Gerhard, Johann - Heilige Betrachtungen - Von der täglichen Betrachtung des Todes.

Gerhard, Johann - Heilige Betrachtungen - Von der täglichen Betrachtung des Todes.

Beschäftigung mit dem Tode ist Leben.

O gläubige Seele, erwarte den Tod alle Stunden, weil er alle Stunden dir nachstellt. Wenn du am Morgen aufstehst, o Mensch, so denke, dass dies der letzte Tag deines Lebens sein werde. Wenn du am Abend zu Bett gehen willst, so denke, dass dies deine letzte Stunde auf Erden sein werde. Was du auch tust, was du auch vornimmst, immer bedenke zuvor und überlege bei dir, ob du so handeln würdest, wenn du in dieser Stunde sterben und vor Gottes Gericht treten musstest. Meinst du, wenn du nicht an den Tod denkst, er werde ferne von dir bleiben? und herbeigerufen werde er, wenn du an ihn denkst? Ob du an ihn denkst, oder nicht; ob du von ihm redest, oder nicht, er schwebt immer über deinem Haupt. Zum Darlehen ist dir das Leben gegeben, nicht zum Besitz: du bist ins Leben gekommen unter der Bedingung, dass du aus demselben scheidest; nackt bist du gekommen, nackt wirst du scheiden Hiob 1,21. Das Leben ist eine Wanderung; wenn du lange gewandert sein wirst, musst du zurückkehren. Ein Einwohner und Mietmann bist du in der Welt, nicht aber ein beständiger Herr: in jeder Stunde bedenke, wohin du in jeder Minute eilst. Darin täuschen wir uns, dass wir mit dem letzten Atemzug des Lebens zu sterben meinen: alle Tage, alle Stunden, alle Augenblicke sterben wir! Was zum Leben kommt, geht vom Leben ab; was zum Leben hinzugefügt wird, das wird sofort vom Leben abgezogen: nicht plötzlich geraten wir in den Tod, sondern nach und nach schreiten wir zu ihm fort. Unser Leben hier ist ein Weg; täglich müssen wir etwas von ihm zurücklegen. Tod und Leben scheinen sehr fern von einander zu sein, und doch ist kein Ding dem anderen näher als der Tod dem Leben. Dies schwindet immer, jener steht immer bevor. Wie denen, welche zu Schiffe reisen, oft ohne dass sie es merken und denken, so lange die Fahrt währt, das Ende der Reise kommt: so kommen wir dem Tod immer näher, was wir auch tun, sei es, dass wir essen, oder trinken, oder schlafen. Viele haben das Leben beschlossen, während sie noch das Gerät und die Hilfsmittel zum Leben suchten. - Dem nahenden Tode geht keiner mit heiterer Miene entgegen, außer der sich lange auf ihn bereitet hat. Im Leben stirb dir täglich; so wirst du im Tod Gott leben können. Ehe du stirbst, lass in dir die bösen Begierden sterben; in deinem Leben sterbe in dir der alte Adam, so wird im Tod Christus in dir leben. In deinem Leben verwese täglich der äußerliche Mensch, so wird im Tod der innerliche in dir verneuert werden. Der Tod versetzt aus der Zeit in die Ewigkeit, denn auf welchen Ort der Baum fällt, da wird er liegen Pred. 11,3. Wie ernstlich ist darum an die Stunde des Todes zu denken! Die Zeit verrinnt und die unermesslichen Räume der Ewigkeit sind noch übrig. In der Zeit bereite dich darum zur Ewigkeit. Wer wir in Ewigkeit sein werden, selig, oder verdammt, das wird in der einen Todesstunde entschieden. In diesem einen Augenblick wird die ewige Seligkeit entweder erlangt, oder verloren. Wie sorgsam, o liebe Seele, musst du dich darum auf diese Stunde bereiten? Du wirst leicht alles Weltliche verachten, wenn du bedenkst, dass du sterben wirst. Denke an die im Tod sich verdunkelnden Augen, und du wirst sie leicht von der Eitelkeit abwenden Ps. 119,37; denke an die im Tod taub werdenden Ohren, und es wird dir leicht werden, sie gegen schändliche und schmutzige Reden zu verstopfen; denke an die im Tod erstarrende Zunge, und du wirst sorgsamer Bedacht nehmen auf deine Rede. Der Schweiß und die Angst der Sterbenden schwebe dir vor Augen; so wirst du leicht die weltlichen Ergötzungen verachten. Die Nacktheit der aus diesem Leben Scheidenden schwebe dir vor Augen, und es wird dir Armut in diesem Leben nicht beschwerlich sein. Siehe an den Jammer der Seele, die gezwungen ist, die Behausung des Leibes zu verlassen, und du wirst dich leicht hüten vor der Schuld jeder Sünde. Denke an die Verwesung, die im Gefolge deines Todes ist, und du wirst leicht dein Fleisch, das sich brüstet, unters Joch bringen. Bedenke, wie beraubt und entblößt von allen Geschöpfen du im Tod gelassen wirst, und du wirst leicht deine Liebe von jenen abwenden, und dem Schöpfer zuwenden können: bedenke, wie ängstlich der Tod nachsucht, damit du ja nicht etwas mit dir aus diesem Leben nimmst, und du wirst auch leicht allen Reichtum der Welt verachten. Wer in diesem Leben täglich dem Tod sich weiht durch Sünden, der geht durch den Tod zu den Martern des ewigen Todes über. Keiner gelangt zum ewigen Leben, der nicht hier anfängt in Christo zu leben. Damit du im Tode lebst, pflanze dich Christo durch den Glauben ein.

Der Tod sei dir immer im Gedächtnis, weil du ihn immer zu erwarten hast. Wir tragen den Tod immer mit uns herum, weil wir immer die Sünde mit uns herumtragen, der Tod aber ist der Sünden Sold Röm. 6,23. Wenn du der Bitterkeit des Todes zu entgehen wünschest, so halte Christi Wort Joh. 8,51. Der Glaube verbindet und einigt uns mit Christo; die also in Christo sind, die sterben nicht, denn Christus ist ihr Leben. Wer Gott durch den Glauben anhangt, der ist ein Geist mit ihm 1 Kor. 6,17; und daher stirbt der Gläubige in Ewigkeit nicht, weil Gott sein Leben ist. Das Volk Israel gelangt durch das rote Meer zu dem Land der Verheißung, Pharao aber und sein Herr kommt in demselben um 2 Mos. 14: so ist der Tod der Frommen ihnen selbst der Anfang und die Pforte zum Paradies; der Tod der Gottlosen aber ist nicht das Ende der Übel, sondern das Bindemittel der vorhergehenden und der folgenden; die gelangen von dem ersten zum anderen Tod Off. 17,14. So innig ist die Einigung Christi und der Gläubigen, dass sie durch den Tod nicht aufgelöst werden kann Röm. 8,38.39; selbst in der dicksten Finsternis des Todes leuchtet ihnen voran das Licht der göttlichen Gnade; auf der gefahrvollen Reise des Todes sorgt Christus für seine Geliebten durch den Schutz der Engel. Die Leiber der Heiligen sind Tempel des heiligen Geistes 1 Kor. 6,19; der Heilige Geist wird nicht zugeben, dass seine Tempel durch den Tod ganz zerstört werden. Das Wort Gottes ist ein unvergänglicher Same 1 Petr. 1,23; dasselbe wird durch den Tod nicht getilgt, sondern verborgen in den Herzen der Frommen, und wird diese zu seiner Zeit lebendig machen.

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