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Spurgeon, Charles Haddon - Die kräftige Berufung

„Und als Jesus kam an dieselbige Stätte, sah er auf, und ward sein gewahr, und sprach zu ihm: „Zachäe, steig eilend hernieder, denn ich muss heute zu deinem Hause einkehren.“
Luk. 19,5

Zachäus hatte, wie unser Text zeigt, ein großes Verlangen, den wunderbaren Mann Jesus Christus zu sehen, der das ganze jüdische Land in Bewegung setzte; aber diesem Verlangen standen zwei Hindernisse im Wege: erstens, dass er wegen der Menge der Menschen dem Heiland nicht nahe kommen konnte, und zweitens, dass er so klein war, so dass er nicht hoffen konnte, über die Leute hinwegsehen zu können, um Jesus erblicken zu können. Was tat er nun? Er machte es wie die Kinder: er stieg auf einen Baum und setzte sich unter die Kinder auf den Ästen. Die Kinder fürchteten diesen strengen alten Zöllner, sie warfen ihn nicht vom Baum hinab, belästigten ihn auch sonst nicht. Sehnsüchtig blickte er hinab, um zu sehen, wer dieser Jesus sei - denn der Heiland hatte keinen pompösen Aufzug; kein Gerichtsdiener ging vor ihm her mit einem silbernen Stab; der Heiland hielt keinen goldenen Krummstab in seiner Hand; er hatte keine hohepriesterliche Kleidung, sondern war bekleidet wie die Leute, die um ihn her waren. Er trug, wie die gemeinen Leute, einen Rock aus einem Stock von oben bis unten, und daher konnte Zachäus ihn kaum erkennen. Doch ehe er Christus sah, hatte Christus sein Auge auf ihn gerichtet, und, unter dem Baum stehend, sah der Heiland hinauf zu ihm und sagte: „Zachäus, eile und komm herab, denn heute muss ich in deinem Hause einkehren.“ Zachäus kommt eilends herab, Christus geht in sein Haus, Zachäus wird ein Nachfolger Christi und geht ins Reich der Himmel ein, und so wurde die Berufung, mit der ihn Christus berufen hatte, kräftig und wirksam an ihm.

Ich will an dem Beispiel des Zachäus die Lehre von der wirksamen Berufung, mit der Gott seine Kinder für sein Reich beruft, beleuchten.

1. Die kräftige Berufung ist eine gnadenvolle Wahrheit

Dies können wir an der Tatsache sehen, dass Zachäus ein Mann war, den man am wenigsten für rettungsfähig halten konnte und durfte. Er gehörte der bösen Stadt Jericho an, die einst verflucht worden war, von der man also vermuten durfte, dass niemand darin selig werden könne. Nahe bei Jericho fiel der im Evangelium erwähnte Reisende unter die Mörder. Zachäus hatte wohl nichts mit der Tat der Räuber zu schaffen; aber manche Zöllner können auch Räuber sein. In mancher Stadt der Christenheit gibt es die schlimmsten und verderbtesten Höhlen der Schande, wie in Jericho zu dieser Zeit. Aber es kommt nicht darauf an, woher ein Sünder kommt, er mag von den schmutzigsten Orten herkommen, wenn nur die wirksame Gnade, die keinen Unterschied der Orte kennt, ihn kräftig berufen hat. Zachäus hatte auch ein sehr schmutziges Geschäft, und wahrscheinlich hatte er die Leute betrogen, um sich zu bereichern. Als daher Jesus in des Zachäus Haus einging, entstand ein allgemeines Murren darüber, dass er der Gast eines Mannes wurde, der ein Sünder war. Aber, meine Brüder, die Gnade kennt keinen Unterschied; sie achtet nicht auf das ansehen der Personen, sondern Gott beruft, wen er will, und er hat diesen ärgsten der Zöllner berufen in der ärgsten Stadt und aus den ärgsten Berufsarten.

Zachäus hatte die geringste Wahrscheinlichkeit zum Seligwerden, denn er war reich. Zwar sind Reiche und Arme im Himmelreich willkommen; keiner hat die geringste Ursache zum Verzagen wegen seiner äußeren Lage oder seiner irdischen Verhältnisse; aber es ist doch eine Tatsache, dass „nicht viele Große und Gewaltige nach dem Fleisch“ berufen sind, sondern „Gott hat die Armen dieser Welt, die reich sind im Glauben“ berufen. Aber die Gnade kennt hier keinen Unterschied. Der reiche Zachäus wird vom Baum herab berufen, er steigt herab und wird selig. Ich habe es für den größten Beweis von der Herablassung Gottes gehalten, dass er auf einen Menschen herabsehen kann; aber ich sage euch, es war noch eine größere Herablassung, dass Christus aufschaute, um den Zachäus zu sehen. Denn dass Gott auf seine Geschöpfe herabblickt, das ist Barmherzigkeit; aber dass Christus sich erniedrigt und zu einer seiner Kreaturen hinaufschaut, das ist wahrhaftig Erbarmen. Manche von euch sind auf den Baum ihrer guten Werke gestiegen, und sie haben sich gesetzt auf die Zweige ihrer heiligen Taten, sie vertrauen auf den freien Willen der armen Kreatur oder ruhen auf irgend einem weltlichen Grundsatz; und doch sieht Christus hinauf auch zu den stolzen Sündern und ruft sie herab. „Komm herab,“ sagt er, „heute muss ich in deinem Hause einkehren.“ Wäre Zachäus ein niedrig gesinnter Mann gewesen, oder wäre er zu den Füßen Jesu gesessen, so hätten wir schon deshalb die Barmherzigkeit Christi bewundern müssen; aber hier sehen wir Zachäus erhaben, und doch blickt Christus zu ihm hinauf und heißt ihn herabkommen. Das ist eine hohe Gnade.

2. Die kräftige Berufung ist persönlich.

Auf dem Baum waren Knaben zusammen mit Zachäus, aber der Ruf erging deutlich an ihn. Es hieß: „Zachäus, komm eilends herab!“ In der Heiligen Schrift wird noch anderer Berufungen gedacht. Es heißt besonders: „Viele sind berufen, aber Wenige sind auserwählt.“ Dies ist aber nicht die wirksame und kräftige Berufung, die der Apostel meinte, wenn er sagt: „Wen er berufen hat, den hat er auch gerecht gemacht.“ Jenes ist eine allgemeine Berufung, die viele, ja alle Menschen zurückweisen können, wenn nicht die persönliche und besondere Berufung darauf folgt, die uns erst zu Christen macht. Ihr werdet es mir bezeugen, dass erst die persönliche Berufung euch zu Christus gebracht hat. Eine Predigt oder sonst ein Wort Gottes hat dich zu der Überzeugung und zu dem Gefühl geführt, dass du die berufene Person bist. Der Prediger legte vielleicht einen Nachdruck auf das Wörtchen „dich“, so dass es dir schien, als ob Gottes Auge auf dich gerichtet wäre, und du die feste Überzeugung hattest, dass die Predigt nur für dich und für niemand anders gehalten worden sei. Gott beruft seine Leute nicht in Haufen, sondern in Einheiten. Jesus sagt: „Maria“, und sie wendet sich um und sagt zu ihm: „Rabbuni“, d.h. Meister. Jesus sieht Petrus und Johannes am Meer fischen und spricht zu ihnen: „Folget mir nach!“ Er sieht Matthäus an der Zollbank sitzen und spricht zu ihm: „Stehe auf und folge mir“; und Matthäus folgte ihm nach.

Wenn der Heilige Geist in einen Menschen eindringt, so gehen die Pfeile Gottes in sein Herz; sie streifen nicht bloß an seinem Helm vorbei, lassen auch nicht bloß eine kleine Spur an seiner Waffenrüstung zurück, sondern sie gehen zwischen den Fugen der Rüstung hindurch und treffen das Innerste der Seele. Habt ihr, teure Freunde, diesen persönlichen Ruf gefühlt? Erinnert ihr euch an die Stimme, die sprach: „Stehet auf, er rufet euch?“ Könnt ihr zurückschauen auf eine Zeit, wo ihr sagen könnt: „Mein Herr und mein Gott!“ Wo der Geist Gottes an euch arbeitete und ihr sagtet: „Herr, ich komme zu dir, denn ich weiß, du hast mich gerufen!“ Der persönliche Ruf Gottes an eine Seele wirkt weit mehr, als der allgemeine Ruf an eine Menge von Menschen, die den besonderen und persönlichen Ruf nicht in sich eindringen lassen.

3. Die Berufung Gottes ist eine eilige.

„Zachäus, steige eilends herab!“ Wenn der Sünder gerufen wird, so antwortet er: „Morgen!“ Wenn er eine ernste Predigt hört, so sagt er: „Ich will mich bald zu Gott bekehren;“ die Tränen fließen über seine Wangen, aber sie werden bald wieder abgewischt. Einiges Gute kommt zum Vorschein, aber es wird wieder, wie die Morgenwolke, zerstreut durch die Sonne der Versuchung. Der Mensch sagt: „Ich gelobe feierlich, von jetzt an mich zu bessern. Wenn ich noch einmal meine Lieblingssünde genossen habe, so will ich meinen Lüsten entsagen und mich für Gott entscheiden.“ Dieser Rat haftet nicht. Er führt zwar zu guten Vorsätzen, aber die Hölle ist, wie man sagt, mit lauter guten Vorsätzen gepflastert. Diese guten Vorsätze sind die Frucht einer allgemeinen Berufung. Der Weg zum Verderben ist ganz mit Zweigen von den Bäumen belegt, worauf die Menschen sitzen und von denen sie oft nur Zweige abbrechen und sie hinunterwerfen, ohne selbst herabzusteigen. Das Stroh, das man vor die Türe eines Kranken legt, lässt die Wagen weniger geräuschvoll dahinrollen. So gibt es viele Menschen, die ihren Pfad mit Bußgelübden und Versprechungen bestreuen, um leichter und geräuschloser in das Verderben hinabzusinken. Aber der Ruf Gottes ist nicht ein Ruf auf den morgigen Tag. „Heute, so ihr seine Stimme hört, verhärtet eure Herzen nicht, wie es geschah in der Verbitterung am Tage der Versuchung in der Wüste.“ Die Gnade Gottes kommt immer mit Eile; und wenn du von Gott gezogen wirst, so läufst du ihm nach und sprichst nicht vom Aufschub auf die Zukunft. Morgen - Morgen - steht in Satans Kalender und sonst nirgends. Morgen - ist ein Felsen, weiß gemacht durch die Gebeine der Seeleute, die daran Schiffbruch erlitten haben. Morgen - ist die Trinkschale, welche nach der Fabel des Dummkopfs am Fuß des Regenbogens liegt, die aber noch niemand gefunden hat. Morgen - ist die schwimmende Insel, die noch niemand gesehen hat. Morgen - ist ein Traum, eine Täuschung. Morgen, ja Morgen magst du deine Augen in der Hölle aufheben und dich in der Qual befinden. Aber jede Uhr sagt: „Heute!“; dein Puls, dein Herzschlag sagt „Heute“. Alles ruft „Heute“; und der Heilige Geist spricht: „Heute, wenn ihr wollt seine Stimme hören, verhärtet eure Herzen nicht.“ Sünder, seid ihr geneigt, jetzt den Heiland zu suchen? Seid ihr bereit, jetzt zu beten und zu sagen: „Jetzt oder nie! Ich muss jetzt gerettet werden!“? Wenn ihr jetzt geneigt seid, so glaube ich, dass der Ruf an euch ein wirksamer ist, denn wenn Christus einen Sünder auf wirksame Weise ruft, so sagt er: „Zachäus, komm eilends hernieder!“

4. Es ist ein demütigender, niedrig machender Ruf

Jesus sagt zu Zachäus: „Eile und komm hernieder!“ Oft ruft ein Prediger die Menschen zur Buße mit einem Ruf, der sie stolz machte und erhöhte in ihren eigenen Augen, indem sie sagten: „Ich kann mich zu Gott bekehren, wann ich will; ich kann es tun ohne den Einfluss des Heiligen Geistes.“ Dieser Ruf bewog sie hinaufzusteigen, anstatt herabzukommen. Gott demütigt den Sünder allezeit. Ich kann mich noch erinnern, als Gott das erste Mal zu mir sagte: „Steig herab.“ Einer der ersten Schritte, den ich zu tun hatte, war, herabzusteigen von meinen guten Werken; und ach, was war das für ein Fall! Damals ruhte ich auf meiner eigenen Selbstgenügsamkeit, und Christus sagte zu mir: „Steige herab! Ich habe dich von deinen guten Werken herabgeworfen, und nun will ich dich auch von deiner Selbstgenügsamkeit hinabstürzen.“ Nach diesem hatte ich einen andern Fall, und ich meinte gewiss, ich hätte den Boden erreicht, aber Christus sagte: „Steig herab,“, und er ließ mich herabsteigen, bis ich auf eine Stelle fiel, wo ich spürte, dass mir noch zu helfen sei. Da hieß es: „Komm noch weiter herab.“ Und jetzt stieg ich herab, bis ich jeden Zweig des Baumes meiner Hoffnung in der Verzweiflung fahren ließ und ausrief: „O, ich kann nichts tun; ich bin verloren.“ Jetzt gingen mir die Wasser über das Haupt, und das Tageslicht war mir verschlossen, und ich hielt mich für entfremdet von der Bürgerschaft Israels. Es hieß nun abermals: „Steige noch weiter herunter, du hast noch zu viel Stolz, um gerettet werden zu können.“ Alsdann wurde ich dahin gebracht, dass ich mein Verderben, meine Bosheit, meinen Unrat tiefer einsehen und erkennen musste. „Herab,“ sagt Gott, wenn er einen Sünder retten will. Ja, stolzer Sünder, es nützt dir nichts, stolz zu sein und dich auf dem Baum festzuklammern; Christus will dich unten haben. O du, der du wohntest bei den Adlern auf den steilen Felsen, du sollst herabsteigen von deiner Höhe; du muss durch die Gnade Gottes fallen, oder seine Rache wird dich einst herabstürzen. Er hat die Mächtigen gestürzt von ihren Stühlen, und hat erhöht die Demütigen und Sanftmütigen.

5. Es ist ein zärtlicher und liebevoller Ruf

Der Heiland sagt zu Zachäus: „Ich muss heute in deinem Hause einkehren!“ Man kann sich leicht vorstellen, wie sich die Gesichter der Weisen verändert haben mögen. Sie hatten Christus für den heiligsten Menschen gehalten und waren bereit, ihn zum König zu machen. Aber er sagt: „Heute muss ich in deinem Hause einkehren.“ Da war ein armer Jude, der vormals von Zachäus vor Gericht gezogen worden war und der sich noch wohl erinnerte, wie es ihm in diesem Hause zu Mute war. Da war ein anderer Jude, der beinahe seines Vermögens beraubt worden war. Diesem war der Gedanke an das Haus des Zachäus, wie wenn er in eine Löwengrube hätte gehen sollen. „Was!“ sagten sie, „Geht dieser heilige Mann in eine solche Höhle, in er wir armen Leute beraubt und misshandelt worden sind? Es war arg genug für Christus, dass er ihn auf dem Baum anredete, aber der Gedanke, nun auch vollends in sein Haus zu gehen, ist uns unerträglich!“ So murrten die Juden über Jesus, als er bei einem Mann Gast sein wollte, der ein Sünder war. Manche von seinen Jüngern dachten, es sei sehr unvorsichtig, es könne dem Charakter und Ansehen Christi schaden, ja, er würde das Volk beleidigen. Sie dachten, er hätte bei Nacht zu Zachäus gehen sollen, wie Nikodemus, wo es niemand gesehen hätte; aber sich öffentlich zu einem solchen Mann bekennen sei doch eine sehr unvorsichtige Tat.

Aber warum handelte Jesus so, wie er es tat? Antwort: Weil er dem Zachäus einen liebreichen und herzlichen Ruf geben wollte. „Ich will nicht kommen und auf deiner Türschwelle stehen bleiben, oder nur zu deinem Fenster hineinsehen, sondern ich will in dein Haus kommen - in das Haus, wo das Geschrei der Witwen zu deinen Ohren gedrungen ist, du aber sie nicht beachtet hast; ich will in dein Amtszimmer kommen, wo das Weinen der Waisen dich nie zum Mitleiden bewogen hat; ich will dahin kommen, wo du, wie ein gefräßiger Löwe, deine Beute verzehrt hast; ich will an den Ort kommen, von wo zum Himmel ein Geschrei aufgestiegen ist von den Lippen der Menschen, die du unterdrückt hast; ich will in dein Haus kommen und dir einen Segen geben.“ O, welche Liebe und Zärtlichkeit war in dieser Handlung des Herrn Jesu! Armer Sünder, sieh, wie zärtlich mein Meister gesinnt ist! Er will in dein Haus kommen. Was für ein Haus hast du? Ein Haus, das du unglücklich gemacht hast durch Trunkenheit - ein Haus, das du mit Unreinigkeit und Wollust befleckt hast - ein Haus, das du mit Fluchen und Schwören verdorben hast - ein Haus, in dem du ein schlechtes Gewerbe getrieben hast, von dem du gerne los sein möchtest? Christus sagt: „Ich will in dein Haus kommen.“ Und ich kenne manche Häuser, die einst Höhlen der Sünde waren, wohin Christus jetzt alle Tage kommt; wo der Hausvater und die Hausmutter einst miteinander zankten und sich schlugen, wo beide aber jetzt miteinander ihre Knie beugen vor dem lebendigen Gott. Christus kommt jetzt zu ihnen bei ihren Mahlzeiten und Arbeiten, wo sie zu ihm beten und sein Wort lesen und betrachten. Wo einst die Mauern mit lustigen Liedern und schlechten Bildern überzogen waren, da hängt jetzt ein christlicher Kalender, da liegt eine Bibel; und obwohl die armen Leute nur ein Zimmer zum Bewohnen haben, so würde doch, wenn ein Engel käme, und Gott fragte ihn: „Was hast du in dem Hause gesehen?“ die Antwort lautete: „Ich habe guten Hausrat gesehen, denn es ist eine Bibel da, auch hier und da ein gottseliges Buch; die schmutzigen Bilder sind weggerissen und verbrannt, die Spielkarten sind weggeworfen, Christus ist in das Haus eingezogen.“ O welch ein Segen, dass wir auch unseren Hausgott haben dürfen, und zwar den lebendigen, persönlichen, in Jesus Christus mit uns versöhnten Gott, wie ihn einst die heidnischen Römer nicht hatten, als sie ihre steinernen Hausgötter in ihren Wohnungen aufstellten. Unser Gott ist ein Hausgott, er kommt und lebt bei seinem Volk; er liebt die Zelte Jakobs. Nun, armer Sünder, der du in den schmutzigsten Höhlen wohnst, Jesus sagt dir: „Zachäus, eile und steig herab, denn heute muss ich in dein Haus einkehren.“

6. Es war nicht nur ein liebreicher, sondern auch ein bleibender Ruf.

„Ich muss heute in deinem Haus bleiben.“ Ein gewöhnlicher Ruf wäre gewesen: „Ich will heute in deinem Haus zu einer Türe hinein- und zur anderen hinausgehen.“ Der gewöhnliche Ruf, den das Evangelium allen Menschen gibt, wirkt auf sie nur für einige Zeit, und dann ist alles wieder vorüber; aber der seligmachende Ruf ist anhaltend und bleibend. Christus sagt nicht: „Eile, Zachäus, steig hinab, denn ich will gerade kommen, dich zu sehen!“, sondern er sagt: „Ich muss in deinem Haus bleiben oder verweilen; ich werde mich setzen und mit dir essen und trinken; ich werde ein Mahl mit dir halten.“ Mancher hat viele Eindrücke und Überzeugungen gehabt, und hat gedacht, er werde in der Tat selig werden, aber alles ist wieder verschwunden wie ein Traum. Aber, arme Seele, verzage nicht. Fühlst du das Wirken der allmächtigen Gnade in deinem Herzen, die dich zur Buße ruft? Wenn das wirklich der Fall ist, so kann es ein bleibender Ruf werden. Wenn Jesus in deiner Seele wirksam ist, so wird er kommen und in deinem Herzen verweilen, und er wird es für immer zu seiner Wohnung heiligen. Er sagt: „Ich will kommen und bei dir wohnen, und zwar für immer.“ Er spricht:

„Hier will ich haben meine stete Ruh',
Nicht immer will ich gehen ab und zu;
Nicht mehr bin ich ein Fremdling oder Gast,
Als Meister dieses Hauses will ich haben Rast.“

O, sagst du, das ist es, was ich brauche; ich muss einen bleibenden Ruf haben, einen Ruf, der dauerhaft ist; ich muss eine Religion haben, die ihre Farbe nicht verliert und nicht weggewaschen werden kann. Einen solchen Ruf gibt Christus. Seine Prediger können ihn nicht geben; aber wenn Christus spricht, so spricht er mit Macht: „Zachäus, komm eilends herab, heute muss ich in deinem Hause Einkehr halten.“

7. Es ist ferner ein notwendiger Ruf

Christus sagt: „Zachäus, steig eilends herab, denn ich muss heute in deinem Hause einkehren.“ Es war nicht etwas, das er tun oder nicht tun durfte, sondern es war ein notwendiger Ruf. Die Rettung eines Sünders ist für Gott eine ebenso notwendige Sache wie die Erfüllung seines Bundes, wonach die Erde nicht mehr mit Wasser überschwemmt werden soll. Die Rettung eines mit Blut erkauften Kindes Gottes ist eine notwendige Sache aus drei Gründen: sie ist erstens notwendig, weil sie im Vorsatz Gottes liegt; zweitens, weil sie das Kaufgeld Christi ist; drittens, weil Gott sie verheißen hat. Es ist notwendig, dass ein Kind Gottes selig werde. Der Heiland sagt nicht: „Zachäus, steig eilends herab, denn ich mag in deinem Hause einkehren.“, sondern er sagt: „ich muss daselbst einkehren!“ Er fühlte eine starke Notwendigkeit, wie damals, als er durch Samaria reisen musste. Gerade so notwendig, wie ein Mensch sterben muss, so notwendig, wie die Sonne bei Tag und der Mond bei Nacht Licht geben muss, so notwendig ist es, dass ein mit Blut erkauftes Kind Gottes gerettet werde. „Heute muss ich in deinem Hause einkehren.“ Und o, wenn der Herr bei einem Sünder einkehren muss und will, was wird es dann werden! Zu anderen Zeiten fragen wir: „Soll ich den Fremden, der an der Tür klopft, hereinlassen?“ Aber jetzt heißt es: „Ich muss in deinem Hause einkehren.“ Der Heiland klopfte nicht an dem Tor des Zöllners, das Tor zerbarst in tausend Stücke, und er zog ins Haus ein. „Ich muss, ich werde, ich will; ich bekümmere mich nicht um deine Schlechtigkeit, deinen Unglauben; ich muss, ich will in deinem Hause einkehren.“ Da hilft kein Widerstand. Mancher lacht über den Gedanken, dass noch ein frommer Mensch aus ihm werden könnte oder würde. „Was?“ sagt er, „Glaubt ihr, ich werde mich noch zu den Frommen halten?“ Nein, lieber Freund, ich glaube es nicht, ja, ich weiß es gewiss, dass du dich nicht zu den Frommen halten wirst. Aber wenn Gott sagt: „Ich muss bei dir einkehren!“ so hilft aller Widerstand nichts.

Ich will euch dies durch eine Geschichte deutlich machen: Ein Vater war im Begriff, seinen Sohn auf eine hohe Schule zu senden. Da er die geistlichen Gefahren kannte, denen der Sohn ausgesetzt sein möchte, so war er sehr bekümmert. Er fürchtete, der Sohn möchte die christlichen Grundsätze, in denen er erzogen worden war, verlieren. Da der Vater die Kraft des Wortes Gottes kannte, so kaufte er eine schöne Bibel, und legte sie, ohne dass der Sohn etwas davon wusste, unten auf den Boden des Reisekoffers. Der junge Mensch kam auf die hohe Schule, legte aber bald die Zügel, die ihm eine fromme Erziehung angelegt hatte, ab. Sein Studieren führte ihn zu Zweifeln, und von den Zweifeln zur Verleugnung der Wahrheit des Christentums. Nachdem der Sohn in seinen Augen sich für weiser als seinen Vater gehalten hatte, entdeckte er eines Tages mit großem Erstaunen und Unwillen das heilige Buch, als er seinen Koffer durchsuchte. Er nahm es heraus, besann sich, was er damit machen wollte, und kam auf den unseligen Gedanken, es zu Makulatur-Papier zu machen, auf dem er beim Rasieren das Messer abwischen wollte. Aber während er so das heilige Buch beschimpfte und immer wieder ein Blatt beim Rasieren herausriss, fiel hier und da ein kräftiger Text in sein Auge und in sein Herz, wie ein zackiger Pfeil. Zuletzt hörte er eine Predigt, die ihm seinen Zustand und den Zorn Gottes über ihn entdeckte, und sein Gemüt empfing einen Eindruck von dem letzten herausgerissenen Blatt des gesegneten, aber beschimpften Buchs, das er beinahe zur Hälfte zerrissen hatte. Nach langen Kämpfen fand er Vergebung am Fuße des Kreuzes. Die zerrissenen Blätter des heiligen Buchs brachten Heilung für seine Seele, denn sie wiesen ihn an, sich auf die Barmherzigkeit Gottes zu lehnen, die hinreichend ist auch für den Vornehmsten der Sünder. Ich sage euch, es gibt keinen Verbrecher, der über die Straßen wandelt und die Luft mit seinen Lästerungen befleckt, es gibt keine Kreatur, und wäre sie auch so schlecht wie Satan selbst, die nicht von der Barmherzigkeit Gottes erreicht werden könnte. Wenn Gott sagt: „Heute muss ich in deinem Hause einkehren!“, so wird er es gewiss auch tun. Fühlst du, dass eine starke Hand auf dir liegt, und hörst du eine Stimme sagen: „Sünder, ich muss in deinem Hause einkehren; du hast oft meiner gespottet, mir in mein barmherziges Angesicht gespien und mich gelästert, aber Sünder, ich muss in deinem Hause einkehren; du hast gestern den Missionar verachtet, hast den geschenkten Traktat verbrannt, hast den Geistlichen ausgelacht, hast den Sabbat gebrochen, aber Sünder, ich muss in deinem Hause einkehren, und ich will es!“ „Was, Herr?“ sagst du, „du willst in mein Haus einkehren, das ganz mit Ungerechtigkeit bedeckt ist! Einkehren in mein Haus, wo kein Stuhl oder Tisch ist, der nicht gegen mich schreien muss?“ „Ja,“ sagt er, „ich muss; es liegt eine Notwendigkeit auf mir; meine kräftige Liebe zwingt mich, und ob du mich einziehen lässt oder nicht, ich bin entschlossen, dich willig zu machen, und du wirst mich einlassen.“ O, ist das nicht überraschende Liebe, dass Jesus dich bittet, zu ihm zu kommen, dass er dich zu seinem Tisch einlädt, und dass er, wenn du ihn wegstoßen willst, dir sanftmütig begegnet und spricht: „Ich muss, ich will zu dir kommen.“ Denke doch daran, dass Christus dem Sünder nachläuft und nachschreit und ihn bittet, sich retten zu lassen. Der Sünder flieht vor ihm, aber freie Gnade verfolgt ihn und spricht: „Sünder, komm zu Christus!“, und wenn unsere Herzen verschlossen sind, so steckt er seine Hand zur Türe herein und spricht: „Ich will, ich muss hinein!“; er weint über uns, bis seine Tränen uns gewinnen; er schreit nach uns, bis sein Geschrei uns überwältigt, und zuletzt kommt er in unser Herz und wohnt darin. „Ich muss in deinem Hause bleiben!“ spricht Jesus.

8. Schließlich: Dieser Ruf war ein wirksamer Ruf.

Wir sehen ja die Früchte, die er hervorbrachte. Offen war nun die Türe des Zachäus, sein Tisch war gedeckt, sein Herz war freigebig, seine Hände waren gewaschen, sein Gewissen war entlastet, seine Seele freute sich. „Herr,“ sagte er, „ich gebe die Hälfte meiner Güter den Armen; wenn ich etwas von jemandem genommen habe durch falsche Anklage, so gebe ich es vierfach zurück - da geht ein anderer Teil meiner Habe fort.“ Ja, Zachäus, du gehst heute viel ärmer zu Bette, als du diesen Morgen aufgestanden bist, aber dennoch bist du unendlich reicher geworden an himmlischen Schätzen. Sünder, daran können wir Gottes Ruf an dir erkennen; wenn er ruft, so ist es ein wirksamer, kräftiger Ruf, der gute Werke hervorbringt. Wenn Gott dich diesen Morgen gerufen hat, so wirst du deinen Trinkbecher fallen lassen; nicht ein Fenster deines Ladens wird heute offen sein, man wird daran die Nachricht lesen: „Dieses Haus ist geschlossen am Sabbat und wird an diesem Tage nicht wieder geöffnet werden.“ Wenn Gott dich heute kräftig gerufen hat, so mag morgen ein weltliches Vergnügen dich erwarten, aber du wirst nicht hingehen. Und wenn du jemanden beraubt hast, so wirst du das Gestohlene wieder zurückgeben. Wir glauben nicht, dass ein Mensch bekehrt wird, wenn er nicht den Irrtum seiner Wege aufgibt, wenn er nicht tatsächlich zu der Überzeugung kommt, dass Christus selbst der Meister seines Gewissens ist, und wenn nicht Christi Gesetz sein Vergnügen und seine Freude ist. Zachäus stieg eilends vom Baume und nahm Jesus mit Freuden auf. Er sagte: „Sieh, Herr, die Hälfte meiner Güter gebe ich den Armen.“ Jesus sprach zu ihm: „Heute ist diesem Hause Heil widerfahren, weil er auch ein Sohn Abrahams ist. Denn des Menschen Sohn ist gekommen, zu suchen und zu retten, was verloren ist.“ Und nun noch ein Wort an die Stolzen und an die Verzagten. Ihr stolzen Herzen, kommt herab! Die Barmherzigkeit fließt in den Tälern, sie geht nicht hinauf auf die Berge. Komm herab, du hoher Geist! Er legt die hohe Stadt niedrig bis auf den Grund, und dann baut er sie wieder auf. Und du, verzagende Seele, komm zu Jesus, traue seiner Liebe und Barmherzigkeit, er ruft dich. Gehe heim und demütige dich vor Gott; gehe und bekenne ihm deine Missetaten, dass du wider ihn gesündigt hast; sage ihm, du seist ein armer, verlorener Sünder ohne seine souveräne Gnade; und dann blick auf zu ihm und sei versichert, dass er zuerst nach dir geblickt hat. Aber sagst du: „O, ich will und möchte selig werden, aber ich fürchte, er will nicht.“ Halt! Halt! Rede nicht davon - es ist ja eine Lästerung. Du kannst nicht zu Christus aufsehen, ehe er nach dir gesehen hat. Wenn du den Willen hast, selig zu werden, so hat der Heiland dir diesen Willen gegeben. Glaube nur an ihn, und du wirst selig werden. Der Heilige Geist ruft nach dir. Darum auf, du junger Mann dort, eile und steig herab! Auf, du alter Mann, komm! Und du Handelsmann dort, eile herbei! Du, Mutter und Großmutter, höre den Gnadenruf Jesu, er sieht nach dir. Du, Jüngling, eile und steig herab. Christus schaut nach dir und spricht: „Heute muss ich in deinem Hause, in deinem Herzen einkehren.“ Amen.