Anselm von Canterbury – Buch der Betrachtungen - Zehnte Betrachtung. - Über das Leiden Christi.

Anselm von Canterbury – Buch der Betrachtungen - Zehnte Betrachtung. - Über das Leiden Christi.

Jesus, süß im Neigen des Hauptes und im Sterben, süß bei deinen ausgespannten Armen, süß beim Öffnen der Seite, süß beim Anheften der Füße mit einem Nagel. Süß im Neigen des Hauptes: denn indem er am Kreuz das Haupt neigt, scheint er seiner Geliebten gleichsam zu sagen: o meine Geliebte, wie oft sehntest du dich nach dem Genuss des Kusses meines Mundes, indem du mir durch meine Genossen melden ließt: er küsse mich mit dem Kuss seines Mundes? (Hohelied 1,1.) Ich bin bereit, neige das Haupt, reiche den Mund, küsse so oft du magst, und sprich nicht in deinem Herzen: Ich verlange nach keinem Kuss, der ohne Ansehen und Schönheit ist, sondern nach dem herrlichen, den die englischen Bürger stets zu genießen sich sehnen. Irre doch nicht so, denn hast du nicht zuerst jenen Mund geküsst, so wirst du zum anderen durchaus nicht gelangen können. Küsse also den Mund, den ich dir nun biete, denn ist er auch ohne Ansehen und Schönheit, so ist er doch nicht ohne Gnade. Süß bei ausgespannten Armen: denn indem er die Arme ausspannt, legt er uns nahe, er selbst sehne sich nach unsern Umarmungen und er scheint gleichsam zu sagen: O ihr, die ihr mühselig und beladen seid, kommt, und lasst euch erquicken (Matth. 11,28) in meinen Armen, unter meinen Umarmungen: seht, dass ich bereit bin, euch in meine Arme zu versammeln, kommt also Alle: Keiner fürchte zurückgewiesen zu werden, denn ich will nicht den Tod des Sünders, sondern dass er sich bekehre und lebe (Ezchl. 33,11). Denn meine Lust ist es, bei den Menschenkindern zu sein (Sprchw. 8,31). Süß bei der Öffnung der Seite; hat uns ja jene Öffnung den Reichtum seiner Güte geöffnet, nämlich die Liebe seines Herzens zu uns. Süß beim Anheften der Füße mit einem Nagel; denn dadurch redet er gleichsam so zu uns: siehe wenn ihr meint, ich müsse fliehen, und ihr daher euch mir zu nähern zögert, indem ihr wisst, dass ich ungemein schnell und wie ein junger Hirsch bin, so seht, dass meine Füße mit einem Nagel so angeheftet sind, dass ich durchaus nicht vermag euch zu entfliehen, weil die Barmherzigkeit mich gänzlich gebunden festhält; auch möchte ich euch nicht entfliehen, wie es eure Sünden verdient haben, weil meine Hände mit Nägeln angeheftet sind. Gütiger Jesus, demütiger Herr, lieber Herr, süß im Mund, süß im Herzen, süß am Gehör, unerforschlich und unaussprechlich anmutig, fromm und barmherzig, mächtig, weise, gütig, freigebig aber nicht verschwenderisch, sehr süß und lieblich. Du bist allein das höchste Gut, der Schönste aller Menschenkinder (Ps. 44,3), schön und prächtig und hervorragend vor Tausenden (Hhl. 5,10) und ganz wünschenswert (Ebnd. V. 16). Für Schönes schickt sich nur Schönes. O mein Herr, jetzt sehnt sich meine ganze Seele nach deinen Umarmungen und Küssen. Nichts suche ich als dich selbst, würde mir auch kein Lohn verheißen; gäbe es auch keine Hölle, kein Paradies, wollte ich doch um deiner süßen Güte, um deiner selbst willen dir anhängen. Du meine stete Betrachtung, mein Wort, mein Tun. Amen.

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autoren/a/anselm_von_canterbury/anselm-betrachtungen/anselm-buch_der_betrachtungen-10._betrachtung.txt · Zuletzt geändert: von aj
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