Gerhard, Johann - Heilige Betrachtungen - Von den Eigenschaften der wahren Liebe.

Gerhard, Johann - Heilige Betrachtungen - Von den Eigenschaften der wahren Liebe.

Das Kennzeichen der Heiligen ist die Liebe.

Die wahre und reine Liebe ist eine bleibende Eigenschaft der Frommen. Kein Christ ist ohne Glauben, kein Glaube ohne Liebe; wo der Glanz der Liebe fehlt, da fehlt auch das Feuer des Glaubens. Trenne das Licht von der Sonne, und du wirst die Liebe vom Glauben trennen können. Die Liebe ist das äußere Tun des inneren Lebens eines Christenmenschen. Der Leib ist tot ohne das Atmen: so ist der Glaube tot ohne die Liebe Jak. 2,26. Wer Christi Geist nicht hat, der ist nicht sein Röm. 8,9. Der hat Christi Geist nicht, der nicht die Gabe der Liebe kund werden lässt, denn die Frucht des Geistes ist Liebe Gal. 5,22. Der Baum wird nur dann für einen guten erkannt, wenn man sieht, dass er gute Früchte bringt Matth. 7,16.17. Die Liebe ist das Band der christlichen Vollkommenheit Kol. 3,14. Wie die Glieder des Leibes durch den Geist, das ist, durch die Seele verbunden werden, so werden die wahren Glieder des geheimnisvollen Leibes durch den heiligen Geist vermittelst des Bandes der Liebe vereinigt. Im Tempel Salomo's war alles mit Gold überzogen, inwendig und auswendig 1 Kön. 6,21.22: So sei in dem geistlichen Tempel Gottes alles mit Liebe geziert inwendig und auswendig. Die Liebe bewege das Herz zum Mitleiden, die Liebe bewege die Hand zu reichlichem Wohltun. Das Mitleiden reicht nicht hin, wenn nicht das äußere reichliche Wohltun hinzu kommt, und das äußere reichliche Wohltun reicht auch nicht hin, wenn nicht das innere Mitleiden hinzu kommt. Der Glaube empfängt alles von Gott, die Liebe teilt alles wieder aus an den Nächsten. Durch den Glauben werden wir teilhaftig der göttlichen Natur 2. Petr. 1,4, Gott aber ist die Liebe 1 Joh. 4,16. Wo daher die Liebe sich äußerlich nicht kund gibt, da glaube keiner, dass der Glaube innerlich vorhanden sei. Keiner glaubt an Christum, der Christum nicht liebt; keiner liebt Christum, außer wer auch seinen Nächsten liebt. Der hat mit der wahren Zuversicht des Herzens die Wohltat Christi noch nicht ergriffen, welcher seinem Nächsten die schuldige Pflicht versagt. Das ist kein wahrhaft gutes Werk, das nicht aus dem Glauben kommt Röm. 14,23; und das ist auch kein wahrhaft gutes Werk, dass nicht aus der Liebe kommt; denn die Liebe birgt in sich den Keim aller Tugenden. Es gibt keine gute Frucht, außer welche aus der Wurzel der Liebe hervorgeht. Die Liebe ist der geistliche Geschmack der Seele; denn ihr allein schmeckt alles Gute, alles Bittere, alles Widerwärtige, alles Mühevolle. Der Geschmack der Liebe macht auch den Tod sehr angenehm, weil die Liebe stark ist wie der Tod Hohel. 8,6, ja stärker als der Tod, weil die Liebe Christum zum Tod geführt hat. Die Liebe erweckt auch die wahrhaft Frommen, dass sie für Christum zu sterben kein Bedenken tragen. Alle Werke Gottes gehen hervor aus der Liebe, auch sogar die Strafen: so sollen auch alle Werke eines Christenmenschen hervorgehen aus der Liebe. In allen Geschöpfen hat Gott uns einen Spiegel der Liebe vorgestellt. Die Sonne und der Mond leuchten nicht sich, sondern uns; die Kräuter reinigen nicht sich, sondern unsere Leiber; die Luft, das Wasser, die unvernünftigen Tiere und alle Geschöpfe dienen dem Menschen: so stelle auch du dich selbst ganz in den Dienst des Nächsten.

Die Zungen nützen nichts ohne die Liebe 1 Kor. 13,1, denn ohne die Liebe bläst das Wissen der Zungen auf, die Liebe aber bessert 1 Kor. 8,1. Das Wissen der Geheimnisse nützt nichts ohne die Liebe 1 Kor. 13,2, denn auch dem Teufel sind die Geheimnisse bekannt, die Liebe aber ist nur dem Frommen eigen. Auch der Glaube, der Berge versetzt, nützt nichts ohne die Liebe 1 Kor. 13,2, weil solcher Glaube nur Bewunderung erregt, nicht aber Heil schafft. Die Liebe zeichnet sich aus durch die Gabe, Wunder zu tun, denn jene ist das unzweifelhafte Kennzeichen wahrer Christen, diese aber wird auch zuweilen den Gottlosen zu Teil Mk. 9,38, Luk. 7,22. Es hilft nichts, alle seine Habe den Armen geben, wenn die Liebe fehlt 1 Kor. 13,3, weil die äußere Tat eine heuchlerische ist, wenn die innere Liebe fehlt. Die Bäche des Wohltuns helfen nichts, wenn sie nicht aus der Quelle der Liebe entspringen. Die liebe ist langmütig. 1 Kor. 13,4, denn nicht leicht zürnt einer dem, den er liebt. Die Liebe ist freundlich 1 Kor. 13,4; denn wie könnte, wer sein Herz, das höchste Gut der Seele durch die Liebe verschenkt hat, die kleineren äußeren Güter versagen? Die Liebe eifert nicht 1 Kor. 13,4, denn die Güter des Anderen sieht sie an wie ihre eigenen. Die Liebe treibt nicht Mutwillen 1 Kor. 13,4, denn Niemand verletzt den leicht, den er wahrhaft und herzlich lieb hat. Die Liebe bläht sich nicht 1 Kor. 13,4, denn durch die Liebe werden wir eines Leibes Glieder, aber ein Glied hält sich nicht für besser als das andere. Die Liebe stellt sich nicht ungebärdig i Kor. 13,5, denn dem Zornigen ist es eigentümlich, sich ungebärdig stellen, die Liebe aber ist der Zaum des Zorns. Die Liebe sucht nicht das Ihre 1 Kor. 13,5, denn was einer liebt, das zieht er sich selbst vor, und dessen Vorteil sucht er mehr, als den seinigen. Die Liebe Iässt sich nicht erbittern 1 Kor. 13,5, denn aus dem Hochmut kommt aller Zorn, die Liebe aber unterwirft sich allen. Die Liebe trachtet nicht nach Schaden 1 Kor. 13,5, denn wen man einem Anderen Unfall bereiten steht, der zeigt eben damit, dass er denselben noch nicht wahrhaft liebt. Die liebe freut sich nicht der Ungerechtigkeit 1 Kor. 13,6; denn die Liebe macht das Elend anderer zu dem ihrigen. Die Liebe verträgt alles, sie glaubt alles, sie hofft alles, sie duldet alles 1. Kor. 13,7; denn was die Liebe sich erwiesen zu sehen wünscht, das wehrt sie sich auch nicht anderen zu erweisen. Die Sprachen werden aufhören, die Weissagungen werden aufhören, das Wissen wird aufhören, die Liebe wird nicht müde 1 Kor. 13,8, sondern ihre Unvollkommenheit wird in dem zukünftigen Leben vollkommen gemacht, und ihre Vollkommenheit wird in dem zukünftigen Leben vermehrt werden. Zwei Altäre hat Gott in der Stiftshütte errichten lassen, das Feuer ward von dem äußeren auf den inneren getragen: eine zweifache Kirche hat Gott gesammelt, eine streitende und eine triumphierende: das Feuer der Liebe wird einst von der streitenden auf die triumphierende übergetragen werden.

Das erwäge, andächtige Seele, und befleißige dich der heiligen Liebe: welcher Art auch dein Nächster sein mag, er ist es, für den Christus hat sterben wollen Röm. 14,15. Was also sträubst du dich dem Nächsten Liebe zu erweisen, da Christus kein Bedenken getragen hat, das Leben für ihn zu lassen? Wenn du Gott aufrichtig liebst, so musst du auch sein Ebenbild lieben. Wir sind alle ein geistlicher Leib Eph. 4,4; darum haben auch alle nur eine geistliche Seele. Es ist unrecht, dass die uneins sind auf Erden, welche einst mit einander leben wollen im Himmel: wenn die Herzen einstimmig sind in Christo, dann mögen auch die Verlangen mit einander verbunden sein. Wir sind Knechte eines Herrn Eph. 4,5; es ist nicht recht, wenn wir nicht einstimmig sind. Das ist ein totes Glied des Leibes, welches das Leiden des anderen nicht fühlt: der halte sich nicht für ein wirkliches Glied des geheimnisvollen Leibes Christi, welcher kein Mitleid hat mit dem anderen, das leidet. Es ist ein Gott und Vater aller Eph. 4,6, den du als Christi Jünger täglich als Vater anrufst Matth. 6,9, Wie wird der dich als seinen wahrhaftigen Sohn anerkennen, wenn du nicht gleicherweise seine Kinder für Brüder erkennst? Den Menschen, der von Gott dir befohlen ist, liebe, wenn er's verdient, denn er ist's wert, dass du ihn liebst; ist er's aber nicht wert, so liebe ihn gleichwohl, weil's Gott verdient, dass du ihm gehorchst. Liebst du einen feindseligen Menschen, so zeigst du, dass du ein Freund Gottes bist. Achte nicht auf die Kränkungen, die ein Feindseliger dir zufügt, sondern achte auf die Wohltaten, die dir der zufließen lässt, der gebietet, dass du den Feind lieben sollst Matth. 5,44.45. Die Nächsten sind wir einander durch das Verhältnis der irdischen Geburt, und Brüder durch die Hoffnung auf das himmlische Erbe. Darum wollen wir uns gegenseitig lieben. Entzünde in uns, o Gott, das Feuer der Liebe durch deinen heiligen Geist!

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