und der Brüder Freude. Amen.

“Vergeltet niemand Böses mit Bösem.“
Röm. 12, 1

Wenn wir zum Überwinden des Bösen angestellt sind, dann dürfen wir das fremde Böse nicht dadurch stärken, dass wir ihm Brennmaterial zuführen. Durch eine böse Antwort wird der gereizte Gegner um so gereizter: sein Böses wird gestärkt, bestätigt, entschuldigt durch unser Böses. Böses hat der andere schon genug; führe deine Güte und Freundlichkeit in diesen Vorgang hinein, denn nur dadurch gewinnst du wirklich. Auf eine scharfe Entgegnung war der andere gefasst: nach seinem Hieb auf dich stand er in Verteidigungsstellung bereit, sofort wieder zu schlagen. Wenn du aber nicht zurückschlägst, macht ihn das verblüfft. Er kommt sich in seiner empörten Fechterstellung selbst komisch vor. Jetzt beruhigt sich sein Blut, und er schämt sich. Bist du noch dazu freundlich gegen ihn, so muss er die Waffe aus der Hand fallen lassen und kann deine zur Versöhnung ausgestreckte Hand ergreifen. Die Kraft zu solchem siegreichen Überwinden des Bösen kannst du von dem beziehen, der für uns geboren wurde zu Bethlehem, und für uns gestorben ist, da wir noch seine Feinde waren. Das ist die große Macht der wehrlosen Sanftmut, die jeden zornmütigen Gegner auf die Dauer überwindet.

Herr Jesus, lege deine Sanftmut wie einen Schild über deine Leute. Lehre uns schweigen, dulden, tragen, lieben, bis du über uns gesiegt hast und dann durch unsere Sanftmut über unsere Feinde siegst! Amen.

Seid nicht träge, was ihr tun sollt!
(Röm. 12,11.)

Draußen auf dem Völkermeer schwimmt manch riesiges Fahrzeug, auf dem ein ganzes Heidenvolk mit starrem Entsetzen trostlosem Tod entgegengeht, und nichts ist, was all diese Menschenseelen retten kann, als allein dein Licht! Und du willst es zu Grunde gehen lassen, weil du träge bist, dein Licht ihnen leuchten zu lassen? Du musst dein Licht leuchten lassen! Nicht mehr leuchten, das heißt: sterben für echtes Licht. Darum zünd' an! Um Gotteswillen zünde an! Seid nicht träge, was ihr tun sollt! Reinigt euren Christenwandel, eure Häuser, euer ganzes Leben von allem, was das Licht scheut; und dann liebt, betet, leuchtet, damit jedermann die Einfahrt in den Hafen sehe, auch in finsterer Nacht, wo kein Mensch die großen lichtleeren schwarzen Türen erblickt, die sich am Tage so stolz ausnahmen. Zündet an daheim für jeden Ungläubigen das Licht der Liebe JEsu, zündet an für die Heidenwelt draußen das Licht der Liebe JEsu, damit niemand durch unsere Schuld verderbe und wir am Ende unser Anrecht aufs Licht elend verlieren!

“Denket dem Guten nach vor allen Menschen“ (Grundtext)
Röm. 12, 17

Wenn das Gute nur in unseren Worten und dem Wandel vor Menschenaugen seine Stätte hat, während zur selben Zeit im geheimen Denken mancherlei Böses seinen Unterschlupf gefunden und sein Nebendasein fristen kann, sind wir noch nicht sicher vor Entdeckung. Äußerlich aufopfernd, edel, hilfsbereit, innerlich selbstsüchtig, unnobel, hartherzig, auf die eigene Ehre oder Bequemlichkeit sinnend - das ist ein gewagtes Spiel! Plötzlich verlierst du das seit Jahren mühsam bewahrte Gleichgewicht und fällst in einem hitzigen Augenblick aus deiner Rolle, und die andern, die dich wie ein Tugendmuster verehrt, sehen erschrocken in das glühende Innere deines Wesens, wo ganz gemeine Triebe toben. Doppelleben! Darum ist es der beste Rat, den der Apostel geben kann: Denke so dem wahrhaft Guten nach dass es an dir nichts zu verraten gibt. Denke im geheimen so, als wäre deine Stirn aus Glas, und als könnten alle Menschen deine innersten Gedanken lesen. Dann gibt es keine Demütigung der Entdeckung. Dann wird das Innere mit dem Äußeren ganz natürlich zusammenstimmen, und wer etwas von deinem Wesen kennenlernt, der hat dich ganz kennenlernt. Was für klare Rechnungen mit Menschen gäbe das!

Herr, vor dir bin ich entdeckt. Jetzt hilf mir zum nächsten Schritt, dass ich vor mir selbst entdeckt sei, dass ich mich selbst richtig erkenne, und dann hilf mir zu der Stufe, dass mein Innerstes vor aller Augen offen liegen kann. Herr Jesu, reinige du mich! Amen.

Römer 14

“Er mag aber wohl aufgerichtet werden; denn Gott kann ihn wohl aufrichten.“
Röm. 14, 4

Manche selbstgefällige Heilige unserer Zeit richten über andere, deren Art nicht zu ihrer Sonderart passt; „Der ist nicht recht bekehrt! Der ist nicht entschieden! Der hat die Geistestaufe nicht empfangen!“ Damit haben sie einen fremden Knecht gerichtet und, wenn man ihren Worten glaubt, ihn gefällt. Bleibt er nun unter solchen Axthieben als nutzloser Baum liegen? Gott sei Dank, nein! Er mag aber wohl aufgerichtet werden. Unser Heiland ist ein besserer Herzenskündiger als diese unberufenen Richter. Er kann ihn wohl aufrichten. Wie habe ich das so köstlich an mir selbst erfahren. Wie viele haben mich schon oft verdammt, und es hätte, wenn Gottes Spruch durch ihren Mund gegangen wäre, mit meiner Arbeit und mit meiner christlichen Persönlichkeit aus und vorbei sein müssen. Wie hat der Herr mich aufgerichtet! Er gab neue Erfolge, neue Hilfen. Jahre sind drüber hingegangen, und ich habe keinen Grund, jenen unberufenen Richtern zu grollen. Sie trieben mich nur in die Selbstprüfung und näher zum Herrn hin, und der Erfolg war lauter Segen von oben. Die Menschen verwarfen mich, und der Herr hob mich auf und richtete einen neuen Bund der Gnade mit mir auf!

Darum will ich auch in deinen Händen, Herr Jesu, bleiben! Behalte du mich in deiner Seelenpflege und mache du etwas aus mir, zu Nutzen deines Reiches. Ich warte auf dich und will dein bleiben ewiglich. Amen.

Römer 15

“Denn auch Christus nicht Gefallen an ihm selber hatte.“
Röm. 15, 3

Bei ihm hätte es einen Sinn und eine Berechtigung gehabt; denn er war gewiss von einer Schönheit und einem Adel der Seele, für die uns Worte fehlen. Aber wir? Wer weiß denn nicht mancherlei von sich selbst, was er lieber heute als morgen los wäre. Und dennoch diese unaustilgbare Torheit, immer wieder Gefallen an sich selbst zu haben! Das ist die Keimzelle der meisten Sünden. Was spielt unser liebes Ich für eine Rolle in unseren Reden! Wie viel mehr in unserm Träumen und Sehnen. Unsere Empfindlichkeit, wenn jemand uns antastet oder nicht die ausgesuchteste Rücksicht auf uns nimmt - hält sich die Waage mit dem unausgesprochenen Verlangen, dass man unsere Versäumnisse selbstverständlich entschuldige, unsere Übereilungen, die nur unserem Naturell entspringen, übersehe und vergesse. Wie selbstsüchtig sind wir bis in das Allerheiligste unseres Gebetslebens! Solange wir aber so Gefallen an uns selbst haben, spielt Gott, Christus, Glauben und Lieben und Pflicht gegen den Nächsten - alles nur eine nebensächliche Rolle. Selbstverliebtheit, Eitelkeit, Wohlgefallen an sich selbst haben, kann für die Seligkeit gefährlicher sein als Trunksucht und Unzucht, die den Leib ruinieren und sich auf Erden schmerzlich strafen.

Ich beuge mich, Herr Jesu, und bekenne mich schuldig! Vergib mir diese böse Art und reinige mich davon, wenn es auch weh tut. Dann lass die ganze Liebe meines Herzens auf dich hin sich wenden. Amen.

“Was aber zuvor geschrieben ist, das ist uns zur Lehre geschrieben, auf dass wir durch Geduld und Trost der Schrift Hoffnung haben.“
Röm. 15, 4

Fände ich in der Rumpelkammer ein altes Büchlein, unbekannt von wem verfasst, und läse drin an einer Stelle haarklein ein Erlebnis aus meinem eigenen Leben beschrieben - würde ich dann nicht mit geheimem Beben weiterlesen? Würde ich dann dem Buch nicht auch glauben, was es von meiner Zukunft voraussagt? So ist's uns mit der Bibel gegangen. Unser Sündenelend und Jesu Barmherzigkeit am Tage der Vergebung - das stimmte genau. Nachher trafen noch manche wunderbare Zusagen Gottes, wie er für uns sorgen wolle, in auffallenden Gebetserhörungen ganz nach diesem Buche ein. Sollten wir jetzt nicht auch die andern Zusagen, die noch nicht erfüllt sind, für ebenso sichere Gottesversprechen halten? Und sollten wir aus solchem Glauben nicht einen starken Zuschuss von Geduld für die kleinen Mühsale des Alltags und von Trost in größerem Schmerz erhalten? Und sollte da nicht ganz ebenso natürlich eine helle Hoffnung herauswachsen, dass Gott auch in allen andern Sachen, die noch ausstehen, sein Wort wahr machen werde? Darum glauben wir an die Bibel und wissen, was wir an ihr haben.

Herr, unser Gott, wir danken dir für dein Wort. Lehre uns täglich treuer und kindlicher nur an dieses Wort glauben und daraus unsere Kraft schöpfen, bis einst an Stelle jener Worte deine Wirklichkeit alles erfüllt. Amen.

“Der Gott aber der Hoffnung erfülle euch mit aller Freude und Frieden im Glauben, dass ihr völlige Hoffnung habt durch die Kraft des Heiligen Geistes.“
Röm. 15, 13

Aus diesem reichen Wort nehme ich mir heute Abend nur den Dreiklang heraus: „erfüllen, alle, völlige“. Unsere Stellung zum Herrn ist doch meist zu kurzsichtig und zu kleinmütig. Millionäre, die mit Streichhölzern sparen, weil sie es aus ihrer kargen Jugend nicht anders gewohnt waren! Wir tun so, als wäre d a 5 Glauben, mit der Hälfte der Gaben Gottes auszukommen und das übrige als Guthaben für den schwarzen Tag in der himmlischen Bank zu belassen. Nein, er will uns nicht bloß mit Friede und Freude bis zur Hälfte unseres Herzens füllen, sondern ganz; er will uns nicht nur eine oder anderthalb Freudenstücklein schenken und das übrige sorgfältig aufsparen, sondern der Befehl ist ergangen: Gebt meinen Kindern alle Freude und ganzen Frieden! Hätten wir unser Herz weit gemacht, solche Gaben der Gegenwart ganz zu nehmen, würde die Hoffnung auf eine herrliche Zukunft auch nicht lahm und schmal am Rande unseres Christenlebens ihr Leben fristen, sondern völlig, stark, mächtig, jauchzend werden.

“Lob sei dir und Dank, Herr, unser Gott, dass du gibst über unser erbärmliches, spärliches Verstehen und unser ängstliches Bitten. Erziehe uns für deinen Reichtum und für den Überschwang deines Gebens“. Amen.

Römer 16

“Der euch starken kann laut meines Evangeliums und Predigt von Jesu Christo.“
Röm. 16, 2

So gewiss ist Paulus, dass er das Evangelium und die Predigt von Christo richtig und gottgemäß verkündigt hat, dass er sagt: „Die Gotteswirkungen werden in eurem Leben laut meiner Verkündigung sich einstellen; wenn die Stärkung zum Kampf und die geistlichen Hilfen sich zeigen, dann werdet ihr euch überzeugen, dass ich nicht zu viel gesagt habe.“ Im Evangelium sind große Verheißungen; - wir aber haben große Verlegenheiten und Verpflichtungen. Da hilft nur eins: wir müssen jenen Verheißungen glauben. Dann setzt das Geschehen nach jenen vorgezeichneten Linien ein. Wer das erlebt hat, wird nun nachher die göttlichen Verheißungen mit ganz anderen Augen ansehen. Es sind nicht ungewisse Anweisungen auf die himmlische Bank, sondern es ist schon bares Geld. Man kann das dann sofort im Alltag umwechseln in die Kleinmünze der einzelnen Kräfte und Hilfen. Hier ist eine Versuchung oder eine Schuld oder eine Schwäche - schnell nimm dagegen laut dem Wort Gottes die Bezahlung heraus, dass die drohende Forderung wieder beglichen abzieht. Solange wir brauchen und nehmen, gibt Gott auch. Darum leben wir von der Stärkung nach seinem Wort!

Lieber Vater im Himmel. Wir danken dir, dass du deinen Reichtum an Kraft und Sieg uns in Christo aufgetan hast. Lehre uns schneller, freudiger, fleißiger sein im Nehmen der dargereichten Gaben. Du bist selig im Geben und wir im Nehmen. Ehre deiner Gnade! Amen.

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