Psalm 13

13:1 Ein Psalm Davids, vorzusingen. HERR, wie lange willst du mein so gar vergessen? Wie lange verbirgst du dein Antlitz vor mir?
O Herr, ich erkenne, daß dein Verbergen meine Vollendung wirken soll. Du verdeckst mir deine Schätze, damit ich mit mehr Inbrunst danach trachte. Du verbirgst die Perle, damit ich sie mit größerem Verlangen suche. Du verziehest mir zu helfen, damit ich lerne zu dir zu schreien. Du scheinst dein Ohr zu verschließen, damit ich lerne ausharren. (Anselm von Canterbury)

13:2 Wie lange soll ich sorgen in meiner Seele und mich ängsten in meinem Herzen täglich? Wie lange soll sich mein Feind über mich erheben?

13:3 Schaue doch und erhöre mich, HERR, mein Gott! Erleuchte meine Augen, daß ich nicht dem Tode entschlafe,

13:4 daß nicht mein Feind rühme, er sei mein mächtig geworden, und meine Widersacher sich nicht freuen, daß ich niederlage.

13:5 Ich hoffe aber darauf, daß du so gnädig bist; mein Herz freut sich, daß du so gerne hilfst.

13:6 Ich will dem HERRN singen, daß er so wohl an mir tut.
Mußte nicht Jesus so jammern, als seine Leiden gar kein Ende nehmen wollten? Unschuldig warest Du, o Herr, und doch ließ Pilatus Dich nicht los, sondern begnügte sich damit, Wasser zu nehmen, seine Hände zu waschen und zu sprechen: Ich bin unschuldig an dem Blute dieses Gerechten; da denn das Volk mit lauter Stimme ruft: “Sein Blut komme über uns und über unsere Kinder!“ Ach mein Heiland, ich kann nicht sagen, daß ich unschuldig sei an Deinem Blute; nein, ich bin schuldig daran, meine Sünden haben es Dir im Oelgarten ausgepreßt, sie waren die Peitschen, die Dich bis auf’s Blut gegeißelt: die Henker, die Dich gequält; die Dornen, die Dich gestochen; das Marterzeug, das Dich gekreuzigt. Ich bin schuldig geworden an Deinem Blute, da ich meine Seele, welche Du bei der heiligen Taufe in demselben gewaschen, wieder durch muthwillige Sünden befleckt; ja, durch jede Unterlassungs- und Begehungssünde habe ich mich in Deinem Blute schuldig gemacht. Ach, mein Erbarmer, ich erkenne und bekenne meine Schuld, rufe aber mit bußfertigem und glaubensdurstigem Herzen: Dein Blut komme über mich, nicht zum Fluch, sondern zum Segen und zu meiner Reinigung. In Dein Blut muß ich meine nackte Seele verhüllen, darum komme Dein Blut über mich zu meinem Kleide. Mit Deinem blute muß ich meine häßliche Seele schmücken und zieren, darum komme Dein Blut über mich zu meinem Schmuck. Mit Deinem Blute muß ich meine hungrige und durstige Seele speisen, tränken und laben, darum komme es über mich zu meiner Sättigung und Erquickung. Dein Blut muß meine Wunden heilen als die beste Salbe in Gilead, so komme dasselbe über mich zu meinem Heilbalsam. Soll ich in Sünden Todter wieder zu dem geistlichen Leben, das aus Gott ist, gelangen, so muß Dein Blut mich beleben. Ja, soll ich ein Mitgenosse des frohen, ewigen Lebens werden, so muß ich es um Deines Blutes willen erbitten und erlangen. Kurz, Herr Jesu, Dein Blut komme über uns und über unsere Kinder zu dem Endzweck, wozu Du es vergossen. Amen. (Johann Friedrich Wilhelm Arndt)


Ein Christ ist gegen die Leiden, die auf ihn zudringen, nicht unempfindlich, und wird durch dieselben zuweilen sehr in die Enge getrieben und tief niedergedrückt. Er begehrt sich auch durch eine leichtsinnige Zerstreuung seiner Gedanken und weltliche Lustbarkeiten über die Empfindung seines Elends nicht wegzusetzen, und verstellt sich nicht, wenn er traurig ist, sondern betet, redet und handelt so, wie es der Zustand seiner Seele mit sich bringt. Er sucht aber doch den rechten Ausgang seiner Traurigkeit sehnlich. Er bestrebt sich, aus der Dunkelheit in das helle Licht, aus der Tiefe in die Höhe des Glaubens, und aus der Enge in einen weiten Raum zu kommen. Wie erreicht er aber diesen Zweck? Durch’s Gebet und durch einen ringenden Glauben, dem Gott mit Seiner Gnade und Hülfe zur rechten Zeit begegnet. Dieses Alles lehret der 13. Psalm, in welchem David zuerst klagte und fragte: HErr, wie lange willst Du mein so gar vergessen? Wie lange verbirgst Du Dein Antlitz vor mir? Wie lange soll ich sorgen in meiner Seele, und mich ängsten in meinem Herzen täglich? Wie lange soll sich mein Feind über mich erheben? Er betete auch: Schaue doch, und erhöre mich, HErr, mein Gott. Erleuchte meine Augen, daß ich nicht im Tode entschlafe. Daß nicht mein Feind rühme, er sei mein mächtig worden, und meine Widersacher sich nicht freuen, daß ich darniederliege. Bi daher war David niedergeschlagen, und rief aus der Tiefe zu Gott; nun erleuchtete aber Gott seine Augen, wie er gebeten hatte, nun wurde sein Glaube gestärkt, nun wurde seine Seele aufgerichtet; darum konnte er zuletzt sagen: ich hoffe aber darauf, daß Du so gnädig bist; mein Herz freuet sich, daß Du so gerne hilfest. Ich will dem HErrn singen, daß Er so wohl an mir thut. Zuerst kam also eine neue Hoffnung in seine Seele, darnach Freude, und aus der Freude entstand das Gelübde: ich will dem HErrn singen. Zuerst dachte er daran, daß der HErr gnädig sei, darnach, daß Er nicht nur helfen werde, sondern auch gern helfe, und endlich, daß Er nicht nur aus der Noth helfe, sondern auch wohlthue, oder die Wohlfahrt der Seinigen schaffe und befestige.
Dieser Psalm bestraft mich wegen meines Eigensinns, mit welchem ich oft allzulang im Trauern und Klagen verharrt bin, und den Ausgang aus der Traurigkeit und dem Klagen, welchen David oft bald gefunden hat, nicht auch gesucht habe. Wenn ich meine Klagen bei mir selbst behalten und hundertmal in Gedanken wiederholt habe, so bin ich nicht heiter worden; und wenn ich nur bei mir selbst oder nur bei Menschen Hülfe gesucht habe, so ist mir nicht geholfen worden. Wenn ich aber meine Klage vor dem HErrn ausgeschüttet, wenn ich Ihn mit einer demüthigen Vertraulichkeit gefragt habe: warum? wenn ich Ihn als meinen Gott um Trost und Hülfe gebeten habe, so ist meine Seele wieder heiter worden. Anstatt der traurigen Schreckbilder ist mir die Gnade Gottes vor’s Gesicht gekommen; meine Traurigkeit ist in Freude und meine Klage in einen Lobgesang verwandelt worden. HErr, lehre mich durch Deinen guten Geist diesen Ausgang aus der Schwermuth immer bald suchen und finden, und vergib mir den hartnäckigen Unglauben, womit ich mich oft wider Deinen Willen verfinstert und gequält habe. Meine Klage und mein Lobgesang komme in Dein gnädiges Angedenken um des Fürsprechers Jesu Christi willen. Amen. (Magnus Friedrich Roos)