Kapff, Sixtus Carl von - Am ersten Trinitatis Sonntag.

Kapff, Sixtus Carl von - Am ersten Trinitatis Sonntag.

Text: 1 Joh. 4, 16-21.

GOtt ist die Liebe; und wer in der Liebe bleibt, der bleibt in GOtt und GOtt in ihm. Daran ist die Liebe völlig bei uns, auf dass wir eine Freudigkeit haben am Tage des Gerichts; denn gleichwie Er ist, so sind auch wir in dieser Welt. Furcht ist nicht in der Liebe, sondern die völlige Liebe treibt die Furcht aus; denn die Furcht hat Pein. Wer sich aber fürchtet, der ist nicht völlig in der Liebe. Lasst uns Ihn lieben, denn Er hat uns erst geliebt. So Jemand spricht: ich liebe GOtt, und hasst seinen Bruder, der ist ein Lügner. Denn wer seinen Bruder nicht liebt, den er sieht, wie kann er GOtt lieben, den er nicht sieht? Und dies Gebot haben wir von Ihm, dass, wer GOtt liebt, dass der auch seinen Bruder liebe.

Im heutigen Evangelium hören wir ein schauerliches Geschrei aus der Hölle. Ein Mensch, der alle Lust und Herrlichkeit der Erde genossen, steht schmachtend um ein Tröpflein Wasser, damit der brennende Durst seiner Qual auch nur ein wenig gelindert werde. Aber auch das Tröpflein Erquickung und auch der kleinste Strahl von Himmelslicht wird ihm versagt; nur die Schreckensantwort kommt aus der Höhe, es sei eine unübersteigliche Kluft zwischen Himmel und Hölle. So muss er, von GOtt und Menschen verlassen, Ewigkeiten hindurch Pein leiden in seiner Flamme. Bei diesem Anblick steht die Gerechtigkeit GOttes in so furchtbarer Majestät vor uns, dass uns Zittern ergreift bei dem Gedanken: wie wird es dir gehen, wenn auch du stehen musst vor seinem Richterstuhl? Wenn du auch nicht gelebt hast wie der reiche Mann, werden nicht dennoch tausend Übertretungen und Versäumnisse dich verklagen im Gericht, und wirst nicht vielleicht auch du bei denen stehen müssen, die meinten, sie seien brave, ja fromme Leute, und doch spricht der HErr von seinem hohen Stuhle herab das Fluchwort über sie aus: „Ich habe euch noch nie erkannt, weicht Alle von mir, ihr Übeltäter.“

Wenn so unser Evangelium uns angst und bange machen kann, dass wir wie in einen finstern Abgrund Hinuntersehen, so leuchtet dagegen über dem Abgrund unseres Sündenelendes ein hellstrahlendes Licht aus unserer Epistel uns zu: „GOtt ist die Liebe!“ Das ist das Licht und darin steht unser Leben und unsere Hoffnung. „GOtt ist die Liebe und hat keinen Gefallen am Tode des Gottlosen, sondern dass sich der Gottlose bekehre von seinem Wesen und lebe.“ Diese Liebe hat Ihn getrieben, seinen eingebornen Sohn für uns Alle dahinzugehen, und wenn jetzt ein armer Sünder zittert vor dem Richterstuhle GOttes, so ruft der Brief, aus dem unser Text genommen ist, ihm zu: „Ob Jemand sündigt, so haben wir einen Fürsprecher bei dem Vater, JEsum Christum, der gerecht ist, derselbige ist die Versöhnung für unsere und der ganzen Welt Sünde. Darin steht die Liebe nicht, dass wir GOtt geliebt haben, sondern dass Er uns geliebt hat und gesandt seinen Sohn zur Versöhnung für unsere Sünden.“ So gewiss dies unser höchster, ja einziger Trost ist im Leben und Sterben, so gewiss fließt auch aus diesem köstlichen Evangelium das neue Gesetz, das unser Text mit den Worten bezeichnet: „Lasst uns Ihn lieben, denn Er hat uns zuerst geliebt.“ Aber auch dies Gebot haben wir von Ihm, dass, wer GOtt liebt, dass der auch seinen Bruder liebe. Von dieser Liebe GOttes und des Nächsten hatte der reiche und nun in der Hölle so entsetzlich arme Mann nichts; er liebte nur sich und die Welt: darum war die Welt sein Tod und GOtt sein Feind (Röm. 8,6. Jak. 4,4.). GOtt, der die Liebe ist, musste ihm, der ohne GOtt leben wollte, die ganze Unseligkeit eines von GOtt getrennten Geistes zu fühlen geben. Denn auch die Hölle kann den Grundsatz des ganzen Reiches GOttes nicht aufheben: „GOtt ist die Liebe.“ Aber soll Er uns im vollen Maß die Liebe und so das Leben werden, so muss auch unser Element die Liebe sein, und es bleibt auch bei dem Gesetz unseres Textes: „Nur wer in der Liebe bleibt, in der Liebe GOttes und des Nächsten, nur der bleibt in GOtt und GOtt in ihm.“ Diese Gedanken wollen wir weiter erwägen und unter dem Segen der ewigen Liebe die Wahrheit betrachten:

GOtt ist die Liebe, und nur Liebe macht Eins mit GOtt,

  1. GOtt ist die Liebe,
  2. nur Liebe macht Eins mit GOtt.

Ich steig' hinauf zu Dir im Glauben,
Steig' Du in Lieb' herab zu mir;
Lass mir nichts diese Freude rauben,
Erfülle mich nur ganz mit Dir.
Ich will Dich lieben, loben, ehren,
So lang in mir das Herz sich regt,
Und wenn dasselb' auch nicht mehr schlägt,
So soll doch noch die Liebe währen. Amen.

I. „GOtt ist die Liebe.“

Diese Grundwahrheit unseres Textes haben alle bisher gefeierten Feste uns gepredigt. Vom Advent bis zum Dreieinigkeitsfest ist das Grundthema aller Festgedanken das: „GOtt ist die Liebe.“ Und durch alle Schöpfungsräume hindurch ruft Alles, was wir sehen und hören, unserem denkenden Geiste zu: „GOtt ist die Liebe.“ Das ist der Lobgesang, den die Seraphim vor seinem Throne anstimmen; das ist der Jubelten, der besonders jetzt in dieser hohen Frühlings- und Sommerpracht durch die ganze Natur hindurchgeht; der Wald und alle grünbelaubten Bäume darinnen, die Blumen unserer Gärten und Felder, die Wiesen in ihrem saphirnen Schmuck, die Lerche, die durch die Lüfte jubelt, und alle Töchter des Gesanges, der helle Himmel in seiner blauen Pracht, die Sonne im strahlenden Glanz und die tausend Edelsteine, in denen sie im perlenden Morgenthau sich abspiegelt, das Alles ruft uns zu: „GOtt ist die Liebe!“

Aus Liebe hat Er die ganze Welt geschaffen, aus Liebe hat Er dir und mir das Leben gegeben, aus Liebe schenkt Er uns täglich Alles, was zu des Lebens Nahrung und Notdurft gehört, und aus Liebe erhält Er Alles, was da ist. Das ist uns in verflossener Woche besonders neu geworden, da nach längerem Seufzen um Regen seine Wolken wieder kamen und ihre Segnungen träufelten über unsere schön geschmückten, aber in Dürre schmachtenden Fluren. Und so immer, wenn GOtt aus so mancher Not hilft, unsere Nahrungssorgen zu Schanden macht, aus Krankheit errettet, die Todesgefahr vorübergehen lässt, oder aus so manchen Verwicklungen des Lebens uns glücklich hinausführt, so erkennen wir allemal mit neuem Danke, dass Er die Liebe ist.

Und doch sind alle diese leiblichen Wohltaten GOttes nicht zu vergleichen mit denen, die die bisherige erste Hälfte des Kirchenjahrs uns gepredigt hat, und die Johannes kurz vor unserem Texte zusammenfasst mit den Worten: „Daran ist erschienen die Liebe GOttes gegen uns, dass GOtt seinen eingebornen Sohn gesandt hat in die Welt, dass wir durch Ihn leben sollen.“ Wenn ein König seinen Kronprinzen weit über das stürmische Meer zu einem menschenfresserischen Volke schicken würde, damit er dieses Volkes sich hilfreich annehme, so würde Jedermann es als einen besonderen Beweis einer außerordentlichen und aufopfernden Menschenliebe rühmen. Aber was ist ein Kronprinz gegen den Sohn GOttes? Was ist der höchste Mensch gegen Den, durch den der Vater Alles geschaffen, der der Abglanz seiner Herrlichkeit ist, in dessen Liebe der Vater seine Seligkeit hat. In Ihm liebt der Vater sein zweites Ich, die Offenbarung seines eigenen Wesens, das reine Bild seiner Vollkommenheit. Und doch hat Er Ihn für uns dahingegeben, nicht nur in die Welt, sondern sogar in den Tod, den Fürsten des Lebens in den blutigen Martertod. Darin offenbart sich die Liebe GOttes so vollkommen, dass Paulus sagt: „Hat GOtt seines eigenen Sohnes nicht verschont, wie sollte Er uns mit Ihm nicht Alles schenken?“ Alles, mehr als die ganze Welt, mit allen ihren Schätzen und Herrlichkeiten, mehr als den ganzen Himmel hat Er uns geschenkt in seinem Sohne, denn der Sohn ist mehr, als das ganze Schöpfungsall. O liebe Seele, wenn je in einer trüben Stunde die Frage dir aufsteigt: „Ist GOtt die Liebe? ist Er es auch gegen mich, der ich so viel zu leiden habe?“ so schaue hin an JEsu Kreuz und glaube, dass so gut als für die Welt, so gut ist Er auch für dich gestorben zur Versöhnung deiner Sünden, und so schenkt auch dir der Vater Alles in dem Sohne. Und nicht bloß vor 1800 Jahren hat Er das getan, heute noch soll sein Blut dich rein machen von aller Sünde, heute noch will der Vater durch seinen Geist sich und den Sohn in dir verklären, ja in dich eingehen und Wohnung in dir machen samt dem Sohne, so dass Er sich selbst dir mitteilt und du durch die innigste Gemeinschaft mit Ihm der göttlichen Natur sollst teilhaftig werden. Mit sich will Er dich füllen und Alles in Allem in dir und für dich sein. Da soll nach unserem Text alle Furcht schwinden. Die völlige, Alles an uns überstrahlende Liebe GOttes in Christo JEsu soll so in uns aufgenommen werden, dass wir sogar Freudigkeit haben ans den Tag des Gerichtes, nicht nur keine Angst mehr vor dem Gericht, sondern sogar Freude auf die Herrlichkeit, die besonders denen zu Theil wird, die nicht mehr ins Gericht kommen, sondern sogar selbst als Heilige GOttes die Welt, ja die Engel richten sollen. In diesem Blick setzt Johannes hinzu: „denn gleichwie Er ist, nämlich JEsus, so sind auch wir in dieser Welt,“ d. h. wie der Vater seinen eingebornen Sohn liebt, so liebt Er um seinetwillen auch uns und sieht uns nur in Christo an, wie JEsus sagt (Joh. 17,26.): „auf dass die Liebe, damit Du mich liebst, sei in ihnen und Ich in ihnen.“ Im Genuss dieser Liebe und tausendfach segnenden Nähe des Vaters wandeln wir durch die Welt unter denselben Versuchungen und Kämpfen, wie JEsus, und suchen Ihm immer ähnlicher zu werden. In solcher Liebesgemeinschaft ist keine Furcht und so keine Pein mehr, sondern die völlige Liebe des Vaters zu uns im Sohne, und unsere Liebe zu dem Vater durch den Sohn treibt die Furcht aus, so dass wir sagen müssen: Wer sich noch fürchtet vor GOtt und vor der Ewigkeit, der kennt und liebt GOtt noch nicht recht. Freilich kommt auch Gläubigen noch manchmal Furcht an und der Seufzer: sei Du mir nicht schrecklich zur Zeit der Not! So manche Sünde, so manche innere und äußere Erfahrung des Ernstes, ja des Zornes GOttes über jede, auch über die kleinste Abweichung, breitet wieder Furcht über das Herz aus, besonders wenn es von außen Mimt in schweren Leidensstunden. Aber wer im wahren Glauben und herzlicher Buße den Weg zum Vaterherzen GOttes findet und sich wieder erneuert in dem Genuss der völligen Liebe GOttes, der weiß, dass nichts mehr den Bund aufheben kann und dass auch die Züchtigungen GOttes nichts als Liebe sind. GOttes Liebe ist eifersüchtig, will uns ganz haben und deswegen das, was zwischen Ihn und uns tritt und so unser Glück stört, uns entleiden, damit Er uns Alles sein könne und wir in Ihm den Himmel schon auf Erden haben. Und nur, damit das immer vollkommener bei uns der Fall sei, nur deswegen schickt Er uns auch Leiden und Trübsale zu. Da wollen wir dann freilich so oft GOtt nicht verstehen. Wenn die Gewächse der Erde in ihrem Wachstum stille stehen, weil es an Regen oder an Sonnenschein fehlt, wenn Hagel die Hoffnungen des armen Landmanns vernichtet, wenn die Weinberge erfrieren und Millionen lieblicher Blüten vom Frost getötet oder vom Wurm gefressen zur Erde fallen, wenn Stürme brausen und Wetter toben und Wasserfluten daherrauschen, da fragen Tausende: ist das auch Liebe? Und wenn die lieblichste Blüte, ein zartes Kind, auf dem eines Lebens Hoffnung ruht, früh dahin stirbt, wie das gestern und so manches Mal schon bei uns der Fall war, oder wenn gar Vater und Mutter von einem verwaisten Kinderhäuflein hinwegstirbt, oder wenn an hartes Krankenlager gefesselt der matte Leib dahinsiecht: ist das auch Liebe? Und wenn schwere Anfechtung den Geist verdunkelt und er kann nichts glauben, nichts hoffen, nichts lieben und sieht sich nur vor den Pforten der Hölle, ohne Licht, ohne Trost, ohne ein Friedenswort aus dem verschlossenen Himmel, ist das auch Liebe?

So fragen wir, aber das Wort GOttes sagt: „Wen der HErr lieb hat, den züchtigt Er.“ Also auch im Leiden ist GOtt die Liebe. Denn Er will nicht das Leiden, sondern die Frucht der Gerechtigkeit, die dadurch für den Himmel reifen soll. Es ist wahr, was das alte Lied sagt: „dein Schmerz ist Ihm auch ein Schmerz,“ und Er würde alle Schmerzen uns gern ersparen, wenn nicht dadurch die Schmerzen der Seele, und zwar Schmerzen für die Ewigkeit, immer größer und schrecklicher würden. Hätten wir immer gute Tage, so würden wir bald der Liebe GOttes vergessen; wie Israel in der Wüste selbst der herrlichsten Wunder GOttes vergaß und Ägypten vorgezogen hätte vor Kanaan: so würden wir ohne den Druck der Leiden nicht zu göttlicher Höhe uns erheben, sondern in der Tiefe des irdischen Wesens uns immer tiefer eingraben und am Ende nach GOtt und Ewigkeit gar nicht mehr fragen. Da schickt GOtt mancherlei Trübsal, die soll bei uns ausrichten, was der Mann tun muss, der einen Luftball in die Höhe steigen lassen will; er muss die niedere und schwere Erdenluft darin durch Feuer so rein und dünn machen, dass sie der oberen ätherischen Himmelsluft gleich leicht ist und so sich über die unteren Luftschichten alle mächtig erheben kann; dann muss er die Stricke, die den Ball an den Boden heften, alle losmachen, und so wie der letzte los ist, fliegt der Ball rasch in die Höhe und schwebt hoch über der Erde durch die Lüfte. So soll das Leiden als ein Feuer die Erdenluft in unserer Seele verdünnen, eitle, irdische Gedanken vertreiben und die Bande lösen, mit denen wir an das Irdische angefesselt sind, damit unser Geist sich frei von Allem, was ihn hier unten gefangen hält, aufschwinge in die göttliche Höhe des Lebens in GOtt und so in den Himmel. Auch der Keim unseres künftigen Auferstehungsleibes, der jetzt schon in uns ist, wird durch Leiden, wenn wir sie im rechten Geiste tragen, zu um so herrlicherer Auferstehung reif gemacht. Deswegen sagt der Apostel: „Unsere Trübsal, die ja doch nur zeitlich, mit der Ewigkeit verglichen, überaus kurz und darum leicht ist, schafft eine ewige, über alle Maßen wichtige Herrlichkeit.“ Wenn wir diese Herrlichkeit einmal erleben, da werden wir für das, worüber wir hier geseufzt haben, mehr danken, als für das, worüber wir hier lachten; da wird die Wahrheit: „GOtt ist die Liebe,“ als eine wolkenlose Sonne uns unseren ganzen irdischen Lauf überstrahlen, so dass wir staunend anbeten vor der Liebe, die Alles mit uns so herrlich gemacht, vor Sündenabgründen uns durch Leidenstiefen bewahrt und für den Himmel uns erzogen hat.

Aber wie wird vollends dann die unendliche Liebe GOttes gleich einem ergossenen Strom sich verherrlichen, wenn erfüllt wird, was Johannes verheißt: „Wir werden Ihm gleich sein, denn wir werden Ihn sehen, wie Er ist!“ Den sehen, der die Liebe ist, und so die Seligkeit seiner Liebe in sich überströmen zu fühlen, und so Ihm gleich werden, ach, wer fasst diese Seligkeit und diese Würde! Wenn dann der Auferstehungsleib leuchtet wie die Sonne und das jetzt so arme und schwache Wesen verklärt ist in GOttes Bild nach Geist, Seele und Leib, und wenn die weißen Kleider des Priestertums und die Lebenskrone der königlichen Würde an denen zu sehen sind, die mit Christo regieren sollen in Ewigkeit, und wenn das himmlische Jerusalem geoffenbart ist mit den unermesslichen Edelsteingründen und mit den Gassen vom reinsten Kristallgold und mit den Toren von Perlen, und wenn auf der neuen Erde von allen Angesichtern alle Tränen abgewischt sind und nirgends mehr Tod, nirgends ein Leid, Geschrei oder Schmerz mehr ist, sondern Alles in GOtt sich freut mit unaussprechlicher Freude, ja wenn endlich GOtt Alles ist in Allem; - ach, wie wird dann erst vollkommen erkannt werden, wovon wir jetzt nur das Wenigste erkennen, dass GOtt die Liebe ist! Da werden wir sehen, dass alle Gerichte, auch die schwersten und schmerzlichsten, lauter Liebe waren, und dass alle Strafgerichte nur die Schmelztiegel sein sollten, in denen die ewige Liebe das Gold, das allein in das himmlische Heiligtum taugt, ausschmelzen und läutern wollte. Da wird das ganze Schöpfungsall in seliger Harmonie den großen Lobpsalm Davids (145) anstimmen: „Der HErr ist Allen gütig, und erbarmt sich aller seiner Werte; es sollen dir danken, HErr, alle deine Werte und deine Heiligen dich loben, und die Ehre deines Königreichs rühmen.“ Da wird die Vollendung des ewigen Liebesvorsatzes GOttes zeigen, dass GOtt nicht bloß Liebe gegeben und geübt, sondern dass Er selbst wesenhaft die Liebe ist, Liebe sein Wesen, wie Geist und Licht sein Wesen ist.

Eben deswegen aber, weil so die Liebe das Wesen GOttes ist, kann auch kein Geist in Gemeinschaft mit GOtt sein, wenn nicht Liebe das Element ist, in dem er lebt. Daher betrachten wir noch

II. Nur Liebe macht Eins mit GOtt.

Deswegen setzt unser Text zu den Worten „GOtt ist die Liebe“ hinzu: „wer in der Liebe bleibt, der - und nur der - bleibt in GOtt und GOtt in ihm.“ Dieses Bleiben unseres Geistes in GOtt und GOttes in uns ist unsere höchste Bestimmung, höchste Würde und Seligkeit; es ist aber etwas so Großes und Herrliches, dass wir es gar nicht aussprechen können. Bleiben in GOtt - schon das ist ein Zustand unseres ganzen geistigen Wesens, den man bloß erfahren, nicht beschreiben kann. Schon unter Menschen ist eine solche Gemeinschaft der Liebe, bei der Seelen in einander sind, etwas Geheimnisvolles, bei dem das Gefühl mehr enthält als alle Worte. Viel mehr aber ist das bei der Gemeinschaft mit GOtt, in der unser Wesen an das seinige hingegeben sein soll. Es ist schon etwas Wunderbares, dass Geister in einander sein können.

Aber dass der Vater der Geister, der Schöpfer des ganzen Alls, sich so uns hingeben will, dass wir in Ihm bleiben sollen, ja gar, dass Er bleiben will in uns, das ist ein Wunder der Liebe, das wir in alle Ewigkeit mit tiefstem Danke anbeten werden. Aber wie wir nur als Geist mit GOtt, als dem Urgeist, verwandt sind, so können wir nur als Licht in Ihm, als dem Vater der Lichter, und nur als Liebe in Ihm, als der ewigen Liebe, bleiben. Das Wesen der Liebe ist Selbstmitteilung, Hingabe des eigenen Ich an das Wesen, das wir mit Liebe umfassen. So hat GOtt in seinem Sohne sich selbst uns gegeben und will durch seinen heiligen Geist sich selbst uns mitteilen; das kann Er aber nur, wenn unser Herz ein offenes Gefäß ist, in das Er seine Wahrheit, seine Heiligkeit und seine Seligkeit ergießen kann. Ist dagegen dieses Herz voll von irdischen Dingen, hindert uns Kreatur- und Selbstliebe an der wahren Liebe zu GOtt, dann kann Er sich uns nicht mitteilen und wir können nicht in Ihm bleiben. Nur durch eine solche Liebe, bei der wir GOtt als das höchste Gut über alles Andere lieben, können wir Eins werden mit Ihm, was JEsus als unser höchstes Ziel nennt mit den Worten (Joh., 7,21.): „Ich bitte für sie, auf dass sie Alle Eins seien, gleichwie Du, Vater, in mir, und Ich in dir, dass auch sie in uns Eins seien, Ich in ihnen und Du in mir, und so Du in ihnen, auf dass sie vollkommen seien in Eins, gleichwie wir Eins sind.“

Wie unbegreiflich spricht in diesen Worten die Liebe, die sich mit uns und uns mit sich vereinigen will! Aber wie ist das möglich, wenn uns irdische Dinge oder Menschen lieber sind, als die ewige Liebe? Daher sagt JEsus: „Wer Vater, Mutter, Weib, Sohn oder Tochter mehr liebt, als mich, der ist meiner nicht wert, „ und: „Wer nicht die Welt und sich selbst verleugnet und sein Kreuz auf sich nimmt, der kann nicht mein Jünger sein.“ Das ist freilich schwer und hart für unsere Natur, die in der Selbst- und Weltliebe so tief gefangen ist; aber wer einmal die Seligkeit der Liebe GOttes geschmeckt hat und erfahren, was man an GOtt hat und wie reich und über alle Beschreibung selig das Herz ist in Ihm, dem ist es nicht mehr so schwer, mit dem Apostel Alles für Schaden zu achten, um Christum zu gewinnen und im Vater zu bleiben als versöhnter, zur Gotteskindschaft erhobener und jetzt schon himmlisch beseligter Geist. Deswegen sagt unser Text: „Lasst uns Ihn lieben, denn Er hat uns zuerst geliebt.“ GOtt hat uns geliebt vor Grundlegung der Welt, JEsus hat uns geliebt bis in den Tod, und der Geist will täglich die Liebe GOttes in uns ausgießen. Die heilige Dreieinigkeit umfasst und umschließt uns von allen Seiten mit unendlicher Liebe, und mit tausend Seilen der Liebe muss ein Geist, der GOtt kennt, sich zu Ihm hingezogen fühlen. Wahrlich nicht für möglich sollte man es halten, dass ein Mensch diesem GOtt sein Herz und seine Liebe entzöge. Aber GOtt zwingt Niemand; freie Herzen, freie Liebe will Er, weil nur so das Höchste der Menschheit, Einheit mit GOtt, möglich ist. Dieser innere Trieb freier Liebe muss in uns wirken, wie Kinder ihre Eltern, als ihre ersten und höchsten Wohltäter, mit einer gewissen Naturnotwendigkeit, aber frei und gerne lieben und ihr Glück finden in dieser Liebe. So muss der Sinn eines in JEsu versöhnten und von des Vaters Liebe hochgesegneten Geistes der sein:

O wie groß ist deine Güte?
Deine Treu', Die stets neu,
Preiset mein Gemüte.
Ach, ich muss, ich muss Dich lieben;
Seel' und Leib, Ewig bleib'
Deinem Dienst ergeben!

Was zu dieser Liebe gegen GOtt gehöre, sagt unser Konfirmationsbüchlein mit den Worten: „GOtt lieben heißt: GOtt für das höchste Gut achten, Ihm mit dem Herzen anhangen, immer in Gedanken mit Ihm umgehen, das größte Verlangen nach Ihm tragen, das größte Wohlgefallen an Ihm haben, Ihm ganz und gar sich ergeben und um seine Ehre eifern.“

So nur macht Liebe uns Eins mit GOtt. Besonders der Ausdruck: „immer in Gedanken mit Ihm umgehen,“ sagt uns, was zum Bleiben in GOtt gehöre. Das ist das Beten ohne Unterlass, das der Apostel befiehlt, nicht das förmliche, bei dem wir von aller irdischen Arbeit und Umgebung weg ins Heiligtum GOttes gehen und vor seinem Throne knien, sondern die stete Fortsetzung dieses eigentlichen Gebetes in der Alltäglichkeit des Lebens, da unser Geist auch unter der irdischen Arbeit und auf den Wegen des äußeren Lebens auf GOtt gerichtet, in Ihm als der wahren Heimat zu Hause und bemüht ist, Alles zu tun zu seiner Ehre, wodurch das ganze Leben auch mit seinen Kleinigkeiten und geringen Geschäften ein schöner Gottesdienst wird. Das Alles kann man Niemand befehlen, es muss in der Zucht des Geizes gelernt werden. Unser Natursinn begreift es nicht, und hält ein solches Leben für freudenlos oder für unmöglich: aber im Umgang mit GOtt ist Alles leicht und der Genuss seiner Liebe macht die tiefste Gebundenheit zur höchsten Freiheit; denn die Liebe tut gern, was dem Geliebten gefällt.

Besonders aber hebt unser Text als Hauptbeweis der Gottesliebe die Bruderliebe hervor und behauptet, dass nur der in GOtt bleibe, der die Brüder liebe und so in der Liebe bleibe. „So Jemand spricht: ich liebe GOtt und hasst seinen Bruder, der ist ein Lügner. Denn wer seinen Bruder nicht liebt, den er steht, wie kann er GOtt lieben, den er nicht sieht.“ Von Liebe GOttes zu reden ist keine Kunst: aber zeige mir deinen Glauben, deine Liebe und Frömmigkeit mit deinen Werken. Solche Werke oder Beweise der Liebe gegen GOtt sind alle die Verleugnungen irdischer Weltlust, Ehr- und Habsucht, und alle die Übungen der Frömmigkeit, in denen wir GOtt die Ehre geben und seinem heiligen Willen untertan sind. Ganz besonders aber gehört dahin die tätige Bruder- und allgemeine Menschenliebe. Ohne diese Nächstenliebe verliert Alles, womit wir sonst unsere Gottesliebe zu betätigen glauben, seinen Wert; selbst die höchste Frömmigkeit ist nichts, wenn ihr die wahre und tätige Menschenliebe fehlt. Daher sagt Paulus: „Wenn ich alle Geheimnisse wüsste und hätte alle Erkenntnis und hätte allen Glauben, also dass ich Berge versetzte, und hätte der Liebe nicht, so wäre ich nichts. Und wenn ich alle meine Habe den Armen gäbe und ließe meinen Leib brennen, und hätte der Liebe nicht, so wäre mir es nichts nütze.“ Du kannst die ganze Bibel glauben, kannst viel beten, alle Gottesdienste und Gemeinschaftsstunden besuchen, und vor Jedermann den Namen haben, dass du fromm seiest: aber es hat vor GOtt keinen Wert, wenn du noch in geheimem Neid und Eifersucht, oder in Zorn und Rache, oder gar in offenbarer Feindseligkeit und Widrigkeit mit deinen Nebenmenschen lebst, oder so lange du bloß mit Worten und mit der Zunge liebst, aber nicht mit der Tat und mit der Wahrheit. JEsus sagt im Gericht: „Was ihr nicht getan habt einem unter diesen Geringsten, das habt ihr mir auch nicht getan.“ JEsum sehen wir jetzt nicht mehr auf der Erde, GOtt sehen wir nicht: aber die Menschen sehen wir, deren wir nach GOttes Willen uns annehmen, für deren zeitliches und ewiges Wohl wir sorgen, deren Schwachheiten und Fehler wir mit Geduld vertragen und deren Bedingungen wir verzeihen, denen wir Böses mit Gutem vergelten sollen. Nur wenn wir das leisten, kann mans uns glauben, dass wir GOtt lieben; nur dann ist wirklich Liebe unser Element, und so bleiben wir in GOtt.

Von solcher Liebe selbst gegen Feinde und von einer Liebe, die ohne GOtt gar nicht mehr leben konnte, hat in neuerer Zeit ein armer, aber bekehrter Negersklave, Namens Kuff, ein Beispiel gegeben. Sein Herr sagte eines Tages zu ihm: „Kuff, ich erlaube keinem Menschen auf meiner Pflanzung zu beten. Du musst es daher unterlassen.“ Der Sklave sagte: „Massa! ich kann es nicht lassen.“ - „Du musst aber.“ - „Ich kann nicht.“ Da schrie der Herr mit wildem Zorn: „Wenn du nicht kannst, so hänge ich dich auf und gebe dir 25 Hiebe, Abends und Morgens, bis du kannst.“ - „Es sei,“ sagte Kuff, „ich kann nicht aufhören, zu beten.“ Alsbald wurde er angebunden und erhielt 25 grausame Peitschenhiebe. Dann wurde er wieder herabgelassen und ging singend seines Weges. Bald darauf ging sein Herr zu Bette, aber seine heftige Gemütsbewegung ließ ihn nicht schlafen. Um Mitternacht weckte er seine Frau auf und fragte sie, ob sie nicht für ihn beten könne. „Nein,“ antwortete sie, „ich habe in meinem Leben nicht gebetet.“ Er stöhnte jammervoll und sagte: „Ist den im ganzen Haus Niemand, der für mich beten kann?“ Sie erwiderte: „Ich weiß Niemand, als Kuff.“ Da rief er: „Gut denn, so rufe Kuff, ich muss Jemand haben, der für mich beten kann.“ Kuff kam. Sein Herr sah ihn an und sagte: „Kuff, kannst du für deinen Meister beten?“ Er erwiderte: „Massa, ich habe für dich fort und fort gebetet, seit du mich peitschen ließt.“ Durch diesen wunderbaren Vorgang wurde dieser Mann und seine Frau zur Selbsterkenntnis und zum Glauben an JEsum Christum gebracht. - Das ist eine Liebe zu GOtt, die lieber täglich 50 Peitschenhiebe aushalten will, als ohne Umgang mit GOtt leben, und das ist eine wahre Menschenliebe, die mit zergeißeltem und aufgehauenem Rücken Stunden lang für den Peiniger betet.

Solche Seelen bleiben in GOtt, weil Liebe ihr Element ist, und in solchen Seelen bleibt dann auch GOtt, wie unser Text sagt: „Wer in der Liebe bleibt, der bleibt in GOtt und GOtt in ihm.“ - GOtt in ihm - das kann ich noch weniger beschreiben, als: „er in GOtt.“ Nur wünschen und beten will ich aus tiefstem Herzensgrund, dass wir Alle dieser höchsten Seligkeit des Bleibens GOttes in uns, der Einwohnung GOttes in uns teilhaftig werden. Der Geist GOttes verkläre unsere Menschheit so in der Kraft der Liebe JEsu und erfülle das Gebet, das wir mit GOtt verlangendem Geist vor seinem Gnadenthron jetzt noch niederlegen wollen:

HErr, gib mir zu trinken, Wie's dein Wort verheißt;
Lass gänzlich versinken Den sehnenden Geist
Im Meer deiner Liebe, Lass heilige Triebe
Mich immerfort treiben zum Himmlischen hin:
Es werde mein Herze ganz trunken darin.
Amen.

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