Gerhardt, Johann - Tägliche Übung der Gottseligkeit - Dritte Abtheilung. - Das vierte Capitel. Gebet um Erhaltung und Vermehrung der Liebe.

Gerhardt, Johann - Tägliche Übung der Gottseligkeit - Dritte Abtheilung. - Das vierte Capitel. Gebet um Erhaltung und Vermehrung der Liebe.

Ewiger und barmherziger Gott, der du selbst die Liebe bist, verleihe mir den Reichthum der wahren und reinen geistigen Liebe! Mein Herz ist kalt und irden; Feuer, o Liebe, entzünde mich! Mein Herz ist hart und steinern; o Fels, o Liebe, erweiche mich! Mein Herz ist mit den Dorngesträuchen des Zorns und Hasses erfüllt; o gütigster Vater, o Liebe, reinige mich! Ich will dich lieben, Gott, meine Stärke, mein Fels und meine Burg, mein Erretter, mein Gott, mein Schild und Horn meines Heils! Was ich an den Creaturen Gutes und Vorzügliches sehe, das finde ich Alles noch reichlicher und vortrefflicher in dir, der du das höchste Gut bist; dich will ich daher von ganzem Herzen über Alles lieben, in dem ich eine so große Fülle und Vortrefflichkeit der Güter wahrnehme. Je mehr ich in dich eingehen werde, desto besser werde ich's haben, da es nichts Besseres gibt, als dich. Ich werde aber eingehen können nicht durch den Wandel mit den Füßen des Leibes, sondern durch die Liebe mit dem Verlangen des Herzens. Wenn ich nach Schönheit verlange: du bist der Schönste unter Allen; wenn ich Weisheit begehre: du bist der Weiseste unter Allen; wenn ich mir Reichthum wünsche: du bist der Reichste unter Allen; wenn ich Macht liebe: du bist der Mächtigste unter Allen; wenn ich Stärke liebe: du bist der Stärkste unter Allen; wenn ich Ehre liebe: du bist der Glorreichste unter Allen. Du hast mich von Ewigkeit geliebet; ich will dich wiederlieben in Ewigkeit. Du hast mich geliebt, indem du dich selbst mir gabst; ich will dich lieben, indem ich mich ganz durch die Liebe dir wieder gebe. Mein Herz entbrenne in mir; alle Creatur werde mir nichts; du allein sollst meiner Seele süß werden. Du hast die menschliche Natur deinem Sohne mit unzertrennlichem Bunde vereinigen wollen; wie viel mehr geziemt es sich, dir mein Herz mit unzertrennlichem Bande der Liebe zu verbinden. Die göttliche Liebe hat deinen Sohn aus dem Himmel zur Erde gezogen, zur Geißelung an die Säule gebunden, zum Tod an's Kreuz geheftet; sollte nicht eine so heiße Liebesflamme mein Herz von der Erde zum Himmel erheben, und dir, dem höchsten Gut, ungetheilt verbinden? Ich würde dir und mir ein großes Unrecht thun, wenn ich das Irdische, Verächtliche und Mittelmäßige liebte, da du mich so werth gehalten, und mir so reiche Versprechungen gegeben hast, daß ich dich lieben dürfe. Aus dieser Liebe zu dir erwachse auch in meinem Herzen die aufrichtige Liebe zum Nächsten. Wer dich, o höchstes Gut, liebt, der hält auch deine Gebote, da die Liebe durch die That bewiesen wird; wenn du daher den Nächsten zu lieben befohlen hast, so liebt dich eben deshalb Niemand aufrichtig, der dem Nächsten nicht die schuldige Liebe erweist. Wer nun auch mein Nächster sey: du hast ihn so werth gehalten, daß du ihn wunderbar schufest, erbarmungsvoll erlösetest, und mit großer Gnade zur Gemeinschaft deines Reiches beriefest. In dir und um deinetwillen soll ich daher meinen Nächsten lieben, den ich von deiner Güte zum Schmuck einer solchen Herrlichkeit erhoben sehe.

Diese wahre und aufrichtige Liebe wollest du in mir kräftigen und mehren, der du bist die ewige und unveränderliche Liebe!. Amen.

Cookies helfen bei der Bereitstellung von Inhalten. Diese Website verwendet Cookies. Mit der Nutzung der Website erklären Sie sich damit einverstanden, dass Cookies auf Ihrem Computer gespeichert werden. Außerdem bestätigen Sie, dass Sie unsere Datenschutzerklärung gelesen und verstanden haben. Wenn Sie nicht einverstanden sind, verlassen Sie die Website.Weitere Information
autoren/g/gerhardt_j/tudg/gerhard_johann_tudg_3_4.txt · Zuletzt geändert: von 127.0.0.1
Public Domain Falls nicht anders bezeichnet, ist der Inhalt dieses Wikis unter der folgenden Lizenz veröffentlicht: Public Domain