Funcke, Otto - Tägliche Andachten – 3. Adventswoche

Funcke, Otto - Tägliche Andachten – 3. Adventswoche

3. Adventswoche. Sonntag.

Zacharias und Elisabeth waren beide fromm vor Gott und gingen in allen Geboten und Satzungen des Herrn untadelig.
Lukas 1,6.

Das alte Ehepaar Zacharias und Elisabeth im Gebirge Juda, Simeon und Hannah in Jerusalem, die Hirten in Bethlehem, Maria und Joseph in Nazareth bildeten mit so manchen andern „Stillen im Lande“ hin und her das wahre Volk Gottes, den echten geistlichen Samen Abraham's. Schon seit Jahrhunderten war trübe Zeit in Israel und nie sah es, innerlich und äußerlich, trüber aus, als eben jetzt. Auf der einen Seite standen rohe heidnische Tyrannen, die Israel und seine Hoffnung verachteten und mit Füßen traten. Auf der andern Seite sehen wir ein zähne knirschendes verbittertes Volk, das Tag um Tag ausschaute, ob nicht ein zweiter und größerer Judas Makkabäus erscheine, der sein siegreiches Schwert in das Blut seiner Feinde eintauche. Jene aber „warteten auf den Trost Israels“ und schauten in die Höhe, da Jehovah wohnt, der treu ist und seine Verheißung nicht vergisst. Und, ob es auch währte bis in die Nacht und wieder an den Morgen, so hörten sie doch nicht auf, zu beten und zu harren. Das ist schon mit den Namen der beiden Eheleute, davon unser Text sagt, angedeutet. Zacharias nämlich heißt: „Jehovah denkt daran“, (an das, was Er verheißen hat); Elisabeth aber bedeutet: „Mein Gott hält seinen Bund“.

Sie waren, wie Lukas schreibt, „fromm vor Gott“. Das Wort scheint wenig zu sagen und doch trifft's bei wenig Menschen zu. Die pharisäische Frömmigkeit ging rein und allein aufs Äußere. Vor den Menschen mit ihrer Frömmigkeit zu scheinen, mit ihren Fasten, Almosen und Gebeten vor den Menschen zu glänzen (Matth. 6) und Gott abzufinden, das war ihre Religion. Die wahre Frömmigkeit aber schaut allein auf Gott und sucht sich also zu halten, dass der Unsichtbare, der aber der Allwissende ist, ein gutes Urteil fällen kann. Denn, (wie Franziskus von Assisi sagt) „der Mensch ist so viel und nicht mehr, wie er in Gott ist“.

Ach, dass wir das immer vor Augen hätten, so würden wir am Ende aller Heuchelei angekommen sein! So würden wir dann auch lernen vor den Menschen richtig zu wandeln und nirgends Anstoß und Ärgernis zu geben.

So wandelten denn auch diese auserwählten Eheleute nicht um der Menschen willen, aber dennoch allen aufrichtigen Menschen zur Erbauung, „in allen Geboten und Satzungen des Herrn untadelig“. Sie lebten also genau nach dem Gesetz, aber sie ließen sich's „einen Zuchtmeister auf Christum“ sein. Ob auch Andere mit ihnen zufrieden waren, sie selbst waren es nicht. Sie erkannten den tiefen Abgrund der Verderbnis auch in ihnen selbst und sehnten sich nach der Versöhnung, die Gott Denen verheißen hatte, die durch das Gesetz getötet waren.

Als sie später das unendliche Glück hatten, den Vorläufer Christi als ihr Kind erziehen zu dürfen und den Aufgang der Gnadensonne in Jesu zu schauen, da hören wir, dass Zacharias darüber vornehmlich jubiliert, dass nun Gott „Erkenntnis des Heils, welches ist in Vergebung der Sünden“ (Lukas 1,77) verleihen werde. Der selige Mann weiß, dass alles Andere aus diesem Einen von selber fließt. Darum hat er auch noch vor seinem Ende singen dürfen:

Zions Hülf und Abrams Lohn,
Jakobs Heil der Jungfrau'n Sohn;
Friedefürst und Wunderheld
Hat sich treulich eingestellt.

3. Adventswoche. Montag.

Und der Engel kam zu ihr hinein und sprach: Gegrüßet seist du Holdselige, der Herr ist mit dir, du Gebenedeiete unter den Weibern.
Lukas 1,28.

Das Wort versetzt uns in die Tage, da heilige Engel hin und her schritten durch die Landschaften Israels, um hier und dort wunderbare Ahnungen und neue selige Gottesbotschaften auszubreiten. So kam auch ein Lichtbote aus der anderen Welt in das geringe Stüblein eines Mädchens, die in dem galiläischen Ackerstädtchen Nazareth wohnte. Die Kunde aber, die er brachte, lautete, kurz gefasst, also: „Du, Jungfrau aus Davids Stamm, sollst die Mutter des Heilandes der Welt werden!“

Welch eine Botschaft war das! wer denkt sie aus? welch einen Sturm musste sie in dem Herzen der kindlich-demutsvollen Maria wecken! „Ich arme Jungfrau soll die Mutter Dessen werden, den alle Gläubigen sehnsuchtsvoll erharrten von Abel bis auf Abraham, von Abraham bis auf David und bis auf diesen Tag? Ich soll Den unter dem Herzen tragen, der aller Welt Sünde auf sich nehmen und abtun will, Ihn, der den Tod überwinden wird in der Menschheit, ja einen neuen Himmel und eine neue Erde an's Licht bringen, den soll ich als mein Kindlein herzen, pflegen, ziehen, der soll mein Sohn sein und zugleich mein Heiland und Erretter?!“ - Wie musste es bei solchen Gedanken im Herzen der Maria auf- und niederwogen von Entsetzen und von Entzücken, von edler Scham und heiligem Hochmut!

Nur eine so hochbegnadigte, geheiligte Seele, wie Maria war, konnte solche Würde und Bürde tragen, ohne innerlich Schaden zu nehmen. In der römischen Kirche hat man freilich die Maria zu einer Göttin gemacht, die keines Erlösers bedarf, ja die selbst eine Miterlöserin des menschlichen Geschlechtes ist. Aber darum sollen uns die Römischen die Freude und den Segen an der Maria nicht verleiden. Wenn sie auch allerdings der Entsündigung und der heiligenden Gnade bedurfte, - wenn auch sie nachher nichts anderes sein kann und will als eine stille Jüngerin Dessen, der zugleich ihr Sohn und ihr Heiland ist, so ist sie doch andererseits auch gewiss die edelste und reinste Blume des menschlichen Geschlechts. Was von heiligem Lieben, Glauben und Hoffen je und je in der Menschheit gefunden wurde, das feiert in ihr seine schönste Offenbarung.

Von vorne herein können wir's nicht anders erwarten, als dass der neue Mensch Gottes, der vollkommen, heilig und rein ist, auch in der reinsten edelsten Hütte, die auf Erden gefunden wurde, erscheinen musste. War auch Der, der der Sohn der Maria heißen sollte, wunderbar in seiner Entstehung und in seinem Wesen, war er auch eine göttliche und nicht eine menschliche Schöpfung, - so konnte doch die Mutter dieses „Wunderbar“ (Jes. 9) nur eine in seltener Weise gottgeweihte Persönlichkeit sein. Darum wird sie auch von dem himmlischen Boten in so ehrender Weise angeredet, wie nie ein anderer Mensch weder vorher noch nachher. So schreibt sich auch von den Tagen dieser glaubensvollen Jungfrau an eine ganz neue Geschichte des vorher so verachteten weiblichen Geschlechts.

Fragt man aber: „was war es denn, wodurch sie so groß war?“ so antworten wir für heute nur: Es war die heilige Einfalt, die von sich selbst nichts weiß noch wissen will, die von sich selbst und von der ganzen Welt absieht und unverwandt den suchenden Blick hinaufrichtet zu dem Lichte Gottes, wie die Lilie zum Sonnenstrahl gewendet ist. Hier ist die Kunst, die keine Kunst ist, hier ist der Hochmut, der eitel Demut ist, hier ist die Grundweisheit, der Alles offenbart wird, weil sie nichts von sich selber weiß. Selig, wer darnach ringt, Dem wird's nimmer fehlen.

Wie die zarten Blumen
Willig sich entfalten
Und der Sonne stille halten,
Lass mich so,
Still und froh
Deine Strahlen fassen
Und dich wirken lassen.

3. Adventswoche. Dienstag.

Maria aber sprach: Siehe, ich bin des Herrn Magd; mir geschehe, wie du gesagt hast.
Lukas 1,38.

Als Sarah durch Jehovah's Engel hörte, dass sie auf ihren alten Tag noch Mutter werden solle, da lachte sie in Zweifel und Unglauben; desgleichen der alte Zacharias schüttelte ungläubig das Haupt und forderte ein Zeichen, als ihm ein Sohn verkündigt wurde. Als Abraham den Befehl empfing, seinen Isaak zu opfern, da gehorchte er, im Stillen seufzend, aber er redete kein Wort. Als Moses aufgefordert wurde, an den Hof Pharaos zu gehen, da protestierte er auf alle mögliche Art und warf endlich seinem Gott gleichsam das Gewehr vor die Füße: „Herr, sende wen du senden willst!“ Jeremias aber, in einer ähnlichen Lage, sträubte sich aufs Äußerste und rief: „Ich bin zu jung, Herr, ich kann nicht, Herr!“ Jonas vollends, da ihn Gott zum Missionar für Ninive berufen hatte, floh vor Jehovah weg aufs Meer. Wiederum der König Hiskia, da ihm angekündigt wurde, dass sein Reich untergehen werde, sprach in dumpfer Ergebung: „Wenn solches nur geschieht nach meinem Tod.“

Wie nimmt nun unsere Maria das Wort Gottes auf? Wenn wir uns mit keuschem Sinn in das Herz dieser Jungfrau hineinversetzen, so können wir mitempfinden, wie es über der himmlischen Botschaft von Angst und Seligkeit, von Furcht und Zittern, von Scham und Freude durchstürmt werden musste. Nie war die Antwort auf eine göttliche Botschaft schwerer und doch wurde nie eine treffendere gegeben. Maria lacht nicht wie Sarah, sie zweifelt nicht wie Zacharias, sie sträubt sich nicht wie Jonas, sie ist nicht stumpf wie Hiskia, sie weiset das göttliche Wort nicht in falscher Demut ab wie Jeremias. Nein, in dem edelsten, kindlichsten, demütigsten Heldenmut spricht sie: „Es geschehe also!“ Sie „sinkt wie ein Kind in ihres Vaters Schoß und lässt Ihn mit ihr in Allem walten“. Und ob auch ein ungeheuerliches tiefes Staunen über sie kommt, so wird sie doch nicht sprachlos, wie Abraham sprachlos wurde, sondern sie spricht: „Siehe, ich bin des Herrn Magd, mir geschehe wie du gesagt hast.“

Welch eine heilige Einfalt liegt in dieser Antwort! Eine rechte Magd ist ein Geschöpf, das keinen eigenen Willen hat, sondern ihren Willen, ihr Wissen, ihre Gefühle und Gedanken ganz und gar in den Rat ihres Herrn fallen lässt. So sagt sie auch: Ich grüble nichts, weiß nichts, will nichts, sinne nichts, - ich lasse mich nur ganz und gar fallen in diesen unendlichen Abgrund der ewigen Liebe, der sich vor meinen Augen auftut, hinein in dieses Dunkel der Weisheit Gottes, in diese unergründlichen Tiefen seiner wunderbaren Gedanken. Will Er's, - wohlan, so will ich's auch. Er muss wissen, was er tut! Komme ich um, so komme ich um, und ich komme dann doch nicht um; denn Niemand kommt um, wenn er tut und leidet, was Gott will. So schließt sie die Augen und lässt sich treiben von den rauschenden Wogen des göttlichen Liebesmeeres.

So einfach die Antwort der Maria ist, so wären doch alle Weisen der Welt nimmer darauf gekommen. Diese Hingebung an Gott ist zugleich die höchste Tätigkeit der Seele und eine größere Tat als alle Heldenstücke Alexander's und Cäsar's zusammengenommen. Denn wo unsere Seele also auf den Willen Gottes gerichtet ist, da kann Er das höchste Werk in uns vollenden und sein heiliges Bild wieder in uns eingestalten. Da haben wir dann hier auf Erden schon den Vorgeschmack ewiger Seligkeit.

So nimm denn meine Hände und führe mich
Bis an mein Ende Und ewiglich;
Lass ruhn zu deinen Füßen Dein armes Kind;
Ich will die Augen schließen und folgen blind.

3. Adventswoche. Mittwoch.

Und Elisabeth sprach zu Maria: O selig bist du, die du geglaubet hast!
Lukas 1,45.

In der glaubensvollen Hingebung der Maria an die göttliche Botschaft hat sich zugleich die edelste Weiblichkeit enthüllt und entfaltet. Ja, wir sagen weiter: Alle Weiblichkeit gewinnt erst in dem Glaubensleben ihre Verklärung und heilige Weihe. Das sollen sich die Frauen und Jungfrauen immer wieder sagen.

Das Weib ist von allem Anfang her darauf angelegt, nicht dass sie etwas sein soll für sich und in sich selbst, sondern eine Gehilfin des Mannes, die um ihn sei. Aufs Anlehnen, Anschmiegen, Hingeben, Helfen, Dienen ist sie gewiesen und alle ihre Anlagen, Gaben und Kräfte zielen nach dieser Seite hin. Nicht auf dem großen Markt des Lebens zu wirken ist des Weibes Sache, denn das schöpferische Prinzip ist in dem Manne vertreten. Des Weibes Sache ist: aufzunehmen und das Empfangene zu verarbeiten.

Dass man auch dem Weibe, dem die Ehe versagt ist, angemessene Wege öffnet sein eigenes Brot zu essen, ist recht und billig; vollends, dass ein Weib, die keine näheren Verpflichtungen hat, sich christlicher Liebesarbeit hingibt, ist ein köstlich Ding. Was man aber heutzutage Emanzipation des Weibes nennt, ist nichts wie eine jämmerliche Karikatur der christlichen Freiheit des Weibes. Als Eva auf ihren eigenen Kopf dem Menschengeschlecht neue Bahnen öffnen wollte, da machte sie einen unglückseligen Riss durch das ganze Weltall.

Die Größe und Macht (ja, und welch eine Macht!) des Weibes besteht in der heiligen unbewussten Einfalt, die sich hingibt, die sich leiten, die sich von Oben her stillen und füllen lässt; sie besteht in dem stillen Wandel, stillen Wirken und, wo es sein muss, auch in dem stillen Dulden vor Gott und den Menschen. Darum ist dem Weibe das wahre evangelische Glaubensleben auch natürlicher wie dem Manne. Leichter wie ihm ist dem Weibe das völlige Aufgeschlossensein nach Oben hin; leichter wie er verzichtet es auf sich selbst; leichter wie er denkt es seine Seele in das geheimnisreiche Gebiet des Glaubens, und weniger wie er schreckt es zurück vor dem Unbegreiflichen und Wunderbaren. - Dem Manne ist es schwer zu glauben, ohne zu zweifeln; dem Weibe ist es leicht zu glauben und schwer zu zweifeln - wenn es nur lieben kann was es glaubt. Auf dem neutestamentlichen Gebiet ist die weibliche Seite des Glaubens, nämlich die willenlose Liebeshingebung an das Göttliche, das Erste; daraus fließt dann erst das männliche Element, das Wirken und Schaffen. In der Zeit des Gesetzes war's umgekehrt:

Hochberühmt zu alter Zeit war die Zeder und die Palme,
Herrlich sind im neuen Bund schwache Reben, zarte Halme.

Da heißts: Selig sind die „Armen im Geist“, selig die Leidtragenden, die Hungernden, die Dürstenden, die Sanftmütigen; oder, wie der Apostel Paulus sagt: Wenn ich schwach bin, dann bin ich stark, in meiner „Schwachheit ist Jesu Kraft wirksam“. Dass aus diesem Selbstverzicht, aus dieser Weiblichkeit des Glaubens; der ganz nach Oben hin aufgeschlossen ist, eitel Tat, Kampf und Wirken fließt, dafür ist Paulus der beste Beweis. Aber damit fängt's an, wenn's etwas Rechtes werden soll: „Siehe ich bin des Herrn Magd (Knecht), mir geschehe wie du willst.“

In der wellenlosen Stille,
Über tiefem Meeresgrund,
Tut sich mir dein Gotteswille
In dem schönsten Spiegel kund;
Da nur kann dein Odem wehn,
Wo die Stürme schlafen gehn.

3. Adventswoche. Donnerstag.

Maria aber behielt alle diese Worte und bewegte sie in ihrem Herzen.
Lukas 2,19.

Das wird uns mehrere Male von der Maria berichtet und damit bezeichnet, wie sie sich nach dem Empfang der göttlichen Offenbarungen verhalten habe. Dadurch wurde sie so groß, dass sie das, was von Gott her an sie kam, nicht nur mit ihrem Verstand aufnahm, auch nicht augenblicklich nur mit lebhaftem Gefühl ergriff, sondern mit ihrem Herzen, und es darin hin und her bewegte. Sie pflanzte es mit treuem Gebet ein in den tiefsten Grund ihrer Seele; sie hielt es darin fest und verwertete es; sie wandte es an auf den ganzen Bestand ihres inneren und auch auf alle Verhältnisse des äußeren Lebens. So wurden denn die Worte des Lebens ihr Eigentum, so sammelte sie einen Schatz für Zeit und Ewigkeit und konnte dann nehmen aus diesem Schatz, wie wir an dem Lobgesang (Lukas 1,46) sehen, wodurch sie aller christlichen Musici und Poeten Vorsängerin und Meisterin geworden ist.

Ja, was scheint selbstverständlicher und natürlicher als dieses Behalten und Bewegen der Worte Gottes? Und doch ach, wie ist's ein seltenes Ding! Das stille Lernen zu Jesu Füßen ist uns unruhigen Kindern dieses Geschlechts so gar unbequem. Wir mögen nicht lernen, sondern sogleich etwas sein! O dass wir unsere Maria anschauten, wie sie betend den Worten Gottes nachsinnt! O dass wir die Maria in Betanien anschauten, wie sie stille und sprachlos ihr Auge und Ohr auf Jesum gerichtet hält und sein Licht und sein Leben in ihr Herz einfließen lässt, während die sonst so treffliche Martha ermahnet wird, erst den Herrn in ihr tätig sein zu lassen und dann für den Herrn tätig zu sein.

Ja, dass wir hier Stille lernten! dass wir hier lernen lernten!

Ist es nicht so? Wir sind meist so arm in unserem inneren Leben und wenn die Tage der Not kommen, fehlt uns der innere Schatz. Wo liegt der Grund? Will Gott nicht geben? Freilich gibt Er, aber wir behalten, bewahren und bewegen nicht, was Er gibt! Spürst du nicht, wie viel er dir darreicht, bald im stillen Kämmerlein und aus deiner Bibel heraus, bald im Hause Gottes, bald durch Gemeinschaft mit anderen Christen, bald durch Allerlei, was du im täglichen Leben siehst, hörst und erfährst? Da gilt's dann festzuhalten, innerlich zu verarbeiten und nachher praktisch zu verwerten, was man empfangen hat. Aber gehts nicht meist so, dass das Beste bald wieder entschwunden ist? Warum? Antwort: Dir fehlen die stillen Stunden! Dir fehlt das gesammelte Herz! Für Alles hast du Zeit, für alle Vielleserei, Vieltuerei, für alle mögliche neue Gemeinschaft, nur nicht - o es ist entsetzlich zu sagen! nur nicht für dich selbst! Für alles Mögliche sorgst du, nur nicht für Ansammlung des inneren Schatzes! Da treffen sich dann die Tage des Sturmes unvorbereitet und es geht, wie der Herr (Matth. 7,27) von dem auf Sand gebauten Hause sagt.

Das Geheimnis und die starken Wurzeln der Kraft aller großen Gottesmänner und aller heiligen Frauen lag in dem stillen Bewahren und Bewegen dessen, was Gott ihnen innerlich offenbart hatte. Denn wer da hat, dem wird gegeben.

Wort des Lebens, lautre Quelle,
Die vom Himmel sich ergießt,
Lebenskräfte gibst du Jedem,
Der dir Geist und Herz erschließt;
Der sich, wie die welke Blume,
Die der Sonnenbrand gebleicht,
Dürstend von dem dürren Lande
Zu der Quelle niederneigt.

3. Adventswoche. Freitag.

Maria aber stand auf in diesen Tagen und ging auf das Gebirge endelich (das ist eilfertig) zu der Stadt Juda und kam in das Haus des Zacharias und grüßte Elisabeth.
Lukas 1,39.40.

Der hochbeglückten Maria wird es in ihrer Hütte zu einsam; sie muss sich gegen einen Menschen, dem sie sich ganz hingeben kann, weil er sie ganz versteht, aussprechen. In Nazareth war Niemand, den sie in so geheimnisvolle Gottestiefen hineinschauen lassen konnte. Dass sie auch ihrem Verlobten davon nichts zu sagen wagte, versteht leicht, wer nur etwas vom weiblichen Wesen kennt. Nur Eine war auf Erden, der konnte sie getrost ihr ganzes Herz aufschließen, das war Elisabeth, das Weib des Zacharias, - eine edle mütterliche Freundin und die Pflegerin derselben heiligen Hoffnungen.

Freilich, der Weg von Nazareth zum Gebirge Juda erforderte fast drei Tagereisen. Welch ein Unternehmen für eine einzelne arme Jungfrau, dahin zu wandern! Aber so stark ist der Trieb zur Gemeinschaft, so groß auch der Mut und die Energie dieser einfaltsvollen jungfräulichen Seele, dass sie sich eilend, ohne Zögern auf den Weg begibt, nachdem sie die göttliche Botschaft empfangen hat. Gottes Engel aber ist ihr treuer Schutzmann gewesen. Luther bemerkt zu dieser Reise in seiner originellen kindlichen Weise: „Billig wäre es gewesen, dass man ihr einen güldenen Wagen bestellt und sie mit 4000 Pferden geleitet und vor dem Wagen her getrommelt und geschrien hätte: „Hie fährt die Frau aller Frauen!“ Aber Solches ist alles geschwiegen. Das arme Mägdlein gehet zu Fuß so einen weiten Weg bis in die zwanzig Meilen. Da wäre es kein Wunder, wenn alle Berge gehüpft und getanzt hätten vor Freuden!“ Indessen, so wie kein Wagen gewesen ist, so haben auch die Berge des Tanzes vergessen. Für die Demut und Einfalt der Maria wird das auch heilsamer gewesen sein.

Wie mächtig aber musste es doch die Maria zur Gemeinschaft ziehen, dass sie diese weite Reise wagte und so viel Gefahr, Beschwerde und Hindernis verachtete! Ja, der Trieb zur Gemeinschaft ist gar ein edler gottgezeugter Trieb in der Menschenbrust. Niemand soll sich etwas darauf zu Gute tun, wenn er aller Menschen entraten kann. Das ist, wenigstens in der Regel, mit nichten ein Zeichen von besonderer Hoheit, Frömmigkeit und Seelengröße, sondern von Stolz, Einbildung und Stumpfheit. „Es ist nicht gut, dass der Mensch allein sei,“ - so sagt Der, der ihn geschaffen hat und ihn also auch am besten kennt. Darum schickt auch Jesus seine Jünger zu zwei und zwei und Paulus ist schier trostlos, wenn er auf seinen Reisen keinen Gefährten zur Seite hat.

Besonders aber in großen Momenten des Lebens, sei es in hoher Freude oder in tiefem Schmerz, finden wir in unserer Brust das schreiendste Bedürfnis nicht nur vor dem unsichtbaren Gott, sondern auch gegenüber einem Menschen, einem sinnlichnahen, uns gleichartigen Wesen, das ganz mit uns empfindet, unser Herz auszuschütten. Dann wird die Not erträglicher, dann wird die Freude doppelt groß. Zum Verzweifeln aber ist's und für Leib und Seele ungesund, wenn man in solcher Zeit Alles in seiner Brust verschließen muss. Wir erinnern hier auch an die Gemeinschaft zwischen David und Jonathan; ja, selbst unserem Heiland war es, nicht nur unter den Todesschatten von Gethsemane, sondern auch auf der lichten Höhe des Verklärungsberges, tief innerliches Bedürfnis Gemeinschaft zu haben.

O wohl Dem, der, zumal in finsteren Zeiten seines Lebens, wenigstens eine Seele hat, die dann nicht flieht und nicht schläft, sondern in Wahrheit mit ihm leidet und mit ihm trägt und mit ihm vor Gott hintritt. Es ist wohl ein Gebet, das durch die Wolken dringen muss, wenn Einer, der einsam steht, seinen Gott um Gemeinschaft bittet. Wer aber klagt, dass er von allen Menschen verlassen sei, der untersuche sich doch auch wohl, ob die Schuld nicht an ihm liegt, ob er nicht zu hochmütig, zu einseitig, zu wählerisch und launig ist. Er ringe nach dem einfaltsvollen Kindessinn der Maria und es wird ihm auf die Dauer an Freunden, wie Zacharias und Elisabeth waren, nicht fehlen.

Gott stehet mir vor Allen
Den meine Seele liebt,
Dann soll mir auch gefallen
Der mir sich herzlich gibt.

3. Adventswoche. Sonnabend.

Und Maria sprach: Meine Seele erhebet den Herrn, und mein Geist freuet sich Gottes, meines Heilandes.
Lukas 1,46.47.

Wie eine edle Himmelsblume tut sich in der beglückenden Gemeinschaft mit der Elisabeth das Herz der Maria auf und ergießt sich in Klängen, die bis in die obere Welt forttönen, weil sie aus dem tiefsten Heiligtum der inneren Welt herausgeboren sind. Diesen Jubelpsalm sangen die alten Christen am Abend jedes Tages, wenn sie sich zum Gebet versammelten. Und in der Tat, man schöpft diese Worte niemals aus; denn hier ist in mustergültiger Weise die wahre Stellung der Seele zu ihrem Heiland ausgeprägt, und heute noch kann sich ein Jeder in diesem Spiegel erkennen.

Elisabeth hatte den Glauben der Maria gepriesen; diese aber lenkt alle Ehre von sich ab und legt in kindlicher Einfalt Alles dem Herrn zu Füßen: „Meine Seele erhebet den Herrn, und mein Geist freuet sich Gottes, meines Heilandes“. Die römische Maria bedarf keines Heilandes. Die Arme, sie ist selbst eine Art Heiland geworden! Die wahre biblische Maria aber fühlt sich erlösungsbedürftig; darum darf sie sich auch ihres eigenen Kindes als ihres Retters trösten. Wie viel Verwirrung dieses Geheimnis auch immer in ihrem Herzen und Verstand anrichten wollte, sie schwingt sich auf Fittichen des Glaubens über alle Abgründe des Zweifels hinweg. Auf ihren Gott ist ihr ganzes Angesicht gerichtet. Ihn erhebt ihre Seele und indem sie Ihn groß macht, macht sie, ohne es zu wissen und zu wollen, sich selber groß.

Einen andern Ruhm weiß sie nicht, aber wo solches Heilands rühmen ist, da wird dann auch die Freude geboren, - eine Freude, wie keine andere Freude ist. Sie spricht hier von „Seele und Geist“. Wohl kann man zuweilen auch erfahren, was das heißt, dass der Leib sich freuet in dem lebendigen Gott. Aber das ist doch erst ein schwacher und vorübergehender Vorschmack. Der Leib muss noch warten, und, bis auch seine Zeit kommt, ein „Leib der Demütigung“ bleiben. Aber der Geist kann oft hier schon Stunden himmlischer Freude genießen, wenn er, von aller Eitelkeit ledig, nur die eine Sehnsucht hat, den Herrn zu erheben.

Kannst auch du, lieber Leser, so recht von Herzen glücklich singen und sagen: „Mein Geist freuet sich Gottes meines Heilandes“? Worüber ein Mensch sich freut und worüber er trauert, daran kann man sein inneres Wesen erkennen. Frage dich, worüber du fröhlich und worüber du traurig bist.

Die meisten Menschen trauern nur über Alles, was ihnen das Erdenleben schwer macht, über zeitliche Verluste, Sorgen, Demütigungen, Verdrießlichkeiten und Schmerzen, seien es nun bloß Zahnschmerzen, oder Schmerzen über getäuschte Liebe, oder über ein verlorenes Vermögen. Das ist natürlich, aber auch nicht mehr. Und natürlich ist's auch, dass sie sich freuen über das, was aus dieser Welt kommt und für diese Welt ist, über irdischen Gewinn, Genuss, Ehre und Liebe der Menschen. Andere Freude kennen die Meisten nicht; doch eine Freude auch noch, das ist das Behagen an sich selbst, so wie sie es tun und treiben, so wie sie's so weislich und tugendhaft gedacht, gesagt und gemacht haben. Daran können sie sich so recht hegen und erwärmen.

Reden wir von anderen Menschen oder auch von uns, die jetzt dieses lesen? Ach, walte Gott, dass es uns nichts angehen möchte! Aber untersuche dich wohl, ob du die Worte der Maria so recht innerlich-glücklich mitsingen kannst: „Meine Seele erhebet den Herrn, und Ihn über alles!“ Und kannst du's noch nicht, so frage dich recht, ob du nicht etwa mit dem Geist der Welt noch allzusehr verbrüdert bist, ob Weltsorge und Weltlust, Weltgenuss und Weltschmerz dich nicht innerlich noch gefangen halten? Frage dich, ob du zu deinen Mitmenschen richtig stehst, ob da nicht allerlei Neid, Geiz, Bitterkeit und Rachsucht in deinem Herzen nisten? Frage dich, ob nicht auf irgend einem Punkte noch eine Sympathie mit der Sünde ist, oder ein alter, dir bis dahin verborgener Bann? Ja, ob wir mit einer Kette oder mit einem Zwirnsfaden an das Reich der Sünde gebunden sind ist ganz gleich. So lange wir nicht Mut und Lust haben, den Zwirnsfaden zu zerreißen, sind wir eben Gefangene. So brich denn durch in der Kraft des Herrn, (sei es den Zwirnsfaden oder die Kette), und dann lass deine Seele aufsteigen der Lerche gleich, den Herrn erheben und sich freuen Gottes, ihres Heilandes.

Ach, ich bin viel zu wenig zu rühmen seinen Ruhm;
Der Herr allein ist König, Ich eine welke Blum';
Doch weil ich auch gehöre
Gen Zion in sein Zelt,
Ists billig, dass ich ehre
Sein Lob vor aller Welt.

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