Funcke, Otto - Tägliche Andachten - 2. Adventswoche.

Funcke, Otto - Tägliche Andachten - 2. Adventswoche.

2. Adventswoche Sonntag.

Es begab sich aber, dass Kain dem Herrn Opfer brachte von den Früchten des Feldes; und Abel brachte auch von den Erstlingen seiner Herde, und von den Fetten.
1. Mose 4,3.4.

Das erste Weib ist Mutter geworden! Zum ersten Mal hält eine Mutter ihr Kindlein auf den Armen; zum ersten Mal schaut eine Mutter ihrem Kindlein in die Augen; zum ersten Mal hört sie die Stimme seines Weinens! Als die Erste erlebt Eva alle die hohe Lust, aber auch alle die Ängste, Sorgen und Schmerzen, die einer Mutter mit den Kindlein kommen. O, was mag durch das Herz der Eva geflutet sein von wunderbarer Empfindung, als sie, die wohl wusste, dass sie dem Tode verfallen war, - ja, die so eben noch aus des Todes Angst und Fährlichkeit gerettet war, als sie nun, im Blick auf Kain, ihr Geschlecht als ewig, unsterblich, unermesslich erkannte? - Jetzt erkannte sie, wie Adam sie mit prophetischem Geiste „eine Mutter der Lebendigen“ genannt hatte. Die Wonne und das freudige Siegesgefühl tönt aus den ersten Mutterworten: „Ich habe erworben einen Mann mit Jehovah;“ (das heißt: „durch Hilfe Jehovahs“.) Ach, sie ahnte nicht, dass sie in ihrem ersten Kinde auch den ersten Mörder, ja, den Mörder ihres zweiten Kindes, seines Bruders, umfing. Vielleicht wusste sie überhaupt noch nicht, dass die Macht der Sünde, die in ihr war, auch auf ihre Kinder übergehen werde. Als sie ihren zweiten Sohn an's Herz legte, da hatte sie's wohl schon erkannt. Heiße Muttertränen fielen auf sein Haupt, als sie ihn Habel, das ist: Nichtigkeit, nannte. Denn sie hatte unterdessen durch das Zusammenleben mit Kain („Erwerb“) ausgefunden, dass er nicht nur ihr Fleisch und Blut, sondern auch ihre Sünde als sein Erbteil empfangen habe. Ist das heute noch jeder Mutter ein bitteres Wehe, wie vielmehr der Eva, die es zuerst erfahren und sich obenein sagen musste: Dass überhaupt die Sünde unter uns waltet, das lastet auf meinem Haupt. Ach, sie konnte sie wohl aufnehmen in sich hinein, aber sie konnte ihr keine Grenzen sehen in sich! Wie ein furchtbares Gesetz ergreift sie jetzt Alles, was Mensch heißt, und an ihre Ferse haftet sich der Tod.

Freilich, was wir zunächst an den ersten Menschensöhnen bemerken, ist sehr hoffnungweckend. Nicht nur, dass sie sich, dem Willen Gottes folgsam, in die Geschäfte der Erde geteilt haben, indem der Eine die Pflege und Nutzung der Tiere, der Andere die Bearbeitung des Bodens übernommen hat, nein, wir sehen noch etwas Höheres, Heil Verheißenderes. Kain und Abel bringen Gott Opfer dar, Jeder von dem Segen, den ihm Gott in seiner Arbeit beschieden hatte. Auf der Schwelle aller Menschengeschichte sehen wir Opferfeuer gen Himmel lodern - sehen die ersten Menschen an den ersten Altären betende Hände gen Himmel aufheben.

Wir wollen uns heute dies Bild nicht trüben durch die Betrachtung, dass dieser erste Gottesdienst auch der Anlass zum ersten Morde ist. Auch das ist ja leider nur zu sehr eine Weissagung des Zukünftigen. Die furchtbare Verwirrung und Verderbung, die durch die Sünde auf Erden gekommen sind, werden wohl an keinem Zeichen so offenbar, als daran, dass im Namen des Gottes, der Leben und Liebe ist, Mord und Verfolgung, Leibesmarter und Gewissensdruck durch alle Perioden der Menschengeschichte hindurch Millionen und aber Millionen mal geübt worden sind.

Allein diese Karikatur des Gottesdienstes soll uns die Freude an Dem, was wir hier sehen, - was wir an allen Völkern aller Zonen, aller Zungen, aller Zeiten sehen, nicht verderben. Es ist dem Menschen, der von Gott abgefallen ist, dennoch ein Bedürfnis, Gott zu suchen, sich Gott zu nahen, sein Wohlgefallen zu erstreben. In jedem Opfer und in jedem Gebet wird die Feindschaft zwischen dem Weibessamen und der Schlange (1. Mos. 3, 15) offenbar. Der Mensch, der freiwillig gesündigt hat, er protestiert opfernd und betend gegen seine eigene Sünde, - bekennt sich nicht nur als den Abhängigen, sondern auch als den Schuldigen Gott gegenüber und sucht bei Ihm Vergebung und Sühnung seiner Missetat. Der Mensch, der der Stimme der Schlange folgte, fühlt sich also doch nicht heimisch bei ihr; er kann und will doch nicht ohne Gott sein. Kann er auch durch seine Opfer und Gebete die Gemeinschaft mit Gott nicht erzwingen, so kann er doch sein Hungern und Dürsten nach Gott dadurch aussprechen, kann doch dadurch um Hilfe flehen und bekennen, dass er mit Allem was er ist und hat Gottes Kind und Eigentum sein möchte. Unter allen Völkern der Erde werden fortan die Altäre rauchen, ach, oft mit Menschengebeinen bedeckt! unter allen Völkern der Erde werden wir fortan aufgehobene Hände des Gebetes sehen, - ach, oft sehr unreine Hände, ach, oft Gebete, die vor Gott ein Gräuel sind! Dennoch ist jedes Opfer und jedes Gebet ein Zeugnis, dass Gottes Bild im Menschen wohl verderbt, aber nicht zerstört, dass die Sünde in ihm wohl eine furchtbare Macht, nicht aber sein innerstes Wesen ist. Alle Opfer und Gebete weisen hin nach dem Kreuzesopfer auf Golgatha, dahin, wo der einzige heilige Weibessamen der Schlange den Kopf zertritt auf immer und für das hinsiechende Menschengeschlecht wiederum Leben und unvergängliches Wesen an's Licht bringt.

Nichts ist also menschlicher und menschenwürdiger als dies: Opfer und Gebete vor Gott zu bringen. Aus den Tiefen der Menschennatur ist dieses Bedürfnis geboren. Wer behaupten wollte, er wisse davon nichts, fühle kein Sehnen nach Versöhnung und Gottesgemeinschaft, kein Bedürfnis, Ihm durch die Tat Dank und Anbetung zu beweisen, mit dem ist nicht zu streiten. Entweder er lügt wider sich selbst oder er hat sich durch die Macht der Hölle schon übel zurichten lassen. Wenn wir aber betend Gott nahen, so sollen wir immer vor Augen haben, dass vor ihm nichts gilt als die Hingabe des Herzens; dass alle noch so schönen Worte, alle noch so reichen Gaben nichts sind, wenn nicht darin die lautere Hingabe des eignen Ich's geschieht. Wir wollen aber auch hinzufügen, dass Niemand Gott sein Herz opfern und zugleich geizig sein kann mit seinen Kräften und Erdengütern, wenn es sich darum handelt anderen Gotteskindern zu helfen in ihren Nöthen und die Arbeiten des Gottes-Reiches zu fördern und zu pflegen.

Höchster Priester, der du dich
Selbst geopfert hast für mich,
- lass doch, bitt' ich, noch auf Erden
Auch mein Herz dein Tempel werden!

2. Adventswoche. Montag.

Meinen Bogen habe ich gelegt in die Wolken, der soll das Zeichen sein des Bundes, zwischen mir und der Erde. Und wenn es kommt, dass ich Wolken über die Erde führe, so soll man meinen Bogen sehen in den Wolken. Alsdann will ich gedenken an meinen Bund zwischen mir und euch, und allem lebendigen Thier, in allerlei Fleisch, dass nicht mehr hinfort eine Sündflut komme, die alles Fleisch verderbe.
1. Mose 9,13-15.

Noah war ein Mann, der auf der Höhe seiner Zeit stand, ja, hoch über seiner Zeit; denn er allein verstand seine Zeit. Er allein erkannte, wie dies selbstherrliche, weltselige, von sich selbst berauschte und bezauberte Geschlecht vor der Sündflut, mit Eile dem Abgrunde zutrieb. Er erkannte aber diese seine Zeit, weil er dem Gott nachwandelte, in dessen Händen die Zeiten und die Ewigkeiten beschlossen liegen.

Es wird scharf betont: „Noah wandelte mit Gott zu seinen Zeiten.“ O wie schwer ist es, so einsam zu wandeln mit seinem Glauben! Wie schwer, inmitten einer Welt voll Unglauben sich vor Ansteckung zu bewahren! Wie schwer, sein Angesicht himmelwärts zu erheben, wenn Ale Alle es der lustigen Erde zukehren und nun vollends Zeugnis ablegen gegen die ganze umgebende Welt, ausgehöhnt von Jedermann, dennoch Menschenfreundlichkeit, Liebe und Milde zu bewahren gegen Jedermann! Und dies Übermenschliche hat Noah leisten können durch die Kraft seines Glaubens. Wir wundern uns nicht, dass in sein Ohr ein helles Gnadenglöcklein tönte, als über die ganze Erde, dumpf und schwer, die Gerichtsglocken klangen. Wir wundern uns nicht darüber, dass ihn die rettende Arche aufnahm und sicher trug über die finsteren Fluten, als alles, alles Leben unterging in den Gerichten des Heiligen.

Aber auch dem geretteten Manne mochte das Herz zittern wegen der Zukunft, da er auf dem Ararat, dankend und flehend neben seinem Altare stehend, gen Himmel schaute. Wusste er doch, dass auch das Herz seiner Kinder, (des neuen Menschengeschlechtes,) ein trotziges und verzagtes Ding war. Musste nicht auch diese neue Menschheit, im Laufe der Zeit, durch Gottes Gerichte vertilget werden? Solchen bangen Fragen antwortete Gott durch das Zeichen des Regenbogens, der sich jetzt plötzlich herrlich wölbte über dem rauchenden Altar des Noah. Welch eine Gottesmajestät und doch wieder welch ein süßer Trost offenbarten sich ihm durch diese großartige, in göttlichem Lapidarstil verfasste Himmelsschrift! Dem Himmel gehörte der Bogen und doch stand er auf der Erde; hoch gespannt über Bergen und Tälern, über Totenfeldern und lachenden Auen, über festem Lande und wogendem Meer, und doch wieder ein mächtiges Triumphesband, das Himmel und Erde in Eins verschlang. Und während der Mann des Glaubens noch ahnungsvoll auf das Zeichen schaute, deutete es ihm der Mund Gottes als das Sinnbild eines unerschütterlichen Bundes zwischen Ihm und der neuen Menschheit, als eine immer wiederkehrende Verheißung, dass die Barmherzigkeit sich rühmen werde wider das Gericht.

Hast auch du, du schwergeprüftes Menschenkind, wenn du unter den Lasten deines Gottes, unter der Wucht des Kreuzes seufztest, wenn du nach einem Tröpflein Balsams lechztest, hast du verstanden, was dein Gott dir sagt mit diesem Zeichen, da die Sonne siegt über die fliehende Wolkennacht und gerade aus dem Unwetter ihren schönsten Triumph bereitet? Hast du schon darüber nachgedacht? Du klagest wohl über deine Leiden, aber siehe, ohne Regen und Unwetter gibt es keinen Herrlichkeitsbogen. Ohne Trübsal gibt es keine Erfahrung der Durchhülfe, der Barmherzigkeit, der Treue, der Menschenfreundlichkeit, der Nähe Gottes. Ohne Trübsal gibt es keine Erkenntnis des eigenen Herzens, keine wahre Erkenntnis der Welt und Zeit, keine lebendige Hoffnung der Ewigkeit. O denke daran, wenn die Wetter aufziehen und sich entladen: Jetzt, eben jetzt will Gott seine Herrlichkeit offenbaren.

Aber freilich, du musst in der Trübsal Gott suchen, sein Licht, seinen Frieden, auch seine heiligen Gerichte! Wie kein Regenbogen ohne Regen, so auch ohne Sonne kein Regenbogen! Trübsal an und für sich bessert den Menschen nicht; sie macht ihn nur stumpfer oder bitterer, selbstsüchtiger, verzagter und kälter. Dann erst, wenn du über den finsteren Wogen die Lichtgestalt Jesu nahen siehst, dann erst werden sie in himmlische Lebensströme verwandelt!

Ja, in Jesu erst, in dem fleischgewordenen Wort Gottes, wird der Bundesbogen zur Wahrheit und zur Erfüllung und auf Ihn weiset er hin. Denn wie konnte Gott die Menschen, deren Dichten doch auch noch, nach Gottes eigenem Zeugnis, böse war von Jugend auf (1. Mos. 8,21) wie konnte Er sie auf die Dauer bestehen lassen, wenn Er nicht durch Gnade und Versöhnung und neuen Geist sie von Innen her erneuern wollte? Nur weil Christus, er neue Mensch, der Abglanz göttlicher Herrlichkeit, der Mann des neuen Bundes, in Aussicht war, nur deswegen konnte der Bundesbogen auch vorher schon Himmel und Erde vereinen.

So ist er denn ein Adventszeichen, das auf den Adventskönig deutet. Wer die lieben Worte des gekreuzigten Heilandes versteht, lebendig versteht, der nur fasst die sieben Farben des Regenbogens. Wenn unsere heidnischen Altvordern ihn als die Götterbrücke deuteten, darauf die Seelen der erschlagenen Helden zur lichten Himmelsburg aufstiegen, so nehmen wir das Bild an. Wir aber sagen: Jesus Christus ist unsere Himmelsbrücke; und nicht die Helden der Feldschlacht, sondern die Leidtragenden, Sanftmütigen, Gerechtigkeitshungrigen und Ewigkeitsdurstigen wandeln über diesen leuchtenden Steg zum Throne Gottes.

Und ob gleich alle Teufel
Hie wollten widerstehn,
So wird doch ohne Zweifel
Gott nicht zurücke gehn;
Was Er Ihm vorgenommen,
Und was Er haben will,
Das muss doch endlich kommen
Zu seinem Zweck und Ziel.

2. Adventswoche. Dienstag.

Und der Herr sprach zu Abram: Gehe aus deinem Vaterlande, und von deiner Freundschaft, und aus deines Vaters Hause, in ein Land, das ich dir zeigen will. Ich will segnen, die dich segnen, und verfluchen, die dich verfluchen; und in dir sollen gesegnet werden alle Geschlechter auf Erden.
1. Mose 12,1.3.

Wie Sich eine wunderbare Himmelspflanze entfaltete und gestaltete sich allmählich die Heilshoffnung aus dem Samenkorn des „ersten Evangeliums“ (1. Mos. 3,15) heraus. Dass durch die Kinder des Menschen das satanische Reich zerstöret und also die Wiederherstellung des Menschen ermöglicht werden sollte, das lag schon in jener ersten Verheißung. Aber dunkel und geheimnisvoll blieb sie durch viele Jahrhunderte hindurch. Als der Patriarch Noah in prophetischem Geiste den „Gott Sems“ pries (1. Mos. 9,26) da lenkte er den Blick der Gotteskinder auf dieses Geschlecht. Heute hören wir, wie einem Semiten, dem Abraham, hohe Verheißung zu Teil wird. Sein Geschlecht soll nicht nur mächtig und groß werden, nein, von hier aus soll ein Lichtstrom göttlichen Segens über alle Nationen der Erde fließen. Als später Jakob seinem Sohne Juda, dem Urenkel Abraham's, die Palme der Verheißung reicht, hören wir schon von einer bestimmten Person, einem Helden, einem Friedebringer, auf den die Augen des Glaubens schauen sollen. Aufs Neue vergehen viele Jahrhunderte, da tönen die Psalmen Israels wieder von dem Preis des Davids-Sohnes, der in einem Reiche seligen Friedens die Völker ewiglich regieren wird. Und immer deutlichere Züge bekam das Wunderbild; freilich, Züge, die einander zu widersprechen schienen. Aus Bethlehem soll er kommen und doch „aus des Himmels Wolken“, - ein König soll er sein und zugleich der leidende Knecht Jehovas, der von der Welt zertreten die Sünde der Welt trägt. Erst in der Erfüllung kam Licht in diese Dunkelheit und heute noch harren wir des vollkommenen Lichtes.

Was aber der Gott der Gnade, der sich den Menschen enthüllt, von Abraham und von Allen, die sein Angesicht suchen, fordert, das ist der Glaube. „Abraham glaubte und das rechnete ihm Gott zur Gerechtigkeit“, und bis an's Ende der Welt gibt es keine Gerechtigkeit ohne Glauben. Was ist aber dieser Glaube? Es ist die Eingründung der Seele in Gott, der Seele, die sich, allem Widerstreit und Widerspruch der Natur, allem Widerspruch der sichtbaren und sinnlichen Dinge und Verhältnisse, allem Spott und Hohn einer ungläubigen Welt zum Trotz, in den persönlichen Gott hineinfallen lässt und sich einankert in sein Wort. Dass man auf sich selbst verzichtet und sich in Gottes Dienst stellt, das ist Glaube. Die Erkenntnis des Gottes, dem man dient, die Erkenntnis seines Willens, seiner Absichten, seiner Gnaden- und Gerichts-Gedanken kann fortschreiten und schreitet fort. Das Wesen des Glaubens aber, nämlich die Hingebung des Geistes an seinen unsichtbaren Vater und Herrn, ist immer dasselbe.

Muss man da erst noch sagen, dass Glaube ohne Gehorsam eine taube Nutz ist? Muss man da erst noch sagen, dass aus dem Glauben an Gott alle menschliche Tugend und jedes gute Werk fließet? Wer das noch nicht versteht, der weiß weder was Gott noch was Glauben ist; der durchsinne nur einmal das Leben Abraham's, des Vaters der Gläubigen, und es wird ihm auf Schritt und Tritt entgegentreten. Abraham konnte sich selbst und die ganze Welt verleugnen, weil er ein Gläubiger war; er war ein Friedenskind, mild und nachgebend gegen Lot und alle Menschen, er war auch ein tapferer Held im heißen Streit, weil er gläubig war. Er traf mit wunderbarer Weisheit in den schwierigsten Lagen das Rechte, - weil er gläubig war. Er hatte Macht ohne Wanken seinen eingeborenen Sohn, den Sohn, in dem doch all sein Glaube ruhte, hinzuschlachten, weil er gläubig war. Weil er gläubig war, so war er auch ein Mensch wie er Gott und den Menschen gefiel.

Und wo der Glaube echt ist, da muss er etwas von dieser Signatur an sich tragen, von der Signatur des Lichtes, der Liebe, der Demut, des Friedens, der Sündenfeindschaft, der heiligen Freude, des fröhlichen Ernstes. Ist auch der Widerstreit deiner fleischlichen, sinnlichen und stolzen Natur hart, dennoch die Anfänge, die starken Triebe und Wurzeln von dem Allen müssen. da sein, sonst ist dein Glaube trotz dem orthodoxesten, untadeligsten Bekenntnis „Eitelkeit der Eitelkeiten!“

Mein Gott, das Herz ich bringe dir
Zur Gabe und Geschenk,
Du forderst dieses ja von mir,
Des bin ich eingedenk.

Nun du, mein Vater, nimm es an
Mein Herz, veracht es nicht;
Ich geb's, so gut ich's geben kann,
Kehr zu mir dein Gesicht!

2. Adventswoche. Mittwoch.

Jehovah, ich warte auf dein Heil!
1. Mose 49,18.

So sprach der Patriarch Jakob, als er in der ägyptischen Fremdlingschaft sein kampfesreiches Pilgerleben vollendete. „Jehovah. ich warte auf dein Heil!“ das war sein letzter Seufzer, ehe sein Auge im Tode brach. Mit diesen Worten aber sprach er das Sinnen und Sehnen, Flehen und Hoffen aller wahren Gottesmenschen aus von Abel an, der unter der Keule des Kain zuerst des Todes Bitterkeit schmeckte, bis hin auf die kleine Gemeinde, welcher sich Jesus zuerst offenbarte, weil sie „auf den Trost Israels wartete.“

Die Glieder des Volkes Gottes werden an zweierlei Zeichen erkannt. An dem einen, dass ihnen die Sünde das größte Übel ist, nicht die tausendfache Not des Lebens, nicht das was von Außendingen oder Menschen an sie kommt, sondern das, was in ihnen ist, was sich, wie eine vergiftende Macht, auch in die reinsten Gedanken und edelsten Entschließungen eindrängt, was man wohl bekämpfen kann, uns aber immer wieder zum Verzweifeln umgarnt, einem Heer von Schlangen gleich, und sich nicht abschütteln lässt durch eigene Macht und Kraft. - Das andere Zeichen ist dies, dass sie Rettung und Heil von Oben her erwarten, von dem Gott, der es verheißen hat und der nicht lügen kann, ob er auch mit seiner Hilfe verzieht.

Die wahren Menschen Gottes schauten allezeit in die Höhe, flehend, seufzend, wartend auf das Heil Gottes, auf den Wiederhersteller, den Er verheißen. So tief die Erkenntnis ihres inneren Elends war, so glühend war auch ihre Sehnsucht nach Errettung. Je aufrichtiger sie einwärts schauten, desto glaubensvoller und getroster konnten sie auch aufwärts schauen. Nicht dass sie gleichgültig gewesen wären gegen das, was irdisch war! O nein! sie wussten, dass Gott sein Heil nur einem Volke geben könne, das für ihn bereitet war. Darum arbeiteten sie bis auf den letzten Blutstropfen an der wahren inneren Bildung, Veredlung, Heilung und Heiligung ihrer selbst und ihres Volkes.

Aber unerschütterlich stand ihnen fest, dass das Heil selbst nicht von Unten, nicht von den Menschen, Zeitverhältnissen, Weltmächten und Weltkräften, nicht aus den Künsten, Erfindungen und Entdeckungen, nicht durch Kriegsfahrten und Friedensschlüsse der Menschen, sondern von Oben her, aus der Hand des Allmächtigen kommen müsse.

Nun, wie ist's mit dir, der du dieses liest? Das Heil, das der sterbende Jakob ersehnte, es ist erschienen und aus der Hand des verklärten Christus kannst du empfangen, was zu deinem Frieden dient. Aber es ist kein Wunder, dass so Wenige nur der Heilung teilhaftig werden, da in so Wenigen nur die Erkenntnis der inneren Krankheit und die Sehnsucht nach dem himmlischen Arzt lebendig sind. Nach wie vor erwarten die meisten Menschen das Heil von Unten her, von dem, was Welt und Zeit bietet. Bessere Geschäfte, höhere Kurse, billigere Lebensmittel, kräftigere Gesundheit, erträglichere Mieten, größere Dividenden, günstigere häusliche Verhältnisse, reiche Erbschaften, mächtige Freundschaften, oder auch anderer Leute Unglück, (da sich's dann leicht im Trüben fischen lässt,) die sollen's machen. Und ob sie empfangen, was sie ersehnen, so müssen sie dann merken, dass sie doch nur dem Eitlen nachgelaufen sind und sich selbst betrogen haben und dass sie doch schließlich im tiefsten Grunde kein Ding wahrhaft befriedigen kann, was ihnen die Welt vor Augen stellt.

Wo aber Menschen sind, die, wie Jakob, weinend und betend mit Gott gerungen haben um ihrer Sünde willen, - die wie Jakob ihr ganzes Herz und Angesicht hingewendet haben auf Gottes Heil, die sollen sich auch trösten, dass sie in Jesu Gottes Kinder sind und dass keine Macht der Sünde, keine Welt und keine Hölle sie von Jesu Liebe scheiden, ja dass er Alles in ihnen vollenden wird bis auf seinen großen Tag.

Ihr dürft euch nicht bemühen,
Noch sorgen Tag und Nacht,
Wie ihr Ihn wollet ziehen
Mit eures Armes Macht;
Er kommt, Er kommt mit Willen,
Ist voller Lieb und Lust,
All Angst und Not zu stillen,
Die Ihm an euch bewusst.

2. Adventswoche. Donnerstag.

Und Mose ging auf den Berg Nebo und Jehovah zeigte ihm das ganze Land Kanaan. Und Jehovah sprach zu ihm: Dies ist das Land, das ich Abraham, Isaak und Jakob geschworen habe, und gesagt: Ich will es deinem Samen geben. Du hast es mit deinen Augen gesehen, aber du sollst nicht hinüber gehen. Also starb Mose, der Knecht Jehovahs am Munde Jehovahs.
5. Mose 34,1,4,5.

Unser Text führt uns in die Sterbestunde eines großen Mannes, dessen Name fast von allen Menschen der Erde mit Ehrfurcht genannt wird. Von seinem Tod wird hier berichtet. Wir schauen aber nicht in ein dunkles Sterbezimmer, - nein, eine stolze, weit in die Lande schauende Bergeshöhe ist die Stätte seines Todes. Nicht von klagenden Freunden, sondern von himmlischen Geistern sehen wir den Mann umringt (Judä 9 f.). Das Auge des in den Tod Gehenden ist nicht stier und gebrochen, nein, es ist so weit aufgetan, ist so verklärt, schaut so herrliche Dinge, wie nie zuvor. Nicht im bitteren Todeskampf sinkt er hin, nein, „am Munde Jehovas“, in der seligen Umarmung des Gottes, der „Leben und Liebe“ ist, stirbt er. Nicht ein „trauriges Begräbnis“ folgt diesem Tod, nein, Gott selbst gräbt ihm sein Grab an geheimnisvoller Stelle, die nie eines Menschen Fuß entweihen kann. Wohl mag man Recht haben zu vermuten, dass der Mann, der so starb, an Gottes Mund und von Gott begraben, dass er von der Verwesung nicht betroffen wurde, wie der fromme Henoch, den Gott hinwegnahm mitten im Leben, und wie Elias, der lebenden Leibes gen Himmel fuhr und der dann mit Mose in verklärter Leiblichkeit auf dem Berge Tabor vor Christo erscheint.

Man kann also wohl sagen: Nie ist ein Mensch so herrlich gestorben, so herrlich begraben, wie dieser. Keinem Sterblichen hat Gott im Tode solch ein Zeugnis gegeben; an Keinem so offenbar gemacht, was das heißt: „Der Tod seines Heiligen ist wert geachtet von dem Herrn.“ Auch hier darf man sagen: „Wer so stirbt, der stirbt wohl.“ Dieser wunderbare Tod war würdig eines so großen Lebens. Nur andeuten wollen wir noch, dass der Seher Johannes, da er den Lobgesängen der verklärten Gemeinde lauschen durfte, das Lied Mosis und das Lied des Lammes, in eins verschlungen, singen hörte.

Trotzdem und alledem aber wissen wir, dass dieser Tod eine Strafe war. Mose durfte nicht mit dem neuen Geschlecht einziehen in das Land der Verheißung, das im Sonnenglanz göttlicher Zukunft vor ihm lag, - er durfte es nicht, weil auch er sich der Sünde des alten Geschlechts teilhaftig gemacht hatte. (5. Mose 32,50.51). Fast grausam will uns das erscheinen, dass der Gesetzgeber, der treueste Erfüller des Gesetzes, der Mann, der einen Gehorsam, einen Glauben, eine Demut gegenüber Gott bewies, wie kaum ein Anderer, der Mann, der in beispielloser Weise sich selbst beherrschte, verleugnete und allem Glanz und Glück der Welt entsagte um der Hoffnung Gottes willen, - der Mann, der lebenslang nur für sein Volk lebte, der, von diesem Volk zertreten, dennoch sein stetiger Fürsprecher und Hohepriester vor Gott war, - fast grausam will es uns erscheinen, dass dieser Mann, in welchem alle die Geisteselemente, die wir später in den Richtern, Priestern, Propheten und Königen getrennt sehen, wunderbar vereinigt sind, - der die höchsten leidentlichen Tugenden, Sanftmut, Milde, Geduld, vereinigt mit der höchsten Tatkraft, mit heiligem Eifer, großartigem Unternehmungsgeist, - grausam will es uns erscheinen, wenn Jehovah diesem Mann wehrt, seinen Fuß auf die Schollen des heiligen Landes zu setzen.

Allein grade dieses, dass auch der geheiligte Gesetzgeber, der größte Israelit, dennoch hinfiel unter dem heiligen Gesetz Gottes, grade dieses war für das Volk Gottes aller Zeiten der gewaltigste Beweis, dass kein Mensch gerecht werden könne durch des Gesetzes Werke, dass Niemand, auch der heiligste nicht, durch sich selber rechtfertig bestehen könne vor Gott, dass also die Welt rettungslos verloren sei, oder durch einen Retter, der nicht von dieser Welt sei, erlöst werden müsse. Und so wurde dem Israeliten der dunkle Berg Nebo ein ausgestreckter Finger Gottes, der weissagend auf Christum Jesum hinwies.

Weil aber Moses, der größte Mann des Gesetzes, sich willig und ohne einen Laut der Klage verdammen ließ durch das Gesetz, so wurde ihm in seiner Sterbestunde ein Sonnenblick zu Teil, der den finsteren Tod licht und helle machte. Kein Geringerer als Gott selbst zeigte ihm das sonnenbeglänzte Land der Zukunft vom Berg aus. Nun gibt es keinen solchen Berg, von dessen Gipfel man das Land Kanaan überschauen kann. Nur durch ein wunderbares Auftun des Auges kann geschehen sein, was uns hier berichtet wird. Und sollte Gott ihm da nur die Höhen und Tiefen, Flüsse und Seen des Landes gezeigt haben?

Gewiss durfte der Knecht Gottes auch einen Blick in die Geschichte des Volkes tun. Und gewiss hat er nicht nur die Geschichte Israels voll Blut und Tränen, voll Abfall und Gericht überschaut, wir zweifeln nicht, er erkannte den Retter. Der Mann des Gesetzes schaute von ferne die stille Lichtgestalt Jesu, des Messias; der Mann, dessen Ohr die Donner des Sinai zeitlebens rollen gehört hatte, vernahm den sanften Ton der Stimme Dessen, der die Leidtragenden an sein Herz zog; der Mann, der selbst von den Blicken des Gesetzes niedergeschmettert war, schaute in dunkler Ferne den Hügel Golgathas, wo Gottes Lamm, um der Sünde der Welt willen, verblutete. Jedenfalls erzählen uns die Evangelisten, dass Moses auf dem Tabor mit Christo von seinem Versöhnungstod geredet habe. Sollten nicht diese ersten Worte des verklärten Moses auch die letzten Gedanken des sterbenden gewesen sein? Ja, an Jesu erst richtete sich auch der größte Gesetzesmann, den dennoch das Gesetz niedergeschmettert, wieder auf. O, dass auch wir an dem Manne Gottes lernen möchten, an uns und in uns selbst klein und arm und nichtig zu werden, von uns selber zu lassen und uns, Kindern gleich, zu Jesu Füßen zu setzen: Komm, Herr Jesu! Komm, in mir zu wohnen!

Ach, mache du mich Armen
In dieser heil'gen Zeit,
Durch Güte und Erbarmen,
Herr Jesu, selbst bereit!
Komm in mein Herz hinein,
Vom Stall und von der Krippen,
So werden Herz und Lippen
Dir ewig dankbar sein.

2. Adventswoche. Freitag.

Und siehe, der Herr ging vorüber und ein großer starker Wind, der die Berge zerrieb und die Felsen zerbrach, vor dem Herrn her, der Herr aber war nicht im Winde. Nach dem Winde aber kam ein Erdbeben, aber der Herr war nicht im Erdbeben. Und nach dem Erdbeben kam ein Feuer, aber der Herr war nicht im Feuer. Und nach dem Feuer kam ein stilles sanftes Sausen. Da das Elia hörete, verhüllete er sein Antlitz mit seinem Mantel.
1. Könige 19,11-13.

Wir steigen heute auf die heiligen Höhen des Sinai, aber nicht um die Donner des Gesetzes rollen zu hören, sondern um den fernen ahnungsvollen Tönen der Weihnachtsglocken zu lauschen. Wer ist der Mann, der dort inmitten der wilden Gebirgswelt so einsam in der Höhle sitzt? Warum ist sein Antlitz so finster? Es ist ein Mann mit einem Riesengeist, mit Riesenkräften und Riesenwerken, aber auch sein Schmerz, mit dem er hier ganz allein sein will, ist riesig. Sein ganzes Leben war der Erneuerung des abtrünnigen Israels gewidmet gewesen. Mit aufgehobenem Haupt und ohne Erröten darf er vor Jehovas Angesicht sagen, dass er um Ihn geeifert habe, aber das ganze Resultat seiner Arbeit sei, dass es je länger desto schlimmer geworden sei. Und Gott widerspricht dem stolzen Wort nicht. Er erteilt damit dem Elias ein so glänzendes Zeugnis, wie man nur einem Menschen ausstellen kann. Aber was hilft das dem Elias? Unendlich ist sein Schmerz, trostlos ist sein Herz. Was hilft es ihm, dass er eines Engels Angesicht schauen, ja, dass er Gottes Brot mitten in der Wüste essen durfte? Sein Leib war dadurch wunderbar gestärkt, aber seine Verzagtheit war die alte geblieben. Auch der Anblick der heiligen Höhen des Sinai hatte ihn nicht aufrichten können. Wenn so ein eiserner Charakter erst einmal verzagt ist, dann ist er auch ganz verzagt und nicht wieder aufzurichten. Nach des Elias Meinung war es jetzt klar bewiesen, dass es mit dem Volk Gottes auf Erden aus war, dass es also auch mit dem ganzen Reich Gottes auf Erden aus war, dass es also mit Allem, Allem, was hoffnungs- und freudenreich schien, aus war. Wozu da noch leben? „Es ist genug, Herr, so nimm nun meine Seele!“ Gott allein war fähig ihn zu trösten; aber der vermochte es auch.

Nun, wie tröstet Er denn den zerknickten Mann? Nicht dadurch, dass Er ihm offenbaret, dass noch eine Gemeinde von 7000 treuen Israeliten vorhanden sei, er also keineswegs allein übergeblieben sei, auch damit nicht, dass er ihm einen treuen Gesellen, den Elisa, mit dem er Schulter an Schulter wirken und kämpfen soll, zur Seite stellt. Das kommt nachher (V. 18 u. 19.), nachdem seine Seele stiller und hoffnungsreicher geworden ist. Hoffnung aber kann in seine Seele nur Eins bringen, nämlich der Blick in eine Zukunft, wo Gott mit neuen Lippen reden, mit neuen Heils- und Himmelsmächten, die jetzt noch verborgen waren, wirken und seine großen Absichten auf Erneuerung und Beseligung der Menschheit ausführen werde. Und das ist's, was Gott dem Manne enthüllen will, nicht durch Worte, sondern durch eine großartige Natursymbolik.

Elias wird herausgerufen vor die Höhle. Über ihm wölbt sich der leuchtende orientalische Himmel, um ihn lagert die dunkle großartige Gebirgswelt, dahinter die schaurige, endlose Wüste mit ihrem gelben Sand. Und siehe da, was ist das? Plötzlich tobt ein Sturm durch Höhen und Schluchten, Berge zerreißen, Felsen zerbrechen; Angst und Grauen ergreifen den Propheten. Noch ist des Sturmes Brausen kaum verstummt, da rollt es in den Tiefen der Erde und bald ist es ihm, als wenn die ganze Gebirgswelt in Wellen gehe. Und siehe jetzt, welch ein Zeichen! Allenthalben lodern himmelhohe Flammen auf in den Schluchten, auf den höchsten Gipfeln, es ist als ob das ganze Gebirge im Feuer zerschmelzen solle. Alle diese entsetzlichen Dinge schaute der Prophet. Er zitterte; dennoch, der Gott, der sich ihm offenbaren wollte, war in diesen Elementen, die so gewaltig zerstören, aber auch nur zerstören konnten, nicht. Das merkte er wohl. Da horch! was ist das? Von ferne erhebt sich ein stilles sanftes Sausen, wie Frühlingsgeflüster, und näher kommt es und näher. Und wie es näher kommt, da durchschauert es den Propheten im tiefsten Grunde seiner Seele. Ehrfurchtsvoll verhüllt er sein Antlitz, denn er spürt es unmittelbar: „Jetzt ist Jehovah da! und so wie Er jetzt da ist, so ist sein innerstes Wesen. In diesem stillen sanften Sausen, das so mild und lind und weich ist, das erquickt und neuschafft, nicht aber zerreißt und zerstört, darin ist Gottes Herz; nach dieser Weise wird er auch noch handeln mit den Menschen, wenn seine Zeit gekommen ist.“ Er hat noch einen Weg der Rettung und dann werden die finsteren Klagen des Mannes, der in Sturm und Feuer wirkte, verstummen.

Wohl blieb für den Elias dieses stille sanfte Sausen in mancher Beziehung ein Hieroglyph. Er verstand nur wohl so viel davon, wie nötig war, ihm neuen Mut ins Herz zu senken. Aber du, lieber Leser, dem die holde Menschenfreundlichkeit Gottes in Jesu Christo erschienen ist, nicht wahr, du verstehst doch des Rätsels Sinn? Wie ist's, hast du vor diesem heiligen Sausen dein Haupt verhüllt und dein Herz enthüllt? Elias hätte im Staube angebetet und bis in den Himmel hineinjubiliert, wenn er verstanden hätte, was du verstehst. Und du, der tief in Christi Herz und Barmherzigkeit hineinschauen darfst, wie ist's mit dir? O dass du dem sanften Sausen des Christusgeistes dein ganzes Herz öffnen und dich ganz überwinden, durchleuchten und umbilden lassen wolltest durch seine heilige Liebe! Dann versteht sich's von selber, dass man seine Eitelkeit, Rechthaberei, Eigensinn und Hochmut hassen lernt und auch allen Menschen gegenüber seine Lindigkeit kund werden lassen, Allen Milde und Freundlichkeit und Wohlwollen beweisen möchte. Das stille sanfte Sausen, das in dir Wohnung machte, muss auch in seinem ganzen Wesen offenbar werden. Siehe, es naht, es naht, - auch jetzt in diesem Augenblick, falle nieder und bete an!

Du bist mein Haupt, mein Heil, mein Ruhm,
Ich bin dein Glied, dein Eigentum,
Und will, so viel dein Geist mir gibt,
Stets dienen dir, wie's dir beliebt.

2. Adventswoche. Sonnabend.

Tröstet, tröstet mein Volk, spricht euer Gott.
Jesaja 40,1.

In diesen Worten ist die ganze freudenreiche Adventsbotschaft, gleichsam in einem Kerne, zusammengefasst. So haben sie auch je und je eine wunderbare Anziehungskraft auf traurige Herzen geübt. Welch ein feines Trostbüchlein würde es geben, wenn man aufweisen könnte, was diese Advents-Klänge seit den Tagen des Jesaja in so viel Millionen Herzen betrübter Menschenkinder, gleich einem himmlischen Balsam, gewirkt haben!

Was ist es denn, was diese Worte so gewaltig macht? Nicht wahr, es ist dieser süße Ton der himmlischen Barmherzigkeit, dieser Ton weicher und doch göttlich-allmächtiger Mutterliebe, der daraus hervorklingt? „Tröstet, tröstet!“ Seit der Cherub mit dem Flammenschwert vor der Pforte des Paradieses steht, seit die Erde Dorn und Distel trägt, seit Zerrissenheit, Neid und Streit in den Menschenherzen wohnen, seit der Tod mit seinem Scheiden und Zerreißen und mit seinen tausendfachen Vorläufern und Begleitern, Krankheiten und Leiden aller Art das arme Menschenvolk in den Staub darniederbeugt, klingt's immer wieder und immer klagender und klagender durch die Reihen zitternder Menschen: „Ach, nach Trost ist mir so bange! so bange!“ Und auf dem großen Markt des Lebens sowohl wie in dem stillen Kämmerlein ist gar viel Bedürfnis und Nachfrage nach Trost, aber wenig Angebot und Ware, die den Namen verdienen. Denn wahrer, voller Trost ist nur das, was den Quell der Traurigkeit wirklich verschließt.

Wenn ich einem weinenden Kinde, das seinen Groschen, (wofür es Brot kaufen sollte,) verloren hat, einen Groschen wiedergebe, so habe ich es wirklich getröstet, denn es hat keinen Grund mehr zu weinen. Schenke ich ihm aber gar zwei Groschen, statt des einen verlorenen, so wird es vollends lachen und singen. So können wir Menschen einander bei kleineren Leiden allerlei Art manchmal trösten und Jeder sollte auf solches Trösten nur recht bedacht sein, denn es ist ein göttliches Werk.

Aber schon einem größeren zeitlichen Leiden stehen wir meistenteils ohnmächtig gegenüber. Wir können teilnehmen, können Mitleiden beweisen, und das tut auch wohl, aber es ändert doch im Grunde die Lage nicht.

Die Menschen helfen sich dann sehr oft den Leidenden gegenüber damit, dass sie ihnen etwas vorlügen, ihnen allerlei zukünftige Hilfe vorphantasieren. Aber was ist die Folge? Dass die Verzweiflung doppelt groß wird, wenn dennoch diese Hilfe ausbleibt!

Vollends aber nun, dem tiefsten innerlichsten Schmerz gegenüber, dem Schmerz über die innere Verderbtheit, Zerrissenheit und Ohnmacht, gegenüber dem Herzen, das da schreit nach Vereinigung und Versöhnung mit Gott, dem lebendigen Gott, und nach Gewissheit der Errettung zum ewigen Leben, diesem tiefsten Leid gegenüber ist alle Macht, Weisheit, Freude und Herrlichkeit der Menschen vollständig bankrott. Darum setzt hier gerade der Trost Gottes ein. Denn Die, die jenen Schmerz als den Schmerz aller ihrer Schmerzen empfinden, sind würdig „Gottes Volk“ zu heißen. Wo's so bestellt ist, da sind die Gefäße bereitet, dahinein Gott die Fülle seiner Gnaden ausschütten kann. Da spricht Er: „Tröstet! tröstet!“ Und wenn Er so spricht, so geschieht auch, was er spricht, und Er wandelt alles Leid in Lust, Herrlichkeit, Hoffnung und Frieden.

Für Den, der's versteht, liegt schon in den Worten „mein Volk“ aller Trost; denn bei seinem Volk wird Er, der allmächtig und heilig ist, es an keinem Guten fehlen lassen. Er wird alle Sündenangst in freudigen Preis der Sündenvergebung, allen Kampf und alle Ritterschaft in Sieg und stolze Ruhe, alle elende Pilgerschaft in selige Heimfahrt wandeln und sein Volk zu seiner Zeit auch darstellen als seine Kinder, in sein Bild verklärt, Erben seiner Herrlichkeit.

Ja, ja das hat der Herr getan,
Wir staunen dieses Wunder an
Wir stehen da und sehn erfreut
Auf ihn, den Herrn der Herrlichkeit,
Der den Gefang'nen Freiheit sendet,
An Allen bald sein Heil vollendet,
Du kannst es tun, du, dessen Hand
Uns Bäche schafft im dürren Sand.

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