Kähler, Carl Nikolaus - Auslegung der Epistel Pauli an die Philipper in 25 Predigten - Dritte Predigt.

Kähler, Carl Nikolaus - Auslegung der Epistel Pauli an die Philipper in 25 Predigten - Dritte Predigt.

Der Jünger Christi Zeichen ist,
Wenn aus dem Herzen Liebe fließt,
Und in der That sich zeiget.
Gott fordert Liebe nicht allein
Für sich, es soll auch Liebe sein,
Die sich zum Nächsten neiget.

Christen, wir könnten den Himmel schon auf Erden haben, wenn wir unser Herz nur der Liebe öffnen wollten. Je mehr Liebe du hast, desto mehr Himmel hast du in dir, und wenn du auch äußerlich elend und jämmerlich wärest, wie Lazarus, der vor der Thür des reichen Mannes lag, so daß dir die Welt ein Jammerthal, ja eine Hölle wäre: gleichwohl hättest du in dieser Hölle den Himmel, wenn nur die Liebe in deinem Herzen wohnete, wie umgekehrt ein liebloser Mensch, auch wenn Gott ihn wollte in den Himmel hineinnehmen, gleichwohl dort in der Hölle lebte, weil er keine Liebe hätte. Gott wäre nicht der Selige, wenn er bloß der Gewaltige wäre, der König aller Könige und der Herr aller Herren; nein, er ist der Selige allermeist darum, weil er die Liebe ist. Liebst du Gott über Alles und deinen Nächsten als dich selbst, so ist's eben diese Liebe, die den Himmel dir herabbringt in die Welt, oder, was einerlei ist, dich samt der Welt hinaufbringt in den Himmel. Ist es nicht so, mein Gott, daß, wenn ich dich herzlich lieb habe, du in mir lebest und ich in dir, und daß dann selbst die Trübsal dazu dienen muß, meine Freude zu erhöhen? Wie wohl ist mir, o Freund der Seelen, wenn ich in deiner Liebe ruh! Ich traure nicht, was kann mich quälen? Mein Licht, mein Heil, mein Trost bist du. Bei dir vergess‘ ich meine Leiden, denn, o wie viele hohe Freuden genieß' ich, Heiland, nicht bei dir! Hier ist mein Himmel schon auf Erden; Ich kann, ich darf nicht muthlos werden; Denn überall bist du bei mir. - Aber schön und selig ist auch das Band, wodurch die Liebe uns unter einander verknüpft. Fehlt es, so wird oft genug ein Mensch des andern Teufel; ist es da, so wird ein Mensch des andern Engel. Gatte und Gattin, Vater und Kind, Bruder und Schwester, Herr und Knecht, Lehrer und Hörer - haben sie alle einander lieb, so verknüpft sie dasselbe Band, das auch die Engel im Himmel unter einander verknüpft. Wir finden ein Beispiel solcher seligen Gemeinschaft heute in unserm Text. Höret ihn.

Phil. 1, V. 7-8.
Wie es denn mir billig ist, daß ich dermaßen von euch allen halte, darum, daß ich euch in meinem Herzen habe, in diesem meinem Gefängniß, darinnen ich das Evangelium verantworte und bekräftige, als die ihr alle mit mir der Gnade theilhaftig seid. Denn Gott ist mein Zeuge, wie mich nach euch allen verlanget von Herzensgrund in Jesu Christo.

Ist das nicht die Sprache der Liebe? Ja, so redet der liebende Apostel zu seinen geliebten Philippern. Da war ein solches Band, oder vielmehr ein dreifaches Band war es, das ihn und sie an einander knüpfte. Ach, daß auch wir so verbunden wären! Lasset uns einander von Herzen lieb haben, so sind wir es. Die Predigt sei eine Betrachtung über daß dreifache Band, wodurch die christliche Liebe uns unter einander verknüpft. Es ist

  1. das Band der Hoffnung,
  2. das Band der Theilnahme,
  3. das Band der Sehnsucht.

Wenn ich nun aber daran denke, wie Wenige es unter uns gibt, die so einander lieben, wie der Apostel die Philipper liebt und wie er darum von ihnen geliebt wird, so wird mein Seufzer zu dem Gebet: Hilf, lieber himmlischer Vater, daß die Winterkälte unserer Herzen aufhöre und das warme Frühlingsleben der Liebe an deren Stelle trete.

1. Ein schönes Band, das die Liebe knüpft, ist das der Hoffnung.

Paulus hat kurz zuvor die feste Zuversicht ausgesprochen, daß Gott das in den Philippern angefangene gute Werk auch vollenden werde auf den Tag Jesu Christi. Jetzt sagt er, weßhalb er diese Zuversicht hege. Darum, daß ich euch in meinem Herzen habe. Im Herzen haben, was ist das anders als Lieben? Was Jemand liebt, das hat er im Herzen. So ihr die Welt lieb habt, nimmt sie ein und regieret alles Fühlen, Denken, Dichten und Trachten eures Herzens; habt ihr aber Gott und die Brüder lieb, so ist diese Liebe eine Freude über den Geliebten, ein Denken an ihn und ein Streben, daß ihr ihm wohlgefallen und dienen möget. Aus Zweien macht die Liebe Einen, also daß sie Ein Herz und Eine Seele sind. Solche herzliche Liebe nun hatte Paulus zu den Philippern, darum er alles Gute von ihnen allen hofft, wie das denn der Liebe Art ist, daß sie Alles hofft (1 Cor. 13,7): Sie hofft alles Gute von Gott in Beziehung auf den Nächsten, und hofft alles Gute von dem Nächsten in Beziehung auf Gott; nämlich daß Gott nicht werde von dem Geliebten lassen und der Geliebte nicht von Gott. Hast du deine Kinder im Herzen, lieber Vater? Nun, dann hoffest du auch, daß Gott die theuren Kinder behüten und bewahren werde ihr Lebelang, und ihnen dereinst ein seliges Ende bescheren und sie aus Gnaden zu sich nehmen werde in den Himmel. Du vermagst dir nicht zu denken, daß du könntest selig sein, wenn Gott dich wollte zu seiner Rechten, deine Söhne und Töchter aber zu seiner Linken stellen; wenn er zu dir sagen wollte: Komm her, du Gesegneter, und ererbe das Reich, zu deren Kindern aber: Gehet hin, ihr Verfluchten, in das ewige Feuer. Nein, die Liebe erträgt solchen Gedanken nicht, und wie sie dich Alles hoffen lehret von Allen, so heißt sie dich auch Ales thun, was in deinen Kräften steht, damit dir keiner von den Theuren verloren gehe. - Lieber Hirte, hast du deine Herde im Herzen? Nun, dann hütest und weidest du sie mit Fleiß, und hoffst zu Gott, daß er deine Treue an der Herde segnen, sie vor dem Wolf bewahren, und beide, Herde und Hirten, wenn der Tag sich neigt, in die himmlische Hürde bringen werde. Wenn nun solche christliche Liebe bei uns Allen wäre, ach, dann verknüpfte sie auch unser Aller Herzen durch das schöne Band der Hoffnung, Einer stünde für Alle, Alle stünden für Einen, und keiner wollte selig werden, ohne daß er die Andern, die er in seinem Herzen trüge, bei sich hätte im Paradies. Wie ganz anders ist es, wenn die Liebe fehlt! Der Lieblose denket an sich allein, und seine höchste Frage ist: was soll ich thun, daß ich selig werde? All sein Wünschen, Hoffen, Thun gehet nur vornehmlich auf ihn selbst und sein Haus, alle Uebrigen lässet er gehen und fahren, wohin sie wollen, denn sein Wahlspruch ist: Jeder ist sich selbst der Nächste! Paulus dagegen, weil er Alle im Herzen trägt, spricht: ich habe solche Hoffnung von euch Allen. Aber ist seine Liebe in ihrer Hoffnung nicht zu kühn? Sagt doch nicht der Herr: der Weg ist schmal, der zum Leben führt, und ihrer sind Wenige, die darauf wandeln? Wie kann des Apostels Hoffnung sich auf Alle erstrecken? - Ihr sollet wissen, Theure, daß es eine falsche, eitle Liebe gibt, die mit dem Himmel und der himmlischen Seligkeit wie mit Rechenpfennigen spielt. Sie will Keinen ausgeschlossen wissen vom Himmel, und kehret daher das Wort des Herrn um und spricht: die Pforte ist weit und der Weg ist breit, der zum Leben führt, und ihrer sind viele, die darauf wandeln, ja sie spricht wohl gar im Rausch ihrer unheiligen Empfindungen: Alle, Alle wandeln darauf. So hört man mitunter die Leute reden, wenn sie voll süßen Weines sind. Aber Paulus macht die enge Pforte nicht weit, und den schmalen Weg nicht breit. Seine Hoffnung, die er von den Philippern hegt, ist eine wohlberechtigte. Es ist mir billig, spricht er, daß ich dies von euch allen denke. Worauf stützt sich denn die Hoffnung seiner Liebe? Darauf zunächst, daß das gute Werk in ihnen allen angefangen war. Wo nichts gesäet und nichts aufgelaufen ist, wie kann man da auf eine gesegnete Ernte hoffen? Aber die philippische Gemeinde war ein Acker, den die Gnade Gottes zubereitet hatte, und der Säemann war gekommen zu säen seinen Samen, und die Saat war aufgegangen und prangte mit ihrem herrlichen Grün. Darauf und auf der theilnehmenden Liebe der Philipper, die mit Paulo Einen Leidenskelch tranken und Ein Werk trieben für das Evangelium, darauf stand die Hoffnung seiner Liebe, darum er sagt: es ist gerecht und billig, daß ich die beste Hoffnung von euch allen hege.

Wie er nun aber von Gott hofft, daß er nicht werde von den Philippern lassen, so hofft er auch von den Philippern, daß sie nicht lassen werden von Gott. Denn in seiner Hoffnung, die er ausspricht, liegt eine zarte Ermahnung versteckt, als ob er spräche: Solches hoffe ich, lasset die Hoffnung meiner Liebe nicht zu Schanden werden! Wenn sie hören und er es sogar mit einer feierlichen Berufung auf den allwissenden Gott bekräftigt, daß er sie alle auf seinem Herzen trage, sollte das sie nicht ergreifen und sie bewahren, die Hoffnungsblüthen seiner Liebe nicht zu verwüsten? Was ist doch mächtiger, uns zu behüten und mit Eifer und Lust zum Guten zu erfüllen, als wenn wir sehen, daß ein theurer Mann uns in seinem Herzen trägt und in seiner Liebe alles Gute von uns hofft? Das weiß der Apostel recht wohl, daß nicht Alle gleich fest stehen, und daß, wie fest auch jemand stehe, er dennoch zu weilen fallen werde. Aber die christliche Liebe verzweifelt nicht so leicht an einem Sünder. Die Kinder der Welt, wenn sie fallen, sinken von Stufe zu Stufe tiefer hinab in das Verderben, bis sie unrettbar verloren sind; aber die Kinder Gottes, wenn sie fallen, tragen Leid, und stehen wieder auf, wie Gott selber spricht (Jer. 8,4): Wo ist Jemand, so er fällt, der nicht gerne wieder aufstände? Wo ist Jemand, so er irre geht, der nicht gerne wieder zurecht käme?. Es ist ja fast unmöglich, daß, wer einmal wahrhaftig in der Gnade steht, je sollte aus dieser Gnade fallen, die nicht wieder los läßt, was sie einmal hat. Er ist wohl manchmal in seiner Schwachheit wie ein fliegendes Blatt und wie ein dürrer Halm, aber sollte Gott wider ein fliegendes Blatt so ernstlich sein und einen dürren Halm verfolgen?1) So denkt die Liebe, die Alles hofft. Darum gibt sie nicht den Schwachen auf, und zieht nicht Herz und Hand von dem Gefallenen zurück. Sie kann nicht von ihm lassen, weil sie ihn im Herzen trägt. Sie wacht über ihn, arbeitet für ihn, betet für ihn, hofft für ihn, selbst wenn Alles zu fürchten wäre. O Christen, lasset uns Einer den Andern im Herzen haben, damit dies schöne Band der Hoffnung uns verknüpfe.

2. Die Liebe hoffet Alles, und nimmt Theil an Allem.

Dies Band der Theilnahme, das sie unter uns knüpft, werde jetzt von uns betrachtet. Paulus stand den Philippern nah in seiner Liebe, und sie wiederum standen dem Paulus nah in ihrer Liebe. Ihr seid, spricht er, sowohl in meinen Banden, als auch in der Vertheidigung und Bekräftigung des Evangeliums alle mit mir der Gnade theilhaftig. Also eine zwiefache Theilnahme war es, die sie mit ihm verband. Zum Ersten die Theilnahme an seinen Leiden. Sein Kelch war ihr Kelch, es war der Kelch, den Christus den Seinen zu trinken gibt. Hatten sie nicht, wie er, um des Glaubens willen von der Welt zu leiden, welche die Christen nicht lieben kann, weil sie Christum haßt? Waren sie nicht, wie er, hineingeführt in den Kampf zwischen Geist und Fleisch, davon er sagt: das Fleisch gelüstet wider den Geist und der Geist wider das Fleisch? Ja, drückten nicht dieselben Fesseln, die ihn drückten, auch sie? Es ist ja der Liebe Art, daß sie, wie sie mit den Fröhlichen fröhlich ist, und mit den Weinenden weint. Darum sandten ja eben die Philipper einen Boten nach Rom und suchten seine Last ihm zu erleichtern, wie er sagt (Cap. 4,14): Ihr habt euch meiner Trübsal angenommen. Christen, kann es eine schönere Theilnahme geben, als diese Theilnahme der Liebe, welche den Kampf und Schmerz der Brüder theilt? Sie ist schön nach ihrer Herkunft, denn sie ist ein Kind der Gnade Gottes. Darum verweiset auch Paulus die Philipper auf die Gnade, um dadurch Balsam zu gießen in ihre Wunden. Fürwahr, wir müssen Gott danken, wenn er uns tüchtig macht, um der Gerechtigkeit willen uns verfolgen zu lassen und einer des Andern Last zu tragen. Von Natur haben wir das nicht an uns, und Fleisch und Blut lehren uns das nicht. Der natürliche Mensch fliehet vor der Trübsal, klagt, donnert und blitzt, wenn er unschuldig leiden soll. Auch hat er kein Herz für die Brüder, fühlt nicht ihren Schmerz, nimmt sich nicht ihrer Trübsal an. Aber die Gnade Gottes erlöset uns von uns selbst und macht neue Menschen aus uns, die der Liebe voll sind, der Liebe, die um Christi willen auch den Tod nicht fürchtet, und um des theuern Bruders willen kein Opfer scheut. Siehe, so herrlich und schön ist die Liebe nach ihrer Herkunft, daß wir wohl den Vater im Himmel preisen mögen, wenn er den alten kampf- und opferscheuen Adam in uns tödtet und den neuen kampf-, und opferfreudigen Menschen in uns schafft! Und wie herrlich ist diese Liebe zugleich in ihren Erweisungen! Der Philipper Beispiel lehrt es ja, daß sie willig ihren Groschen hergibt, um den Dürftigen zu unterstützen, wenn es auch der letzte Groschen wäre, und daß sie den Gefesselten in seinem Gefängniß besucht, ihn zu trösten, wenn sie darum auch von Macedonien nach Rom gehen sollte. Wäre nun solche Liebe unter uns allen, welches herrliche Band der Theilnahme verknüpfte uns dann! Keiner trüge dann seine Trübsal für sich allein, sondern alle Anderen hülfen seine Last ihm tragen. Nun aber stehet meistens der kämpfende und leidende Christ so einsam und verlassen in der Welt, daß kaum hie und da Einer ist, der seinen Schmerz auch nur versteht, und kein Freund, an dessen Brust er sein Haupt lehnen und seinen Schmerz ausweinen kann.

Hätten wir doch Alle einander lieb! dann wäre auch brüderliche Theilnahme unter uns, und nicht nur in unserm Leiden, sondern auch in unserm Wirken und Thun. Paulus rühmt es an den Philippern, daß sie seine Genossen seien auch in der Verantwortung oder Vertheidigung und Bekräftigung des Evangelii. Wie vertheidigte und bekräftigte er das Evangelium in Rom? Das that er nicht nur im gerichtlichen Verhör, so oft er sich wegen seines Glaubens und Lebens verantworten mußte - da zeugte er von Christo und stand wie Stephanus, dessen Angesicht leuchtete wie eines Engels Angesicht; - sondern auch sonst hatte er vielfach Gelegenheit, das Evangelium wider die Angriffe der Feinde zu vertheidigen und so in den Herzen der Gläubigen zu besiegeln und fest zu machen. Denn er hatte die Erlaubniß, frei umherzugehen, nur daß er durch eine Kette an einen Kriegsknecht angeschlossen war, der seiner hütete. Da „predigte er denn das Reich Gottes, und lehrte von dem Herrn Jesu, mit aller Freudigkeit“ (Apostg. 28). Dasselbe thaten seine Brüder in Philippi, und auch das war ein Werk der Gnade Gottes. Wer macht uns zu Freunden des Evangelii, wenn es nicht die Gnade thut? Wer gibt uns den Muth, das Evangelium, wo und wann es noththut, zu vertheidigen, wenn nicht die Gnade uns solchen Muth verleiht? Wir sind so zaghaft und schüchtern, daß, wenn es gilt, Christum vor der Welt und vor seinen Feinden zu vertheidigen, wir lieber schweigen als reden, und wenn wir reden, uns die Stimme im Gaumen stocken möchte. Und doch ist ein herzhaftes, freudiges Bekenntniß Christi vor der Welt die allerbeste Art, das Evangelium zu bekräftigen. Denn es bedarf zwar an sich der Bekräftigung nicht, sondern ist eine Kraft und Macht, der auch die Pforten der Hölle nicht widerstehen können. Aber in den Herzen der Schwachen stehet es wie eine zarte Pflanze, die der Pflege bedarf, damit sie fest wurzele und ihre Kraft an den Herzen offenbare. Dazu wirket eben das freudige Bekenntniß vor der Welt. Sind wir denn nun in der christlichen Liebe so unter einander verbunden, daß wir Alle Ein christliches Werk mit einander treiben? Stelle sich Jeder an sein künftiges Sterbebett, und frage den Kranken, den Sterbenden, der darin liegt: Was hast Du für deinen Heiland gethan? Und nun laß den Sterbenden wieder zu dir sagen: Lieber, laß doch von heut an dein Leben eine Vertheidigung und Bekräftigung des Evangeliums sein. Dein Glauben sei evangelisch, dein Reden und Thun auch. - O Christen, wird‘ es so mit uns Allen. Ihr seht es an dem Beispiel der Philipper, daß es eine Gemeinde geben kann, wo Alle wie Ein Mann das Evangelium vertheidigen und bekräftigen.

3. Sei dies das Band zwischen uns.

Es ist das zweite, zu dem nun noch das dritte kommt, das Band der Sehnsucht. Paulus beruft sich zur Bestätigung dessen, daß er die Philipper in seinem Herzen trage, auf seine Sehnsucht nach ihnen allen. Gott ist mein Zeuge, wie mich nach euch allen verlanget von Herzensgrund in Christo Jesu, oder, wie es wörtlich im Grundtexte lautet: in dem Herzen Jesu Christi.

Hatte denn Christus ein solches Herz voll Sehnsucht? Ja, er hatte es und hat es auch behalten. Denket an das enge Band zwischen ihm und den Seinigen. Als der Tod kam, der ihn von seinen Jüngern trennen wollte, da wurden diese traurig, als er sagte: Ueber ein Kleines, so werdet ihr mich nicht sehen. Er aber tröstete sie und sprach: Ich will wieder kommen. Es ist nicht anders als redete eine scheidende Mutter mit ihren weinenden Kindern. Das Band zwischen ihm und ihnen war so herzlich und schön, daß, als er ging, er eben so sehr nach ihnen sich sehnte, als sie nach ihm. Mit Sehnsucht blickten sie ihm nach, als er zu seinem Vater ging; mit Sehnsucht nach ihm war ihr ganzes Leben erfüllt bis an's Ende. Ihr wißt, was Paulus spricht: Ich wünsche abzuscheiden und bei Christo zu sein, und anderswo: Christus ist mein Leben und Sterben mein Gewinn. Sollte nun Er nicht eine noch größere Sehnsucht gehabt haben nach ihnen? Er liebte sie ja, und welche Liebe kann größer gedacht werden, als die seinige war? Er hat aber sein Herz und alle Liebe seines Herzens mit sich genommen in den Himmel. Also auch die Sehnsucht? Ja, Christen, und nicht bloß die Sehnsucht nach den Aposteln, sondern nach allen Seinigen, die er hat in dieser Welt. Auch nach dir, nach mir und nach allen seinen andern Freunden sehnt er sich, weil er uns im Herzen trägt. O, wohl uns, daß wir einen solchen Freund im Himmel haben!

Was meint nun Paulus, wenn er spricht: Mich verlangt nach euch in dem Herzen Christi? Das ist seine Meinung: in Paulus lebet nicht Paulus, sondern Christus lebet in ihm mit seinem Herzen; daher muß ja die Sehnsucht groß, tief und herzlich sein, die er zu den Philippern hegt. Alles was Christus hat, das theilt er den Seinigen mit, vor Allem seine Liebe, die eine heilige, eine mächtige, eine beständige, eine unaustilgbare Liebe ist. Mittelst dieser Liebe knüpft er ein Band zwischen ihnen, welches, wenn sie durch Raum und Zeit von einander geschieden werden, dennoch nicht zerreißt, sondern dann ein Band des gegenseitigen Verlangens und Sehnens ist bis zur Stunde der Wiedervereinigung. Wie aufrichtig der Apostel es mit seinen Worten meint, das spricht er aus, indem er sagt: Gott ist mein Zeuge. Vor Gott also tritt er im Geiste mit ihnen hin und beruft sich auf den Allwissenden, daß er nicht schmeichele, nicht heuchele. - Aber, Christen, wie stehet's nun mit uns? Vielfache Trennung findet ja auch noch in unsern Tagen statt. Eltern werden von ihren Kindern getrennt, die in die Fremde gehen: verlangt da die Eltern nach den Kindern und die Kinder nach den Eltern in dem Herzen Christi? Laßt die Briefe sehen, die geschrieben werden, darin wird sich's ja offenbaren, ob Liebe die Getrennten noch vereinigt, und ob es die Liebe Christi ist. Diese Liebe dringet uns also, daß wir schreiben: Mich verlangt herzlich nach euch. Wie mußte solche Liebe den Vater und die Mutter treiben, für die Seelen der lieben Kinder zu beten, und wie die Kinder behüten in den Stunden der Gefahr, weil in ihrem Herzen die theuren Eltern wären, nach denen sie verlangt!

- Lehrer und Schüler trennen sich von einander: Kind, nimmst du das Herz Christi mit dir, das auch nach vielen Jahren noch und in weiter Ferne sich nach dem Manne sehnt, der dir den Weg zu Gott gewiesen hat? Es sollte doch billig zwischen dir und ihm ein solches Band geknüpft sein, das nicht die Trennung zerreißen könnte. - Treten wir aus der Kirchthür, so stehen wir auf dem Kirchhofe mit den vielen Gräbern und Denkmälern. Hier schläft ein Vater oder eine Mutter; dort ein Gatte oder eine Gattin; dort ein Sohn oder eine Tochter. Zurückgebliebene, ist noch ein Band zwischen euch und den Entschlafenen? Könnt ihr mit Paulus sprechen: Gott ist unser Zeuge, daß uns nach euch allen verlangt in dem Herzen Christi? Das Herz Christi mit seinem Sehnen ist ein schönes Band zwischen dem Diesseits und dem Jenseits. Wo Unglaube und weltlicher Sinn Wohnung in den Herzen genommen haben, da fehlt dies Band, da ist's, als gäbe es kein Jenseits und keinen Christus und kein Herz Christi. Ach, daß wir Alle mit demselben Herzen an unsern Verklärten hingen, womit Paulus an den Christen zu Philippi hing! Wie kann von einem fröhlichen Wiedersehen geredet werden, wenn keine Sehnsucht darnach ist, und wenn der Garten der christlichen Liebe fehlt, worin die Blume der Sehnsucht wächst und zum seligen Wiedersehen reift! O theurer Heiland, wie schön sind doch die Bande, die deine Liebe unter uns Christen knüpft! So bitten wir dich denn: erfülle uns mit Liebe, damit wir eng verbunden seien durch sie, die Alles hofft, die uns zu Mitgenossen im Leiden und Wirken macht, und uns in Gemeinschaft erhält, auch wenn Leben und Tod uns von einander scheiden.

Ich bin ein Fremdling auf der Erden,
Der Himmel ist mein Vaterland;
Hier trag' ich noch mit viel Beschwerden
Den Wanderstab in meiner Hand;
Doch führt mein Weg mich endlich hin,
Wo ich bei meinen Lieben bin.

1)
Hiob 13,25.
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