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Keller, Samuel - Epheserbrief

Keller, Samuel - Epheserbrief

Kapitel 1

„Gelobt sei Gott und der Vater unseres Herrn Jesu Christi, der uns gesegnet hat mit allerlei geistlichem Segen in himmlischen Gütern durch Christum.“
Eph. 1, 3

Im allgemeinen ist der Dank viel verbreiteter, wenn uns Gott im Irdischen segnet. Es gehört schon eine gewisse Höhenlage des geistlichen Lebens dazu, daß man für „geistlichen Segen in himmlischen Gütern“ so recht warm und tief danken kann. Ihr Wert steigt in demselben Maße, als die Einschätzung von Gold und Glück und Wohlgehen herabgeht. Nur muß das echt sein. Eine erkünstelte Übergeistlichkeit ist durchsichtig: ich pflege mir die Leute doch erst in gewissen Punkten scharf darauf anzusehen, ob sie auch so geistlich sind in andern Fragen. Ist's wahr, daß man die geistlichen, himmlischen Guter soviel höher schätzt, dann wird es auch am Gegengewicht gegen die Überhebung nicht fehlen. Wer sich neidlos an dem geistlichen Reichtum der Nebenmenschen freuen kann, pflegt selbst auch am meisten von ihm zu haben. Friede, Freude, Genuß der Gottesliebe in Christo, Sieg über die Sünde, Nächsten- und Bruderliebe und großes Vertrauen sind solche Segnungen, die uns zum Loben und Preisen zwingen. Nur lobe nicht nur, wenn andere dir zuhören, sondern auch im geheimen, daß Gott dein gerührtes Danken spüren kann in der Bewegung deiner Liebe auf ihn hin.

Lobe den Herrn, meine Seele, und was in mir ist, seinen heiligen Namen! Ich lobe und preise dich, Herr Jesus, daß du mich durch deine Segnungen reich machst über Bitten und Verstehen. Führe du mich zum Vater, daß mein Leben ein Lobgesang sei auf seine Güte. Amen.

Kapitel 2

„auf daß er erzeigte in den zukünftigen Zeiten den überschwenglichen Reichtum seiner Gnade durch seine Güte gegen uns in Christo Jesu.“
Eph. 2, 7

Bei irdischen Freuden und Genüssen kommt stets ein Höhepunkt, und dann geht's wieder abwärts. Das stimmt wehmütig und lähmt die Spannung, wenn man sich sagen muß: „Das Schönste liegt hinter dir! Besser wird's nie mehr kommen, bald ist die ganze Freude verrauscht.“ So ging's uns mit mancher Reise, mancher Ferienzeit, und schließlich geht es uns mit dem ganzen Erdenleben ähnlich. Wie anders ist es mit dem geistlichen Segen, von dem unser Text handelt. Da kann keiner auf Erden sagen, daß die Erfahrung, die hinter ihm liegt, durch nichts in der vor ihm liegenden Zukunft überboten werden könne. Nein, die Hauptsache steht noch aus. Der überschwengliche Reichtum seiner Gnade ist noch zukünftig. Durch seine Güte läßt er nicht jetzt einen Wolkenbruch von Gnadenströmen über unser Herzensland niedergehen, wo wir nur imstande sind, Tautropfen zu vertragen. Es wäre alles verschüttet und hätte uns nichts genützt. Er erzieht uns dazu, daß wir immer mehr verstehen und benutzen können von seinem Reichtum und man braucht nie zu fürchten, daß ein Augenblick kommen könnte, wo er nicht noch Herrlicheres für uns aufgehoben hätte.

O, du treuer Vater im Himmel! Wir danken dir für alles, was du uns schon gabst und alles, was du noch aufgespart hast für die Zukunft. Nimm uns und reinige uns, damit mehr Raum in uns werde für das Erleben deiner Herrlichkeit. Amen.

„er hat abgebrochen den Zaun, der dazwischen war“
Eph. 2, 14

Dort ist unter dem Zaun alles das verstanden von Gesetz, Anschauung und Sitte, wodurch Israel sich von der Heidenwelt getrennt wußte. Wir können sagen, Jesus bricht die Zäune zwischen Herzen und Nationen, die Zäune, die aus Selbstsucht und Sünde zusammengeflochten sind, heute, überall da und insoweit ab, als man seinen Gedanken nachgibt. Erst durch ihn lernt die Menschheit sich als eine große Bruderfamilie ansehen, die innerlich zusammenhängt. Aber hinter seinem Rücken befleißigen sich kleine böse Geister doch damit, ein Stückchen Zaun wieder zu flicken und aufzurichten. Dann kommt mal wieder ein starker Vorstoß des Reiches Gottes und zerbricht auf weite Strecken hin all das Flickwerk der Menschenzäune. - Willst du ein gutes Gewissen gegen Jesus und die Brüder haben, dann halte deine Zunge im Zaum, daß sie nicht mit bösem Reden Zaunstecken schnitzt und einschlägt zwischen Herz und Herz. Die Zäune der Selbstsucht gehen mitten durch die Häuser und Vereine und Gemeinschaften. Wer Jesu ähnlich sein will, muß abbrechen, was dazwischen sich aufrichtet. Aber schließlich muß er nochmals bei seinem Kommen in Herrlichkeit die letzten Zäune für immer wegfegen, damit dann ein Hirt und eine Herde sei.

Herr Jesu, mache uns dir ähnlich. Wir möchten deine Arbeit fortsetzen und anstatt Haß und Hader, Liebe und Frieden säen. Hilf uns so sehen und urteilen wie du, und dann so handeln wie du. Um deines Reiches willen. Amen.

Kapitel 3

„stark zu werden durch seinen Geist an dem inwendigen Menschen.“
Eph. 3, 16

Man darf den inwendigen Menschen nicht verwechseln mit dem neuen Menschen. Im Gegensatz zu dem äußeren Menschen, der durch die Sinnlichkeit dem „Gesetz in den Gliedern“ gehorcht, hat jeder eine geistige Anlage, eben diesen inwendigen Menschen, der dem Guten zustimmt. Aber dieses natürliche Gute in uns ist zu schwach, um über die mächtigen Anläufe der Welt und des Fleisches zu siegen. Darum soll diese Seite im Christen durch Jesu Geist stark werden. Jesus muß das ihm Verwandte in uns stützen und vermehren, so daß der Sieg über das Böse möglich wird. So könnte man das Wachstum in der Heiligung ein Erstarken des inwendigen Menschen nennen. Jetzt wird es noch darauf ankommen, ob wir mit unserem Willen uns auf die Seite des Guten schlagen. Das ist alle Tage wieder unsere Aufgabe. Bisweilen ist es nur eine kleine Entscheidung am Tage - bisweilen zehn oder zwölf. Es kann auch vorkommen, daß uns andere Sachen viel größer und wichtiger erscheinen als dieses Starkwerden am inwendigen Menschen. Dann schenkt uns der Herr Mißerfolg in jenen Sachen, um unser Seeleninteresse wieder auf die Hauptsache zu lenken. Wenn er überhaupt nicht so treu helfen würde dazu, gingen wir in allerlei Nebensachen zugrunde.

Darum, Herr Jesus, komme ich heute wieder zu dir als einer, der viel abzubitten hat: vielzuviel Liebe und Aufmerksamkeit für den äußeren Menschen gehabt. Vergib und hilf der andern Seite, stark werden durch deinen Geist! Ich traue dir Hilfe zu. Amen.

„Gott gehe euch zu erkennen, daß Christum lieb haben viel besser ist, denn alles Wissen, auf daß ihr erfüllet werdet mit allerlei Gottesfülle.“
Eph. 3, 19

Der natürliche Mensch erkennt das nicht; ihm ist viel Wissen das höchste Ziel, weil es Macht und Ehre bedeutet. Daß dabei das Herz öde und leer und das Leben sittenlos und verwerflich sein könne, bedenkt er nicht, oder es bedeutet ihm nichts. Wir aber haben schon an dem Wenigen, was wir von der Liebe Christi zu uns und unserer Liebe zu ihm erlebt haben, den übermächtigen Eindruck empfangen, daß auf dieser Linie unseres Erdenlebens Segen, unseres Sterbens Trost und die Herrlichkeit der Ewigkeit uns zuwächst! Darum sehnen wir uns nach mehr Gottesfülle. Ja, nach allerlei Gottesfülle: nicht nur auf einem besonderen Gebiete - der sittlichen Kraft - sondern auf allen Gebieten soll die Liebe Christi unser Glück und unser Reichtum werden. Wenn wir darauf hingewiesen werden, wenn man uns dergleichen erbittet, dann stimmt unsere Seele freudig zu. Denn es stimmt mit den heißesten Wünschen unseres neuen Wesens überein: Christum lieb haben! Daß wir das dürfen, daß wir das verstehen, daß wir darin immer mehr wachsen sollen - wem unter uns schwellt dieses Wort nicht die Brust!

Herr, unser Gott! Führe du uns tiefer hinein in den Zusammenhang mit dir und deinem lieben Sohn. Wir sehnen uns nach mehr Leben und Liebe. Gib uns Erkenntnis und Erleben Christi. Dann ruht unser Herz an deinem Herzen. Amen.

Kapitel 4

„und vertraget einer den andern in der Liebe.“
Eph. 4, 2

So zur Not sich schließlich hineinschicken in des andern Sonderart, in seine Wunderlichkeiten und seine Engherzigkeit, das bringt man mit etwas gutem Willen und einem bißchen Gebetsleben schon fertig. Ihn ertragen - das deutet darauf hin, daß er uns schon mehr Last macht, und dann werden wir noch mehr um Kraft und Geduld bitten müssen. Aber vertragen scheint noch mehr zu sein! Das klingt so, als läge Streit und Gegensatz in der Luft, und man soll doch derjenige sein, der für die höhere Einigkeit sorgt. Das ist nur möglich, wenn Liebe von Jesus vorhanden ist. Nur die Liebe, die darauf aus ist, dem andern zur Erreichung seines wahren Lebenszweckes zu verhelfen, kann es verstehen, daß gerade die täglichen Reibflächen der Punkt sind, wo die Hilfe offenbar werden muß. Wenn der andere auch ein Christ ist und ihm dieselbe Klarheit zuteil geworden ist, dann ist das Schwerste schon überwunden; dann wird man sich im gleichen Liebesstreben eher verstehen und finden. Ist der andere nicht gläubig, so ist es natürlich schwerer, weil von seiner Seite weder Verständnis noch Mithilfe zu erwarten ist. Aber vielleicht ist das die Stelle, wo der andere gewonnen werden kann.

Herr Jesus, nimm dich unser an und fülle uns die Seele mit deiner Liebe. Hast du uns in dem andern eine besondere Aufgabe gestellt, dann hilf uns, sie auch zu lösen in deiner Kraft. Wir schauen auf dich. Amen.

„Erneuert euch aber im Geist eures Gemüts.“
Eph. 4, 23

Alt werden ist den Sachen eigen und ist Menschenlos. Täglich wird die Oberseite unseres Innenlebens abgenutzt; nicht nur staubig und müde, sondern abgegriffen. Wenn da nichts Neues geschieht, kein Auffrischen möglich ist, muß die natürliche Folge sein, daß wir schwächer, schlechter, gleichgültiger werden. Was da in schlechtem Sinn die Gewöhnung für verderbliche Wirkung hat, kann man an den Berufsfehlern der edelsten Berufe sehen: Ärzte, Geistliche, Armenpfleger, Diakonissen haben die Gefahr, durch die tägliche Beschäftigung mit fremder Not abgestumpft zu werden. Da tut eine Erneuerung unseres Tastsinnes not. Der Geist unseres Gemüts, die Seele unseres geistigen Menschen muß von innen heraus frisch werden. Das kann nur durch Zustrom von oben, durch Berührung Christi geschehen. Wir müssen uns wieder seinem Licht aussetzen; uns durch ihn mit himmlischen Kräften laden lassen, damit uns die Spannkraft und Beweglichkeit des Geistes nicht verloren gehe. Hast du deine tägliche stille Gelegenheit, wo Jesus dich erneuern kann? Wenn nicht, dann wird deine Liebe lahm, deine Arbeit mechanisch, dein Zeugnis hohl, deine Anziehungskraft auf andere gleich Null!

Ach, Herr Jesu, laß du dich des erbarmen! Komm und erneuere mich im Geiste meines Gemüts. Fülle mich mit deiner Liebe und segne jeden stillen Augenblick, wo ich dir in die Augen sehen darf. Ich schmachte nach deiner Auffrischung meiner Seele. Hilf mir! Amen.

„Gebet auch nicht Raum dem Lästerer.“
Eph. 4, 27

Wodurch bekommt der Lästerer Raum? Dadurch, daß man ihm zuhört, sich aus seinen Reden viel macht und trotz alles Widerwillens gegen ihn sich für seine Klatschereien interessiert. Wie kann man aber als Christ diesem gefährlichen Gewächs soviel Interesse entgegenbringen, daß des Apostels Mahnung überhaupt einen Sinn bekommt? Aus Neid und der Sucht, sich auf Unkosten des andern selbst erhöht zu sehen, entspringt jene Lust, Schauderhaftes über den Rivalen zu vernehmen. Christliche Klatscherei, fromm und entrüstet scheinende Verleumdung, heuchlerisches Achselzucken und Kopfschütteln, vielsagende Mienen und zweideutige Ausdrücke schlauer, schlechter Feigheit, die nicht dafür gefaßt werden will - o wer kennt das alles nicht auch noch heute! Wenn wir wirklich als „die von einem Stamme stehen auch für einen Mann“, wenn wir wirklich mit wahren Gotteskindern uns eins wissen - dann weg mit dem Lauschen auf solche Verleumdung! Wenn der Lästerer keine bereitwillige Aufnahme, sondern Ablehnung seiner Geheimnisse und Neuigkeiten erfährt, kann ihm selbst das zur Ernüchterung und Bekehrung gereichen.

Lieber Heiland, vergib mir, daß ich so oft in meinen Beziehungen zu andern Brüdern auf solche Lästerer gehört und durch sie betört, unrecht getan habe. Reinige mich; mein Herz mit Liebe, mein Mund mit Wahrheit sei in deiner Hand. Amen.

„Damit ihr versiegelt seid auf den Tag der Erlösung“
Eph. 4, 30

Die erfahrene Gewißheit des Heils ist solch eine Versiegelung. Mancher hat sich dem Herrn zugewandt, glaubt an das geschehene Heil, ist eigentlich auch überzeugt davon, daß Jesu Blut für ihn geflossen ist und kommt doch noch immer nicht zum Genuß des Friedens. Sonst läßt sich nichts herausfinden: keine geheime Unehrlichkeit, kein Bann einer Schuld, die noch nicht erkannt und vergeben wäre, keine neue Untreue, die zu dem Wandel im Licht nicht stimmte, und doch fehlt voller Friede und volle Gewißheit. Wenn das längere Zeit so fortgeht, kann die Seele in neue Zweifel kommen, ob sie Sündenvergebung habe oder nicht. Da haben schon manche beim ersten Abendmahlsgang nach ihrer Hingabe an den Herrn jene schmerzlich gesuchte Versiegelung empfangen. Andere in der Privatbeichte mit Handauflegung oder in der ersten selbstlosen Arbeit für den Herrn. Der Mittel und Wege gibt es viele, und unser Gott führt die Menschen nicht nach einer Schablone. Außerdem ist diese Versiegelung für dich da und nicht zum Prahlen vor andern. Im ersten Augenblick ist sie ob überwältigend - später gleicht sie der Gesundheit eines unsrer Glieder: dann spürt man es am wenigsten, wenn es ganz gesund arbeitet.

Wir danken dir, Herr Jesu, daß du unserer Seele Leben in deinen treuen Händen hast und wollen dir zutrauen, daß du das gute Werk auch ausführen wirst, das deine Barmherzigkeit in uns anfing. Wir trauen auf dich. Hilf du uns! Amen!

„Seid aber untereinander freundlich, herzlich und vergebet einer dem andern, gleich wie Gott euch vergeben hat in Christo.“
Eph. 4, 32

Solch eine schlichte Ermahnung bekommt einen scharfen Akzent, sobald man an das Wörtchen „gleichwie“ aufmerksamer herantritt. Die Großartigkeit des Erbarmens, wie wir es in Christo erfahren haben, können wir natürlich nicht nachmachen wollen: das Verhältnis zu unsern Nächsten ist ja nie so wie das von Gott zu uns. Und doch ist die eigentliche Triebfeder unserer Liebe nicht nur zu Gott, sondern auch zu unseren Brüdern, daß uns viel vergeben worden ist. Schmerzte uns eine bestimmte Sündenerfahrung besonders tief, und die Vergebung Gottes in Christo nahm so freundlich die ganze Last von unserer Seele, dann müßte es doch wunderbar zugehen, wenn wir nicht jetzt am aufgeschlossensten wären zum Lieben? Jetzt wissen wir, wie das tut, geliebt zu werden; jetzt strahlt noch das Licht in unsern Augen: eh es abnimmt, laß einen andern etwas Freundlichkeit erfahren. Gott läßt uns in Christo Vergebung anbieten; wie wenn in deinem Handel mit deinem Bruder es nur auf diesen Schritt von deiner Seite ankäme, daß du ihn spüren läßt, wie herzlich gern du ihm diese verzeihende Liebe entgegenträgst?

Herr, lehre uns lieben, wie du uns geliebt hast. Hilf uns so verzeihen, daß keine bittere Wurzel nachbleibt! Gib du uns alle die Herzlichkeit und Freundlichkeit, auf die der Nächste sehnsüchtig wartet, damit dein Reichtum an uns Armen offenbar werde. Amen.

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